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• das letzte: Die Linke Wange auch noch hinhalten
Curt Geyer, Walter Loeb u.a.: Fight for Freedom. Die Legende vom anderen Deutschland. Herausgegeben von Jan Gerber und Anja Worm. Freiburg: ça ira Verlag, 2009
Es gibt Legenden, die einfach nie sterben. Dazu zählt zweifelsohne die vom
anderen Deutschland, also vom besseren Deutschland, das sich
gegen das Unrecht und das Böse in der Welt stemmt. Wenn in einem
gemeinsamen Kraftakt gegen das Gericht linke Straßenkämpfer, gar
nicht so linke Ökomuttis, grüne Spitzenpolitiker und
Oberbürgermeister aus der Region unter Mithilfe der Polizei einen
Naziaufmarsch verhindern, lebt die Legende. Zwar gelang es am 13.02. nicht,
dass Dresden nazifrei wurde, wie es das gleichnamige breite Bündnis
anstrebte, marschieren durften die zum Teil weit angereisten 5.000 Nazis
allerdings nicht. Diesen sei es zwar gegönnt, dass sie sich die Beine in
den Bauch stehen; wenn jedoch über den Antifa-Ticker vermeldet wird, dass
dies ein Riesenerfolg für Dresden sei, kann man erahnen, dass es
den Aktivisten um kaum mehr als eine Einheitsfront für das gute Gewissen
und gegen den Störfaktor im heilen Stadtbild geht.
Weniger stört sie dagegen der eigentliche Skandal, nämlich dass es in
Dresden an diesem Tag zum guten Ton gehört, besonders unverschämt der
deutschen Toten des Zweiten Weltkrieges zu gedenken und diese ganz
selbstverständlich in die Liste der Kriegsopfer einzureihen. Es hätte
also allen Grund gegeben, das jährliche Trauerspiel an der Frauenkirche zu
stören. Doch der Blick richtete sich an jenem Tag auf den alle
vereinigenden Feind, einen gesellschaftlich eher belanglosen Haufen von
Rechten. Die in- und auch die ausländische Presse berichtete aufgeregt,
dass die Dresdner Bevölkerung ihren Mann gestanden und diejenigen, die das
Gedenken missbrauchen wollten, an ihrem Treiben gehindert hatte. Die
Nazis, die tatsächlich die Kriegsschuld Deutschlands leugneten und den
Holocaust feierten, hatten eine Niederlage einstecken müssen. Gewonnen
hatte am 13.02.2010 hingegen das andere Deutschland, für das nicht
nur die Dresdner Volksfront sondern die Berliner Republik steht. Es ist jenes
Deutschland, das die Nazis einerseits als Auslöser des Weltkrieges sieht,
sich aber andererseits in der Tradition des deutschen Volkes wähnt, das
von den Nazis irregeleitet oder unterdrückt wurde
ganz so als wären die Nazis keine Deutschen bzw. umgekehrt. Da eben jenes
bessere Deutschland ganz geschichtsbewusst die Schuld für den
Zweiten Weltkrieg auf sich nimmt, indem man mit Gerhard Schröder betont,
dass Ursache und Wirkung des Krieges nicht vertauscht werden dürften und
man daher mit bestem Wissen und Gewissen die Vergangenheit aufgearbeitet zu
haben glaubt, kann man als geläutert auftreten und das Copyright
auf moralische Verurteilungen von Menschheitsverbrechen in aller Welt für
sich beanspruchen. Ob man nun als besorgter Freund Israels seinem
Bruder nahelegt, den Siedlungsbau zu stoppen, oder dem Nahoststaat
rät, den Terror der Hamas nicht mit Staatsterror zu bekämpfen,
oder ob man dem Iran mit einer an Peinlichkeit kaum zu überbietenden
Nachlässigkeit beim Bau der Atombombe zusieht: das neue Deutschland
tritt selbstbewusst auf. Es fühlt sich frei von jedweder historischen
Last, betont aber zugleich die moralische Verantwortung, die sich angeblich aus
seiner Geschichte ergibt. Das Gerede vom anderen Deutschland
verschleiert lediglich den Blick auf die Konstitution der postnazistischen
Gesellschaft und befindet sich damit in einer Tradition, die bereits 1933 bis
1945 zur Ehrenrettung des deutschen Volkes bemüht wurde.
