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Aktuelles Heft

INHALT #174

Titelbild
Demokratie – mühsam
• das erste: The same proce­dure as last year...
Mouse on the Keys & Rocket Science
BLISSTRAIN 2010
Swollen Members
20 Years Hardwax Special
Smoke Blow
Agnostic Front
»in the end, i want you to cry«
Fantasietriologie
Katatonia
Benefizdisco
Madball
War from a Harlots Mouth
Legacy of Blood-Tour
Veranstaltungsanzeigen
• review-corner platte: Zur Problematik der Kleinen Glücksmomente im Großen Falschen
• cyber-report: Übersetzungsfehler? Selber Schuld!
• doku: Der Humbug der Wahlen
• doku: Gemeinsam gegen jeden Extremismus? Nicht mit uns!
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• das letzte: Das behinderte Kind von Gewalt und Politik

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Inbetween & Electric Island present:

20 Years Hardwax Special

MARK ERNESTUS & TIKIMAN live
SUBSTANCE & VAINQUEUR live
DJ PETE

Berlin ist zur Zeit der Nabel der Welt wenn es um elektronische Tanzmusik geht. Es zieht DJ`s, Produzenten, Labelmacher, kreativ Schaffende aller Couleur, auch vor allem wegen der noch billigen Lebenserhaltungskosten, in die Rave-Hauptstadt.
Vor allem so genannte „Easy Jet-Raver“ aus ganz Europa und der Welt bevölkern am Wochenende die Clubs. Dies hat, trotz der Nachteile, auch wahnsinnig viele Potentiale und Möglichkeiten freigesetzt. Vor allem, wenn man sich die Entwicklung der Clubs und auch der Line Up`s der letzten Zeit anschaut. Die höhere Dichte an Musikschaffenden macht es auf vielen Ebenen einfacher und attraktiver, ein Publikum abseits populärer Konzepte zu finden.
Dass Berlin aber als Partymetropole auch als eine „Art Happy Island“ auf der Welt gehandelt wird und dies auch der bedeutendste Standortvorteil ist, hat auch die Stadt Berlin, sämtliche Feuilletons der Republik und auch die Bild-Zeitung mitbekommen und der Medienrummel nimmt zusehends üble Züge an.
In diesem Gemenge findet sich zum Beispiel. auch immer wieder das „sagenumwobene“ Berghain wieder. Kürzlich zum „Besten Club der Welt“ gekürt und aus dem Ostgut, einem vornehmlich homosexuellen Club, hervorgegangen, kann es sich maximal, wenn überhaupt, nur durch eine strenge und sicherlich auch diskrimierende Türsteherpolitik „wehren“, nicht aber über Geschichten und Vereinahmungen von außerhalb.

Weniger im Rampenlicht und wie ein unantastbarer Monolith hingegen fungiert der Hardwax-Plattenladen mit dazugehörigen Mailorder, Vertrieb, Labels und Mastering Studio (Dubplates & Mastering) im Stadteil Kreuzberg.
Von Mark Ernestus 1989 gegründet, ist das Hardwax Zeuge erster Stunde, als Berlin zur Stadt des Techno wurde. Seitdem ist es Anlaufstelle für Musikliebhaber elektronischer Musik von Techno/House und Disco über Dubstep bis hin zu Aphex Twin. Berühmt ist das Hardwax aber auch für seinen großen Dub- und Reggae-Backstock, welcher in Verbindung mit dem ebenfalls im Hardwax gelagerten Killasan Soundsystem, jamaikanischer Bauart aus dem japanischen Okinawa kommend, schon aufzeigt, welchem historischen Bewusstsein man sich besonders verpflichtet fühlt: nämlich der Wurzel aller Dance bzw. Bassmusik, der jamaikanischen Soundsystemkultur.

Der Einfluss und die Impulse, die vom Hinterhof am Paul Linke-Ufer ausgingen und gehen, können nicht überbewertet werden, ob in der Stadt selber oder weltweit. Als „Hardwax – Black Music/ An- und Verkauf“ gestartet, dauerte es nicht lange, bis man Verbindungen in die USA aufgebaut hatte und somit die frühen und wichtigsten Chicago-House und Detroitplatten, die damals noch erhältlich waren, nach Berlin holte. So entwickelte sich überhaupt erst eine richtige Technoszene, teilweise auch aus dem Laden heraus. So wie heute drei Viertel der Mitarbeiter des Hardwax auch DJ`s und Produzenten im Nebenberuf sind und im Berghain auflegen oder auf dem angeschlossenen Label Ostgut Ton veröffentlichen, so war auch in der Anfangszeit eine direkte Vernetzung zum legendären Tresor und anderen Clubs vorhanden und es wurden in regelmäßigen Abständen DJ`s & Produzenten aus Übersee eingeflogen. So geht die für die Geschichte des Techno wichtige Tangente, der Austausch zwischen Detroit und Berlin, auch direkt durchs Hardwax.
Und auch heutzutage, wenn man die Geschichte des Ladens betrachtet, scheint es nur logisch, dass auch Dubstep von Anfang an im Laden geliebt und gepusht wurde, Shackletons Releases auf Skull Disco, im Gegensatz zu vielen Läden in London, von Anfang an zu haben waren, und auch Scuba über das Hardwax-Umfeld mit seiner Substance-Veranstaltung im Berghain Fuß fassen konnte. So kann man auch sagen, dass eine weitere Achse zwischen Berlin und Bristol/London geschlagen wurde, welche die Vermählung von Dubstep und Techno befördert(e).

