• Titelbild
• Editorial
• das erste: Deutschland-Fans auf die Partymeilen!
• Mikro Island
• Motorpsycho
• Break it back
• MITTE04
• Dead Western, Bombee
• Myra
• levenshulme bicycle orchestra
• Benefizdisco
• Summer BreakZ
• Snapcase
• Haare auf Krawall
• Veranstaltungsanzeigen
• ABC: S wie Surrealismus
• review-corner buch: Ich ficke, mit wem ich will!
• review-corner buch: Michael Schwandts Einführung in die Kritische Theorie
• kulturreport: Adorno, der Jazz und ungarische Schnulzen
• Nie wieder Antira!
• doku: Vom Fragment der Erinnerung zum Geschichtsbild
• sport: Aliens in der Bezirksklasse
• Anzeigen
• Fritz Bauer - Death by Instalments
• das letzte: Deutsches Klima
Geschichtsbilder
Geschichtsbilder sind nicht die bloßen Abbildungen oder Beschreibungen
von Ereignissen der Vergangenheit oder die Erinnerung daran. In Anlehnung an
Francis Haskells Die Geschichte und ihre Bilder sind sie als Metaphern
für Vorstellungen und Deutungen der Vergangenheit zu verstehen, denen eine
Gruppe von Menschen Gültigkeit zuschreibt. Diese Vorstellungen sind
zumeist an Familiengeschichte und kollektive Erfahrungen geknüpft.
Zugleich schafft die Zuschreibung von Bedeutung, also die Konstruktion einer
bestimmten Perspektive auf geschichtliche Ereignisse, ein neues
identitätsstiftendes Moment in der Gegenwart. Ebenso lenken
Geschichtsbilder nach Lucian Hölscher in Kontinuität und
Wandel unsere politische und soziale Wahrnehmung, subsumieren
gegenwärtige Erlebnisse unter historische Erfahrungen` und werden so
letztlich selbst zu politischen Faktoren des künftigen Geschehens.
Geschichtsbilder entstehen also im Wechselspiel zwischen Erinnerung und
gegenwärtiger Sinngebung. Subjektive und kollektive Erfahrungen werden in
einen übergeordneten historischen Kontext eingebettet und so zum Baustein
einer kollektiven Identität. Entsprechend ihrer Bedeutung für die
persönliche und kollektive Gegenwart werden so verschiedene Aspekte in den
Kanon der Erinnerungen und damit das Geschichtsbild einer Gruppe von Menschen
übernommen.
Die Interviews mit jüdischen Migrant_innen aus den Staaten der ehemaligen
Sowjetunion (SU) bieten in diesem Zusammenhang wertvolle Fragmente, aus denen
in der analytischen Betrachtung ein Geschichtsbild destilliert werden kann. Im
Folgenden soll versucht werden, wiederkehrende Motive in den subjektiven
Erinnerungen herauszustellen und sie mit dem offiziellen Geschichtsbild in der
SU ins Verhältnis zu setzen. Es bietet sich zugleich eine bislang
unterrepräsentierte Perspektive auf die jüngere jüdische
Geschichte in Osteuropa.
Eine besondere Spannung bei der Beschäftigung mit den Erfahrungen und
Familiengeschichten von Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen SU ergibt
sich durch einen offensichtlichen und gegenwärtigen Bruch der Konstruktion
von Geschichtsbildern. Hölscher (1998) benennt dies als die
Depotenzierung bestehender Geschichtsbilder durch neue historische
Erfahrungen. Diese ergab sich ohne Zweifel aus der einsetzenden Perestroika
bis hin zum Zerfall der SU. Der bis dahin dominierende Widerspruch zwischen der
offiziellen sowjetischen Politik und dem mehr oder minder verdeckten
jüdischen Leben wirkt bis in die Gegenwart nach (vgl. Jüdinnen
und Juden in der UdSSR von 1941 bis 1990).
