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Aktuelles Heft

INHALT #185

Titelbild
Editorial
• das erste: Immer wieder Selbstbetrug
Vergesst den sich bahnenden Frühling
Boston represent...
AYS, Hang The Bastard, Wayfarer, Slave Driver
Scuba
"Aber wenn ich werd' schreien, wird besser sein?"
Willkommen im „Irrenreservat“a
The Beat Scene's Next Generation
After St.Patricks Day Is Before St.Patricks Day
...And You Will Know Us by the Trail of Dead
Disco Ensemble
Freiheit auf Arabisch
Hercules and Love Affair
Das Filmriss Filmquiz
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• review-corner film: Verarbeitung über Pornografie
• kulturreport: Die Wahl der Socken
• cyber-report: See No Evil
• doku: Über die Voraussetzungen der Israelsolidarität
• leserInnenbrief: LeserInnenbrief
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• das letzte: Dünnes Eis

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Verarbeitung über Pornografie

Liebesthermometer

Pornografie & Holocaust – der Titel des Dokumentarfilms vom israelischen Filmemacher Ari Libsker mag auf den ersten Blick verstören; spielt er doch bewusst mit zwei Tabuthemen, wobei insbesondere deren Zusammenführung Distanz und Unbehagen auslöst. Als Hintergrund dienen Groschenromane, die sogenannten Stalags, welche Anfang der 1960er Jahre eine breite Diskussion innerhalb der israelischen Gesellschaft hervorriefen.
Der Film geht der Entstehungsgeschichte der Romane sowie den Motiven und deren Auswirkungen auf die israelische Gesellschaft nach.
Stalag meint so viel wie Stammlager und umreißt somit den Ort des Geschehens aller Stalag-Hefte. Die Handlung ist dabei stets dieselbe: Britische oder amerikanische Soldaten geraten während des zweiten Weltkrieges in deutsche Gefangenschaft. Bei Ankunft in eines der Stammlager der Nazis erwarten sie jedoch keine männlichen Aufseher, sondern vollbusige, mit glänzenden Stiefeln ausgestattete weibliche SS-Offiziere, die ihrem Anschein nach eher Dominas als Aufseherinnen ähneln. Im Folgenden werden die Soldaten gedemütigt, gefoltert und sexuell erniedrigt. Aus dieser misslichen Lage sich befreiend, vergewaltigt zu Ende jeder Geschichte der Soldat die Aufseherinnen und beendet seinen persönlichen Rachefeldzug mit der Ermordung seiner Peinigerinnen.

Die Verfasser dieser Hefte sind bis heute weitgehend unbekannt. Pseudonyme wie Mike Baden, Ralph Butcher und Mike Longshot verweisen jedoch bereits auf eine Affinität zu amerikanischen Billigheften, weshalb die zügellosen Cover nicht von ungefähr an damalige Groschenromane amerikanischer Herkunft erinnern. Im Laufe des Films löst sich das Geheimnis um einen der Autoren auf und Mike Baden entpuppt sich als Eli Keidar, damaliges pubertierendes Kind einer Mutter, deren ganze Familie im KZ ermordet wurde. Das Sprechen über das erlebte Trauma fiel ihr schwer, weshalb Nachfragen des Sohnes in sofortige Trauer und Verschlossenheit mündeten. Eli Keidar beschreibt nun im Folgenden eine permanente Anwesenheit des Todes zur Zeit seiner Kindheit in Israel, die sich schließlich in Rastlosigkeit und Panik der Mutter niederschlug. Ein Schicksal, welches die anderen Stalag- Autoren teilen.

