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Banksy Exit Through The Gift Shop, UK 2010, 87 min, http://www.exit-through-the-gift-shop.de/
Street Art war da nicht mal was? Es muss um das Jahr 2005 gewesen sein,
als ein Hype ausgerufen wurde, der gerade seinem Zenit entgegensteuerte. Damals
hätte eine Dokumentation über Street Art wunderbar zum Medienrummel
gepasst. Aber heute? Passiert da noch etwas Interessantes? Wenn gerade Leerlauf
ist, geht man halt zur Retrospektive über. Aber das muss nichts Schlechtes
sein. Und zum Glück ist auf Banksy Verlass, dessen Debütfilm
Exit Through The Gift Shop jetzt in den Kinos läuft.
Bisher experimentierte Banksy virtuos mit verschiedenen Medienformaten und
Darstellungsformen und auch dieser abendfüllende Film ist um es
vorwegzunehmen geglückt. Das Resultat jedoch einzuordnen, gestaltet
sich nicht einfach, denn für das Genre Dokumentation (als das wird der
Film gehandelt) sind zu viele fiktive Einsprengsel enthalten. Andererseits wird
dennoch lose ein chronologischer Faden verfolgt, der die Geschichte von Street
Art erzählt. Dokumentarisch im herkömmlichen Sinn sind die Szenen,
die einen Rückblick über Street Art seit Ende der 1990er Jahre
liefern mit dem Schwerpunkt auf Shepard Fairey, Banksy und Space Invader.
Andere Artists kommen allenfalls als Randfiguren vor, die ein paar Zitate
beisteuern dürfen. Eine ausgewogene Darstellung sieht anders aus, aber so
etwas wie objektive Berichterstattung sollte man von einem Banksy-Film auch
nicht erwarten. Das Format dieses Films ist kein kritischer Journalismus, der
mit Distanz zum Gegenstand diesen ergründen will. Banksy erzählt die
Geschichte von Banksy und genauso wenig erwartet man im Werbevideo eines
Konzerns ein sachliches Darlegen der Fakten. Mit dem Unterschied, dass es
Banksy gelingt, im Vorbeigehen ein paar tiefergehende Fragestellungen zum Stand
der Kunst aufzuwerfen. Und die Geschichte von Street Art zu dokumentieren. Und
eine ganz großartige Story zu erzählen. Aber der Reihe nach.
Die Materialschlacht mit Graffiti-Videoclips bleibt auf den Vorspann
beschränkt. Der Versuch, möglichst detailgetreu eine Jugendkultur mit
den Mitteln der Jugendkultur abzubilden, wurde glücklicherweise nicht
unternommen. Wahrscheinlich wäre eine endlose Aneinanderreihung von
Interviewschnipseln und Aufnahmen nächtlicher Sprüh- und
Klebeaktionen herausgekommen, gepaart mit einem Clusterbombing in Sachen
Namedropping (auch diese Vision wird in einer Szene über die angeblich
fertiggestellte Dokumentation vorweggenommen). Stattdessen entwickelt sich der
Plot an der Figur des klischeehaften Franzmanns Thierry Guetta entlang, der
einem Peter Sellers als Inspektor Clueso locker das Wasser reichen kann. Er ist
die heimliche Hauptfigur des Films, ein (angeblich) in Los Angeles lebender
Franzose und leidenschaftlicher Videoenthusiast, der durch Zufall abertausende
Tapes mit Videomaterial seit der Steinzeit von Street Art angehäuft hat.
