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Aktuelles Heft

INHALT #181

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• das erste: Was die LVZ Sonntagabend vom Tatort lernen könnte...
Fear and loathing im Moseltal
Runes, Hang the Bastard, Coldburn
65daysofstatic
Einen aufs Haus
MODESELEKTION Vol. 1
Shrinebuilder
Pantéon Rococó
Blood Red Shoes
„Trilingual Dance Sexperience“
dd/mm/yyyy, Women, Baths
»You are stronger than you think«
»Freunde im Groove«
Casper
Rise and Fall, Nails, Harms Way
Winds of Plague u.a.
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• kulturreport: Campy Panzerluft und antisemitischer Kitsch
• ABC: G wie Gewalt
• review-corner film: Jud Süß – Ein Film ohne Anspruch
Linker Irrtum, schwerer Irrtum
Konzentriertes Ressentiment
Das ist doch alles nicht so einfach...
• doku: Oben bleiben. Weiter gehen.
• doku: Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie Scheiße ist Deutschland?
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Campy Panzerluft
und antisemitischer Kitsch

Ein kritischer Blick auf die aktuellen Filme „Lebanon“ und „Miral“

Libanon, Sommer 1982. Ziemlich deplatziert wirkt der im lichtdurchfluteten Sonnenblumenfeld stehende israelische Panzer; wie ein orientierungsloses Stahlungetüm. Er wird der einzige Handlungsort im Film „Lebanon“ sein, denn nur die Geschehnisse im oder der Blick aus dem Panzer sind für den Verlauf der Geschichte bedeutsam.
Das Werk des israelischen Regisseurs Samuel Maoz erzählt vom ersten Kampfeinsatz einer jungen, frisch ausgebildeten Panzerbesatzung im Libanonkrieg 1982 und avanciert dabei durch die dramaturgische Begrenzung zu einer Art Kammerspiel, in dem die Außenwelt den Zuschauer lediglich über den Zielfernrohrblick des Bordschützen und Hauptprotagonisten Shmulik erreicht. Von einer Sekunde auf die nächste finden sich die jungen IDF-Soldaten nicht mehr in Übungssituationen, sondern inmitten eines tatsächlichen Krieges wieder. Ihr Panzer ist an einem Kontrollposten stationiert, ein schwarzer BMW nähert sich, ignoriert die Aufforderungen anzuhalten, übergeht alle Warnungen. Shmulik bekommt den Befehl zu handeln, den Auslöser zu betätigen. Er schafft es nicht. Das Auto explodiert, Selbstmordanschlag, ein israelischer Soldat stirbt. Seine Leiche wird der Panzerbesatzung anvertraut. Keine Minute später fährt ein Kleinlaster auf den Posten zu, Shmulik zögert, der Fahrer gibt beschwichtigende Handzeichen. Shmulik drückt den Auslöser. Das Fahrzeug geht in einer Feuerwolke auf, brennend stürzt der Mann auf die Straße, schreit markerschütternd, bevor er stirbt. Zerfetzte Hühner flüchten chaotisch. Der Panzer der IDF hat einen harmlosen Hühnerbesitzer getötet. Szenen wie diese mögen den sensibilisierten Antideutschen aufhorchen lassen – wird es doch immer recht heikel, wenn sich Filmemacher, Künstler oder Literaten militärischen Auseinandersetzungen widmen, in die Israel involviert ist. Oft schwant dem kritischen Betrachter ja, was folgt. Maoz` Film jedoch ist weder offen anklagend noch antiisraelisch. Gelegentlich hebt der Regisseur den ethischen Zeigefinger, spult die wohlbekannte Antikriegsfilmleier ab: im Krieg leiden alle Beteiligten, ihn zu erfahren ist unerträglich für Zivilbevölkerung und Soldaten gleichermaßen. Doch niemals im Film nehmen die Protagonisten die Rolle der „skrupellosen Killer“, „unmenschlichen Invasoren“ oder gar „blutrünstigen Juden“ ein, die ihnen in der antizionistischen und antisemitischen Propaganda gerne zugeschrieben wird. Es sind unerfahrene Jungs, zerfressen von Angst und Panik, gewissenhafte junge Soldaten, die Befehle erhalten, zweifeln, Fehler machen, letztlich einfach nach Hause möchten. Es ist der übliche, moralingesäuerte, aber weder verwerfliche noch überzeichnete Blick auf das Individuum in einer dauerhaft lebensbedrohlichen Situation.