Nach der
Machtübergabe an die Nationalsozialisten und der Zerschlagung der
politischen Linken, u.a. von KPD, SPD und Gewerkschaften hielten deren
exilierte Kader an der Argumentation fest, in Deutschland würde eine
Clique von Faschisten das deutsche Volk beherrschen, unterdrücken und in
den Krieg treiben. Dass der Nationalsozialismus nicht das 1000-jährige
Reich werden würde, sondern auf den Untergang zusteuerte, hätte man
eigentlich bereits zum Zeitpunkt der Machtübergabe an Hitler absehen
können. Da mit dem Kriegsverlauf aus Sicht der Deutschen zunehmend zu
befürchten war, dass mit ihrem Führer auch Deutschland verschwindet,
warf sich vor allem die Exillinke jener Zeit in die Bresche, um wider aller
Erfahrungen eine Differenz zwischen Hitler und seinem Volk zu behaupten.
Sozialdemokraten, Sozialisten und Kommunisten strickten gemeinsam an der
Legende des guten Volkes, das angeblich von Hitler unterjocht würde.
Nahezu widerspruchslos agitierte die Linke für Volk und Vaterland
und dies schon lange vor 1933. Während man im Umfeld der Kritischen
Theorie recht früh zu der Erkenntnis gelangte, dass man von den Arbeitern
keinen Widerstand gegen das aufziehende Unheil erwarten konnte u. a.
die 1929 entstandene sogenannte Arbeiter-und Angestellten-Enquête von
Erich Fromm desillusionierte die Mitarbeiter des Instituts für
Sozialforschung so sehr, dass sie beizeiten aus Deutschland flohen
glaubte man in den linken Parteien an den Widerstand der Arbeiter und dass sich
die Nazis nicht lange an der Macht halten würden. In völliger
Verkennung der Realität glaubte man, die Bevölkerung stünde
Hitler kritisch gegenüber und ignorierte damit die Massenbasis des Regimes
eine Folge nicht zuletzt der eigenen analytischen Schwäche bzw. des
Beharrens auf der Dimitroffschen These, der Faschismus sei die offene,
terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten
imperialistischen Elemente des Finanzkapitals. Mehrheitlich vertrauten die
Vertreter der linken Parteien und Gruppen auf die revolutionäre Erhebung
der Massen. Diese erhoben sich zwar; doch dies vor allem gegen ihre
jüdischen Nachbarn. Aber selbst das schien die Kommunisten und Sozialisten
kaum zu stören. Noch als sie selber massenhaft Repressionen ausgesetzt
waren, war der Glaube der verschiedensten linken Gruppen an das deutsche Volk
ungebrochen, und nach den massiven Verfolgungen in Folge des Reichstagsbrandes
hatte die KP im Exil nichts besseres zu tun, als diesen dem homosexuellen
Naziprovokateur van der Lubbe anzulasten.
Im Exil in
Großbritannien drückte sich die Einigkeit der Linken im Hass auf
Lord Robert Vansittart, ein Mitglied des britischen Oberhauses, aus. Dieser
produzierte im Dezember 1940 eine siebenteilige Radiosendung für die BBC,
die später nachgedruckt als Broschüre mit dem Titel Black
Record erschien. Vansittart versuchte hier nachzuweisen, dass es kein Zufall
gewesen sein konnte, dass Deutschland innerhalb der letzten 75 Jahre fünf
Kriege geführt hatte. Bei einer Reise an das Schwarze Meer beobachtete er
einige Jahre zuvor einen Vogel, der sich willkürlich auf seine kleineren
Artgenossen stürzte und sie tötete. Dieser sogenannte
Butcher-Bird versinnbildlichte für ihn das Wesen der Deutschen, das
seit jeher aggressiv und feindselig war, so dass der Nationalsozialismus die
logische Folge der historischen Entwicklung der Deutschen sein musste. Die
Einlassungen Vansittarts lösten einen Sturm der Entrüstung aus. Er
sah sich mit dem Vorwurf des antideutschen Rassismus konfrontiert, vor allem im
linken und im intellektuellen Milieu Großbritanniens wurde er scharf
angegangen. Besonders empört reagierte allerdings die große Mehrheit
der linken Exilanten aus Deutschland, die Vansittarts Positionen mit dem
Rassewahn Hitlers gleichsetzte (u.a. Willy Brandt).
Lediglich einige
wenige Sozialisten und Kommunisten stellten sich der Hetze gegen den Lord
entgegen und versuchten nach ihren Möglichkeiten die tatsächlichen
Verhältnisse in Deutschland aufzudecken, um der Öffentlichkeit in den
Exilländern zu vermitteln, dass ihr Warten auf Volkserhebungen sinnlos sei
und nur militärische Entschlossenheit und ein Kampf bis zum
Äußersten also die völlige Niederlage Deutschlands
Europa Frieden bringen würde. Das von Jan Gerber und Anja Worm im
Auftrag der Materialien für Aufklärung und Kritik (Halle)
herausgegebene Buch Fight for Freedom. Die Legende vom anderen
Deutschland` versammelt verschiedene Schriften von Antifaschisten, die
ebenjene Legende als Lüge überführen wollten. Ehemalige
Protagonisten der Arbeiterbewegung, die sich gegen den linken Mainstream jener
Zeit stellten, schlossen sich in Großbritannien zu einem Dissidentenkreis
zusammen und gründeten die Verlagsgesellschaft Fight for Freedom.
