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Aktuelles Heft

INHALT #175

Titelbild
Editorial
• das erste: Wer hat Angst vorm Sozialismus?
Easter Ska Jam 2010
To Rococo Rot
Ashers, Ticking Bombs
Bouncing Souls
„It's a virus.“
welcome to electric island?
OH! OH! OH!
Welcome home!
The Artery Foundation Tour
Shrinebuilder
Good Clean Fun
Fight for Freedom!
Benefizdisco
Katatonia
Sondaschule
electric island - love edition
Inspectah Deck
Veranstaltungsanzeigen
• review-corner buch: Hitler war's
• review-corner theater: Die Prinzessin als Anarch
• ABC: M wie Metaphysik
Mit Messer und Axt
• doku: VS wirbt versteckt am schwarzen Brett
• doku: Getrennt in den Farben –Vereint in der Sache
• doku: Wir geben keine Ruhe
• doku: tears please!
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• das letzte: Die Linke Wange auch noch hinhalten

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Hitler war's

Buchcover

Curt Geyer, Walter Loeb u.a.: Fight for Freedom. Die Legende vom anderen Deutschland. Herausgegeben von Jan Gerber und Anja Worm. Freiburg: ça ira Verlag, 2009

Es gibt Legenden, die einfach nie sterben. Dazu zählt zweifelsohne die vom „anderen Deutschland“, also vom „besseren“ Deutschland, das sich gegen das Unrecht und das Böse in der Welt stemmt. Wenn in einem gemeinsamen Kraftakt gegen das Gericht linke Straßenkämpfer, gar nicht so linke Ökomuttis, grüne Spitzenpolitiker und Oberbürgermeister aus der Region unter Mithilfe der Polizei einen Naziaufmarsch verhindern, lebt die Legende. Zwar gelang es am 13.02. nicht, dass „Dresden nazifrei“ wurde, wie es das gleichnamige breite Bündnis anstrebte, marschieren durften die zum Teil weit angereisten 5.000 Nazis allerdings nicht. Diesen sei es zwar gegönnt, dass sie sich die Beine in den Bauch stehen; wenn jedoch über den Antifa-Ticker vermeldet wird, dass dies ein „Riesenerfolg für Dresden“ sei, kann man erahnen, dass es den Aktivisten um kaum mehr als eine Einheitsfront für das gute Gewissen und gegen den Störfaktor im heilen Stadtbild geht.
Weniger stört sie dagegen der eigentliche Skandal, nämlich dass es in Dresden an diesem Tag zum guten Ton gehört, besonders unverschämt der deutschen Toten des Zweiten Weltkrieges zu gedenken und diese ganz selbstverständlich in die Liste der Kriegsopfer einzureihen. Es hätte also allen Grund gegeben, das jährliche Trauerspiel an der Frauenkirche zu stören. Doch der Blick richtete sich an jenem Tag auf den alle vereinigenden Feind, einen gesellschaftlich eher belanglosen Haufen von Rechten. Die in- und auch die ausländische Presse berichtete aufgeregt, dass die Dresdner Bevölkerung ihren Mann gestanden und diejenigen, die das Gedenken „missbrauchen“ wollten, an ihrem Treiben gehindert hatte. Die Nazis, die tatsächlich die Kriegsschuld Deutschlands leugneten und den Holocaust feierten, hatten eine Niederlage einstecken müssen. Gewonnen hatte am 13.02.2010 hingegen das „andere Deutschland“, für das nicht nur die Dresdner Volksfront sondern die Berliner Republik steht. Es ist jenes Deutschland, das die Nazis einerseits als Auslöser des Weltkrieges sieht, sich aber andererseits in der Tradition des deutschen Volkes wähnt, das von den Nazis „irregeleitet“ oder „unterdrückt“ wurde – ganz so als wären die Nazis keine Deutschen bzw. umgekehrt. Da eben jenes „bessere Deutschland“ ganz geschichtsbewusst die Schuld für den Zweiten Weltkrieg auf sich nimmt, indem man mit Gerhard Schröder betont, dass Ursache und Wirkung des Krieges nicht vertauscht werden dürften und man daher mit bestem Wissen und Gewissen die Vergangenheit aufgearbeitet zu haben glaubt, kann man als „geläutert“ auftreten und das Copyright auf moralische Verurteilungen von Menschheitsverbrechen in aller Welt für sich beanspruchen. Ob man nun als „besorgter Freund“ Israels seinem „Bruder“ nahelegt, den Siedlungsbau zu stoppen, oder dem Nahoststaat rät, den Terror der Hamas nicht mit „Staatsterror“ zu bekämpfen, oder ob man dem Iran mit einer an Peinlichkeit kaum zu überbietenden Nachlässigkeit beim Bau der Atombombe zusieht: das „neue Deutschland“ tritt selbstbewusst auf. Es fühlt sich frei von jedweder historischen Last, betont aber zugleich die moralische Verantwortung, die sich angeblich aus seiner Geschichte ergibt. Das Gerede vom „anderen Deutschland“ verschleiert lediglich den Blick auf die Konstitution der postnazistischen Gesellschaft und befindet sich damit in einer Tradition, die bereits 1933 bis 1945 zur Ehrenrettung des deutschen Volkes bemüht wurde.

Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten und der Zerschlagung der politischen Linken, u.a. von KPD, SPD und Gewerkschaften hielten deren exilierte Kader an der Argumentation fest, in Deutschland würde eine Clique von Faschisten das deutsche Volk beherrschen, unterdrücken und in den Krieg treiben. Dass der Nationalsozialismus nicht das 1000-jährige Reich werden würde, sondern auf den Untergang zusteuerte, hätte man eigentlich bereits zum Zeitpunkt der Machtübergabe an Hitler absehen können. Da mit dem Kriegsverlauf aus Sicht der Deutschen zunehmend zu befürchten war, dass mit ihrem Führer auch Deutschland verschwindet, warf sich vor allem die Exillinke jener Zeit in die Bresche, um wider aller Erfahrungen eine Differenz zwischen Hitler und seinem Volk zu behaupten. Sozialdemokraten, Sozialisten und Kommunisten strickten gemeinsam an der Legende des guten Volkes, das angeblich von Hitler unterjocht würde. Nahezu widerspruchslos agitierte die Linke für Volk und Vaterland – und dies schon lange vor 1933. Während man im Umfeld der Kritischen Theorie recht früh zu der Erkenntnis gelangte, dass man von den Arbeitern keinen Widerstand gegen das aufziehende Unheil erwarten konnte – u. a. die 1929 entstandene sogenannte Arbeiter-und Angestellten-Enquête von Erich Fromm desillusionierte die Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung so sehr, dass sie beizeiten aus Deutschland flohen – glaubte man in den linken Parteien an den Widerstand der Arbeiter und dass sich die Nazis nicht lange an der Macht halten würden. In völliger Verkennung der Realität glaubte man, die Bevölkerung stünde Hitler kritisch gegenüber und ignorierte damit die Massenbasis des Regimes – eine Folge nicht zuletzt der eigenen analytischen Schwäche bzw. des Beharrens auf der Dimitroffschen These, der Faschismus sei „die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“. Mehrheitlich vertrauten die Vertreter der linken Parteien und Gruppen auf die revolutionäre Erhebung der Massen. Diese erhoben sich zwar; doch dies vor allem gegen ihre jüdischen Nachbarn. Aber selbst das schien die Kommunisten und Sozialisten kaum zu stören. Noch als sie selber massenhaft Repressionen ausgesetzt waren, war der Glaube der verschiedensten linken Gruppen an das deutsche Volk ungebrochen, und nach den massiven Verfolgungen in Folge des Reichstagsbrandes hatte die KP im Exil nichts besseres zu tun, als diesen dem „homosexuellen Naziprovokateur“ van der Lubbe anzulasten.

Im Exil in Großbritannien drückte sich die Einigkeit der Linken im Hass auf Lord Robert Vansittart, ein Mitglied des britischen Oberhauses, aus. Dieser produzierte im Dezember 1940 eine siebenteilige Radiosendung für die BBC, die später nachgedruckt als Broschüre mit dem Titel „Black Record“ erschien. Vansittart versuchte hier nachzuweisen, dass es kein Zufall gewesen sein konnte, dass Deutschland innerhalb der letzten 75 Jahre fünf Kriege geführt hatte. Bei einer Reise an das Schwarze Meer beobachtete er einige Jahre zuvor einen Vogel, der sich willkürlich auf seine kleineren Artgenossen stürzte und sie tötete. Dieser sogenannte „Butcher-Bird“ versinnbildlichte für ihn das Wesen der Deutschen, das seit jeher aggressiv und feindselig war, so dass der Nationalsozialismus die logische Folge der historischen Entwicklung der Deutschen sein musste. Die Einlassungen Vansittarts lösten einen Sturm der Entrüstung aus. Er sah sich mit dem Vorwurf des antideutschen Rassismus konfrontiert, vor allem im linken und im intellektuellen Milieu Großbritanniens wurde er scharf angegangen. Besonders empört reagierte allerdings die große Mehrheit der linken Exilanten aus Deutschland, die Vansittarts Positionen mit dem Rassewahn Hitlers gleichsetzte (u.a. Willy Brandt).