Als wichtiges Ereignis zur Erklärung der Herausgabe und des Erfolges der Stalag-Hefte nennt Libsker den Prozess um den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann im Jahr 1961. Zum ersten Mal wurde öffentlich das Grauen in den Konzentrationslagern benannt und Verdrängtes und Unterdrücktes zum Vorschein gebracht. Über Rundfunkübertragungen erreichte der Prozess landesweite Beachtung und ein Brechen des Schweigens. Die junge israelische Bevölkerung reagierte darauf unterschiedlich. Als eine Form des Umgangs werden die Stalag-Hefte dargestellt, die durch übertrieben fantasievolle Sexualisierung erlebtes Grauen verarbeiten und somit für die Autorenschaft fassbar wird, ohne im Dunkel des unüberwindbaren Traumas zu verweilen. Ähnlich verhält es sich mit der LeserInnenschaft der Groschenromane, obgleich ebenso KZ-Überlebende zum Kreis der RezipientInnen zählten.

Der Erfolg der ersten Hefte war für damalige Verhältnisse überwältigend. Stalag 13, der erste Band der Reihe, verkaufte sich über 80 000mal und erzielt bis heute hohe Preise in den Antiquariaten. Mit aufkommendem Erfolg wurden die Romane jedoch zusehends drastischer in ihrer Beschreibung und auch der feste Kreis der Autorenschaft wurde von Unbekannten erweitert, die sich kommerziellen Erfolg beim Spiel mit der Provokation erhofften. Auch wurde die Zensurbehörde fortschreitend auf die Hefte aufmerksam, so dass Werke wie „Ich war Oberst Schultzes Hündin“ verboten und mit harter Hand verfolgt wurden. Nach zwei Jahren geriet das Phänomen an sein Ende. Die Stalag-Hefte verkauften sich nicht mehr wie am Anfang und die fortlaufende Änderung der anonymen Autoren veranlasste den ursprünglichen Kreis der Schreiber zum Beenden ihrer Arbeit.

Zum Ende des Films widmet sich der Regisseur einer Person, dessen Romane bis heute Pflichtlektüre in jeder israelischen Schule sind – Jechiel Dinur, besser bekannt als K. Zetnik. Er war als Zeuge im damaligen Eichmann-Prozess geladen und erlangte weltweite Aufmerksamkeit, als er bei der Schilderung des Aufenthaltes in Auschwitz zusammenbrach und ärztlich behandelt werden musste. Seine Bücher Salamander und Das Haus der Puppen gelten bis heute als erste Dokumente über das Leid in den Vernichtungslagern. Insbesondere seine Beschreibung eines Lagerbordells in Auschwitz erlangte traurige Berühmtheit, wird von zeitgenössischen HistorikerInnen allerdings in Frage gestellt. So weist eine israelische Historikerin auf fehlende Dokumente zur Darlegung dieser These hin und attestiert Dinur einen Hang zu pornografischen Einschlägen in seinen Werken. Diese Sichtweise unterstützend können nun die Stalag-Hefte als ebensolche Form der Verarbeitung des erlebten Schreckens beispielhaft herangezogen werden und Dinurs Beschreibungen in diesen Kontext stellen.

Pornografie und Holocaust ist ein sehr empfehlenswerter Film, da er sich an eine Thematik heranwagt, die hierzulande bislang keinerlei Aufmerksamkeit genoss und das verrückt anmutende Wirkungsverhältnis von Traumata der Vergangenheit und sexuellen Begierden im adoleszenten Alter einer Untersuchung unterzogen wird, die sich jedoch der Schwierigkeit dieser Romane für Überlebende der Vernichtungslager bewusst ist. Dergestalt verlieren breite Buchveröffentlichungen ihren allzu individuellen Charakter der Verarbeitung und laufen somit Gefahr, wirklichen Opfern von Vergewaltigungen durch Nazis gewissenlos gegenüberzutreten. Der stattfindende Rachefeldzug zum Ende jeder Geschichte mag dabei einen schwachen Trost für reale Opfer darstellen. Ebenso greift der Film existierende Mythen auf und versucht anhand dieser Parallelen in der Art der Traumaverarbeitung durch die Erotisierung von Grauen darzustellen, um zu zeigen, dass die Autoren der Stalag-Hefte nicht durch eine simple Unterstellung von Absurdität oder Wahnwitzigkeit verstanden werden können.

Der Film soll im März diesen Jahres in der Kinobar Prager Frühling anlaufen.

Shlomo

24.02.2011
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