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• das letzte: Die Linke Wange auch noch hinhalten
Die kapitalistische Welt ist kein Planschbecken, sondern ein gewaltiger Ozean,
ein alles umschließendes Gewässer in ständiger Bewegung, ein
hochkomplexes System mit verschiedenen Strömungen, Kreisläufen und
todbringenden Gewalten. Das Leben in dieser Schmutzflut des
Gegenwärtigen (Adorno) ist dementsprechend nichts für
Nichtschwimmer. Denn wer nicht kräftig mit den Armen rudert, wird von der
unsichtbaren Hand des Weltmarktes in den Abgrund gerissen und dem Vergessen
überantwortet.
Oberflächlich betrachtet ist dieses Weltmeer eine schöne, vielseitig
glitzernde Welt, einige sagen es wäre die beste aller möglichen und
alles andere Barbarei. Denn was kümmern uns, sagen sie, die
Anderen? Was kümmern uns die paar Milliarden von Ertrunkenen,
Ertränkten und Überflüssiggemachten? Schließlich sitzen
wir doch alle im selben Boot und blinde Passagiere gehen eben ab und zu
mal über Bord. Das ist, sagt der sozialdarwinistische Sprech,
doch ganz natürlich. Und außerdem sitzen, dem
nationalistischen Narrativ zufolge, nicht nur wir, sondern auch
die Anderen in ihren jeweiligen Booten.
Um auf diesem Meer der Konkurrenz von Kähnen, Kuttern und Galeeren nicht
unterzugehen, heißt es nun mal: Rudern, rudern, rudern! Zweifel am
Kurs oder die Warnung vor möglichen Kollisionen im globalen
Konkurrenz-Gepatsche sind nur was für wasserscheue Landratten. Volle
Kraft voraus! tönt es von den Kommandobrücken und Ruderplätzen:
die Plätze auf den Galeeren sind heißbegehrt.
Wer sich hingegen mit dem Ruderleben nicht abfinden will und sich zu den
Ausrufen Rudern ist scheiße! und Die Ruderer nehmen den
Ruderlosen die Ruderplätze weg! gedrängt sieht und den,
von der Ruder-Routine verklebten Ohren, zu bedenken gibt, dass der Ozean ein
menschenverschlingendes, giftiges Gebräu ist, welchem auch nicht durch
staatliche Herumruderei beizukommen sei, dem wird allzuoft vorgehalten
Seemannsgarn zu spinnen und die braven Rudernden nur unnötig seekrank
machen zu wollen. Schwachsinn! Lasst die Maschinen rudern und die Menschen
das Leben auf der Insel genießen! ruft er den Routinierten entgegen.
Warum erinnerst du uns auch noch an den Maschinenraum? krakeelen sie
zurück. Willst du uns Angst machen? Sollen wir etwa auch noch
unseren Ruderplatz verlieren?
Das Weltmeer und die Ruderei, sagen sie, sei eben nun mal die
unabänderliche Natur, mit der man sich zu arrangieren habe und eine
Alternative sei sowieso nicht in Sicht. Oder aber es wird zugegeben,
dass einige unter falscher Flagge segelten und die ansonsten reinen
Gewässer vergiften würden. Dementsprechend wäre es um die
Wasserqualität besser bestellt, meinen sie, wenn endlich die Blutegel,
Finanzhaie und gierigen Kraken ausgerottet werden würden.
Doch nicht nur unter der Oberfläche soll es, dem Massenwahn zufolge, von
finsteren Gestalten und wilden Freibeutern wimmeln. Nein auch im Rumpf des
eigenen Bootes würden sich, so heißt es, zunehmend Parasiten
einnisten: im Sozialstaat sei der Wurm drin! Ein gefräßiges,
asoziales Untier habe es sich in den Vorratskammern des nationalen Kahns
gemütlich gemacht und reiße genüßlich ein riesiges Loch
in die Außenwand der Haushalts-Schiffskombüse, während es sich
auf dem Kreuzfahrtschiff BRD über die Untiefen und Strudel des Ozeans
hinwegschippern lasse.
