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Aktuelles Heft

INHALT #181

Titelbild
Editorial
• das erste: Was die LVZ Sonntagabend vom Tatort lernen könnte...
Fear and loathing im Moseltal
Runes, Hang the Bastard, Coldburn
65daysofstatic
Einen aufs Haus
MODESELEKTION Vol. 1
Shrinebuilder
Pantéon Rococó
Blood Red Shoes
„Trilingual Dance Sexperience“
dd/mm/yyyy, Women, Baths
»You are stronger than you think«
»Freunde im Groove«
Casper
Rise and Fall, Nails, Harms Way
Winds of Plague u.a.
Veranstaltungsanzeigen
• kulturreport: Campy Panzerluft und antisemitischer Kitsch
• ABC: G wie Gewalt
• review-corner film: Jud Süß – Ein Film ohne Anspruch
Linker Irrtum, schwerer Irrtum
Konzentriertes Ressentiment
Das ist doch alles nicht so einfach...
• doku: Oben bleiben. Weiter gehen.
• doku: Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie Scheiße ist Deutschland?
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• das letzte: Viel Spaß für wenig Geld

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Im Folgenden dokumentieren wir einen Aufruf der Gruppe „Emanzipation und Frieden“ zu „S21“



Oben bleiben. Weiter gehen.

Jeder vernünftige Mensch ist gegen Stuttgart 21. Doch nicht jedes Argument gegen S21 ist vernünftig. Es ist z.B. vernünftig zu sagen, das Geld solle besser für dringende soziale Bedürfnisse ausgegeben werden. Falsch ist es jedoch, S21 „volkswirtschaftlichen Irrsinn“ zu nennen (so z.B. U. Maurer von der Linkspartei). Denn dieses – zweifelsohne irrsinnige – Projekt macht wirtschaftlich durchaus Sinn. Und das ist der Kern des Problems.

Es ist verrückt, wegen 15 oder 30 Minuten „Zeitersparnis“ kilometerlange Tunnel in risikoreiche geologische Strukturen unter einer Stadt zu fräsen. Es ist irrsinnig, riesige Mittel dafür aufzuwenden, „dass die Züge an der Geislinger Steige nicht mehr herunterbremsen müssen“ (www.das-neue-herz-europas.de), während Schulgebäude bröckeln, Universitäten Gebühren eintreiben, Arbeitslose in die Armut geschickt werden und in Krankenhäusern Patienten sterben, weil nicht genügend Personal da ist. Doch nicht ein paar Spinner an den Schalthebeln der Macht sind die eigentliche Ursache dieses Irrsinns. Die ganze Gesellschaft wird von einem zerstörerischen Wachstums- und Geschwindigkeitswahn beherrscht. Dabei mangelt es noch nicht einmal an der Einsicht, dass es „eigentlich“ so nicht weitergehen kann. Doch es ist kein Zufall, dass noch nirgendwo wirkliche Konsequenzen gezogen wurden. Man kann tausendmal verstanden haben, wie gefährlich Atomkraftwerke sind – wenn man dort sein Geld verdient, hat man ein Problem. Man kann hundert Prozent verstehen, wie falsch es ist, die Welt mit immer mehr Autos zuzustopfen. Wenn jede Menge Arbeitsplätze von der Produktion der Dreckschleudern abhängen, werden steigende Absatzzahlen allgemein akzeptiert. Auch nach der Katastrophe im Golf von Mexico nimmt die Sucht nach Treibstoff kein Ende. Und was ist die Antwort auf die Staatsverschuldung? „1,7 Billionen Euro Miese – Wie Deutschland der Schuldenfalle entkommt“ titelt Spiegel Online (01.09.10) und weiß die Antwort: „Wachstum, Wachstum, Wachstum“. Niemand widerspricht – kein Arbeitgeberverband, keine Partei, keine Gewerkschaft, keine Regierung.

