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Zu Herzzeit. Ingeborg Bachmann Paul Celan. Der Briefwechsel. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2008.
Was ist zu erwarten, wenn sich eine Dichterin und ein Dichter Liebesbriefe
schreiben? Mit dieser vom Titel Herzzeit evozierten Frage mag man
zunächst an den seit einiger Zeit im Suhrkamp Verlag vorliegenden
Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan herantreten. Doch wer
erwartet, von briefförmiger Liebeslyrik erbaut zu werden, der irrt
und wird sich zunächst darüber klar werden müssen wer sich hier
und zu welcher Zeit schreibt. Es sind zwei der bedeutendsten
deutschsprachigen Dichter nach 1945, die bei gemeinsamer Sprache doch kaum aus
unterschiedlicherem Hintergrund hervortreten könnten. Paul Celan
überlebte als Jude aus der Bukowina ein rumänisches Arbeitslager und
die Shoah. Die etwas jüngere Ingeborg Bachmann wuchs in einer Familie
strammer Nazis in der österreichischen Provinz auf. Beide korrespondierten
miteinander zwischen 1948 und 1967 und die Qualität der Briefe
deckt ein weites Spektrum ab, das sich analog zum Verlauf des
Verhältnisses der Beiden von passionierten Liebesbriefen bis zu
unterkühlt-sachlichen Informations- und Buchaustausch erstreckt. So
dokumentiert der Briefwechsel die Beziehung zweier Menschen, die sich stets im
Rahmen einer emotionalen Aufgeladenheit abspielt, die häufig in wenigen
Zeilen und wie so oft bei Briefen mehr noch in den Zwischenräumen
derselben ihren Ausdruck findet. Die Liebesbeziehung der Beiden
scheiterte dabei genauso wie der Versuch, das Verhältnis in eine solide
Freundschaft zu verwandeln, in der gegenseitige Verletzungen ausbleiben. Recht
abrupt brach die Korrespondenz im Jahre 1961 ab (danach gibt es nur noch
vereinzelte erhaltene Briefe), als die Eindrücke der nicht enden wollenden
Wirrungen um die Plagiatsvorwürfe der Witwe des französischen
Dichters Yvan Goll begannen, sich bei Celan zu schwerwiegender psychischer
Krankheit zu verdichten.
Aber und das macht den besonderen Wert des Bandes aus hier
schreiben sich auch eine Dichterin und ein Dichter, die sich der
Herausforderung, nach Auschwitz Lyrik zu schreiben gestellt haben im
vollsten und wachen Bewusstsein der schieren Unmöglichkeit, des
permanenten Scheiterns dieses Unterfangens. Damit bewegen sie sich im
Spannungsfeld einer Aporie, die dem berühmten und zumeist missverstanden
Diktum Adornos, nach Auschwitz Gedichte zu schreiben sei barbarisch, innewohnt:
Als Dichter nach Auschwitz vor dem Grauen zu verstummen, und doch trotzdem und
gerade deshalb schreiben zu müssen, denn das Übermaß an
Leiden duldet kein Vergessen (Adorno). Beide kämpfen sie folglich stetig
mit der Angst vor dem Verstummen ein Topos der sich wie in den Briefen
so auch vielfach reflektiert in der Lyrik Celans wiederfindet, die das Versagen
der Sprache im Angesicht des Unsagbaren in Gedichten wie ...RAUSCHT DER
BRUNNEN beschwört: Ihr gebet-, ihr lästerungs-, ihr /
gebetscharfen Messer / meines / Schweigens. // Ihr meine mit mir ver- /
krüppelnden Worte, ihr / meine geraden.
So sticht zwischen abgesandten und nicht abgesandten Briefen, solchen von
unmittelbarer und welcher ohne jede Antwort, vor allem das Schweigen heraus.
Die vom Verstummen über Verletzungen gezeichnete persönliche Ebene
der Beziehung verquickt sich hier mit der Skepsis gegenüber der Sprache
der Täter von Auschwitz, dem Bewusstsein auf eine Sprache
zurückgeworfen zu sein in die ich kein Vertrauen mehr habe, in der
ich mich nicht mehr ausdrücken will. (Bachmann) Und doch bleibt diese
Sprache zugleich der einzige Zufluchtsort und das Einzige, in dem der
staatenlose Holocaust-Überlebende Celan, dem Freunde und Familie von den
Nazis weggemordet wurden, so etwas wie Heimat finden kann. Diese
paradoxe Konstellation aus radikalem Zweifel und unbedingtem Festhalten an
Sprache muss selbst zum poetologischen Programm erhoben werden, um Lyrik nach
Auschwitz, die sich der Tatsache des Zivilisationsbruchs (Dan Diner)
nicht entzieht, überhaupt möglich zu machen. Sie muss fortan, wie
Celan an anderem Ort formulierte, eine nüchternere grauere Sprache
sprechen, die dem Schönen misstraut und deren
Musikalität fernab von einem Wohlklang zu suchen ist, der
neben dem Furchtbarsten obszön misstönt, während er einer
unrettbar verlorenen Tradition nachhängt.
