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• Vergesst den sich bahnenden Frühling
• Boston represent...
• AYS, Hang The Bastard, Wayfarer, Slave Driver
• Scuba
• "Aber wenn ich werd' schreien, wird besser sein?"
• Willkommen im Irrenreservata
• The Beat Scene's Next Generation
• After St.Patricks Day Is Before St.Patricks Day
• ...And You Will Know Us by the Trail of Dead
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• Freiheit auf Arabisch
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• leserInnenbrief: LeserInnenbrief
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• das letzte: Dünnes Eis
Liebe Susanne,
Ich fand deinen Beitrag in der Ausgabe 182 sehr gelungen und freue mich vor
allem darüber, dass auch mal wieder ein junger Mensch in diesem teilweise
viel zu abgehobenen Blatt etwas veröffentlicht, ohne bereits ein
geisteswissenschaftliches Studium absolviert zu haben. Ich kann auch deine
Empörung gut nachvollziehen, allerdings haben sich leider einige kleine
Ungereimtheiten eingeschlichen. Da du noch nicht lange dabei zu sein scheinst,
dies ist nicht in abwertender Absicht gemeint, möchte ich dir für
deine zukünftigen Schritte in der linken Szene einige lieb gemeinte
Hinweise geben.
Es ist gerade für uns Linke ein heißes Eisen, anderen per se
Beschimpfung, Verunglimpfung und Hass vorzuwerfen. Nicht selten verwenden wir
gerade die beiden erstgenannten Stilmittel, um unseren radikalen und
grundlegenden Forderungen an die Gesellschaft und ihre Akteur_innen unter
Zuhilfenahme von überspitzter Empörung mehr Gewicht zu verleihen. So
sprechen oder schreiben wir z.B. von Antisemit_innen, Rassist_innen,
Antifeminist_innen, Macker_innen, Faschist_innen, etc. obwohl wir
natürlich meist sehr genau wissen, dass wir es damit oft übertreiben
und die Adressat_innen eigentlich nicht ganz so böse sind, wie wir sie
darstellen. Lies doch einfach mal einige ältere sowie neuere Ausgaben des
Newsflyers und du wirst feststellen, dass alle politischen Gruppen innerhalb
der Linken sich da nicht sehr viel nehmen. Das kann emotional teilweise sehr
belastend sein, aber wir haben eben auch Gefühle, manchmal hassen wir
auch. Dies bringen wir zum Ausdruck, wenn wir beispielsweise rufen Wir
haben euch was mitgebracht Hass, Hass, Hass oder Wer Deutschland
liebt, den können wir nur hassen. Tatsächlich erzeugen wir nicht nur
[e]in Klima, in dem andere herunter gemacht werden, in dem Fragen und
Kritik belächelt werden, sondern eines, in dem bestimmte Dinge einfach
nicht gesagt werden dürfen und tabuisiert sind. Gerade das ist unsere
Stärke. Dadurch, dass wir von vornherein gewisse Meinungen, Aussagen und
Thesen ausschließen, können wir erst unsere Identität
bestimmen, Gemeinsamkeiten festlegen und uns gegenüber den
Wertmüllers dieser Welt abgrenzen, wie du es eindrucksvoll in deinem Text
demonstrierst. Dadurch, dass wir bestimmte Standards schon von vornherein als
allgemein akzeptiert verstehen, müssen wir auch keine inhaltliche
Begründung liefern. Unsere Emotion, also auch unser Hass, ist Grund genug!
Menschen, die wie wir denken, verstehen das auch. Aber können wir deshalb
Wertmüller und seinem Gefolge unsere eigenen Methoden vorwerfen, die wir
immer dann anwenden, wenn es um Faschist_innen, Sexist_innen, Bullen,
Bürger_innen, etc. geht?
