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Jens Benicke: Von Adorno zu Mao. Über die schlechte Aufhebung der antiautoriären Bewegung. Freiburg: ça ira Verlag, 2010
Das Buch kann im Infoladen Leipzig ausgeliehen werden
Mit dem vorliegenden Buch liegt nun die Dissertation von Jens Benicke als
Veröffentlichung vor. Der Autor beschreibt in dieser Publikation den
Zerfall der westdeutschen Studentenbewegung und die daraus hervorgehenden
Gründungen der K-Gruppen. Man merkt dem Buch seine akademische Herkunft
aus den Politikwissenschaften an. Nicht weniger als 626 Fußnoten, zumeist
Literaturangaben, werden aufgeführt und das bei knapp 180 Seiten
Text. Diese umfassende Auswertung von Archivmaterial ist eine der Stärken
dieser Arbeit.
Es handelt sich um eine ideengeschichtliche Studie. Weitestgehend folgt diese
einem historischen Abriß: nämlich der Frage, wann und von wem welche
Positionen vertreten wurden. Synopsis: Die Studentenbewegung mit dem
Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) als wichtigster Organisationsform
bezog sich noch partiell positiv auf die Kritische Theorie; auf ihrem
Höhepunkt zersplitterte die Bewegung und es folgte u.a. die Hinwendung zu
Marxismus-Leninismus und Maoismus und die Gründung der K-Gruppen sowie ein
Verwerfen der Kritischen Theorie.
Der Autor listet dabei verschiedene Strömungen auf (DKP, Spontis,
Trotzkisten/Anarchisten, Marsch durch die Institutionen-Fraktion,
Psychosekten, Frauenbewegung, K-Gruppen), die aus der Konkursmasse der
Studentenbewegung hervorgingen (S.99). Schon die Geschichte der
Studentenbewegung verlief keineswegs einheitlich. Infolgedessen teilte sich
hier auch nicht Eins in viele, denn die Studentenbewegung vertrat keine
monolithischen Positionen. Jens Benicke schafft es die regionalen und
theoretischen Unterschiede herauszustellen. Hier eine kohärente
Erzählung vorzulegen, ohne die Besonderheiten, Brüche und
Verwerfungen im Zuge einer Vereinfachung untergehen zu lassen, macht das Buch
lesenswert.
Ausgangspunkt ist die Entstehung der Studentenbewegung in Westdeutschland und
deren Erstarken in der 2. Hälfte der 1960er Jahre. Das Hauptaugenmerk ist
hierbei auf den SDS gerichtet. Dabei fasst der Autor die Studentenbewegung
nicht als Fortführung der alten Arbeiterbewegung sondern als Neue
Linke. Aus dieser antiautoritären Linken gingen die autoritären
K-Gruppen hervor. Insofern enstand das historische Paradox, dass Teile der
genuin undogmatischen Linken eine Retraditionalisierung herbeisehnten und an
orthodoxen Modellen von Marxismus-Leninismus/Maoismus anknüpfen wollten.
Was auch zum Teil von den beteiligten Aktivistinnen und Aktivisten selbst eine
Abkehr von den alten Positionen erforderte. Der Autor stellt die These auf,
dass die K-Gruppen auch personell aus der Studentenbewegung hervorgegangen
seien (S.121). Dies bleibt allerdings wie er selbst angemerkt
empirisch nicht belegbar.
Was an der Stelle ebenso unbelegt bleibt, ist die inhaltliche Bestimmung der
verwendeten Klassifikationen. Ein Wandel von antiautoritärer zur
autoritärer Linken wird nicht näher erörtert. Der Autor
bezeichnet die Wortwahl des Heidelberger SDS hinsichtlich der
Liquidierung der antiautoritären Phase als stalinoid (S.89).
Nun haben Stalinismus-Vorwürfe eine lange Tradition, sagen aber wenig
über das tatsächliche Gebahren der betreffenden Organisation aus. Es
bleibt dazu bei vereinzelten Sätzen, die nicht weiter ausgeführt
werden: Intern sind alle K-Gruppen streng hierarchisch und autoritär
organisiert. (S.121). Man wünscht sich an diesen Stellen eine
größere Klarheit bei diesen verwendeten Begrifflichkeiten.
Der Autor liefert implizit einige Merkmale, etwa die Führung des
Proletariats durch die neo-leninistischen Kaderparteien (S.102). Allerdings
bleiben weitere Merkmale (Personenkult, Diktatur der Partei, interne
Hierarchien) unbenannt. Der gemeinte Sinn scheint an einigen Stellen durch, wie
im Kapitel zur Rolle der Intellektuellen in den K-Gruppen (S.139ff), wo mit
Proletkult eine straffe Organisationsstruktur durchgesetzt werden sollte. Und
auch die Organisationsform der Partei wurde ja nicht zufällig
gewählt, da eine Partizipation an Wahlen in der Bundesrepublik von den
K-Gruppen beabsichtigt wurde.
Kernstück des Buches ist das Abklopfen von Studentenbewegung und K-Gruppen
auf Rezeption der Kritischen Theorie. Den Wandel von Orientierung an Kritischer
Theorie zu ML/Maoismus beschreibt der Autor pessimistisch als
Zerfallsgeschichte bzw. wie im Untertitel des Buches angedeutet,
hegelianisch als schlechte Aufhebung. Dabei differenziert er zwischen den
Positionen von Marcuse, Habermas, Horkheimer, Adorno und deren Relevanz
innerhalb der Bewegung. Insbesondere die Fokussierung auf Randgruppen unter
der Berufung auf Marcuse verfügte über weiten Zuspruch, wurde dann
aber innerhalb der proletarischen Wende spätestens ab 1970
zugunsten des revolutionären Subjekts Proletariat aufgegeben
da sich selbst die auf der Randgruppenkonferenz versammelten Organisation
lieber dem Industrieproletariat anstatt Heimkindern zuwenden wollten
(S.94ff).
