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„Die Zukunft der Erinnerung“

Über den letzten Band der „Dachauer Hefte – Studien und Dokumente zur Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager“

BuchcoverDachauer Hefte: Heft 25 (2009) „Die Zukunft der Erinnerung“. Herausgegeben von Wolfgang Benz und Barbara Distel im Auftrag des Comité International de Dachau, Brüssel – http://www.dachauer-hefte.de

In diesem Jahr kam die 25. Ausgabe der Dachauer Hefte heraus und mit ihr beenden die Herausgeber Wolfgang Benz und Barbara Distel die wichtigste Reihe der KZ-Forschung für die BRD.
Im letzten Band wird die seit nun mehreren Jahren von Gedenkstätten, Pädagogen und Historikern diskutierte Frage nach der Zukunft der Erinnerung thematisiert. Leider widmet sich nur ein Artikel dieser Debatte, und auch dieser reißt nur verschiedene Punkte an, ohne eine befriedigende Antwort zu geben. Dies liegt wahrscheinlich in der Debatte selbst begründet, aber dennoch ist es sehr gut, dass Wolfgang Benz in seinem Artikel einen positiven Blick in die Zukunft der Erinnerungsarbeit wirft, auch wenn mit dem Ableben der letzten Zeitzeugen des Holocaust ein wichtiger authentischer Zugang zum Thema fehlen wird.
Die Dachauer Hefte wurden vor 25 Jahren gegründet, um die vielen Lücken zu schließen, welche die Gedenkstätten an den Orten der Konzentrationslager auf deutschem Boden nicht schließen konnten. An den historischen Seminaren und Instituten der Universitäten spielte die Erforschung der Konzentrationslager keine große Rolle und selbst die größeren Gedenkstätten wie bspw. Sachsenhausen oder Buchenwald konnten und können kaum die gesamte Erforschung der KZ-Geschichte übernehmen. Deshalb wurden die Dachauer Hefte quasi als Begleitheft für die KZ-Gedenkstätten herausgegeben. Viele Untersuchungen, die von kleineren Initiativen und vor allem jungen Wissenschaftlern gemacht wurden, sollten so ein Medium erhalten, in dem gesammeltes Wissen einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden konnte. Gerade den zivilgesellschaftlichen Initiativen und kleineren, oft ehrenamtlichen Gedenkstätten sollte die Möglichkeit zur Vernetzung geboten werden. Gleichzeitig wurden in den Dachauer Heften immer wieder autobiographische Berichte und Zeugnisse von Überlebenden des Holocaust veröffentlicht, so dass die Heftreihe eine sehr reichhaltige Quellensammlung darstellt. Erst mit den Dachauer Heften wurden Berichte von Überlebenden überhaupt als Quellen für den wissenschaftlichen und pädagogischen Bereich anerkannt.
Die einzelnen Ausgaben haben immer wieder unverzichtbare Schwerpunkte gesetzt und damit erst bestimmte Themen in der Wissenschaft durchgesetzt und für die Öffentlichkeit interessant und erfahrbar gemacht: Themen wie kleinere und vergessene Lager, Frauen im KZ, medizinische Experimente an Häftlingen oder Zwangsarbeit in Konzentrationslagern.
Neben der Publikation von wissenschaftlichen Erkenntnissen hatten die Herausgeber immer auch einen pädagogischen Anspruch. Die Geschichte der Konzentrationslager zu erforschen, sollte bei der Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten helfen. Es sollte kein Schicksal vergessen und Opfergruppen nicht hierarchisiert werden. Erinnerung ist kein Selbstzweck, sondern dient immer auch als Bezug auf die heutige Gesellschaft, indem sie zeigt, wie demokratisch und human sie mit Menschen umgeht. Wissenschaftliche Initiativen machen sich selten die Mühe zu begründen, warum ihre Publikationen politische und moralisch wichtig sind. Die Dachauer Hefte haben ihre Motivation immer klar benannt: Erinnern, um Wiederholung zu vermeiden.
Das Ende der Heftreihe begründen die Herausgeber damit, dass in ihren Augen die Aufgabe der Serie erfüllt ist. Die Dachauer Hefte haben der KZ-Forschung den Weg geebnet, diese als Arbeitsfeld etabliert und für die wichtigsten Themen einen Raum geschaffen, in dem recht viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Platz gefunden haben, ihre Erkenntnisse zu veröffentlichen. Wirklich einleuchtend ist diese Begründung nicht, weil es nach wie vor unzählige Forschungslücken gibt, die zu erforschen es wahrscheinlich weiterer zehn Ausgaben bedurft hätte. Zu einigen kleineren Zwangsarbeiterlagern oder einigen Opfergruppen, wie z.B. den so genannten Kriminellen, existiert bisher nur sehr wenig Forschungsmaterial.
Im Verlag der Dachauer Hefte werden jedoch weiterhin Beiträge zur KZ-Forschung erscheinen und ein Buch ist quasi schon fertig geplant, nämlich der Begleitband zur Abschlusskonferenz „Die Orte des Terrors“. Dieses Projekt hat sich in neun Abschnitten der Geschichte der Konzentrationslager mit unterschiedlichen Schwerpunkten gewidmet. Ein Beitrag darüber ist auch in dieser letzten Ausgabe der Dachauer Hefte zu lesen. Die acht Seiten dicht gedrängte Aufzählung von KZ-Namen lässt einem die Dimension des Lager-Systems der Nazis schlagartig bewusst werden.

