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Geht national auch normal?
The Casualties, Pestpocken, Starts
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Saint Vitus
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Loud, fast'n'noisy! Vol. 5
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Erich Mühsam - kein Lampenputzer
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• review-corner buch: Wenn es darauf ankommt
• kulturreport: Die Schönheit setzt sich der Revolution nicht entgegen
• ABC: D wie Die Dialektik der Aufklärung
Zwischen Skylla und Charybdis
• doku: Gespensterjagd
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• das letzte: „Konkret“ inkonkret

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Die Schönheit setzt sich der Revolution nicht entgegen

Über Luigi Nonos „Unter der großen Sonne von Liebe beladen“
an der Oper Leipzig

Luigi Nonos' Musiktheater Al gran sole carico d'amore (Unter der großen Sonne von Liebe beladen) nennt sich bewusst nicht Oper, sondern szenische Aktion. Das Thema der Revolutionen wird nämlich weder in einen Handlungszusammenhang eingebettet, noch verfällt das Werk zum musikalisch untermalten und chronologisch aufgearbeiteten Geschichtsunterricht. Das Libretto besteht vielmehr aus einer zunächst verwirrenden Aneinanderreihung historischer oder literarischer Zitate: Marx und Lenin kommen ebenso zu Wort wie Brecht oder Pavese. Also langweilig-gestriges längst archiviertes, weil totes Gerede über den Kommunismus?
In der Tat hört man beim Aufgehen des Vorhanges ein nicht identifizierbares Rauschen vom Tonband, vereinzelte Stimmen verhallen und auf der Bühne steigt nach kurzer Zeit der Chor aus Holzsärgen, bäumt sich auf, muss aber vorerst kraftlos wieder zurücksinken. Die zwei Mädchen in ihren Betten, welche das Plexiglashaus im Vordergrund der Bühne bewohnen, haben jedoch ihren Spaß, verehren die Popikone Che Guevara und toben wild und lebendig über die Bühne: sie spielen Revolution und da gefällt ihnen das Schießen natürlich am besten. Jedoch wird der Spaß unterbrochen durch die klagenden Laute einer Frau in soldatischen Kleidern, die Texte von Tanja Bunke, welche mit Che Guevara in Bolivien kämpfte, singt. Die Teddybären werden verbrannt und die Mädchen bewaffnet. Vier weiblichen Solostimmen legt Nono die meisten Zitate in den Mund, denn von den Revolutionen wird hier zumeist aus weiblicher Perspektive erzählt und diese erschließt sich dem Zuschauer in wirklich neuer Weise, scheinen doch die Überväter Marx und Co. die Stimmen der Frauen in den meisten Fällen übertönt zu haben. Wer spricht schon von Tanja Bunke, wer von Louise Michel, wer liest heute Gorkis Mutter oder die Brechtsche Bühnenversion? In Nonos' Oper stehen sie im Zentrum, die Frauen, aber nicht als Figuren; sie sind vielmehr Ideengeber für ein Aufbegehren gegen doppelte Unterdrückung, durch die allgemeinen Repressions- und Unterdrückungsorgane, aber auch durch die Übermacht der männlichen Revolutionsführer, personifiziert zum Beispiel im Chorführer Lenin. Werden nun trotzdem Klischees bedient? Wird diese weibliche Seite der Revolution spezifisch weiblich dargestellt? Schaut mal her hier: das schwache Geschlecht probt den Aufstand? Nein, was erklingt ist die Hoffnung („Für dieses weite und hilfsbereite Herz – trunken von Solidarität – ist die einzig atembare Luft die Menschenliebe.“), die Wut („Wenn sie mich am Leben lassen, werde ich nicht aufhören, nach Vergeltung zu schreien…“), auch die revolutionäre Rhetorik („Moncada war die Mutter der Revolution.