Weiterhin zentral ist die Auseinandersetzung mit Theorien zu Faschismus und
Nationalsozialismus, die Beurteilung der damaligen politischen Lage in
Deutschland sowie das Verhältnis zu Israel. Das Meiste davon dürfte
bekannt sein. Stichworte: Antizionismus der Linken nach dem Sechs-Tage-Krieg,
Reaktionen auf Entebbe, Entstehung des Antiimperialismus. Am Beispiel der
Studentenbewegung wurde dies schon mehrfach abgehandelt, aber auf K-Gruppen
bezogen liegt hier der Erkenntnisgewinn, der neue Facetten des Gegenstandes
beleuchtet.
Das Buch vermittelt den Nachgeborenen einen Einblick in die fremde Welt der
politischen Auseinandersetzungen der damaligen Zeit. Nur erklärt das Buch
nichts. Man wird hier keine Begründung finden, warum seit Mitte der 1960er
Jahre westdeutsche Linke zunehmend begannen, sich positiv auf Ideen aus China
zu beziehen. Was den Maoismus gerade für deutsche Linke so attraktiv
machte, beantwortet der Autor nicht ist aber auch nicht seine
Fragestellung. Das Kapitel über Faszination Kulturrevolution
umfasst gerade einmal zwei Seiten und listet hier eher lapidar die beiden
Gründe Kulturrevolution als Revolution der Jugend gegen die alte
Herrschaft sowie die Befreiung vom entfremdeten Dasein der westlichen
Konsumgesellschaft auf (S.82f). Aus heutiger Sicht ist dies alles kaum
nachzuvollziehen beim Gedanken an die Konterfeis des greisen Mao Tse-tungs.
Warum also gerade Maoismus in der Bundesrepublik der damaligen Zeit? Dass der
Rekurs auf Theorie anders verlaufen kann, zeigt der Blick nach Italien, wo etwa
zur gleichen Zeit ab Ende der 1960er Jahre aus der Erfahrung der massenhaften
Streiks operaistische Ideen innerhalb der antiautoritären Linken
hegemonial wurden.
An dieser Stelle liefert der Autor ebenso keine überzeugende Antwort auf
das Warum der Transformation von Studentenbewegung zu K-Gruppen: Er stellt die
Unsicherheit der Studentenbewegung gegen die Sicherheit des geschlossenen
Weltbild der K-Gruppen (S.190).
Ebenso scheint teilweise die Trennung zwischen Marxismus-Leninismus und
Maoismus wenig trennscharf. Wobei dies weniger dem Autor als den K-Gruppen
zuzuschreiben sein dürfte, die selbst ein diffuses Gemisch an
unterschiedlichen Theorieansätzen verwendeten. Am Beispiel der RAF wird
dies deutlich, die in ihrer inhaltlichen Ausrichtung eine Metamorphose
durchlief von ML/Maoismus über Antiimperialismus hin zur Orientierung an
sozialen Bewegungen (S.127ff).
Zusammenfassend: Das vorliegende Buch ist in einem nüchternen Tonfall
geschrieben und liefert eine sachlich gehaltene Beschreibung. Gerade die
Darstellung der Organisationen und der dort rezipierten Theorien ist gelungen.
So wirft der Autor selbst bei dem Befund Intellektuellenfeindschaft nicht
pauschal antisemitisches bzw. völkisches Denken vor, sondern differenziert
hier. Feindschaft gegen Intellektuelle ist bei ihm in erster Linie Feindschaft
gegen Intellektuelle und eben nicht Antisemitismus (wenngleich diese auch
Elemente von letzterem aufweist). Diese deskriptive Methode mit ihrer
analytischen Klarheit ist Stärke der Publikation.
Allerdings dürfte genau dies auch potentiell interessierte Leserinnen und
Leser abschrecken. Denn es gibt nichts zu lernen, nichts mitzunehmen und nichts
für die Gegenwart zu verwerten. Das Buch sperrt sich gegen einen
instrumentellen Zugriff der Jetztzeit auf die Vergangenheit. Es ist dem Autoren
hoch anzurechnen, dass er nicht mit der üblichen linken
Nutzbarkeitsabwägung den Gegenstand zerklaubt. Das Recycling der
Geschichte anhand des Erkenntnisinteresses was denn heute noch von damals
zu gebrauchen sei bleibt außen vor. In dem Sinne handelt es sich bei
dieser Arbeit um keinen Bannfluch, der eine erneute Materialisierung von
Maos Gespenstern verhindern will. Denn dafür erscheinen die
beschriebenen Phänomene zum einen als zu trivial und nicht bösartig
genug, zum anderen deren Wiederkehr als gänzlich unwahrscheinlich (als
hätte sich der Spuk des Mao-Kults mit dessen Ableben 1976 für immer
erledigt). Somit taugt das Buch weder als ideologische Munition in der
Verwertung der Post-1968er-Geschichte noch als als Beitrag in der Debatte zum
aktuellen deutschen China-Komplex.
Für eine weitergehende Beschäftigung mit dem Maoismus dürfte ein
Blick in das Buch Maoismus von Henning Böke (siehe Review in CEE
IEH #151) lohnen.
Unkultur Blog (http://unkultur.olifani.de)