Du schreibst, dass das Conne Island zumeist ein bemerkenswert
schöner Ort ist. Ein Ort, an dem das Palituch nicht getragen werden
darf. Die meisten von uns haben zu diesem Symbol eine andere Einstellung als
du, aber darum soll es hier nicht gehen. Allerdings schreibst du auch, dass
Wertmüller seine vermeintlichen Wahrheiten in der eigenen Zeitung
publizieren [kann], (
) aber nicht die Island-Bühne [braucht].
Tatsächlich waren es aber maßgeblich die Bahamas und ihre lokalen
Vertreter_innen, welche durchgedrückt haben, übrigens auch unter
Zuhilfenahme von Beschimpfungen und Verunglimpfungen von großen Teilen
der Linken, dass im Conne Island kein Platz ist für ein internationales
Symbol gegen Imperialismus und Kolonialismus. Es mutet also durchaus ein wenig
seltsam an, wenn du von vermeintlichen Wahrheiten schreibst, die in dem
Projekt, in welchem du dich engagierst, ganz praktisch umgesetzt wurden.
Natürlich stehst du aktuellen Positionen der Bahamas sicher kritisch
gegenüber, allerdings ist es nie verkehrt, sich auch mit ihrem nicht zu
unterschätzenden Einfluss auf Leipzig auseinanderzusetzen. Wende dich
einfach vertrauensvoll an ältere Genoss_innen. Das ist auch nicht weiter
schlimm, wenn man noch nicht so lange dabei ist, sind viele ältere
Auseinandersetzungen einfach nicht bekannt. Trau dich, niemand wird dir den
Kopf abreißen!
Das Conne Island Plenum kann mit dem und im Conne Island machen, was es
will. Das klingt erstmal sehr schön und hat viel von einem
selbstbestimmten und emanzipatorischen Umgang mit dem Projekt, an welchem man
sich beteiligt und deine trotzig frische jugendliche Art ist beileibe sehr
sympathisch. Leider sieht die Realität, auch wenn dir das einige
vielleicht anders vermittelt haben, ganz anders aus. Da auch das Conne Island
Teil der kapitalistischen Verwertungslogik ist, müssen Aufgaben erledigt
werden, auf die Menschen vielleicht gar keine Lust haben. Türen
müssen verschlossen werden (wegen eventuellen Diebstahls), es muss
gereinigt werden, ein Einlass muss aufgestellt werden, es muss gekocht werden,
Getränke müssen geordert werden, etc. Dies klingt erstmal alles sehr
spießig, wenig nach Spaß und Selbstbestimmung, aber leider
müssen bestimmte Dinge erledigt werden, sonst könnte das von dir
mitgestaltete Projekt bald dichtmachen. Hierfür bedarf es eines gewissen
Maßes an Selbstausbeutung. Dies verschweigen wir gern, aber leider ist es
so. Lass dich davon nicht abschrecken, die Genugtuung und Liebe, welche du im
Gegenzug erhältst, machen die ganzen Strapazen allemal wett. Und wer
weiß, vielleicht wird das Conne Island auch mal zu deinem Baby, zu deiner
kleinen Familie. Eine Möglichkeit, dem ganzen kleinfamiliären
patriarchalischen Familienbetrieb zu entfliehen und diesen mit etwas besserem
zu ersetzen. Lass dich von dem ansässigen Spielplatz nicht entmutigen,
nicht alle besitzen die Stärke, den Verlockungen des Kapitalismus und der
ihn stärkenden romantischen Zweierbeziehung zu widerstehen. Sei stark!
Muslimische Frauen oder gar Türkinnen und Araberinnen homogen als
Opfer zu sehen, ist sexistisch, weil es, genau wie falscher Feminismus, Frauen
eigenen Willen, eigene falsche Entscheidungen und politische Subjektivität
versagt. Männer sind die handelnden und Frauen werden behandelt.