Vor allem aber die Gründung der Techno Labels Basic Channel (1993) und Chain Reaction (1995) von Mark Ernestus und Moritz von Oswald ist als Meilenstein anzusehen, gerade Basic Channel gilt als eines der wichtigsten deutschen Labels der 90er Jahre und wird heute von so vielen Produzenten als Referenz angegeben. Mit ihrem reduzierten Minimal Techno der Detroiter Schule, welcher mit dubtypischen Basslinien, Hall- und Rauscheffekten versehen wurde, beeinflussten sie Tanz-Musik zwischen Detroit und Berlin maßgeblich und sind mit ihrer Soundästhetik gerade heute im House/Techno nicht mehr wegzudenken. All ihre Labels gelten heute als Klassiker.
Seit den späten 90ern arbeiten sie als Rhythm & Sound und Burial Mix regelmäßig mit Reggae-Vokalisten zusammen, die den elektronischen Rhythmus- und Bassflächen eine weitere Schicht an Seele hinzufügen. Die ausgefeilte, erfrischende Ästhetik des Techno gibt den Stücken eine Tiefe, wie sie im Dub sonst kaum zu hören ist. Seit den Main Street-Veröffentlichungen 1995 kooperiert der aus der Karibik stammende Tikiman a.k.a. Paul St Hilaire immer wieder mit Ernestus und Oswald. Mit seiner Stimmer hat er nicht unwesentlich zur Magie von Rhythm&Sound beigetragen.

Sehr bezeichnend für von Oswald und Ernestus ist auch die strikte Verweigerung gegenüber Vereinahmungen von außerhalb. Selbst die Platten wurden selbstgepresst und man vertrieb sie über befreundete Distributions- und Kommunikationsnetze von Musikliebhabern weltweit. Dadurch behielten sie immer die volle Kontrolle über ihr Produkt. Nach jahrelangem Abtauchen hinter der Musik – es gab weder Namen auf Platten noch existierten Interviews oder Fotos – gibt es seit ein paar Jahren und gerade jetzt zum 20-jährigen Jubiläum vermehrte Auftritte und Interviews.
Diesen unpersonellen, anonymen Umgang mit Musik kennt man eigentlich fast nur noch aus frühen Technotagen zum Beispiel von Underground Resistance. Aber auch als Dubstep 2005 aus Süd-London ausbrach, hielten sich einige Protoganisten bedeckt und pflegten dieselbe Herangehensweise.
Das wohl derzeit bekannteste und aktuellste Beispiel ist Burial vom Label Hyperdub aus London, welcher weder Gesicht noch Statements zu seiner Musik abgeben wollte. Seine immer größer gewordene Popularität und überbordende Spekulationen wurden zu einem Problem und mussten ihn nachgeben lassen. Dies zeigte auf, dass es heutzutage, auch durch neue Medien, noch schwieriger geworden ist, sich diesen zu entziehen. Genau wie ab einem bestimmten Bekanntheitsgrad, gewollt oder nicht, eine Kategorisierung oder Einteilung der Musik benötigt wird, so wird auch ein dazugehöriges Bild der Person gefordert, bis hin zu „Kopfgeldern“, die ausgesetzt werden auf ein Bild des Künstlers.
Selbige Attitüden – „Just Music!“ – die früher eine übliche Strategie im Techno waren, um nämlich Mechanismen des etablierten Popbetriebs zu unterminieren, sind auch heute noch bei vielen „Hardwax“-Veröffentlichungen und Künstlern zu erkennen, siehe Shed, Sleeparchive, Monolake oder T++.

Ebenfalls zur Hardwax Crew zählend produzierte DJ Pete aka Peter Kuschnereit unter seinem Alias Substance auf Chain Reaction, Burial Mix, Hotflush und Ostgut Ton.
Vor allem Scion, sein Projekt mit Vainqueur , war prägend und führte sie durch die halbe Welt, wo sie für den charakteristischen Berlin-Sound damals standen. In Berlin selber wurde Chain Reaction immer als eine von vielen Musikszenen betrachtet. Im Gegensatz zu vielen anderen Labels wie zum Beispiel Bpitch Control wurde hier niemals mit Begriffen wie „Stadt“ oder „Heimat“ geflirtet, stets war es immer die Musik, die als Identität oder Referenz galt.
Als DJ Pete beworzugt er bis heute stets Vinyl und war doch der Erste, der damals eine käuflich erwerbbare CD namens „Scion Arrange And Process Basic Channel Tracks“ mit der damals völlig neuen Software Ableton live arrangierte und veröffentlichte. Und auch hier zeigt sich wieder eine Querverbindung durch das Hardwax: Robert Henke a.k.a. Monalake, Mastering und Cutting Ingeneur im hauseigenen Dubplates & Mastering Studio, ist Mitentwickler der heute so populären Musiksoftware Ableton Live.
Soviel lebende Musikgeschichte auf einem Haufen und an einem Abend im Conne Island ist selten zu erleben – da ist es natürlich eine Selbstverständlichkeit, die Extra-Subwoofer auf der Bühne zu montieren.

See mi Yah!

Hardwax

 

22.02.2010
Conne Island, Koburger Str. 3, 04277 Leipzig
Tel.: 0341-3013028, Fax: 0341-3026503
info@conne-island.de, tickets@conne-island.de