Immer mehr und immer schneller: Irrsinn, dein Name ist Marktwirtschaft

Denn der Wachstumszwang ist mehr als falsches Bewusstsein. Er ist ein verhängnisvoller Konstruktionsfehler der Marktwirtschaft. Die interessiert sich nämlich nicht für das konkrete Leben. Ihr Sinn und Zweck ist es allein, aus Geld mehr Geld zu machen. Gesundheit, Bildung, eine menschenfreundliche Stadt sind für sie keine Kriterien. In der mörderischen Ellenbogenkonkurrenz den größtmöglichen Profit herausschlagen, um am meisten und schnellsten investieren zu können, um am meisten Profit… usw. ohne Ende, das ist der Kreislauf der Kapitalverwertung. Ob Brausetabletten, Bungalows, Bombenflugzeuge oder Bahnhöfe – alles Stoffliche interessiert die Marktwirtschaft nur unter einem Aspekt: taugt es für die Wachstumsmaschine oder nicht? Mehr, mehr, schneller, schneller! Um jeden Preis! Das ist ihr Credo. Um ein paar Cent im Konkurrenzkampf zu sparen, werden gigantische Warenmengen in rasender Geschwindigkeit über den Erdball hin und her gejagt, Menschen hetzen ihnen mit heraushängender Zunge voraus und hinterher. Die Gier der Marktwirtschaft walzt alles nieder, was ihr im Wege steht, sie untergräbt zunehmend unsere Lebensqualität. Viele können keinen Millimeter mehr hinausblicken über das Diktat des Mark-tes, ein paar Minuten zu sparen und „Stuttgart wettbewerbsfähig zu halten“: „Schluss mit den Demos gegen Stuttgart 21“ hat schon über 10 000 Fans auf Facebook. „Vernünftig“ erscheint ihnen S21 nur, weil sie die stummen Zwänge abstrakter Verhältnisse verinnerlicht haben. Konformistisch brüllen sie gegen jene, die zumindest ahnen, dass das, was ist, nicht alles ist. In ihrer inneren Zurichtung und Entsagung können sie nicht ertragen, dass andere noch nicht ebenso zugerichtet sind… Doch obwohl diese anderen wenigstens noch spüren, dass es auch anders sein könnte, hängen sie noch oft genug dem herrschenden Wahn an. Bestes Beispiel dafür ist das Projekt K21.

K21 ist keine wirkliche Alternative

K21 hat unbestritten ein paar Vorteile, z.B. „nur“ 24 statt 66 km Tunnelröhren. Aber das vermeintliche „Alternativprojekt“ (www.kopfbahnhof-21.de/fileadmin/bilder/stellungnahmen/Kopfbahnhof_2007.pdf)bricht nicht mit dem Geschwindigkeits- und Wachstumswahn. Zitate: „Der TGV von Paris nach Stuttgart wird durch S21 nicht schneller.“ „Ebenso falsch ist die Behauptung, nur mit S21 könne die Fahrtzeit nach Ulm verkürzt werden.“ K21 „bindet die Landeshauptstadt vollwertig in die europäische Magistrale Paris-Budapest ein.“ „Die Fahrzeiten von Ulm und Tübingen entsprechen denen von S21.“ „Vordringlich sollte die Kapazität im Hauptbahnhof durch einen neuen Rosensteintunnel gesteigert und die Neubaustrecke realisiert werden, weil allein sie die Reisezeit verkürzt.“ „Auch der Flughafen/Messe wird in 13 Minuten schnell erreicht.“ Das Konzept will neue Gleise, neue Brücken, neue Tunnel, preist den direkten Anschluss von Messe und Flughafen. Und, als Gipfel: Mit K21 werde „eine größere Leistungsfähigkeit erreicht als beim Durchgangsbahnhof“. Sprich: Mehr Wachstum und Geschwindigkeit mit K21!

Die einen sind oben. Die anderen sind unten. Der Wahn ist überall.

Es ist empörend: Die einen sitzen an der Quelle und bereichern sich, die anderen können froh sein, wenigstens noch mit Hartz IV abgespeist zu werden. Die einen haben Entscheidungsmacht über vieles, was die Lebensverhältnisse der anderen berührt, die weitaus meisten sind machtlos. Und trotzdem ist auch die Macht „derer da oben“ begrenzt: Sie können die Logik der Kapitalverwertung nicht außer Kraft setzen. Wäre S21 wirklich „volkswirtschaftlicher Irrsinn“, würden die Verantwortlichen entgegen der Systemlogik handeln. Doch mit den Milliardenbeträgen sorgen sie dafür, dass die Maschine aus Maximalprofit und Wachstumswahn weiter brummt. Die Vorstellung, „die da oben“ behinderten die Marktwirtschaft ist nicht nur absurd, sie ist auch die Mutter aller Verschwörungsphantasien: „Wenn nur diese Gierigen, diese Bande, dieses Lügenpack nicht wäre, dann hätten wir das Problem gar nicht...“ Ein wenig überzeugendes Weltbild. Selbstverständlich gibt es Profiteure und Seilschaften bei S21. Aber würde bei K21 niemand profitieren, kein Finanzgeschäft getätigt, kein Deal gedreht, kein Billiglohn gezahlt? Viele scheinen ernsthaft zu glauben, dass dann keine „Spätzles-Connection“ lügen, manipulieren und tricksen und keine „unvorhergesehene“ Kostensteigerung nach der anderen aus dem Hut gezaubert würde. Heilige Einfalt! S21 und K21 sind – genauso wie immer mehr Autobahnen, immer mehr Fluglärm und immer mehr Umweltkatastrophen – Ausfluss der Zwänge eines verrückten Systems. Die Marktwirtschaft kann`s eben nicht besser.
Das Verflixte ist allerdings, dass unser aller Einkommensquellen, seien wir Arbeiter, Unternehmer, Freischaffende, Rentner oder Hartz IV-Bezieher, letztendlich vom Funktionieren der Kapitalverwertung abhängen – ohne sie gibt es weder Arbeitsplätze noch Steuereinnahmen. Insofern protestiert, wer gegen die Auswirkungen des Wachstums- und Geschwindigkeitswahns rebelliert – ob er will oder nicht – immer auch gegen seine eigene materielle Lebensgrundlage. Freitags gegen S21 demonstrieren, samstags mal eben schnell zum Geschäftstermin oder in den eh so knappen Urlaub um die halbe Welt düsen? Wie viel „S21“ steckt eigentlich in uns allen? „Wir können nur leben, wenn wir unsere Lebensgrundlagen zerstören“, lautet die frohe Botschaft der Marktwirtschaft. Der Weisheit letzter Schluss?