„Wenn die Zeugen schweigen“

Der einzige und bereits angesprochene Artikel, der sich dem Titelthema des Bandes widmet, ist von Wolfgang Benz, Historiker und Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, verfasst. In diesem nähert er sich in zehn Absätzen, die leider ohne Überschriften nur schwer überblickbar sind, der Problematik, dass bald keine Zeitzeugen des Holocaust mehr von ihrem Erfahren in den KZs berichten können. Dennoch reißt Benz wichtige Aspekte an, wie das potentiell konfliktreiche Verhältnis von Historikern und Zeitzeugen oder auch die bis über den Tod der Zeitzeugen hinausreichende Wichtigkeit der authentischen autobiographischen Zeugnisse.
Wolfgang Benz versucht die lange Debatte über das baldige Schweigen der Zeitzeugen zu beenden, indem er feststellt, dass es kein Problem geben wird, weil zum einen autobiographische Bücher und Filmdokumente in hinreichender Ausführung Zeugnis von dem Leid der Opfer geben und zum anderen nicht nur Zeitzeugen Träger von Wissen über den Nationalsozialismus sind.
Dennoch hebt er hervor, dass die Berichte der Überlebenden zu einer unabdingbaren Quelle für die Vermittlung von historischem Wissen über den Holocaust geworden sind, weil die Akten allein nicht das unmessbare Leid der Opfer wiedergeben und die Verbrechen an sich völlig abstrakt und unvorstellbar bleiben würden.
Leider geht Benz mehr auf die aktuellen Probleme im Umgang mit Zeitzeugen ein, als auf die Probleme die eventuell entstehen, wenn niemand mehr vor Schulklassen berichten kann, sondern nur noch Videos gezeigt und Bücher gelesen werden können.
Die vielen Hinweise auf den oft schwierigen Umgang mit Zeitzeugen heute scheint Benz zu geben, weil ein sensibler Umgang mit Dokumenten und Zeugnissen auch nach dem Tod der Opfer des NS wichtig ist. Die Opfer bleiben Individuen und damit sollte auch nach ihrem Ableben ein respektvoller Umgang geboten sein. Benz hebt bei seinen Gedanken immer wieder die wichtige und besondere Rolle der Historiker hervor, die zwar eine interpretierende Aufgabe haben, aber auch für die Individuen mit ihren erlebten Schicksalen und den damit einhergehenden Traumata Partei ergreifen sollten. Er spricht von einer Arbeitsteilung zwischen Zeitzeuge und Historiker, welche auch in Zukunft Bestand haben sollte. Der subjektive Bericht der Zeitzeugen, der das verheerende persönliche Leid deutlich machen soll, und ergänzend der Historiker, der die geschichtlichen Fakten und die Zusammenhänge bieten kann, sollen Hand in Hand arbeiten. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn sich mehr Beiträge direkt zu diesem Thema geäußert hätten und so vielleicht noch andere Einschätzungen zur „Zukunft der Erinnerung“ gegeben worden wären. Der Titel des Bandes verspricht jedenfalls mehr, als er am Ende einhält. Dennoch ist dieses Heft wie wahrscheinlich jedes andere der Reihe auch äußerst spannend für diejenigen, die sich mit der Geschichte der Lager im Nationalsozialismus auseinandersetzten.