Schwierig. Zum einen bezieht sich die Bahamas immer wieder auf, gerade in
unseren Kreisen aufgrund ihrer postkolonialen und heteronormativen Positionen
immer wieder kritisierten, Frauen wie Nekla Kelec und Seyran Ates, andererseits
hast du natürlich auch Recht, da Leute wie Wertmüller ständig in
ihrem Eurozentrismus verhaftet bleiben und den eigenen Sprechort nicht
reflektieren können. Muslimische Frauen haben sehr wohl
Handlungsmöglichkeiten, auch wenn diese in vielen Regionen der arabischen
Welt nicht über Heim und Herd hinausreichen, so nehmen sie dadurch doch an
einem diskursiven Prozess der Gesellschaftsgestaltung teil. Diesen Regionen
fehlende politische Subjektivität von Frauen vorzuwerfen ist, wie du es
ganz richtig erkennst, eurozentristischer Unfug. Allerdings solltest du, wenn
du von der Ideologie des Islamismus schreibst, nicht vergessen, dass
dies ein von westlichen Männern geprägter Kampfbegriff ist, von
solchen Typen wie Sarrazin. Die Formulierung islamische Communities ist
auch recht fragwürdig und lässt ein wenig biodeutschen Rassismus
anklingen. Muslim_innen wird im Rahmen postkolonialer und rassistischer
Politik, vor allem in Deutschland, doch gar keine andere Wahl gelassen, als
sich in Gemeinschaften zusammenzuschließen um sich gegen rassistische
Zumutungen wie etwa Sprachkurse zu wehren.
Mal ganz abgesehen davon, dass sich Antisemitismus unter anderem in Form
von Verschwörungstheorien äußert: ein paar wenigen,
ominösen im Dunkelnbleibenden wird die Macht zugesprochen, die Fäden
im Hintergrund zu ziehen, und andere als ihre Marionetten auftreten zu lassen,
die nur den Willen der Menschen im Hintergrund ausführen. Genauso wird
jetzt von Seiten der bahamas argumentiert., schreibst du völlig richtig,
allerdings schriebst du vorher: Nazivergleiche sind nicht nur vollkommen
jenseits legitimer Kritik, sondern relativieren zusätzlich den
Nationalsozialismus und seine SchergInnen. So sehr ich auch mit deinem Text
sympathisiere, solche Widersprüchlichkeiten sollten sich nicht
einschleichen dürfen.
Ich hoffe, ich konnte dir ein paar nützliche Hinweise geben, ohne
autoritär aufgetreten zu sein. Auf jeden Fall wünsche ich dir
für deine Zukunft in der Linken und am Conne Island alles Gute, viel Kraft
und ein erfolgreiches Studium.
Mit solidarischen Grüßen
Chay
P.S.: Wichtig sollte für uns Linke auf jeden Fall sein, dass
Unterdrückungsmechanismen und jegliche Form der Diskriminierung
gleichberechtigt nebeneinander stehen. Sonst hat man zwar, wie Lou Sander in
einem LeserInnenbrief in Ausgabe 180 deutlich werden lässt, ein Problem
mit Rassismus, schenkt aber den eigenen Ressentiments keinerlei Beachtung mehr.
Das politische Gegenüber in diffamierender Absicht mit der Bezeichnung
klein zu belegen, zeugt von der ungenügenden Beschäftigung mit
Ageism, Lookism und Heightism.
P.P.S.: Auch wenn du die Toten Hosen mögen solltest, wie es der Titel
deines Textes nahelegt, versuch es doch mal mit den Ärzten. Die sind viel
witziger und haben auch musikalisch mehr zu bieten. Liebgemeinter Tipp.
P.P.P.S.: Entschuldige, aber lateinische Zitate, selbst wenn sie richtig
angegeben werden, sind für emanzipatorische Menschen eine einzige
Zumutung! Sie verweisen auf nichts anderes als einen weißen
bildungsbürgerlichen Background und man sollte einen positiven Bezug auf
solch reaktionäre und elitäre Scheiße stets unterlassen!