Motive der subjektiven Erinnerung jüdischer Migrant_innen als
Grundlage eines kollektiven Geschichtsbildes
Erinnerung an die Shoah
Ausnahmslos ist der Holocaust das einschneidendste Ereignis in den
Familiengeschichten aller Interviewten. Die ehemals großen Familien
wurden zumeist bis auf wenige Angehörige ausgelöscht: My
grandparents, my uncles, my aunts... all of them perished in the Holocaust
... (Nurit Jakobson)
Entsprechend schwer fällt es diese Erfahrung mitzuteilen: Oh, das
ist sehr schwer, darüber zu reden. Ich hab niemanden mehr. Keinen
Großvater, keine Großmutter. Sie sind alle in Konzentrationslagern
umgekommen. Meine Mutter ist in den Wald geflüchtet [
] das
ist der einzige Grund warum sie überlebte. (Milana Reuven Chalfin)
Möglichkeiten der Ermordung zu entgehen, boten sich fast
ausschließlich durch Evakuierung, durch Verstecken oder durch das
Kämpfen in der Roten Armee. So berichtet Frau Beljajewa über ihre
Familie: Meine zweite Großmutter [
] wurde auch
evakuiert Anfang 42, nach Kasachstan und dort ist [sie] auch [bis]
Anfang 45 geblieben. (Alisa Beljajewa)
Frau Jakobson ist eine pädagogische Mitarbeiterin in Yad Vashem.
Sie verweist auf die Bedeutung der Evakuierungen: The contribution of
the Soviet evacuation to the East to the rescue of the Jews [...]
this is a big issue in my seminar. We are making a research of the
evacuation. The circumstances of everyday life in the evacuation, how difficult
it was to be evacuated ... (Nurit Jakobson).
Darüber hinaus kämpften viele Jüdinnen und Juden in der Roten
Armee. My grandfather, he was a soldier in the Red Army. He was in a
special unit [...] they [used] special equipment to fight in
snow. (Dima Kaplan).
Im Bezug auf die jüdische Gemeinde in Dresden meint Frau Beljajewa:
Ja, die Geschichte ist präsent, weil wir haben auch
Gemeindemitglieder, die gekämpft haben in sowjetischer Armee. (Alisa
Beljajewa).
Diese Erfahrung ist jedoch nur teilweise im kollektiven Gedenken verankert. Zum
Beispiel führt Frau Jakobson aus: ... many books up till
now in Russia don't know the contribution of the Jews to the Victory, to the
big victory of the Red Army. How many full heroes were among the Jews. The Jews
played fourth role after the Russian, Ukrainians and Belorussians. [...]
I mean, the heroism stories in the Red Army, it's very important! (Nurit
Jakobson)
Während ihrer Seminare begegnen ihr häufig Teilnehmer_innen mit
Erstaunen, zu unbekannt ist der jüdische Beitrag zum Sieg der Roten Armee
und zu fest die Annahme Juden kämpften nicht` (Nurit Jakobson).
Bis auf wenigen Ausnahmen berichten alle Interviewten, dass innerhalb der
Familie sehr wenig über die Shoah gesprochen wurde. Wir haben
schon gewusst: das war Krieg usw. Was schon geschehen mit Juden wir
haben das nicht gewusst. Unsere Eltern haben uns gehütet. (Anna
Iljin)
Ähnliches führt auch Riva Matook aus: ... my parents
didn`t talk about the Holocaust. I always felt guilty because they didn`t
talk. (Riva Matook). Und dieses Phänomen setzt sich teilweise in die
nächste Generation fort: Nein. Wir reden mit unseren Kindern
nicht darüber. Sie kennen das aus der Schule. Ich selber war ja nicht im
Krieg. Ich weiß auch nicht viel. (Jakow Chalfin).
Während ihrer Arbeit in ihrer Gemeinde ist auch Alisa Beljajewa oft
damit konfrontiert: Wenn ich die Formulare bei der Gemeindeeintritt
ausfülle und frage nach Großmutter, dann kriege ich sehr oft
Antwort: Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht.` Weil meine
Mutter, zum Beispiel, meine Mutter hat darüber nie gesprochen wie meine
Großmutter hieß. Sie schwieg. Das wars. Und dann ganze
Generationen, ganze Vorgeschichte ist verloren. Die Familien wurden
erlöscht, das wars. [
] viele Kinder wissen
überhaupt nie was mit Familie war. (Alisa Beljajewa).
Als Ausnahme aller von uns Interviewten berichtete Frau Jakobson von der
Allgegenwart der Shoah in ihrer Familie: My mother told me the story
of the Holocaust since I was a little child. So, actually I`m typical second
generation because I was growing up on the stories of the Holocaust.