Der leicht tapsige, ansatzweise hyperaktive, streckenweise auch vom Ehrgeiz
besessene, aber im Ganzen doch sympathische Hobbyfilmer entdeckt als
Außenstehender Street Art. Nachdem sein ursprünglicher Plan, einen
Dokumentarfilm über Street Art zu drehen, scheitert, wird er von Banksy
animiert, selbst Street Art zu fabrizieren und entwirft das Alter Ego
Mister Brainwash, mit dem er die Kunstszene in L.A. trotz völliger
Talentfreiheit vollständig aufrollt. Dichtung und Wahrheit
auseinanderzuhalten ist dabei müßig. Interessant ist an dieser Art
der Erzählung, dass beinahe nebensächlich einige essentielle Fragen
aufgeworfen werden: Zum Beispiel in einer Szene, in der Banksy und Shepard
Fairey zum Erfolg von Mister Brainwash interviewt werden und Banksy sich
sinngemäß vorwirft: Ich habe geholfen, diesen untalentierten
Künstler auf die Bühne zu holen sollte denn wirklich jeder die
Welt mit Kunst überfrachten? Hier wird nach den Grenzen der Idee
jeder kann Künstler sein gefragt. Die Kunstfigur des Mister
Brainwash belegt eine bestehende Grenze: miese Kunst. Die umgekehrte Frage
lässt sich dagegen nicht beantworten: Warum es Banksy im wirklichen Leben
zum Status des Künstlergenies geschafft hat, bleibt rätselhaft. Im
Nachhinein lassen sich alle Fakten so auslegen, dass es genau so kommen musste,
und man kann erläutern, was gerade Banksy von vielen anderen Namenlosen
unterschied. Im Gegensatz zur immerwährenden Neuerfindung von Banksy ist
die Langeweilekunst des Mister Brainwash Magie ohne Magie: Sie funktioniert
nicht und wirkt dadurch reichlich albern.
Und so muss aus Sicht der ersten Street Artists der Boom vor fünf Jahren
ausgesehen haben: Auf einmal tauchten massiv Kunstwerke auf, die alle bereits
wie Street Art aussahen. Die Macher des Films müssen einen
Heidenspaß damit gehabt haben, als Persiflage auf den Wirbel um Street
Art unglaublich belanglose Kunst und einen untalentierten Künstler zu
schaffen in Gestalt des Mister Brainwash, dessen Werke wie eine exakte
Schnittmenge aus Andy Warhol, Banksy und Obey anmuten und die ohne einen Funken
Originalität auskommen. Kunst ist dabei reduziert auf das Imitieren einer
bestimmten Technik. Charmant bleibt der Film an dieser Stelle dadurch, dass
hier niemand auf eine Abrechnung aus ist: Thierry Guetta ist keine hassenswerte
Figur, sondern ein ziemlich durchschnittlicher Typ; getrieben von seinen
Marotten und fixen Ideen, weder knallharter Ausbeuter noch berechnender
Mitläufer. Und genau das ist die Entstehungsgeschichte von Scheiße
nach Banksy. Es ist nicht Bösartigkeit oder Gewinnstreben, sondern eine
Verkettung von Zufällen gepaart mit einer Überdosis
Sendungsbewußtsein bei gleichzeitig unterdurchschnittlicher Begabung, die
den Erfolg von Thierry Guetta ausmachen.
Entscheidend wäre aber eine andere Frage: warum ausgerechnet die (pseudo-)
dokumentarische Form der Darstellung und was heißt Wahrheit in dem
Kontext? Schließlich werden ganz unbekümmert Fiktion und
Wirklichkeit vermischt. Im Fall des polnischen Reporters Ryszard Kapuscinski
kam es nach dessen Ableben nach einer biografischen Buchveröffentlichung
zu einem Skandal, als ihm unter anderem das Hinzudichten von Fakten unterstellt
wurde. Dabei bezog sich Kapuscinski selbst ganz gerne auf Herodot von
Halikarnassos, der es mit der Wahrheit auch nicht so genau nahm und trotzdem
als Urahn der Geschichtswissenschaften in der Antike gilt. Zu Herodots Zeiten
war eine Trennung von wissenschaftlichem Schreiben, Journalismus und Dichtung
noch nicht herausgebildet in der Mitte der 20. Jahrhunderts schien man
hingegen ziemlich präzise Vorstellungen von der Trennung dieser Bereiche
zu haben (die Causa Kapuscinski entspann sich aus diesen Maßstäben).
Und möglicherweise weicht heute diese Trennung wieder auf. Vielleicht war
Kapuscinski im Unterschied zu Banksy auch nur im falschen Bereich tätig.