Zu pädagogischen Vermittelbarkeit der NS-Geschichte

Zwei Artikel des besprochenen Heftes widmen sich den Grenzen und Möglichkeiten der Pädagogik bei der Vermittlung von historischem Wissen über den Nationalsozialismus. Der eine Beitrag ist von Yannis Thanassekos und heißt „Kenntnis der Vergangenheit und Kritik der Gegenwart“, der andere von Norbert Reck und ist mit „Kitsch oder Kritik“ überschrieben. Diese beiden Texte werden hier herausgehoben, weil die erzieherische Dimension, die wohl wichtigste bei der Auseinandersetzung mit dem NS ist, da die Erinnerung an und die Weitergabe der Erkenntnisse über den NS für die kommenden Generationen von entscheidender Bedeutung sind, eine solche Epoche sich nicht wiederholen zu lassen. Der Artikel von Thanassekos stellt in Frage, ob Lehrer und Lehrerinnen die richtigen Multiplikatoren für die Beschäftigung mit dem NS sind. Diese haben die staatlich verordnete Aufgabe, sind aber möglicherweise dahingehen überfordert, dass sie zum einen ein solch komplexes Thema zu sehr vereinfachen (müssen) und zum anderen die Erinnerung an den NS als Pflicht erscheinen lassen, die jedoch keinen Platz mehr für Reflektion lässt. Gerade Zeitzeugen spielen hierbei eine große Rolle, da sie die gewünschte Emotionalität mitbringen. Allerdings überfordern sie die Schüler und Schülerinnen eventuell. Nach dem langen Schweigen über den NS kam es zu einer schon „überschwänglichen, erzieherischen Begeisterung“. Das Thema Nationalsozialismus war bei vielen gesellschaftlichen Fragen der Gegenwart die passende Antwort und wurde so sehr inflationär eingesetzt. Die „Pflicht der Erinnerung“ und die „Lehren aus der Geschichte“ wurden zu fast leeren Hülsen in der Bildungsarbeit. Damit will Thanassekos nicht die Beschäftigung mit dem NS beenden, aber er mahnt zu Recht an, dass mehr Reflektion erforderlich ist und für die Pädagogik neue Konzepte gefunden werden müssen, weil die Kategorie „Nicht-Vorstellbar“ für das Ereignis Auschwitz als Dogma in der Bildungsarbeit nur wenig Sinn macht. Eine Lehre aus Auschwitz für die Gegenwart kann nur gezogen werden, wenn gerade junge Menschen zu kritischen, autonomen und empathiefähigen Individuen erzogen werden. Diese Einsicht ist keine neue – bereits in den 60er Jahren hat Theodor W. Adorno die Erziehung der Menschen zu mündigen und empathiefähigen Wesen als Notwendigkeit empfohlen, damit Auschwitz sich nicht wiederhole. Dennoch scheint es, als ob diese Forderung an die Pädagogik nicht oft genug publiziert werden kann. Thanassekos beendet seinen Artikel mit folgenden Worten: „Wenn der Umweg über Auschwitz dazu führt, eine lebendige Kritik an unserer Gesellschaft zu etablieren, dann wird vielleicht die Lektion von Auschwitz zu etwas nützlich gewesen sein.“ Natürlich kann bei der Auseinandersetzung mit dem NS auch die Gegenwart kritisch beleuchtet werden, aber so formuliert wie von Thanassekos, wird dem Holocaust im Nachhinein Sinn zugesprochen und er wird positiviert – eine unerträgliche Äusserung. Zudem bedarf eine Kritik an den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen nicht Auschwitz um legitim zu erscheinen.
Der zweite Artikel zum Themenkomplex Pädagogik schließt an den ersten an. Der Autor Norbert Reck ist selber Lehrer und bestätigt die Beobachtung, dass junge Menschen das Thema Nationalsozialismus für zu oft thematisiert halten und die Beschäftigung damit als aufoktroyiert empfinden. Reck sieht die Ursachen dafür im ritualisierten Umgang mit Erinnerung an den NS in der Öffentlichkeit. Er bezeichnet diesen Umgang als Kitsch und schließt sich damit der Einschätzung von Thanassekos an, der die Erinnerung an den NS als einen offiziellen Akt sieht, hinter dem jedoch keine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema und den Opfern mehr steht. Reck geht so weit, dass er den Erinnerungskitsch als Lüge bezeichnet, welche die Täter schützen oder ausblenden soll. Auch Reck hinterfragt, wie viel Nutzen es hat, sich bei der Auseinandersetzung mit dem NS hinter Wörtern wie „unvorstellbar“ oder „unaussprechlich“ zu verschanzen. So zutreffend diese Wörter für eine Beschreibung des NS auch sind, auf dem pädagogischen Bereich verhindern sie eine Annäherung an das Thema und leisten damit einen Beitrag zur Verdrängung des Themas. Der Autor geht jedoch dennoch davon aus, dass junge Menschen durchaus ein großes Interesse haben sich Geschichte anzueignen, aber nur wenn sie dies eigenständig tun können und es nicht zu einem Unterwerfungsakt unter die Spielregeln der öffentlichen Gedenkkultur verkommt.