(Nurit Jakobson).
Wie im Artikel Jüdisches Leben in der UdSSR von 1941 bis 1990
detailliert ausgeführt wird, fand die Shoah im offiziellen Gedenken keine
Berücksichtigung. Die jüdischen Opfer wurden den zivilen Kriegsopfern
der Sowjetunion zugerechnet. Die Judenvernichtung fand lange Zeit keine
offizielle Erwähnung. Die Diskrepanz zwischen offiziellem Gedenken und der
Familiengeschichte führt die ehemalige Geschichtslehrerin Anna Kopajew
aus: In der Sowjetunion war es so, dass sowohl in Schulen als auch in
Universitäten die Shoah überhaupt gar nicht thematisiert wurde. Und
aus meiner persönlichen Familiengeschichte zog ich keine
Schlussfolgerungen, dass es sich um die Shoah und etwas Großes handelt.
Ich wusste, das war meine Familie, ich wusste auch von anderen Familien, wo so
etwas geschehen ist, aber für mich waren das so Einzelfälle, weil die
Deutschen, die Faschisten die Juden hassten. Die Vermittlung des Wissens lief
in der Sowjetunion mit der Betonung auf dem Großen Vaterländischen
Krieg [...] (Anna Kopajew).
Dies hatte Auswirkungen auf das Geschichtsbild der sowjetischen Jüdinnen
und Juden sowie deren Kinder. Bezogen auf das Gedenken in Russland führt
Herr Kaplan aus: 27 million Russians or Russian citizens died in this
war. They don't give a **** about this 6 million Jews [
] its not
so important to them and part of those 27 million are Jews of cause, like
Russians, Ukrainians, Belorussians. [
] I heard about the
concentration camps, but not in the context of Jews but in the context of
Russians ... (Dima Kaplan).
Gelegentlich scheint in den Interviews ein Detail auf, dass in den
individuellen Erinnerungen teilweise überliefert wurde, aber erst seit der
einsetzenden Perestroika in der Öffentlichkeit verhandelt wird: die
Beihilfe zum Judenmord. Mein Großvater versteckte sich bei
weißrussischen Bekannten, 3 Jahre lang. Vor Einmarsch der Roten Armee
wurde mein Großvater von einem Einwohner ein Polizeimitglied
erschossen. (Nina Schtschukin) Durch neuere Dokumentationen ins
Bewusstsein gerufen, bemerkt Julia Reisman: Früher gab es die
Vorstellung, dass der einzige Feind während des Krieges Deutschland war.
Das hat sich jetzt geändert, da vielmehr Informationen zugänglich
sind. Erst nach und nach erfuhr ich, dass auch bei uns die lokalen Einwohner an
den Verbrechen gegen die Juden beteiligt waren.
Der Große Vaterländische Krieg
Im gegenwärtigen Umgang mit der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg werden
die Auswirkungen verschiedener Geschichtsbilder deutlich. Innerhalb der
jüdischen Gemeinden in Deutschland und in Israel gab es z. T. harte
Diskussionen über das Gedenken. Wie bereits erwähnt, verbindet sich
die Erinnerung an die Shoah für viele Jüdinnen und Juden aus der
ehemaligen SU untrennbar mit dem Großen Vaterländischen Krieg.
The Jewish holocaust as it was was a side event [...] in the
Russian Sovjet history. [
] when I speak with my grandfather or my
grandmother about it, what happened there, they are really attend to combine
the two events together, so, they don't attend to speak about it in different
ways. It was the Holocaust and the Second World War, or the Great Patriotic
War. (Lew Chuchman).
Viele Jüdinnen und Juden, die nach Deutschland kamen, fühlten sich
vorwiegend nicht als Opfer der Shoah sondern als Teil der
Siegermächte, als Teil der Roten Armee, z. B. der Großvater meiner
Frau war Soldat im Zweiten Weltkrieg, hat auch Tausend Orden und hat sozusagen
die Nazis besiegt (Chaim Agnon).