Unbedarftheit und Ironie

Wie schon Ari Folmans intelligente Zeichentrick-Dokumentation „Waltz with Bashir“ ist auch „Lebanon“ ein autobiographischer Film. In Gestalt seines Alter Egos Shmulik verarbeitet Maoz die eigene Erfahrung als Bordschütze im Libanonkrieg – er will aufzeigen, dass sich für den einfachen Soldaten kein Bild von den Geschehnissen außerhalb der stickigen Panzerkapsel zusammenfügen mag. In der klaustrophobischen Abgeschiedenheit verschwimmen die Hintergründe des eigenen Handelns; inmitten der psychischen und physischen Extrembelastung löst die situative und selektive Wahrnehmung durch das Zielfernrohr den Kontext und Grund des Krieges auf. Maoz` Charakterstudie könnte in jedem Krieg angesiedelt sein. Sein Versäumnis, auf die konkreten Zusammenhänge des Libanonkrieges zu verweisen, scheint zwar im ästhetischen Rahmen des Filmes nachvollziehbar. Mit Blick auf die alltägliche Bedrohung der einzigen Demokratie im Nahen Osten und den allgegenwärtigen Israel-Hass in der westlichen Welt ist diese Lücke jedoch problematisch. Es droht eine Botschaft anzukommen, die so nicht intendiert ist: Krieg ist schlecht, es sind Israelis, die dort gegen Unschuldige Krieg führen – und auch wenn die Panzerbesatzung sich sträubt, moralisch integer scheint, so sitzen doch immer noch Israelis, Juden, an den Schalthebeln. Man könnte Maoz vorwerfen, zu unbedarft zu sein angesichts einer nach israelkritischen Berichten gierenden Phalanx europäischer Filmkritiker und Medienmenschen. So wurde sein Film, der 2009 den „Goldenen Löwen“ in Venedig gewann, dementsprechend gelobt, wenn auch mit dem häufig geäußerten Einwand, der Regisseur bezöge keine klare Position, setze er doch die Leidenden innerhalb und außerhalb des Panzers gleich. Weil Israel nicht explizit verteufelt wird, bietet der Film nur ungenügend Stoff für Verschwörungstheoretiker und antizionistische Friedensfreunde. Zwar wäre da beispielsweise der gewissenlose Kommandant, der seinen Untergebenen flüstert, die völkerrechtswidrigen Phosphorbomben im Funkverkehr nur noch als „Rauchbomben“ zu bezeichnen. Unpassend nur, dass er sich schließlich doch als gütiger Mensch erweist, seine herausfordernde Rauheit lediglich notwendig und pragmatisch erscheint angesichts der eigenen Beklommenheit. Auch die obligatorisch auftauchende Metaszene der Moralfilmindustrie vermag es in ihrer kulminierten Eindimensionalität doch nicht ganz, den israelfeindlichen Reflex in Wallung zu bringen – es ist gewissermaßen die Fremdpein evozierende Ur-Pointe, auf welche alles hinauszulaufen droht: ein im staubigen Wüstenboden verendender Esel, dem, noch zuckend, eine Träne aus dem feuchten Auge rollt. Trotz des sentimental aufgeladenen Bildes werden wohl nur außerordentlich ressentimentgeladene Rezensenten auf die Skrupellosigkeit „der Israelis“ verweisen und selbstzufrieden bestätigt sehen, dass „der Jude“ selbst vor unschuldigen Tieren keinen Halt macht.
Nach gefühlten unendlichen Minuten wendet sich die Kamera respektive das Zielfernrohr ab und fokussiert nun, ja was wohl: zerberstende libanesische Häuser, eine ausgebombte Familie, schreiende Kinder. Der Panzer schießt, alle sterben, bis auf eine Frau, augenscheinlich die Mutter der Kinder. Sie rennt verzweifelt auf die Straße, fleht um Hilfe. Fängt schließlich Feuer, verliert ihre Kleider. Es ist eine schockierende Szene. Unerträglich, erschreckend. Unerträglich wegen der beinahe exhibitionistischen Sicht auf ein leidendes menschliches Wesen. Erschreckend vor allem aber aufgrund der lächerlichen Naivität, die hier offenbar wird und im Verlauf des Films häufiger aufblitzt – als ob mit der Aneinanderreihung schrecklicher Szenen allein Mitgefühl evoziert bzw. potenziert werden könne. Das entwürdigte Individuum in Zeiten des Krieges wird degradiert zur Spießrutenläuferin, gauklerhaft gestikulierend vor einer von brennenden Trümmern gesäumten Kleinkunstkulisse. Man wähnt sich beinahe in einem Rodriguez-Film, so sarkastisch übertrieben wirken manche Szenen. „Lebanon“ lässt sich also nicht nur rezipieren als naives Antikriegskammerspiel, angesiedelt im Inneren eines Panzers, sondern legt durch den stilisierten Blick des beteiligten Zusehers auf Tod und Zerstörung außerhalb eine zweite Lesart nahe: als überhöhte Groteske, als Persiflage auf jenen filmgewordenen gutmenschlichen Gestus, der die Filmfestspiele dieser Welt zu dominieren scheint. Als eine Art campy Friedensbewegten-Spektakel.