Die Mitglieder der Gruppe lehnten in je unterschiedlicher
Intensität die vulgärmarxistischen Theorien, welche die
Klassenfrage ins Zentrum stellten und den Faschismus als Produkt des
imperialistischen Kapitals ansahen, ebenso ab wie jegliche patriotische
Ehrenrettung der deutschen Bevölkerung. Sie verwiesen vielmehr auf die
jahrzehntelange Vorgeschichte des deutschen Nationalismus und Antisemitismus.
In ihrer Analyse des Nationalsozialismus hoben sie dementsprechend hervor, dass
dieser ein Produkt der spezifischen deutschen Tradition und Kultur sei. In
Anlehnung an die in Großbritannien kontrovers diskutierten Thesen
Vansittarts stellten sie die Frage nach der Ideologie weniger die nach
wirtschaftlichen Verhältnissen in den Vordergrund. Unnachgiebig
betonten sie in verschiedenen Publikationen ein großer Teil liegt
im nun erschienenen Buch Fight for Freedom. Die Legende vom anderen
Deutschland erstmalig in Übersetzung vor die unentwirrbare
Verstrickung der Deutschen mit ihrem selbst gewählten Führer. Am 2.
März 1942 gaben Fritz Bieligk, Curt Geyer, Walther Loeb, Kurt Lorenz und
Bernhard Menne, also der Kern der Fight for Freedom-Gruppe, eine
erstaunlich deutliche Erklärung heraus, in der sie konstatierten, dass der
aggressive Nationalismus in Deutschland über alle gesellschaftlichen
Klassen und politischen Parteien hinweg bereits seit der Zeit vor 1914 die
mächtigste politische Macht im Volke darstellt (vgl. S. 65). Ebenfalls
erklärten sie, dass die Sozialdemokratische Partei Deutschlands und
die Führung der Gewerkschaften von 1914 bis 1918 eine wesentliche
Stütze des Kriegswillen des deutschen Volkes waren (ebd.). Neben der
Mitverantwortung der Sozialdemokraten für den Ersten Weltkrieg und auch
für die völkische Propaganda danach wurden die Rollen der
Nationalliberalen und der Kommunisten bei der nationalen Mobilmachung in beiden
Weltkriegen in weiteren Aufsätzen thematisiert. 1945 verfasste Bernhard
Menne eine nun erstmals auf deutsch vorliegende Verteidigungsschrift der
Kriegsführung des Luftmarschalls der Royal Air Force Arthur Harris, auch
bekannt als Bomber Harris. Dieser sah sich nach dem Krieg in
Großbritannien verschiedenen Anfeindungen wegen seiner
Flächenbombardements auf deutsche Städte ausgesetzt. Menne dagegen
ergreift Partei für Harris, da ohne sein Werk [
] der Krieg
mindestens ein Jahr länger gedauert und mindestens das Leben einer Million
alliierter Soldaten gekostet [hätte] (S. 165). Das moral bombing
der Royal Air Force sollte den Willen der Deutschen brechen und sie von der
Unterstützung ihres Führers abbringen. Während das ganze Land
bereits in Schutt und Asche lag, dachten diese allerdings noch längst
nicht an die Kapitulation. Von der bedingungslosen Hingabe an die Sache des
Führers bzw. ihrer eigenen wollten weder die Mehrheit der Exilkommunisten
und -sozialisten damals etwas wissen, noch all jene, die am 13.02.2010 Dresden
einen Riesenerfolg bescheren wollten. Bereits Kurt Tucholsky, der im
umfassenden und sehr gut in das Thema einführenden Vorwort der Herausgeber
zitiert wird, richtete sich 1935 mit folgenden Worten an Arnold Zweig:
Statt einer Selbstkritik und Selbsteinkehr sehe ich da etwas von
Wir sind das bessere Deutschland' und Das da ist gar nicht
Deutschland' und solchen Unsinn. Die Legende vom anderen Deutschland
erweist sich als besonders zählebig, so dass die Aufsätze des Bandes
nicht nur als historische Wahrheiten begriffen werden müssen, sondern auch
heute noch als Denunziation einer sich lange haltenden Lüge zu verstehen
sind.
Andreas Reschke