Zunächst lässt sich diese Konstellation als eine dem Denken und
Schreiben von Bachmann und Celan gemeinsame erkennen. Und doch werden gerade
von diesem Punkt aus Differenzen sichtbar und damit eine
unterströmige Tendenz, die den ganzen Briefwechsel durchzieht. In all den
Verletzungen und Enttäuschungen wird fast immer mehr offenbar als
verletzte Gefühle von (ehemals) Liebenden. Es ist immer auch die
Auseinandersetzung des überlebenden Juden und der Tochter eines Nazis, die
eine persönliche Ebene imprägniert, sich mit dieser bis zur
Unkenntlichkeit verschränkt. Damit erhalten die Verletzungen eine ganz
andere Virulenz auf beiden Seiten. Celan bezweifelt stets die Solidarität
Bachmanns mit ihm, der sich noch immer und immer wieder neu in der Rolle des
Außenseiters, des Anderen (und oft auch ganz deutlich: des Juden)
im deutschsprachigen Literaturbetrieb der Nachkriegszeit wieder findet.
Bisweilen gewinnt sein Misstrauen dabei paranoide Züge ein
Verhalten, das er mit anderen der Shoah Entronnenen teilt. Das belegt z. B.
eindrucksvoll Celans Briefwechsel mit Nelly Sachs, die unter Ähnlichem
litt und mit der ihn damit eint, was ihn zugleich von Bachmann trennt.
Bachmann reagiert auf dieses Misstrauen wiederum besonders echauffiert,
versteht sie sich doch als Celans bedingungslose Fürsprecherin im ihr zwar
selbst verhassten deutschen Kulturbetrieb, zu dem sie aber zugleich ein weitaus
unproblematischeres Verhältnis unterhalten kann. Tatsächlich blieb
Ingeborg Bachmann zeitlebens eine solidarische Fürsprecherin des
Celanschen Werks: Noch 1967 trennte sie sich vom Piper Verlag, weil dieser den
Nazi-Dichter Hans Baumann für einen Achmatova-Übersetzungsauftrag
Paul Celan vorgezogen hatte. Und doch bei aller Empathie gelang es
Bachmann nicht immer, den Antisemitismus und die Perfidie, die Celan aus dem
deutschen Kulturbetrieb ungebrochen entgegenschlugen, in ihrem ganzen
Ausmaß zu erkennen. Besonders deutlich wird das, als der
Literaturkritiker Günter Blöcker im Oktober 1959 im Tagesspiegel eine
Rezension zu Celans Sprachgitter schreibt. Celan ist zu Recht
entrüstet über das antisemitelnde Machwerk, das mit der ganzen
Spanne von subtil verpacktem Ressentiment auffährt: Es sind die Zeit
seines Lebens wiederkehrenden Vorwürfe, Celans Lyrik sei
wirklichkeitsfremd, zu abstrakt, reine Sprachkombinatorik ohne tieferen
Sinn, von Mangel an dinghafter Sinnlichkeit geprägt und damit kalt,
oberflächlich, rational und leer alles Topoi, die zutiefst im
modernen Antisemitismus verwurzelt sind. Aber Blöcker kleidet seinen
Antisemitismus nicht einmal an allen Stellen ins Gewand ästhetischer
Kritik: Celan, der eine größere Freiheit der deutschen Sprache
gegenüber habe, sei weniger von deren Kommunikationscharakter
belastet als andere dichtende (lies: deutsche) Kollegen:
Das mag an seiner Herkunft liegen. Die neutralisierende Rede von der
Herkunft ist symptomatisch für die von solchen rhetorischen
Latenzen durchsetzte Sprache der deutschen Nachkriegszeit, die stets anspricht,
was sie nicht mehr aussprechen darf gemeint ist hier freilich immer noch
der Jude.
Wie aber reagiert Bachmann darauf, die der entsetzte Celan um Beistand in der
Angelegenheit bittet? Sie fragt sich zunächst immerhin ob
Antisemitismus der Grund für Blöckers Verriss sei aber
schweigt dann einmal mehr. Richtiggehend zynisch liest sich ein Brief von Max
Frisch, der zu diesem Zeitpunkt mit Bachmann zusammenlebte und dessen kurzer
Briefwechsel mit Celan dem vorliegenden Band ebenso beigefügt ist wie der
überraschend herzliche zwischen Bachmann und Celans Ehefrau Gisèle
Celan-Lestrange. Auf Celans empörte Zusendung der Blöcker-Rezension,
die er mit Hitlerei, Hitlerei, Hitlerei. Die Schirmmützen.