Entweder die Marktwirtschaft beseitigt die Menschen oder umgekehrt.

Es ist an der Zeit, über Grundsätzliches nachzudenken. Gut, dass es Widerstand gegen Stuttgart 21 gibt. Nicht nur wegen der Untertunnelungsrisiken und weil das Geld für dringende soziale Bedürfnisse benötigt wird. Je mehr die Protestierenden ein gutes Leben gegen den herrschenden Geschwindigkeits- und Leistungswahn einfordern, umso emanzipatorischer wird die Bewegung sein. S21 wird hoffentlich verhindert, aber noch notwendiger wäre der Ausstieg aus dem „Immer-mehr-und-immer-schneller“, anstatt nur für Varianten des Wahns zu kämpfen.
Schließlich wissen ja auch Sie, dass es so nicht weitergehen kann, oder?

„Wachstum“ könnte auch ganz anders klingen…

In einer human eingerichteten Gesellschaft wären die Güterströme auf das stofflich notwendige Maß begrenzt und nicht von Profitmaximierungserwägungen gesteuert. Der Großteil der heutigen Arbeit und des heutigen Verkehrs, der allein dem Schmieren der großen Geldmaschine dient, würde ohne jeden Verlust an Lebensqualität wegfallen: Reisen aus Lust am Kennenlernen der Welt und der Menschen, entspannt und oft auch langsamer, ohne den idiotischen Zeitdruck im Nacken, weil man nur zwei Wochen Urlaub hat oder der Auftrag flöten geht, wenn man eine Stunde „zu spät“ ist. Wissenschaft und Technik könnten unser Leben entwickeln und bereichern, statt immer mehr Minuten und Leistung aus uns rauszuquetschen. Das Wort „Wachstum“ könnte für die Lust am Leben und nicht mehr für eine tödliche Sucht stehen. Und die schlechte Alternative „entweder blindes und zerstörerisches Wachstum oder noch mehr Sparen auf Kosten der Mehrheit“ wäre auch von gestern. Eine solche Gesellschaft wäre schon lange möglich. Wir können heute mit so wenig Arbeit wie noch nie so viel Reichtum hervorbringen wie noch nie. Doch die Marktwirtschaft macht aus überflüssiger Arbeit „überflüssige“ Menschen und stresst diejenigen, die noch Arbeit haben, ohne Ende. Es ist schon lange Zeit, diese verrückte Organisation der Gesellschaft zu beenden.

Warum demonstrieren Sie eigentlich nicht gegen die Rente mit 67?

Die Rente mit 67 bzw. 70 wäre vollkommen unnötig, denn beim heutigen Niveau der Arbeitsproduktivität können schon lange immer weniger Menschen immer mehr versorgen. Sie bedroht massiv unsere Lebensqualität: die der Alten sowieso und die der Jungen, weil sie noch schlechtere Chancen auf Arbeitsplätze haben, wenn die Alten länger arbeiten müssen. Anders als bei S21 gibt es hier jedoch keine Handvoll „Bösewichter“, die an allem schuld zu sein scheinen, man muss schon ein paar grundsätzlichere Fragen stellen. In Frankreich wird massiv gegen die Rente mit 62 gestreikt. Bei S21 merken immer mehr Leute, dass man für sich selbst eintreten kann. Das geht nicht nur da.

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Zum Weiterlesen:

Every Bank is a Bad Bank
Nie wieder so viele Autos bauen. Nie wieder so lange arbeiten.
Arbeit und Wachstum für Umwelt?

25.10.2010
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