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• das letzte: Die Linke Wange auch noch hinhalten
Medea wohl kaum eine Figur aus der griechischen Mythologie erfuhr so
viele unterschiedliche Deutungen wie sie, gerade auch im 20. Jahrhundert. Die
Barbarin, die ihre Familie tötet, um mit dem Helenen Jason gen
Zivilisation zu fliehen, die dort angekommen zur Aussätzigen wird und sich
schließlich grausam rächt: der Stoff ist offenbar so polyvalent,
bietet sich zur Verhandlung so vieler ungelöster Probleme der Moderne an,
dass Regisseure, Filmschaffende und Literaten ihn gerade in jüngerer Zeit
immer und immer wieder ganz unterschiedlich zu interpretieren vermochten.
Medea, das war traditionell die Kindsmörderin, die falsche Intrigantin,
die Zauberin, die Leidenschaftliche, das Monster, der Unmensch, kurz:
die Täterin. In jüngeren Zeiten wurde ihr Schicksal mit mehr
Nachsicht behandelt, es entstanden differenziertere Interpretationen ihrer
Person: War ihre Geschichte nicht auch die einer Anderen, die, an
den Rand der Gesellschaft gedrängt, das unzivilisierte und archaische, das
naturhafte für die griechische Gesellschaft repräsentierte und
gerade deshalb geächtet, gefürchtet und verbannt werden musste? War
sie nicht die Frau, die in einer von kühler Berechnung
geprägten Welt, in der die Liebe für einen Platz an der Sonne
verraten wird, die unbedingte weibliche Leidenschaft verkörperte?
Ist ihre Geschichte vielleicht ohnehin nur His-Story, aber nicht
Her-Story und sie in Wahrheit nur ein praktischer Sündenbock für das
Patriachat? Und war nicht ihre spirituelle Tiefe, ihre Verbundenheit mit
einer von göttlicher Bedeutung erfüllten, ganzheitlichen Welt des
Mythos der schalen Oberflächlichkeit eines aufgeklärten
Materialismus, für den Jason und die Seinen stehen, allemal vorzuziehen?
Von dieser kulturkritischen Haltung ist vor allem die filmische Adaption des
Stoffs von Pier Paolo Pasolini motiviert, die gleichwohl ästhetisch
umwerfend umgesetzt ihre reaktionäre Stoßrichtung unverhohlen
zum Ausdruck bringt, wenn die Kamera sich minutenlang an einem rituellen
Menschenopfer weidet.
Einen radikalen Bruch mit all diesen Bedeutungsschichten vollzieht die
Medea-Inszenierung von Clemens Schönborn, die derzeit im Leipziger
Centraltheater für Furore sorgt. Obwohl das Stück bereits im Januar
angelaufen ist, sind auch die Aufführungen im März noch immer
ausverkauft und dass, obwohl in Leipzig viele Stücke bereits nach
der dritten Aufführung mit leeren Zuschauerreihen zu kämpfen haben
(zum Beispiel das grottenschlechte Leipzig Büchner Revolte). Es ist
indes nicht schwer, den Grund für den außergewöhnlichen Erfolg
der Inszenierung anzugeben; er hört auf den Namen Sophie Rois. Das
Centraltheater, das in den letzten Jahren mittels einer konzertierten
Werbeoffensive an seiner Corporate Identity feilte und alles tat, um jung,
wild, sexy, vital, avantgardistisch und natürlich! irgendwie
kritisch zu wirken, griff bei Medea auf den gar nicht soo
avantgardistischen Trick zurück, das Stück um einen echten Star
besagte Sophie Rois zu zentrieren. Sich durch das
kulturindustrielle Mittel par excellence, die Starinszenierung, die Massen ins
Haus zu locken; das scheint im Centraltheater Methode zu bekommen. Der Homepage
ist zu entnehmen, dass ab Mai keine geringere als HEIKE MAKATSCH in dem
Stück Paris, Texas zu sehen sein wird. Wow! Vielleicht reicht es ja
in der nächsten Spielzeit schon für Ben Affleck oder so.