Die Auseinandersetzungen innerhalb der jüdischen Gemeinden in Deutschland
fasst Agnon wie folgt zusammen: Wenn man in der Sowjetunion in 'ne
Synagoge geht, am 8. Mai, dann findet in der Synagoge eine Zeremonie statt zum
Gedenken. Und dann kommen die mit ihren Uniformen und ihren Orden und im
Eingangsbereich hängen Bilder von Gemeindemitgliedern in ihrer
Soldatenuniform vom Zweiten Weltkrieg, weil das der Stolz der Gemeinde ist.
Weil die haben die Nazis besiegt. Und es kommen natürlich diese ehemaligen
Soldaten der sowjetischen Armee nach Deutschland und denken: naja. hier
auch! Wir möchten hier auch am 8. oder 9. Mai 'ne Zeremonie machen in der
Gemeinde, auch mit Uniform usw.` Und jetzt kommen die Alteingesessenen in
Anführungsstrichen, die auch nicht so alteingesessen sind und sagen:
nein, nein. Das ist zu militaristisch. Ja, das passt nicht und das
funktioniert auch nicht so.` Das heißt diesen Konflikt hat man eigentlich
in allen jüdischen Gemeinden gehabt.
Auch in Israel gab es durch die große Anzahl von Migranten_innen einen
Wandel in der Bewertung der Roten Armee: It also changed in Yad Vashem
and in Israel the contribution of the Red Army to the rescue of the inmates of
the concentration camps and death camps. [...] now, we actually restore
the proper value, it was historically. It's much more objective now. Much more
objective, we learn about the contribution of the Red Army to the end of the
Holocaust. To the rescue of the victims. [...] And all the history books
in Israel are changed as a result of it, of this aliyah, of this
immigration. (Nurit Jakobson). Um Aspekte der Erinnerung der
Immigrant_innen erweitert, änderten sich das Geschichtsbild und die
Erinnerungskultur in Israel. So wurde z. B. auf dem Mount Herzl neben
den Denkmälern für die gefallenen israelischen Soldaten ein Monument
den Soldaten der Roten Armee gewidmet.
Mit Blick auf die jüdischen Soldat_innen in der Roten Armee resümiert
Anna Kopajew: Die Juden machten weniger als ein Prozent der gesamten
Bevölkerung in der Sowjetunion aus. Bei der Verleihung des Helden
der Sowjetunion`, was die höchste Auszeichnung in der Roten Armee ist,
folgten hinter den Russen und Ukrainern die Juden als dritte
Nationalitätengruppe, und das erfüllt mich mit Stolz. (Anna
Kopajew).
Verhältnis zur Sowjetunion
Der Text Jüdischsein in der Sowjetunion, Bundesrepublik und in
Israel vermittelt anschaulich die Diskrepanz zwischen öffentlichem und
privatem jüdischen Leben in der Sowjetunion. Mehr oder minder verdeckt
wurden die jüdischen Traditionen nur im kleinen Kreis der Familie gelebt.
Vor allem in größeren Städten gab es darüber hinaus ein
begrenztes Gemeindeleben: In Leningrad gab es mehr Möglichkeiten
jüdische Feste und Traditionen zu leben. Dort gab es eine große Beth
ha-Knesset [Gemeindehaus ...] (Nina Schtschukin). So hielt beispielsweise
die Familie von Frau Matook ihre Bindung zum Judentum in der Sowjetrepublik
Litauen auch öffentlich aufrecht, wanderte aber bereits vor 1989 nach
Israel aus (vgl. Jüdischsein in der Sowjetunion, Bundesrepublik
und in Israel).
Der größere Teil der interviewten Personen versteckte sein
Jüdischsein in der Sowjetunion soweit wie möglich vor der
Öffentlichkeit. Sogar den eigenen Kindern wurde die Herkunft verschwiegen,
wie das Beispiel von Nina Schtschukin anschaulich belegt: Als ich
zwölf Jahre alt wurde gab`s eine ganz große Feier. Also sehr sehr
große mit vielen eingeladenen Gästen und mein Onkel kam und fragte
meine Mutter Weiß sie warum diese Feier so groß begangen
wird?` und meine Mutter sagt nein`. Erst nachdem ich in Israel angekommen
bin, wusste ich dass es meine Bar Mitzwa war.
Dieses Verschweigen führte z. T. zu weiteren Verwirrungen in den Familien:
Ich erinnere mich noch an das russische Osterfest, da werden
traditionell Kuchen gebacken, Eier gekocht. Meine Mutter hat das nicht gemacht.