Die aufgeklärte Armee und antideutsche Projektionen

Die verzerrte Darstellung des Krieges, den die im Panzer quasi gefangenen jungen Soldaten als Beobachter und Involvierte gleichermaßen erleben, verstärkt die Distanz der Akteure zum Geschehen, die ihnen das Zielfernrohr als einzige Verbindung nach außen ohnehin schon auferlegt. Damit konzentriert sich der Blick auf die soziale Konstellation im Inneren, auf die brodelnden Konflikte zwischen den Protagonisten, auf den verzweifelten Versuch, einer Situation Herr zu werden, die nicht beherrschbar ist. Auf die lähmende Qual, Entscheidungen treffen zu müssen, die niemals richtig sein können. Es sind labile, verletzliche Charaktere, von einer Unsicherheit gezeichnet, wie sie, zugespitzt formuliert, für das bürgerliche Subjekt in einer von Ambivalenzen geprägten, liberalen Gesellschaft typisch sein mag. Emphatisch übertrieben konstatiert ist es das Nicht-Schießen-Wollen, das den Kern jener zivilisatorischen Standards ausmacht, für die Israel im Nahen Osten steht und die somit auch dessen Armee prägen. Claude Lanzmann hat einmal geschrieben, die israelischen Soldaten hätten „die Gewalt nicht im Blut, und das Vetorecht des Lebens, das die Bewahrung des Lebens zum Prinzip macht, hat zu besonderen militärischen Taktiken geführt, die für diese Armee und keine andere bezeichnend sind.“ Es ist ein für israelfreundliche Ohren angenehmer Gedanke, der die praktische Notwendigkeit der Selbstverteidigung des jüdischen Staates mit dem nötigen aufklärerisch-menschlichen Pathos zu unterfüttern scheint. Der edle IDF-Soldat, der selbst im Kampf „Mensch bleibt“, weder fanatisch noch ideologisch verbrämt. Die Lesart scheint auf den ersten Blick attraktiv – und ist doch nichts als romantische Verklärung und riesige Projektionsfläche für antideutsche Fantasien. Denn die jungen Soldaten in „Lebanon“ sind weder Kämpfer noch Idealisten, und eben nicht einmal mehr kritische Menschen, die „Mensch bleiben“ wollen – ein selbstbestimmtes und reflektiertes Wollen können sie sich gar nicht leisten, weil jede Vorstellung einer abstrakten Gerechtigkeit oder Freiheit angesichts der Furcht vor dem eigenen Tod einfach verpufft. Als zynischer Antideutscher könnte man eine antisemitische Dimension des Films höchstens in der Darstellung des undisziplinierten, weichen, angsterfüllten Soldaten ausmachen, der wimmernd nach seiner Mutter ruft und nicht in der Lage ist, zu urteilen, zu handeln, letztlich: zu schießen. Schließlich ist die Rede vom „verkopften“, „sensiblen“, „unmännlichen“, „schwachen“ und „intellektuellen“ Juden ein gängiges Motiv antisemitischer Traktate. Gleichsam noch zynischer würde die Bemerkung ausfallen, dass die IDF, bestünde sie lediglich aus solcherlei Soldaten, vielmehr einem chaotischen Haufen als einer schlagkräftigen Armee gliche – und Israel womöglich nicht mehr existieren würde. Aber natürlich ist man nicht zynisch – und so lässt „Lebanon“ den Zuschauer etwas ratlos zurück. Man kann Maoz` Film zur eindringlichen Charakterstudie erklären oder zum belanglosen Antikriegskitsch, als strukturell antiisraelisches Machwerk ablehnen, als unterschwellig proisraelischen Kunststreifen für den geneigten Antideutschen feiern oder ihn ähnlich ironisch gebrochen konsumieren, wie es im avantgardistisch-intellektuellen Kunstmilieu der 80er Jahre mit dummen, sexistischen Action-Filmen geschah. Oder man nimmt „Lebanon“ als das wahr, was er ist: ein harmloser, stellenweise ungewollt komischer, moralvoller, dennoch unterhaltsamer, israelkritischer und israelfreundlicher, unpolitischer und ahistorischer, drastischer und erbaulicher Film über den Zweifel, die Angst, den Tod und ja, auch völlig unesoterisch, über die Menschlichkeit.