Die Erwartungshaltung an ihn war eine andere, obwohl er die Basis seines
Reportagenstils offen gelegt hatte. Einem Michael Moore dagegen wurde kaum zur
Last gelegt, dass er seine Filme als Dokumentationen bezeichnete und mit
seiner Masche, insbesondere durch Bowling for Columbine, dem damals
darbenden Dokumentationsfilm zu neuem Auftrieb verhalf. Oder war seine Polemik
so offensichtlich, dass zumindest in den USA die Intention dieser Filme als
politische Windbeutelei interpretiert und damit nicht ernst genommen wurde?
Dokumentationen und Reportagen changieren immer zwischen Unterhaltung und einer
Darstellung von Fakten.
Und bei Exit Trough The Gift Shop dürfte die Erwartungshaltung kaum
mit der an einen neutrale Darstellungsform vergleichbar sein, zumal noch der
Comedy-Faktor hinzu kommt. Insofern fallen hier auch einige offene Fragen nicht
ins Gewicht. Denn woher das gezeigte Filmmaterial stammt und welche der Szenen
gestellt sind, ist oft nicht klar.
Auch das Festhalten der realen Ereignisse via Kamera wurde schon vor Jahren mit
voller Absicht geplant. Banksy (oder die Figur, die uns als Banksy vorgestellt
wird) meint, dass bei einer flüchtigen Kunstform wie Street Art die
Dokumentation der temporären Werke wichtig sei, und man das damals erkannt
habe (schließlich existieren auch von einigen Banksy-Aktionen gefilmte
Zeugenschaften). Die Kamera diente hier also als Hofberichterstattung, um die
heroischen Taten für die Nachwelt festzuhalten. Ganz so postironisch ist
Banksy also doch nicht, wenn es um die eigene Kunst geht, denn er verfolgt
zielstrebig seine Markenkommunikation. Dass ebendies seinen linken Fans nicht
früh aufgestoßen ist, liegt wohl in der Lässigkeit, mit der
Banksy sich feilbietet: um Geld sei es ihm nie gegangen. Knietief in der cool
economy, wo man selbstverständlich nur aus Spaß arbeitet.
Andererseits macht ihn das immun gegen eine ideologische Verbrämung seiner
Kunst. Den moralischen Zeigefinger für die Hungerkinder aus Gaza zu heben,
war nie Banksys Sache, was die kurzen Einblendungen seiner Arbeiten an der
Mauer zur Westbank 2005 belegen.
Im Unterschied zu den Projektionen von Israelhassern aller Couleur ist hier
weniger die politische Intention ausschlaggebend die Arbeiten werden im
Film als ein Sprungbrett auf dem Weg zur weltweiten Bekanntheit gezeigt
Banksy nutzte die mediale Berichterstattung für eigene Zwecke.
Exit Trough The Gift Shop liefert im besten Sinn gute Unterhaltung
und ist eigentlich ein Film über Thierry Guetta. Mit ihm
mitzufiebern erinnert an die Truman Show. Und der Gute-Laune-Faktor an
This is Spinal Tap. Mockumentary at it`s best. Dazu kommt der
abwechslungsreiche Soundtrack von Portishead-Mastermind Geoff Barrow, der die
Geschwindigkeit der Geschichte maßgeblich reguliert mit seiner Melange
aus Movie Score, instrumentellem HipHop, knarzigem Electro und Drum`n`Bass.
Banksy arbeitet mit dem Film weiter am eigenen Mythos. Etwas anderes wäre
auch kaum denkbar gewesen. Und gerade dieses Keeping it unreal, in
keiner Dimenension authentisch sein zu wollen, macht Banksys Methode aus. Die
Realität dient Banksy als Material, das er nach Belieben verformt
seien es Telefonzellen, Mauern, Elefanten oder Dokumentarfilme. Und ihm dabei
zuzusehen ist äußerst vergnüglich. Fast möchte man wie der
Protagonist Guetta nach Worten ringend Banksy huldigen. Wahrscheinlich
würde man aber auch nur wie er eine luftschnappende Aneinanderreihung von
Worten fertigbringen.
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