überschreibt, reagiert Frisch distanziert. Er nimmt Celans Betroffenheit
offensichtlich nicht ernst und entwertet tendenziell den Vorwurf des
Antisemitismus. Dafür fabuliert er ausgiebig über
Selbstgerechtigkeit und warnt im Bezug auf ein brillantes
Antwortschreiben, das Celan schließlich selbst an die Redaktion des
Tagesspiegels richtete, vor falscher Eitelkeit und gekränktem
Ehrgeiz des Dichters seinem Rezensenten gegenüber. Die von Celan gegen
Blöckers Vorwurf der mangelnden Sachhaltigkeit seiner Lyrik in Stellung
gebrachte Anrufung von Auschwitz und anderen Vernichtungslagern, so
Frisch, sei unerlaubt und ungeheuer, wäre auch nur ein Funke
besagter Sentimente in Celans Zorn enthalten. Damit verhält Frisch sich
nicht nur ignorant gegenüber der Offensichtlichkeit des Blöckerschen
Antisemitismus, sondern sein Verhalten erfüllt selbst den Tatbestand eines
sekundären Antisemitismus, der den Juden vorwirft, immer über das
sprechen zu müssen, worüber zu schweigen sich alle Anderen
stillschweigend geeinigt haben. So reiht er sich ein in die Riege der
zeitgenössischen deutschsprachigen Literaten, die Celan zwar durchaus
wahrnahmen und ihn auch einmal bei einer Tagung ihrer Gruppe 47
teilnehmen ließen ihm aber eigentlich mit dem selben Gestus und
ähnlichen Argumenten wie Blöcker überdeutlich signalisierten,
eben nicht einer von ihnen sein zu können. Tatsächlich bedeutete die
Konfrontation mit Celan, der nie bereit war sich auf zweifelhafte
Schweigeabkommen über Schuld und Verstrickung einzulassen, wie sie gerade
den Kreis der Gruppe 47 zunächst charakterisierten, für die
Bölls, Anderschs und all die anderen patentierten Antinazis die
sich in ihrer fragwürdigen seinerzeitigen Unbescholtenheit aufs
bequemste und einträglichste (Celan) eingerichtet hatten, eine Bedrohung
eben dieses Konsens'.
Selbst noch im Nachwort der HerausgeberInnen des mit ausführlichem
Anmerkungsapparat versehenen und präzise editierten Bands ist in Bezug auf
die Blöcker Rezension lediglich von der als antisemitisch
empfundenen Sprachgitter-Rezension verharmlosend die Rede. Dabei wird
gerade aus der Perspektive der historischen Distanz deutlich, wie allein Paul
Celan als unmittelbar Betroffener in der Lage war, sofort zu einer
illusionsfreien und richtigen Einzuschätzung zu gelangen. In einem
Notschrei, der die tiefe Enttäuschung über das fehlende
Engagement Bachmanns, Frischs und der Mitglieder der Gruppe 47 in der
Blöcker-Affäre bezeugt, droht er Bachmann mit dem Bruch. Es ist die
Enttäuschung über die ausbleibende Reaktion von der einen (geliebten)
Person, bei der sich Celan verstanden gefühlt hatte: Du weißt
nein, Du wusstest (...) das die Todesfuge auch dies ist für
mich: eine Grabschrift und ein Grab. (...) Auch meine Mutter hat nur dieses
Grab. (Blöcker hatte sich auch abfällig über die
vielgerühmte Todesfuge geäußert und wurde für Celan
damit zum Grabschänder.)
Zum endgültigen Bruch kam es damit nicht. Bachmann, durch die aus der
Affäre resultierenden Spannungen tatsächlich in Verzweiflung
gestürzt, und Celan bewegten sich weiter in wechselnden Richtungen
aufeinander zu und voneinander weg. In wie fern ihre Leben damit
tatsächlich etwas Exemplarisches hatten, wie in einem Brief von
Bachmann einmal evoziert wird, bleibt eine offene Frage. Jedenfalls schrieben
sich hier zwei Menschen im Schatten historisch fürchterlich bewegter Zeit,
deren weiterwirkende Konflikte sich untrennbar mit ihrer Beziehung
verschlangen. An diesem sich so nahe und zugleich so fern Sein fanden damit
immer wieder auch die persönlichen Vermögen der beiden Schreibenden
ihre Grenzen. Die äußerste war schließlich doch das Verstummen
bedingt durch das letztendliche Überhandnehmen des Leidens, das
beide in schwere psychische Krisen stürzte und schließlich zu
Celans Selbstmord in der Seine im Jahre 1970 führte.
Und doch gilt sicher auch Heute noch für so manche Bibliothek, was Celan
einmal an Bachmann schrieb, um innere wie äußere Distanzen zu
überbrücken: Unsere Bücher stehen nebeneinander. Zwischen
die Werke von Ingeborg Bachmann und Paul Celan lässt sich dort nun ein
bewegendes Buch als gedruckte Manifestation der fernen Nähe zwischen
Beiden stellen.
Sebastien Surleau