Und ich schimpfte mit meiner Mutter Bist du faul. Du willst nicht Ostern
begehen wie alle anderen?` (Nina Schtschukin).
Aus Angst vor Repressalien oder antisemitischen Reaktionen wurde es vermieden,
in der Öffentlichkeit Jiddisch zu sprechen. Wenn ich mit meiner
Oma zu meiner Tante nach Moskau fuhr, meine Oma sprach bei uns zu Hause immer
Jiddisch, wenn wir in Moskau aber zu Besuch waren ermahnt meine Tante meine Oma
immer, sei still, rede nicht so laut. (Julia Reisman).
Jüdische Festtage wurden oft nur im kleinen Kreis und häufig vor
allem von den älteren Generationen begangen: Bei meiner Oma sah
ich Matzenbrot und fand das interessant. Aber für mich war das einfach so
eine Spezialität die es nur bei der Oma gab und nicht zu Hause. Pessach,
Rosch ha-Schana gab's bei uns nicht. [...] Als ich dann zu meiner Oma in die
Stadt zog, sah ich, dass bei ihr, also die alten Leute die Traditionen noch
beachteten. Und bei ihnen wurden alle Feste begangen Rosch ha-Schana, Pessach,
Purim. (Nina Schtschukin)
Die Gründe dafür, das Jüdischsein zu verheimlichen oder
ganz abzulegen, reichen zurück bis zu den Diskriminierungserfahrungen,
Erinnerungen an staatlichen Antisemitismus und Repressionen in der
stalinistischen SU (vgl. Jüdinnen und Juden in der UdSSR von 1941 bis
1990 und Jüdischsein in der Sowjetunion, Bundesrepublik und
in Israel). Nach dem Tod Stalins verbesserte sich die Lage etwas, jedoch
hielten Benachteiligungen an. Ein Motiv ist dabei in den Erinnerungen besonders
präsent: Es gab eine Regelung, dass nur ein bestimmter Anteil in
einer Berufsgruppe Juden sein durften, z.B. Musiker, Lehrer, Beamte, Personen
in öffentlichen Ämtern und Ärzte. (Julia Reisman). Zudem
berichten fast alle Interviewten davon, dass die Arbeit von Jüdinnen und
Juden mit ungleichem Maß gemessen wurden: Als Jude musste man
immer mehr leisten als andere. Wenn man 100% geleistet hatte wurde das zu 70%
angerechnet. (Julia Reisman).
Erst mit der einsetzenden Perestroika öffnete sich das jüdische Leben
(vgl. Jüdischsein in der Sowjetunion, Bundesrepublik und in
Israel). Der latente Antisemitismus in der Bevölkerung und die
schlechte materielle Lage führten kurz darauf zu einer großen
Auswanderungswelle nach Israel, Deutschland, die USA und Kanada (vgl.
Emigration aus der Sowjetunion).
Fazit
Die oben stehenden Themenblöcke beschreiben die wichtigsten Motive der
Erinnerung der Interviewten an die Shoah, den Zweiten Weltkrieg und das
jüdische Leben in der Sowjetunion. Durch die Immigration der sowjetischen
Jüdinnen und Juden haben sich deren Bilder in die Erinnerungskultur ihrer
Aufnahmeländer übertragen. Vor allem die hervorgehobene Rolle der
kämpfenden Jüdinnen und Juden in der Roten Armee haben das offizielle
Geschichtsbild in Israel und das Gedenken in den jüdischen Gemeinden in
Deutschland nachhaltig geändert. Der 9. Mai als Tag des
Sieges wurde in die Gedenkkultur in den jüdischen Gemeinden in
Deutschland und in die offizielle Erinnerungskultur Israels integriert.
Auch die subjektiven Geschichtsbilder haben sich gewandelt. Durch den Zugang zu
Informationen und den Wegfall von Beschränkungen für das
jüdische Leben wurde die Shoah als kollektive Tragödie in die
Erinnerungen aufgenommen. Sie wird nicht mehr vorrangig als Familiengeschichte
und Detail des Großen Vaterländischen Krieges wahrgenommen.
Die Singularität der Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands
und deren Verbündeter ist nunmehr Teil der Geschichtsbilder jüdischer
Migrant_innen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion.
Initiative "Geschichte vermitteln"