„Miral“ – „Unpolitischer“ Israelhass par excellence

„Lebanon“ wird manche der besagten Kritiker unbefriedigt zurücklassen, dämmert ihnen doch, dass Maoz nicht die erwünschte antiisraelische Projektionsfläche bietet; nicht zur Genüge aufzeigt, dass die israelischen Soldaten „die Bösen“ sind. Dafür wird sie ein anderer Film eines jüdischen Regisseurs, der demnächst in den deutschen Kinos anläuft, in umso stärkerem Maße besänftigen. Denn „Miral“, laut Pressemitteilung „die ungewöhnliche, berührende Geschichte einer Frau auf der Suche nach Frieden und Glück“ und ein „faszinierender Mix aus Licht, Farben, Emotionen und Tönen“ des New Yorker „großen Künstlers“ Julian Schnabel ist nichts als ein verkitschtes, antiisraelisches Machwerk.
Freida Pinto spielt Miral, eine hübsche junge Palästinenserin, die in Ost-Jerusalem bei ihrem Vater Jamal aufwächst, am bekannten Dar-Al-Tifl-Institut zur Schule geht, sich als Erwachsene schließlich in den politischen Aktivisten Hani verliebt und dem Widerstand gegen die israelische „Besatzungsmacht“ anschließt. Soweit die Rahmenhandlung – der Rest kann in aller Kürze nur als verklärendes Widerstands-Gesülze und Aneinanderreihung übelster Ressentiments gegen Juden und Israel bezeichnet werden. Es wäre die eine Sache, würde sich der Film ähnlich wie „Lebanon“ lediglich mit der Gewalterfahrung des Individuums auseinandersetzen und dabei geflissentlich über die politischen Hintergründe ausschweigen. Doch in „Miral“ tauchen jüdische Israelis nur als dämonische Bedrohung auf, wahrgenommen in Gestalt menschenfeindlicher Soldaten, alles plattwalzender IDF-Panzer oder zerstörerischer Abrissbagger. Da ist die israelische Polizistin, die als kaltherzige Bestie die wehrlose Hauptprotagonistin foltert. Da sind die israelischen Grenzpatrouillen, die bei der Kontrolle eines Busses gleichsam willkürlich die Taschen der Passagiere auskippen. Und natürlich jede Menge skrupelloser IDF-Soldaten, die in „Miral“ den Konterpart zu jenen in „Lebanon“ einzunehmen scheinen und freudig Jagd auf unschuldige palästinensische Kinder machen. Diese konkrete Auswälzung antisemitischer Klischees auf einzelne handelnde Charaktere ergänzt Schnabel mit der im Übrigen auch ästhetisch äußerst anspruchslos umgesetzten Darstellung der dauerhaften-abstrakten Bedrohung durch Israel. Die prügelnden Siedler im Fernsehen – das sind „die Juden“. Die Schüsse auf protestierende Jugendliche – auch das sind „die Juden“. Die, die unsere Häuser abreißen – ebenfalls „die Juden“. Israel sei das „Krebsgeschwür“ in Palästina, wie es eine der Figuren ausdrückt – und weder Drehbuch noch Dialoge, weder Kameraperspektiven noch bildliche Formgebung vermögen es, von dieser Aussage auf einer erzählenden oder Meta-Ebene zu abstrahieren beziehungsweise sich gar davon zu distanzieren. Jede Aussage im Film ist nichts anderes als eine unreflektierte und unkritische, vor allem aber auch völlig unzweideutige und niemals ironisch gemeinte Aussage des Regisseurs. So wirkt „Miral“ über weite Strecken nicht nur tendenziös oder einseitig, sondern wie harte pro-palästinensische Propaganda. In „Miral“ sind die Palästinenser Kinder des Sonnenscheins, gutaussehende Helden mit großen Augen und Herzen, beinahe bollywoodesk tanzend und redend – vor allem aber freilich „Opfer der Israelis“. Wie schön wäre die prinzipiell heile palästinensische Welt voller Liebe und Sehnsucht, Solidarität und Hilfsbereitschaft, gäbe es keine Juden mehr! Schnabels naive Beteuerung, einen unpolitischen Film gemacht zu haben, wirkt ebenso unwissend wie heuchlerisch. Leider bestätigt sich ein weiteres Mal, was zunächst wie Ressentiment klingen mag: dass der Blick des unbedarften oder sich unbedarft gebenden Künstlers auf eine politisch hochkomplexe Konstellation wie jene im Nahen Osten – bei Schnabel ja sogar nicht nur fragmentarisch, sondern fünfzig Jahre abdeckend – nicht Reflexion zeitigt, sondern antiaufklärerische Verkürzung, nicht Sensibilität, sondern Grobheit. Dass auch im Medium Film, in welchem ein unterstelltes dialektisches Potential ja viel eher zum Tragen kommen kann als beispielsweise in der bildenden Kunst, ein empfindliches Sujet zum sittlich-lamoryanten Brei verwurstet werden kann, der nicht nur peinlich ist, sondern gerade in seiner Borniertheit auch Gefahren in sich birgt. Dass Schnabel gleichzeitig mit der palästinensischen Autorin Rula Jebreal liiert ist, die die literarische, halb-autobiographische Vorlage zum Film lieferte, vermag die ekelhaften Andeutungen und unsäglichen Aussagen im Film nicht zu entschuldigen, sondern verstärkt die Vermutung, dass „Miral“ keineswegs aus Zufall ein explizit antiisraelischer Film geworden ist. Auch der Versuch, verschiedene Episoden des israelisch-palästinensischen Konflikts abzudecken, zeugt nicht von abwägender Reflexion, sondern vom zynischen Gegenteil: Ob die Zeit der Siedlungen nach der Gründung Israels, der Sechstage-Krieg oder die beginnende Intifada in den 80er Jahren – die historischen Momente, an denen die Protagonisten der verschiedenen Generationen in „Miral“ teilhaben, dienen lediglich der Illustration dessen, was Schnabel uns eigentlich sagen will: Dass nämlich Israel in den über 60 Jahren seiner Existenz nie etwas Anderes war und sein wollte als ein „kaltblütiger Aggressor“, eine „mordende Besatzungsmacht“, ein Land gegen das zu kämpfen als sich „progressiv verstehender Mensch“ „Ehrensache“ ist. Ein „hinterhältiger Staat“, bestehend aus „hinterhältigen Menschen“, die geradezu Spaß daran zu haben scheinen, grundlos Kriege zu beginnen, Mauern zu bauen und die „wahren, edlen Völker“ des Nahen Ostens zu malträtieren.