Schluss-mit-Kuschelkurs-Kreuzfahrt-Navigator Westerwelle will dieses
Sündenbabel der Dekadenz, diesen verspeckten Madensumpf im Bauch der
Leistungsgesellschaft nun, allen Unkenrufen zum Trotz, trockenlegen, um das
milliardenschwere Haushaltsleck zu flicken. Der Sozialstaat muss abspecken!
Alle in Alarmbereitschaft! Mobilmachung zur Vollbeschäftigung?! Wer warm
baden und den süßen Nektar des Wohlstands kosten will, soll, sagt
der FDP-Chef, gefälligst schwitzen. Auch mal das Deck zu schrubben
könne man von den Hängemattlern verlangen Schneeschippen gegen
soziale Kälte: Alles andere ist Sozialismus.
Viele haben zu dem unkämpften politökonomischen Kampf-Begriff
Sozialismus einige schlaue Dinge gesagt. Hier nur soviel: Einerseits
gilt es zu unterscheiden, ob sich das Label Sozialismus selbst gegeben
oder ob es in der Parteienkonkurrenz der politischen Konzeption des Gegners in
denunziatorischer Absicht zugeschrieben wird. Andererseits muss zwischen
verschiedenen nationalstaatlichen Entwicklungen und gesellschaftshistorischen
Kontexten differenziert werden. Festzuhalten bleibt aber: Erstens gab und gibt
es viele (selbsternannte) Sozialismen und sozialistische Staaten aber nur einen
kapitalistischen Weltmarkt. Und zweitens kommen nur geschichtsblinde Populisten
auf die Idee die bundesdeutsche Sozialstaatlichkeit mit dem Sozialismus
zu verwechseln.
Fest steht auch, dass die (moderne) Hochseeschifffahrt in ökonomischer und
militärischer Hinsicht, maßgeblich zur Durchsetzung dieses nunmehr
globalisierten kapitalistischen Marktes beitrug. Und das sich ausgefeilte
Hochseetechnologie auf Imperialismus reimt, weiß man
spätestens seit den alten Römern. Diese bauten
bekanntermaßen nicht nur ausgklügelte (Ab-)Wassertransportsysteme,
sondern nutzten auch die technologischen Vorteile ihrer Militär- und
Handelsflotte zur Stabilisierung ihres Herrschaftsbereiches. Doch zurück
zum oben gezeichneten Bild!
Die Turbulenzen des aktuellen Weltmeerbebens lassen auch den amerikanischen
Flugzeugträgerstaat den die Antiimps als das neue Rom
verteufeln nicht unberührt. Der neue Captain aka Imperator Obama
muss zusehen, wie sich Staatsverschuldung (neue Schulden für 2010:
1.600.000.000.000 Dollar), Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen unter einen
Hut bekommen lassen, ohne den versprochenen sozialen Frieden im Schiff aus dem
Blick zu verlieren. Dass es den Ruderlosen und Seekranken auf dem
amerikanischen Dampfer im Schnitt dreckiger geht als den deutschen
Süßwassermemmen ist bekannt. Dass Ruderlosigkeit und Seekrankheit im
Auf und Ab der vor sich hin blubbernden Ozeanökonomie auch für die
amerikanische Schiffsbesatzung dramatische Auswirkungen haben kann, weiß
Obama. Dass er das Gesundheitssystem der USA reformieren und damit Millionen
von Amerikanern ein Mindestmaß an sozialer Absicherung im Krankheitsfall
ermöglichen will, finden viele zum Kotzen.
Am schrillsten tönt es aus den Reihen der sogenannten Tea
Party-Bewegung, die gegen Obamas Reformpläne kräftig Dampf
ablässt. Tee galt, bevor er zur preiswerten international gehandelten
Massenware wurde, vielen als Symbol britischen Snobismus und imperialistischer
Dekadenz. In Anlehnung an die sogenannte Boston Tea Party bei der
im Jahr 1773 als Indianer verkleidete Amis aus Protest gegen die
Kolonial- und Steuerpolitik der britischen Krone, die Schiffe der East India
Trading Company stürmten und den Rohstoff des britischen
Nationalgetränks ins Hafenbecken kippten , formiert sich seit
einiger Zeit eine rechtsgerichtete Graswurzelbewegung, die den, wie sie
sagen, sozialistischen Umtrieben in Washington in die Suppe spucken
will. Um vor der Verkremlung des Weißen Hauses zu warnen bedienen sie
sich der krudesten Parallelisierung. Das auf den ersten Blick sympathische
Mißtrauen gegen das big government Washingtons, entpuppt sich bei
näherem Hinsehen als reaktionärer Populismus. Sah man zu Zeiten W.