“). Gleichzeitig reiht sich die oder der Einzelne in der Gemeinschaft ein. So nimmt der Chor den Gesang der Solostimmen immer auch auf, mitunter schwillt er zu beängstigendem, aber auch mitreißendem Gesang an. Die Oper konzentriert sich auf die Frauengestalten, aber sie zeigt sie meistens im Kollektiv, parallel dazu erscheinen auch in der Partitur Zitate von Kampfliedern, italienischen Arbeiterliedern oder der kubanischen Nationalhymne – Prozesse der Identifikation mit revolutionären Ideen. Dabei bleibt Nonos' Musik immer klar, das Orchester wird sparsam, zuweilen aber unerbittlich eingesetzt: die Übergänge von dem marschmäßen Aufruf des Schlagzeugs zum Aufstand zu dessen brutaler Niederschlagung sind fließend. Im zweiten Teil verdichtet sich das Werk erst zu seiner wahren Größe und auch auf der Bühne findet Regisseur Peter Konwitschny, nachdem der erste Teil ab und zu etwas auf der Stelle trat und die Bilder nicht immer zwingend gerieten (die Frauen der Pariser Commune sahen bei ihrem Kaffeekränzchen noch ein bisschen unbedarft aus), zu einer bezwingenden Einheit zwischen Szene und Musik: Zunächst ein Bild privater Sehnsucht nach Zärtlichkeit mit den poetischen Texten Cesare Paveses. Doch die hohen Spitzentöne von Tanja Andrij, die man zunächst für Lustjauchzer halten kann, fahren einem ins Mark und verwandeln sich zu Schmerzens- oder Entsetzensschreien. In dieser Szene wird auch eine der wenigen mehr oder weniger individuellen Figuren etabliert: die Mutter nach Gorki/Brecht, hinreißend gespielt und gesungen von Iris Vermillion. Die Sorge, wie sie ihren Sohn ernähren soll, macht sie unter großen Kämpfen zur Revolutionärin, die sich an der Seite ihres Sohnes in die Menge einreiht und an einem Aufstand (stellvertretend für die russischen Revolutionen oder die Turiner Arbeiteraufstände) teilnimmt. Dabei muss sie mit ansehen, wie ihr Sohn erschossen wird. Eingezwängt werden diese Aktionen in die sogenannte Repressionsmaschine, die viermal in Nonos Partitur als brutale und unerbittliche Attacke des Orchesters notiert ist. Konwitschny und sein Ausstatter Helmut Brade verkleinern den Bühnenraum immer mehr, die zwei hohen grauen Wände rücken immer näher, zwängen die Menschen auf der Bühne ein, unterdrücken zunächst jegliches Aufbegehren, und erdrücken dann auch alle Lebenden. Der Vorhang fällt, nur noch eine Türe bleibt offen und wieder hört man aus der Ferne Frauenstimmen. Nono war überzeugter Kommunist. Der letze Satz des Librettos lautet: „Also kämpfen wir!“ 1975, zur Uraufführung in Mailand, muss er das als Aufruf verstanden haben. In Leipzig sind nun die Stimmen der Vergangenheit zu uns gedrungen. Die zeitliche Distanz hat auch ironische Kommentare einfließen lassen: die Thesen von Marx sind uns von einer Märchenfee didaktisch näher gebracht worden. Doch jetzt lässt Konwitschny die Tür unerbittlich zufallen. Keine Hoffnung? Die allgemeine Niederlage? „Die Schönheit setzt sich der Revolution nicht entgegen.“ Der Schrei des Soprans als Wunsch nach Ausbruch, Veränderung, nach lebenswertem Leben; neben aller Brutalität gewinnt die Musik dabei eine ungemein berührende Kraft. Dieser Schrei erreicht auch heute noch seine Hörer. Deshalb hat man es hier mit einem der Höhepunkte der Opernliteratur des 20. Jahrhunderts zu tun, in einer Reihe mit Bergs Wozzeck, Reimanns Lear oder Zimmermanns Soldaten. Die letzte Vorstellung fand am 19. Dezember statt.

Alexander Ring

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21.12.2009
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