• Titelbild
• Demokratie mühsam
• das erste: The same procedure as last year...
• Mouse on the Keys & Rocket Science
• BLISSTRAIN 2010
• Swollen Members
• 20 Years Hardwax Special
• Smoke Blow
• Agnostic Front
• »in the end, i want you to cry«
• Fantasietriologie
• Katatonia
• Benefizdisco
• Madball
• War from a Harlots Mouth
• Legacy of Blood-Tour
• Veranstaltungsanzeigen
• review-corner platte: Zur Problematik der Kleinen Glücksmomente im Großen Falschen
• cyber-report: Übersetzungsfehler? Selber Schuld!
• doku: Der Humbug der Wahlen
• doku: Gemeinsam gegen jeden Extremismus? Nicht mit uns!
• Anzeigen
• das letzte: Das behinderte Kind von Gewalt und Politik
Nach nun mehr knapp fünf Jahren ist es wieder soweit: eine der
wichtigsten (Spiegel Online), intellektuellsten
(FAZ) und topsten (Markus Kavka) Bands der Nation
(alle Medien und Medienheinis), wird im April die unheiligen Wände des
Conne Island beschallen. Trat die Band Tocotronic erstmalig (mit der
genauso großartigen Band Die Sterne) 1995 vor geschätzten 100
Außenseitern auf, so wird dieser Vereinsabend (Eintritt nur mit
Einladung) wohl etwas opulenter ausfallen. Denn wer Lady Gaga von Platz
Eins der Albumcharts wegrockt, der hat alles richtig gemacht. Aber auch ohne
Lady Gaga und Jesu Christi steht dieser Abend in einem hellen Licht. Denn
schließlich beenden Tocotronic mit dem Album Schall und Wahn die
eigentlich nie geplante und sich trotzdem einfach so aus Spaß eigens
ergebene Berlin-Triologie, bestehend aus den drei Platten Pure
Vernunft Darf Niemals Siegen, Kapitulation und eben Schall und
Wahn. Und ich nehme es vorweg: diese Platte ist ein BestOff und ein
Schmelztiegel aus Vulkanausbruch, Niedergang, Wut, Witz, musikalischem
Rock-Minimalismus und Verzerrern.
Und so brach sich die Triologie ungewollt ihre Bahn. Teil I Pure Vernunft
Darf Niemals Siegen ist in der Musik reduziert auf zwei Gitarren, Bass und
Schlagzeug und eine gewollte Abkehr von den aufwendigen Arrangements des
weißen Vorgängeralbums. Die Songstrukturen sind bewusst einfach
gehalten, Melodien wiederholen sich wie Schlaufen. Umso verzierter sind die
Texte, in denen die Regeln der Physik und des gesunden Menschenverstands
lustvoll gebrochen werden. Mit dem Albumtitel äußert die Band eine
Verweigerungshaltung gegenüber der Verwertungslogik und
Alltäglichkeitsbesessenheit, von der sie auch die Kunst zunehmend befallen
sehen.
Mit Teil II Kapitulation bewegen sich Tocotronic dann weg vom Versuch,
die Musik trocken klingen zu lassen. Um der Musik einen räumlichen Klang
zu geben, wird das Album live eingespielt und der Raumklang wird mitbenutzt.
Auf dem Eröffnungslied Mein Ruin lässt Arne Zank das
Schlagzeug rumpeln, fast wie in den Anfangstagen, und auf Sag Alles Ab
klingt Dirk von Lowtzow plötzlich wie der frühe
Diskurs-Pop-Pate Kristof Schreuf (Kolossale Jugend, Brüllen). Es
ist ein ungestümes und dennoch durchdachtes Werk.
Und so endet die Triologie im Jetzt mit einem Blumenstrauß, der das
Coverbild des aktuellen Albums Schall und Wahn ziert. Wenn man so will,
eine Verbildlichung des ganzen Werkes in zweierlei Hinsicht. Denn zum einen ist
die Platte hinsichtlich Musik und Texten ein bunter Strauß Blumen, der
auf der anderen Seite aber auch ein Fundament aufweist. Denn dem
Künstlerduo de Riijke/de Rooij ging es nicht um die Farben, sondern
um die Übersetzung der Farben in Grauabstufungen. Der Strauß ist
sehr eng zusammengebunden und entfaltet sich fast wie ein Fächer. Ein
strenges Fundament, dass sich nach oben diversifiziert. Ein
Textlich bewegt man sich ähnlich wie bei den vorangegangen Werken zwischen
Selbstauslöschung, Niedergang, tiefsten Tiefen, Folter, Anklage,
Kapitulation und Zweifel. Man könnte jetzt darüber diskutieren und
spekulieren, wie politisch die Lyrics sind und was sie nicht alles
bedeuten könnten. Auch bin ich sehr dafür, Schlösser zu
stürmen und faul zu sein. Jedoch sollte dies jeder und jede und jedes
für sich selber betrachten und interpretieren. Was uns an diesem Abend
bleibt ist: Einfach Genießen oder, um mit einem alten Ausruf der Band zu
schließen: Es ist einfach Rockmusik.
Tocotronic sind Dirk von Lowtzow, Jan Müller, Arne Zank und Rick
McPhail. Aktuelles Album: Schall und Wahn, erschienen 2010 bei
Universal/Vertigo.
Florian