Lediglich einige wenige Sozialisten und Kommunisten stellten sich der Hetze gegen den Lord entgegen und versuchten nach ihren Möglichkeiten die tatsächlichen Verhältnisse in Deutschland aufzudecken, um der Öffentlichkeit in den Exilländern zu vermitteln, dass ihr Warten auf Volkserhebungen sinnlos sei und nur militärische Entschlossenheit und ein Kampf bis zum Äußersten – also die völlige Niederlage Deutschlands – Europa Frieden bringen würde. Das von Jan Gerber und Anja Worm im Auftrag der „Materialien für Aufklärung und Kritik“ (Halle) herausgegebene Buch „Fight for Freedom. Die Legende vom ‚anderen Deutschland`“ versammelt verschiedene Schriften von Antifaschisten, die ebenjene Legende als Lüge überführen wollten. Ehemalige Protagonisten der Arbeiterbewegung, die sich gegen den linken Mainstream jener Zeit stellten, schlossen sich in Großbritannien zu einem Dissidentenkreis zusammen und gründeten die Verlagsgesellschaft „Fight for Freedom“. Die Mitglieder der Gruppe lehnten – in je unterschiedlicher Intensität – die vulgärmarxistischen Theorien, welche die Klassenfrage ins Zentrum stellten und den Faschismus als Produkt des imperialistischen Kapitals ansahen, ebenso ab wie jegliche patriotische Ehrenrettung der deutschen Bevölkerung. Sie verwiesen vielmehr auf die jahrzehntelange Vorgeschichte des deutschen Nationalismus und Antisemitismus. In ihrer Analyse des Nationalsozialismus hoben sie dementsprechend hervor, dass dieser ein Produkt der spezifischen deutschen Tradition und Kultur sei. In Anlehnung an die in Großbritannien kontrovers diskutierten Thesen Vansittarts stellten sie die Frage nach der Ideologie – weniger die nach wirtschaftlichen Verhältnissen – in den Vordergrund. Unnachgiebig betonten sie in verschiedenen Publikationen – ein großer Teil liegt im nun erschienenen Buch „Fight for Freedom. Die Legende vom „anderen Deutschland“ erstmalig in Übersetzung vor – die unentwirrbare Verstrickung der Deutschen mit ihrem selbst gewählten Führer. Am 2. März 1942 gaben Fritz Bieligk, Curt Geyer, Walther Loeb, Kurt Lorenz und Bernhard Menne, also der Kern der „Fight for Freedom“-Gruppe, eine erstaunlich deutliche Erklärung heraus, in der sie konstatierten, dass der aggressive Nationalismus in Deutschland über alle gesellschaftlichen Klassen und politischen Parteien hinweg bereits seit der Zeit vor 1914 die mächtigste politische Macht im Volke darstellt (vgl. S. 65). Ebenfalls erklärten sie, dass „die Sozialdemokratische Partei Deutschlands und die Führung der Gewerkschaften von 1914 bis 1918 eine wesentliche Stütze des Kriegswillen des deutschen Volkes waren“ (ebd.). Neben der Mitverantwortung der Sozialdemokraten für den Ersten Weltkrieg und auch für die völkische Propaganda danach wurden die Rollen der Nationalliberalen und der Kommunisten bei der nationalen Mobilmachung in beiden Weltkriegen in weiteren Aufsätzen thematisiert. 1945 verfasste Bernhard Menne eine nun erstmals auf deutsch vorliegende Verteidigungsschrift der Kriegsführung des Luftmarschalls der Royal Air Force Arthur Harris, auch bekannt als Bomber Harris. Dieser sah sich nach dem Krieg in Großbritannien verschiedenen Anfeindungen wegen seiner Flächenbombardements auf deutsche Städte ausgesetzt. Menne dagegen ergreift Partei für Harris, da ohne „sein Werk […] der Krieg mindestens ein Jahr länger gedauert und mindestens das Leben einer Million alliierter Soldaten gekostet [hätte]“ (S. 165). Das „moral bombing“ der Royal Air Force sollte den Willen der Deutschen brechen und sie von der Unterstützung ihres Führers abbringen. Während das ganze Land bereits in Schutt und Asche lag, dachten diese allerdings noch längst nicht an die Kapitulation. Von der bedingungslosen Hingabe an die Sache des Führers bzw. ihrer eigenen wollten weder die Mehrheit der Exilkommunisten und -sozialisten damals etwas wissen, noch all jene, die am 13.02.2010 Dresden einen „Riesenerfolg“ bescheren wollten. Bereits Kurt Tucholsky, der im umfassenden und sehr gut in das Thema einführenden Vorwort der Herausgeber zitiert wird, richtete sich 1935 mit folgenden Worten an Arnold Zweig: „Statt einer Selbstkritik und Selbsteinkehr sehe ich da etwas von ‚Wir sind das bessere Deutschland' und ‚Das da ist gar nicht Deutschland' und solchen Unsinn.“ Die Legende vom „anderen Deutschland“ erweist sich als besonders zählebig, so dass die Aufsätze des Bandes nicht nur als historische Wahrheiten begriffen werden müssen, sondern auch heute noch als Denunziation einer sich lange haltenden Lüge zu verstehen sind.

Andreas Reschke

 

22.03.2010
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