• Titelbild
• Editorial
• das erste: On the streets
• teaser: November 2011 im Conne Island
• Die Psyche im Zeitalter leerer Geldbeutel
• Elmatic Tour
• Pop mit Widerhaken
• Das Ende der Konspirativität?
• Halftime
• Warum K.I.Z. in den KIEZ gehören
• doku: Die Opfer des Vernichtungskrieges
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• neues vom: ... wenn Farbe, dann richtig!
Als Franziska zu Reventlow im Mai 1871 in Husum zur Welt kam, schien ihre
Zukunft vorgezeichnet: Geordnet, sittsam, kaisertreu und
standesgemäß sollte das Leben der Tochter eines preußischen
Landrats verlaufen. Daraus wurde jedoch nichts. Vielmehr entkam sie der
provinziellen Enge, wurde die berühmteste Repräsentantin des wilden
Lebens der Bohème, publizierte bei anarchistischen Verlegern Romane und
hasste den Krieg, an dem sich die Landsleute patriotisch berauschten. Was der
Spießer als gerechte Strafe für solche
Unbotmäßigkeit erachtet Geldnot und Entsagung hat sie
nie akzeptiert. Dafür stand ihr der Sinn zu sehr nach Glamour, Luxus und
gutem Leben. Sparsamkeit gehörte zu ihren Stärken nicht, weshalb der
Druck der Gläubiger manchmal so groß wurde, dass Franziska von
Reventlow auf skurrile Fluchten ausweichen musste. Schnell handelte sie sich
das Wort der Skandalgräfin ein.
Von einer Flucht handelt auch ihr autobiografisch durchsetzter, ihr komischster
Roman, Der Geldkomplex (1916), den sie ironisch pointiert gleich ihren
Gläubigern zugeeignet hatte. Darin wird erzählt, wie die
Protagonistin sich auf Anraten eines an Freud orientierten Psychiaters
in eine Nervenheilanstalt, oder sagen wir lieber Sanatorium, das
klingt immerhin noch milder begibt und dort von ihrer Neurose, einem
Komplex, geheilt werden soll: ihrer zu großen Wertschätzung
des Geldes. Die erhoffte Therapie will freilich nicht so recht anschlagen. Da
die Patientin keine Freundin der Psychologisierung materieller Probleme ist und
lieber ihre Schulden als ihren Komplex beseitigt hätte,
verläuft die Therapie wenig erfolgreich. Die Psychoanalyse mag die eigene
Seele kurieren helfen, nicht aber das Portemonnaie zu füllen. Vor allem
aber entwickelt sich der Roman zu einer humorösen Darstellung ihres
Aufenthalts im Sanatorium. Unter lauter zumindest finanziell gescheiterten
Existenzen wird ihre Zeit dort zu einer immer amüsanter werdenden
Angelegenheit, die in dem Resümee mündet, dass es sich auch im
Zeichen des Bankrotts ganz gut leben lässt. Auch deshalb meinte selbst
Rainer Maria Rilke später einmal, dass das Leben der Reventlow eins
von denen ist, die erzählt werden müssen. Weil ihr Roman jedenfalls
einer ist, mit dem sich ebenso gut über den vermeintlichen Geldkomplex
lachen, wie sein gesellschaftlicher Anlass beanstanden lässt, lädt
der Rote Salon im Conne Island zum Auftakt seiner neuen
Veranstaltungsreihe zu einer szenischen Lesung von Reventlows
Geldkomplex ein. Inszeniert wird das Ganze von den längst schon
Bekannten des Hamburger Polittbüros um Thomas Ebermann und die durch Kino
und Film bekannten SchauspielerInnen Pheline Roggan und Denis Moschitto. Auch
deswegen lohnt sich das Kommen. Eines ist jedenfalls jetzt schon sicher: Der
Abend verspricht mehr Aufklärung als jede Therapiestunde und ist ganz
sicher eine Investition in die Zukunft.