Bushs Protestplakate, die ihn mit Adolf Hitler verglichen, kann man heute
Obamas Antliz neben dem von Stalin oder dem des Führers bewundern.
Schließlich waren ja beide irgendwie Sozialisten, oder?
Dass Obama mit sozial populären Forderungen seinen Wahlkampf bestritt, ist
klar. Wenn man sich nun aber sein wichtigstes innenpolitisches Reformprojekt
ansieht, wird deutlich, dass er zwar den Change, den Wandel versprach
doch im Alltagsgeschäft der Realpolitik angekommen, eher seine
Wandlungsfähigkeit unter Beweis stellt. Sein Populismus scheint
unweigerlich einem Pragmatismus zu weichen, der Kompromissbereitschaft
signalisiert, um der Blockadepolitik der Republikaner samt Tea-Party
entgegenzusteuern. Ohne eine Änderung der Steuerpolitik wird sich die
quasi-sozialstaatliche Gesundheitsreform aber wohl kaum finanzieren lassen.
Dass höhere Steuern gewissermaßen automatisch die Luke
Richtung sozialistischer Planwirtschaft aufstoßen, ist das
Schreckensszenario mit dem die Obama-Gegner Stimmung machen. Die
ressentimentbeladene Obama=Socialism-Propaganda scheint sich aus einem
Mix aus Rassismus, evangelikalem Konservatismus und einer tiefsitzenden, aus
der Zeit der Blockkonfrontation stammenden, Kommunismus-Paranoia zu
speißen.
Die Prediger der Obamaphobie berufen sich auf das hohe Gut der Freiheit.
Sie fordern die Freiheit von staatlichen Zwangsabgaben und gesetzlichen
Pflichtversicherungen, sowie die Freiheit zum eigenen finanziellen Ruin
im Krankheitsfall. Statt auf soziale Sicherheit, die letztlich im Sinne des
sozialen Friedens die Reproduktion der Prekarisierten garantieren soll, setzen
sie auf die Bereitschaft individuelle Risiken einzugehen: Liberalismus eben.
Dass es nicht nur bei abstrusem Schildchen-Hochhalten und Verbalradikalismus im
Namen der Freiheit geht, verdeutlich der Selbstmordanschlag des US-Bürgers
Andrew Joe Stack III, der am 18. Februar diesen Jahres mit seinem Kleinflugzeug
in die US-Steuerbehörde in Austin (Texas) raste und dabei einen
Steuerbeamten tötete und Dutzende verletzte. Getrieben von einem
krankhaften Hass auf das amerikanische Finanzsystem inszeniert er sich in
seinem Abschiedsbrief als Märtyrer im Kampf gegen die Steuer-Diktatur USA
und stößt damit unter den pseudo-revolutionären Tee-Beuteln
(Wir sind ein Tsunami!) und amerikanischen Konservativen teils auf
offene Zustimmung. Gegen alle da oben und die aufgeblasene(n)
Polit-Ganoven sei, so heißt es in dem Pamphlet, eben Gewalt (...)
die einzige Antwort.
Eines lassen die beiden Pseudo-Sozial(ismus)-Debatten über
Gerechtigkeit und Freiheit in Zeiten der aktuellen Krise auf
jeden Fall erkennen. Es zeigt sich das regressive Potential, das auch in
vergleichsweise liberalen Gesellschaften immer noch schlummert, und dass die
Apologie der Arbeits- und Staatsfetischismen nicht selten in paranoider Abwehr
möglicher Alternativkonzepte gipfelt, die maßgeblich zur
Verwässerung des Sozialismus-Begriffes beiträgt. Was aber Freiheit
jenseits des manifesten Massenwahns bedeuten könnte, hat Adorno in seinem
Aphorismus Sur l`eau in aller Vorsicht zum Ausdruck gebracht: