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Streitbare Positionen sind bekanntlich die besten, weil über sie zu reden
ist. Zugleich setzt man sich damit der Gefahr aus, missverstanden zu werden.
Was allerdings im Text 20 Jahre antideutsch-antifaschistischer
Widerstandskampf zu lesen war, ist weniger als streitbar einzuordnen. Vielmehr
schillert der Text zwischen billiger Polemik und einem Bewerbungsschreiben
für die FDP. Bitter ist dies deshalb, weil der gesamte Text auf
Unterstellungen und bewusst eingebauten Missverständnissen basiert. Und es
macht den Eindruck, dass hier der Argwohn regiert hat. Zufall oder gar
Unkenntnis ist zumindest unwahrscheinlich.
Im Einzelnen: Wenn der Autor zu Beginn des Textes die Vorzüge
bürgerlicher Freiheit aufzählt und u.a. seine eigene Studiendauer als
Argument in Anschlag bringt, bleiben zwei Tatsachen unerwähnt. Erstens:
geschenkt. Niemand würde diesen Vorzügen der bundesdeutschen
Demokratie widersprechen, auch nicht die Organisatoren der Kampagne Still
not lovin` germany. Zweitens: Die erwähnten Vorzüge, beispielsweise
das lange Studium, das ungeregelte Arbeitsleben usw. gelten nicht
für alle. Die Scheuklappen bildungsbürgerlicher Privilegien haben
beim Autor offenbar jeden Blick für die Realität verstellt. Die
erwähnten Vorzüge gelten nur für jene, die das entsprechende
kulturelle und finanzielle Kapital mitbringen. Sie abzufeiern, bedeutet also
nichts weiter, als die eigene privilegierte Position zu verteidigen und jede
gesellschaftskritische Position, die geradezu danach verlangt, nicht nur die
eigene Haustür und das eigene Konto zu betrachten, im gleichen Moment
über Bord zu werfen.
Das bereits erwähnte geschenkt greift auch für den folgenden
Teil des Textes. Nach meiner Beobachtung einiger Veranstaltungen bestreitet
keine der dem AK 09 angehörenden Gruppen, dass es mit der DDR nicht weit
her und nach ihr zu rufen glatter Unsinn ist. Weil dem Autor mit dem Aufruf
oder sonstigen Schriften keine zählbaren Textpassagen zur Hand waren,
musste er alte Register ziehen und die beiden Schwarzbücher benennen, die
aber auch nichts mit der Kampagne zu tun haben. Dann wird gleich noch zusammen
mit dem AK 09 INEX verhaftet, die ja sorglos die Totalitarismustheorie
anfeindet. Es gibt einen unübersehbaren Unterschied zwischen einem
zeitgenössischen Extremismusbegriff, der auf spezifische (und zugleich
billige) Weise Ordnung ins politische Chaos bringt und einem Werkzeug zur
historischen Analyse, wie es der Totalitarismusbegriff (präzise
angewendet) darstellt. Hier riecht es sowohl nach Unkenntnis als auch nach
fataler Sippenhaft. Übrigens: Wann Radikale Linke an der Macht
gewesen sein sollen, bleibt des Autors Geheimnis. Die DDR-Staatsregierung so zu
bezeichnen und damit anzudeuten, heutige Linke kämen aus dem gleichen
Stall, ist grob fahrlässig und historisch rundum blödsinnig. Was hat
Erich Honnecker, die alte vaterlandstreue Dachlatte, mit einem mithin
antideutschen, radikalen Linken im Jahr 2009 zu tun?
Es kommt noch dicker. Fraglos ist die BRD nicht mehr jene volksdeutsche
Gemeinschaft, als die sie einst an den Start gegangen zu sein glaubte. Niemand
bezweifelt das, und niemand ist traurig darüber. Von dieser Einsicht aus
allerdings, die Kritik an den deutschen Zuständen, an Ausgrenzung,
Abschiebung, Benachteiligung usw. fallen zu lassen und gar wild
psychologisierend zu unterstellen, dass wir doch alle insgeheim froh
über die EU-Außengrenzen sind, ist eine fatale und ungeahnt
herablassende bzw. selbstgerechte Position. Sicher, aus dem gemachten
bildungsbürgerlichen Nest mag dies alles genau so aussehen, es sagt
schließlich mehr über den Autor selbst aus, als über
angenommene linke Zustände. (Nebenbei: Solche Argumentationen im Sinne
eines Eigentlichen, dass man nur nicht zuzugeben sich traut, sind
altbekannte Schleifen, die immer dann kommen (müssen), wenn die eigene
Position einem unheimlich wird und man sich damit im eigenen sozialen Milieu
einsam fühlt...)
Ist es nicht gerade die Stärke einer linken Position über die eigene,
konsumgesättigte Perspektive hinaus zu gehen? Freilich geht es den meisten
Linken sozial und finanziell relativ gut. Man muss hier noch nicht einmal die
Geste für die Ausgebeuteten in aller Welt bemühen (so berechtigt sie
sei), vielmehr reicht ein Blick auf die nächstbeste Förderschule
beispielsweise, um zu erkennen, dass es nicht alle Menschen so leicht haben,
wie der Autor selbst und dass es deshalb auch nicht an der Zeit ist, die
Zustände in der BRD zu feiern.
Wenn der Text dann auf die historische Urteilskraft zu sprechen kommt,
haben die nunmehr ideologischen Scheuklappen dem Autor die Sicht offenbar
vollständig genommen. Dass AntirassistInnen von 9/11 düpiert
wurden, wie eine Fußballerin von einem Beinschuss düpiert wird, ist
ein mindestens bizarres Argument. Es soll wohl andeuten, dass viele Linke die
Welt und ihre Problemlagen falsch interpretiert hatten und es bis heute nicht
merken. Wenn man sich unbesehen auf die massenmediale Repräsentation der
Welt und ihrer Krisenherde einlässt, mag es so aussehen, als sei
der islamische Terrorismus die Gefahr schlechthin. Es wäre
müßig, Gegenargumente aufzubauen. Es gibt deren zu viele...
Eine letzte Anmerkung: Der Autor beklagt zurecht, dass die Linke ein Problem
hat, ihre Position zu finden. Sie wird zerrieben zwischen den Ideologien des
Westens und der historisch gesehen untragbaren Alternative des ehemaligen
Ostens. Soweit so gut. Aber wenn dann den durchaus streitbaren Antonio Negri
und Michael Hardt in den Mund gelegt wird, sie würden die Gemeinschaft
verherrlichen und alles zerschmettern wollen, was sich dieser
nicht fügt, wird es dreist und Entschuldigung billig. Es
stimmt zwar, das die beiden zu einfach Freund und Feind unterscheiden, die
Gemeinschaft retten wollen sie deshalb noch nicht. Das Argument geht an Hardt
und Negri etwa soweit vorbei, wie die Behauptung, Westerwelle wäre ein
ausgemachter Sozialist. (Als kleine Hilfestellung: Mulititude heißt etwa
Vielheit und ist durchaus mit Bedacht gewählt.) Zugleich sind die beiden
postmarxistischen Autoren die perfekten Pappkameraden, das ideale Beispiel
für die ach so schlimme Postmoderne, die außer Schaum nichts
produziert. Vielleicht ist es an der Zeit, sich den ideologischen Schaum vor
dem Mund abzuwischen und sich neben den Klassikern auch Texte jüngeren
Datums anzuschauen. Formulierungen wie postmoderner Begriffsschaum
gehören zum Topos der Sandkastenspiele, getreu dem Motto: Du hast meine
Burg kaputt gemacht, dann mach ich deine kaputt. Es sind Worthülsen, die
mehr von einer identitären Suche nach einer intellektuellen Heimat zeugen.
Diese Schulendebatten (die Freudomarxisten gegen die Postmodernen gegen die...)
sind im Übrigen ein Phänomen des akademischen Mittelbaus, der um
Pfründe kämpft. Die jeweils zugeordneten Autoren und Autorinnen geben
dafür nur sehr bedingt Anlass, dafür waren sie meistens zu schlau.
Schließlich: Was ist eigentlich das Gegenteil von Begriffsschaum?
Wahrheiten? Essenzen? Es wäre, um dies abzuschließen, an der Zeit,
genau dieses bornierte Schulendenken aufzugeben (und neben Marx und Adorno auch
andere, böse, postmoderne Texte zu lesen) nicht nur, um den
eigenen Horizont ein wenig zu lüften...
Dr. Benwey