Sophie Rois dem Publikum bekannt aus Funk und Fernsehen
ist Medea, so prangte es in großen Lettern auf
Leipziger Plakatwänden. Rois prägt dem in der Regel tragisch
interpretierten Stück von der ersten Szene an eine ganz unerwartete,
ironische Leichtigkeit auf. Durch ihr übertriebenes Spiel, die konsequent
nölig-debile Stimme, die sich stets am Rande des Überschlagens
befindet und das derbe Gefluche (ihr Wichser, ihr Arschgeigen) wird das
Stück radikal entrümpelt, der Mythos entzaubert und die für
realistische Interpretationen so fruchtbaren gesellschaftlichen Konflikte in
einer rabenschwarzen Comic-Komödie zum Verschwinden gebracht. Die
Reminiszenzen an das Comicgenre sind zahlreich. So lässt Medea die Kinder
für den Anschlag auf ihre Rivalin Glauke eine Bombe Modell
Panzerknacker basteln: Dynamitstangen und ein Wecker sind eben ein
unübertroffener Klassiker, der auch die arglose Glauke um die Ecke bringen
wird. Nach vollbrachter Tat kommen die süßen Kleinen dann mit
völlig zerzausten, staubigen Haaren wieder auf die Bühne, nur um
ihrerseits von ihrer unbekümmerten Mutter gemeuchelt zu werden. Solche
Momente und das wunderbar lakonische, ja, zynische Spiel Sophie Rois` tragen
diesen kurzen Theaterabend, an dem die äußere Handlung wie im
Zeitraffer abzulaufen scheint. Über Medeas Beweggründe, ihr
Verhältnis zu den anderen Figuren und die soziale Umwelt erfahren wir
nämlich reichlich wenig. Es dreht sich alles um Rois=Medea und alle
anderen Figuren werden im Vergleich mit ihr zu Komparsen. Die Protagonistin
agiert wie im Egoshooter, unbekümmert schlachtet sie vier
Familienmitglieder in einer Minute, was jeweils mit demselben monotonem,
abgehackten Geschrei aus dem Off kommentiert wird. Und weiter geht's!
Schönborns Medea ist kaum mehr als eine Max Stirnersche Einzige,
ein infantiler, a-sozialer und emotional depravierter Charakter ohne
menschliche Bindungen und ohne Gewissen. Die einzige Triebfeder ihres Handelns
ist der Wunsch, die ihr von Jason zugefügte narzisstische Kränkung zu
rächen, koste es, was es wolle. In einem Interview mit Alexander Kluge
interpretierte Rois Medeas Rachefeldzug einmal als ganz kalt kalkulierten
politischen Akt, kein emotionaler, da wo man die Frauen so gerne hinschiebt.
Daran ist zumindest soviel wahr, das die Leipziger Medea keinerlei Anzeichen
von weiblicher Verzweiflung zeigt, sondern alle Register einer
kaltblütigen Machtpolitik zieht. Der Zweck zu diesen politischen Mitteln
ist jedoch immer nur die Befriedigung des eigenen Narzissmus. Hier will ein
Mütchen gekühlt werden, sonst nichts. Von Abstraktionsvermögen,
Selbsterhaltung, Gruppeninteressen oder gar Idealen ist hier nichts zu
spüren und Rois` entgegengesetzte Vermutung, es ginge Medea um die hehre
Menschenwürde, ist nicht nur reichlich ahistorisch, sondern nach
dieser Inszenierung auch völlig unplausibel. Der Diskurs um Individuum und
Gesellschaft, Anpassung und Rebellion, Verstand und Vernunft, der irgendwo
zwischendrin eingeschoben wird, wirkt daher auch ziemlich deplatziert. Hier
werden Medea ein paar adornitisch anmutende Zeilen in den Mund gelegt (à
la Für die Individuen ist es im Bestehenden vernünftiger, sich
mit Haut und Haar auszuliefern, als für die Vernunft Partei zu
ergreifen), die suggerieren, sie stehe für mehr als ihren pathologischen
Egoismus ein, am Ende gar für Vernunft. Zum Glück wird diese
Stilisierung des Asozialen zum Subversionsmodell, die zwar im Stück
mitschwingt Das Geile an dem Medea-Mythos ist: Die bewegt sich
völlig außerhalb von Moral (Sophie Rois) nicht weiter
ausgeführt und letztlich, wie jede ernste Interpretation des Stoffs
von der postmodernen Ironie weggeätzt. Dass die protofaschistischen
Allmachts- und Enthemmungsphantasien antiautoritär gestimmter deutscher
Kleinbürger das Stück nicht dominieren, das irgendwie
kritische Unbehagen des Centraltheaters sich hier also nicht ausleben kann,
macht es möglich, den Abend als kurzweilige, bitterböse Unterhaltung
zu genießen, bei der Rois es immer wieder schafft, den dafür
Empfänglichen ein Schmunzeln ins Gesicht zu treiben. Was das jetzt noch
mit der Medea des Mythos zu tun hat? Keine Ahnung.
Johannes Knauss
Die nächsten Aufführungen finden am 2.; 10. und 25. April statt. Es
empfiehlt sich, Karten im voraus zu reservieren.