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• Linker Irrtum, schwerer Irrtum
• Konzentriertes Ressentiment
• Das ist doch alles nicht so einfach...
• doku: Oben bleiben. Weiter gehen.
• doku: Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie Scheiße ist Deutschland?
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KELE /live - "frontman of BLOC PARTY"
Sizarr
+ aftershow dance w/ Preller & Peter Meier
KEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEELEEE! Fast möchte ich mich meinem Vor-Autor aus der
letzten CEE IEH-Ausgabe anschließen und nur schreiben: Ihr müsst da
alle hingehen! Ein Highlight des Conne Island-Pop-Jahres 2010 und ein jetzt
schon unvergesslicher Abend, dem mein halber Bekanntenkreis mit leuchtenden
Augen entgegenfiebert. Ich werde metaphorisch durch den Saal schweben es
sei denn, Glückshormone verleihen reale Flügel. Dann findet ihr mich
neben der Discokugel, ausgelassene Kreise ziehend ;)
Aber gut, ich versuch mal, mich ein wenig zusammenzunehmen und zum sachlicheren
und informativeren Teil zu kommen: Der Sänger einer der
relevantesten und erfolgreichsten Indietronic-Bands der letzten Jahre, Bloc
Party, Kele Okereke veröffentlichte im Sommer diesen Jahres sein
erstes Album. Ich war zunächst skeptisch, weil ich Bloc Party teilweise
großartig, teilweise aber auch recht öde und gewollt fand. Aber das
Solo-Album überzeugt durchweg mit einer mitreißenden Mischung aus
emotionalen Dancefloor-Smashern und herzzerreißenden melancholischen
Songs, getragen von der hypnotischen und einzigartigen Stimme Keles. Ein
enthusiastisches Elektropop-Album, das sowohl auf Parties als auch allein zu
Haus funktioniert, oszillierend zwischen Electronica, House, Garage, 2-Step und
R`n`B.
Geplant war ursprünglich nur ein Jahr Auszeit von Bloc Party, ein
sabbatical year, um sich dem realen Leben und der persönlichen Entwicklung
zu widmen. Doch die musikalische Kreativität ließ Kele nicht los und
die Solo-Arbeit Raum für seine eigene Weiterentwicklung zu neuen
musikalischen Formen. Weg vom Indierock, hin zu Elektronik: Bei
Gitarrenmusik gibt es einfach nichts, was jemand wie die Beatles früher
nicht schon besser gemacht haben, so Kele. Bei Elektro lägen die
Grenzen der Musik nur in der Vorstellungskraft des Künstlers.
Er habe sich zunächst einfach ins Studio eingeschlossen und angefangen,
mit elektronischen Beats zu experimentieren, was er nie zuvor gemacht habe.
It was just me and an engineer. I plugged in synths that I had no idea
what they would do. I began programming drum beats, which I had never done
before. It was completely back to the drawing board. It was exciting and
terrifying. In most cases I sat down, pulled a drum beat out of nowhere and
arranged stuff around that. This was as exciting to me as the first time I
picked up a guitar.
Den passenden Produzenten für seine Visionen findet Kele in New
York xxxchange ist bisher vor allem durch seine zahllosen Remixe
aufgefallen. Das Album ist entsprechend deutlich elektronischer geraten, als
leidenschaftlichen Bloc-Party-Anhängern vielleicht lieb sein dürfte.
Im Vergleich zu seiner Band nimmt er seine Stimme hier weit zurück, klingt
entspannter und weniger over-the-top. Mal ist seine Stimme verzerrt, mal
gepitcht, mal erklingt sie im Duett mit einer Frau, mal zeigt Kele eine
außergewöhnliche Sanftheit, über die er sagt: Derart
nackt war ich stimmlich noch nie zuvor. Ich wollte zerbrechlich klingen.
Auch der Albumtitel Boxer kommt nicht aus dem luftleeren Raum:
Bei diesem Sport geht es nur um dich und den Gegner, sagt
Okereke. Du kämpfst zwölf Runden, allein, und entweder du
wirst umgehauen, oder du stehst wieder auf und machst weiter. Bei der
Produktion seines Solo-Albums habe er sich genauso gefühlt: keine
Bandkollegen im Rücken, die eigene Impulse einbringen, aber auch eigene
Schwächen abfedern, sondern nur er und seine ganz eigenständige
veränderte musikalische Vision. Haben bei Bloc Party noch zwei Gitarristen
im perfekten Zusammenspiel mit Keles hoher Stimme einen besonderen Sound
geschaffen, so bilden nun treibende harte Beats die Basis, Gitarren kommen
höchstens als verfremdetes Zitat vor.
Das Boxer-Motiv hat neben dem musikalischen auch biografischen Bezug: In der
britischen Indierockszene, die vor allem von weißen jungen
heterosexuellen Männern dominiert wird, war Kele von Anfang an eine
Ausnahmeerscheinung und zum perfekten Opfer einer skandalhungrigen Yellow Press
prädistiniert. Aber er hat sich nie zum Spielball machen lassen und sich
standhaft Nachfragen zu seiner Herkunft und Sexualität verweigert. 2010
tritt er mit neuer Stärke und Selbstbewusstsein auf, er weiß, wo er
musikalisch steht und was ihn ausmacht, und er räumt ganz en passant auch
mit den Gerüchten um seine sexuelle Orientierung auf. Anfang 2010
ließ er sich von dem holländischen Schwulen-Magazin Butt
ablichten und outete sich vor seinen Fans und den Medien. Thematisch geht es
auf seinem Solo-Album um Wendepunkte im Leben, an denen man Dinge hinter sich
lässt, die einem nicht gut tun: Drogen, Beziehungen, Jobs.
All das die Befreiung, die Experimentierlust und die wiedergefundene
Leidenschaft fürs Musikmachen ist Kele deutlich anzuhören. Ein
Ausnahme-Abend! Ein Tanzabend! Ein emotionaler Abend! Ein Disco-Abend! Der
Abend der Abende!
Claire