Nie wieder!

Ein weiterer Artikel im letzten Band der Dachauer Hefte ist von Harald Schmidt, der sich mit dem Postulat „Nie Wieder!“ beschäftigt. Er zeigt die unterschiedlichen Verwendungsweisen dieser Parole in der BRD auf und deutet damit die Inhaltsleere dergleichen an. Es ist wirklich sehr aufschlussreich, wer alles mit welcher Bedeutung diese Parole verwendet – von der NPD über Israel bis zu linksradikalen Gruppen in Bezug auf Krieg. Zudem zeigt er an diesem „Nie wieder!“ die Geschichte der Auseinandersetzung mit dem NS auf, da dieses Postulat eng an die Verbrechen des NS gekoppelt ist. Schmidt geht in seinem Beitrag auf das Ende der Zeitzeugen-Kultur, auf die Medialisierung und Kommerzialisierung der NS-Erinnerung oder auch auf die „Doppelte Vergangenheitsbewältigung“ von DDR und NS ein. Der Text gibt einen sehr guten Überblick über die Entwicklung der Erinnerungskultur in der BRD vom „Nie wieder!“ zum „Niemals vergessen!“.
Obwohl dies das letzte Dachauer Heft ist, haben die Herausgeber keine besondere Ausgabe im Sinne einer Abschlussausgabe erstellt. So findet der/die Leser/Leserin einen Artikel über die Erinnerung an den Todesmarsch aus dem KZ Flossenbürg, einen Text über die Besichtigungen des Roten Kreuzes von KZs oder einen Briefe der Holocaust-Überlebenden Anna Krasnoperko. Und dies ist wahrscheinlich auch einer der größten Verdienste der Dachauer Hefte, sie haben immer die Erinnerungen von Zeitzeugen und neue Forschungserkenntnisse in den Vordergrund gestellt. Nur ein Artikel zieht ein Fazit unter die letzten 25 Jahre und Bände. Darüber hinaus sind einige Leserbriefe abgedruckt, welche unterstreichen, dass die Veröffentlichungen von Überlebensberichten zu einer wichtigen Wende in der Bewertung dieser Quellen geführt haben. Am Ende befindet sich noch ein Register aller Artikel und Autoren, die in den Dachauer Heften veröffentlicht wurden und haben. Dieses kann sehr gut als Einstieg in viele Themen der KZ-Geschichte genutzt werden.

AK Margarete Blank

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Der Arbeitskreis Margarete Blank engagiert sich für den Erhalt der „Dr. Margarete Blank Gedenkstätte“ in Leipzig-Panitzsch und ist über einen gemeinsamen Verein mit der „Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig“ verbunden. Darüber hinaus hat der AK sich die Erinnerung an die historischen Ereignisse zur Aufgabe gemacht und will diese an die kommenden Generationen weitergeben. (http://margarete-blank-gedenkstaette.de)

22.01.2010
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