Sarkasmus oder Stinkbomben?

Womöglich wird die eindeutige Plumpheit in „Miral“ auch unreflektiertere Zeitgenossen unter den Filmkritikern davon abhalten, ihn in den Himmel zu loben. In, sagen wir, Israel prinzipell feindlich gesonnenen Kreisen, egal ob links oder rechts, wird der Film aber als authentisches Zeugnis einer angeblichen Bedrohung, die von Israel ausgehe, gefeiert werden – moralisch und politisch korrekt abgenickt durch die Tatsache, dass der Regisseur ja amerikanischer Jude ist. Was die so genannte studierte, undogmatische Linke angeht, läge es zwar nahe, wie bei „Lebanon“ einen Versuch zu wagen, den Film ironisch zu rezipieren – schließlich prädestiniert der unerträglich banale Heile-Welt-Firlefanz ebenso dafür wie der psychedelisch anmutende, geschmacklose Farbenwirrwarr, der den Film über weite Strecken prägt. Ebenso bestens geeignet scheinen die seichten Dialoge und unrealistisch affektierten Gefühlsausbrüche der Protagonisten. Doch was zum Beispiel bei gemäßigt deutschtümelnden Heimatfilmen noch funktionieren mag, gelangt dort an eine Grenze, wo ein rezeptionsäshetisch behaupteter sarkastischer Schein – das was man Camp nennt – sich einem breiten Publikum nicht erschließen mag und gleichzeitig mit einem Wust an brisanten politischen Implikationen daher kommt, von denen man im linken Intellektuellenmilieu zwar abstrahieren kann – ja, die man geradezu als Lustgewinn beim ironisierten Schauen des Films empfinden mag – die aber der gewöhnlichen Kinogänger nur als Bestätigung seiner antizionistischen und antisemitischen Ressentiments verstehen wird. Was also tun? Den Film boykottieren und ignorieren? Oder anschauen und Aufklärung betreiben? Flyer vor den Vorstellungen verteilen oder gar Stinkbomben in die Kinosäle werfen? Muss man sich als guter Linker und aufrechter Antideutscher überhaupt mit einem solchen Machwerk auseinandersetzen? Letztlich müsste man sich konsequenterweise dann ja auch zu jedem der Dutzenden sexistischen Filme verhalten, die jedes Jahr im Kino zu sehen sind. Also: wer einen netten Kinoabend verbringen und dabei ab und zu ganz politisch unkorrekt in sich hinein grinsen möchte, schaue sich „Lebanon“ an. Wer es sich hingegen zutraut über zwei Stunden antisemitischen Kitsch zu ertragen, wage sich in „Miral“. Die Stinkbomben kann man ja vorsichtshalber mitnehmen.

Theodor Heisenberg

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Lebanon läuft seit dem 14. Oktober in den Kinos, Miral wird ab 18. November zu sehen sein.

25.10.2010
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