Vereint im deutschen Geist der dialogbereiten Toleranz
Das Lippenbekenntnis Guido Westerwelles und der FDP zu freiheitlichen Werten
Vier Jahre nach der ersten Bundeskanzlerin versetzt jetzt die Möglichkeit,
es könnte ein bekennender Homosexueller Außenminister werden,
viele Deutsche in Aufregung. Bereits im Mai wurde vom Stern dazu eine
Umfrage in Auftrag gegeben, welche zu dem Ergebnis kam, dass die Mehrheit
der Deutschen [...] dem FDP-Parteichef Guido Westerwelle nicht zu[traue], das
Außenministerium zu führen. Wenn man sich die Internetforen zu
diesem Thema ansieht, drängen sich Zweifel an der im Stern
behaupteten Selbstverständlichkeit auf, mit der angeblich
männlichen schwulen Politikern in Deutschland begegnet werde. Denn gerade
die Bekundungen aller, die beteuern, dass sie überhaupt kein Problem mit
den sexuellen Vorlieben beispielsweise eines Guido Westerwelles hätten,
sind ein untrügliches Zeichen dafür, wie wenig von einer
Selbstverständlichkeit geredet werden kann. Ganz zu schweigen von denen,
die nach ihrem obligatorischen Mir ist ja egal ob der Westerwelle schwul
ist... notwendig das lange aber folgen lassen.
Dabei kann man den Bundesvorsitzenden der FDP ganz unabhängig von seiner
sexuellen Orientierung unmöglich finden. Als jüngstes Beispiel bietet
sich sicherlich die Pressekonferenz nach der Bundestagswahl an, auf welcher er
eine Borniertheit an den Tag legte, die ihn zum Ehrenmitglied des Vereins zur
Erhaltung der deutschen Sprache machen könnte. Dort nötigte er einen
BBC-Journalisten, dessen an den FDP-Politiker gerichtete Frage auf Deutsch zu
stellen und begründete das u.a. mit den Worten [...] es ist
Deutschland hier, welche ihm wiederum die Mitgliedschaft kosten könnten.
Daran, dass ihm und der FDP Deutschland am Herzen liegt, ließ auch der
Wahlkampfslogan Deutschland kann es besser keinen Zweifel. Während
er nach den Wahlen, zum Beispiel auf jener Pressekonferenz, sich bezüglich
seiner Ambitionen, die Stelle des Außenministers zu bekleiden, bedeckt
hielt, gab er sich in einem Interview mit dem
Stern Ende des letzten
Jahres in vielerlei Hinsicht weniger zurückhaltend. Eine der Sachen, die
Deutschland aus seiner Sicht besser kann, ist, mit Westerwelles Privatleben
kein Problem zu haben. Von diesem Umstand sollten andere seiner Meinung nach
lernen, wie er unumwunden zugibt: Es würde unserer
Außenpolitik übrigens gut anstehen, wenn sie diesen Geist der
deutschen Toleranz in andere Länder tragen würde.
Geister wider dem Gesichtsverlust
Doch hier läuft er einem bösen Missverständnis auf. Die
Toleranz, von der er spricht, kann niemals eine deutsche, sondern nur eine
universalistische sein. Die deutsche Toleranz hingegen ist jene, welche nicht
zuletzt gegen Westerwelle selber in Anschlag gebracht wird, wie es sich in
einem Leserinnenbrief an eine Tageszeitung formvollendet zeigt. In diesem hofft
die Verfasserin, erfüllt von rührender Rücksicht gegenüber
allen anderen Kulturen, inständig, Angela Merkel möge Guido
Westerwelle die Stelle des Außenministers verwehren: Ein
Außenminister, der eine gleichgeschlechtliche Neigung pflegt, dürfte
im islamischen, afrikanischen und asiatischen Raum unerwünscht sein. Es
ist teilweise mit der Todesstrafe in diesen Ländern bei
gleichgeschlechtlicher Liebe zu rechnen. Die Autorin dieser Sätze hat es
sicherlich gut gemeint. Sorgt sie sich bestimmt vor allem um die
körperliche Unversehrtheit Guido Westerwelles. Es überrascht hierbei
lediglich, dass ausgerechnet Angela Merkel als Adressatin für diese Bitte
gewählt wurde; mag in einigen Ländern eine weibliche Politikerin doch
ebenso unvorstellbar sein und sich unverschleiert gleichwohl großen
Gefahren aussetzen. In einem Blog wird besagter Brief folgendermaßen
kommentiert: Auch auf die Gefahr hin, dass das jetzt vollkommen falsch
interpretiert wird: einen ähnlichen Gedanken habe ich noch am Wahlabend
auch gehabt. Mir persönlich ist seine Ausrichtung völlig wurscht,
aber in nicht wenigen Ländern denkt man eben völlig anders
darüber. Wie soll man diese unschuldigen Zeilen denn falsch
interpretieren? Noch gelungener als in dem Leserinnenbrief, wird hier
überzeugend jeder Verdacht entkräftet, man selber könne homophob
sein und nachsichtig wissend nach dem aber auf die anderen Gedanken
in nicht wenigen Ländern verwiesen. Im Forum von
spiegel
online wird einfühlsam ein Beispiel für die Andersartigkeit der
Gefühle angeführt: Nachdem Westerwelle sich öffentlich [zu
seiner Homosexualität] bekannt hat, ist es ihm nicht mehr möglich,
z.B. von gläubigen islamischen Gesprächspartnern ernst genommen zu
werden. Wenn diese Westerwelle die Hand gäben, würden sie ihr
Gesicht verlieren`. Um mit fremden Kulturen zu kommunizieren, muss die
deutsche Diplomatie sich so weit zurücknehmen, dass sie nicht mit diesen
Kulturen unverträglich wird.
Unerträgliche Verträglichkeiten
Ist Westerwelle bereit sich derart zurückzunehmen? Möchte er allen
Ernstes seine gläubigen islamischen Gesprächspartner in diese
missliche Lage bringen? Die zuvor zitierte Interviewpassage über den
deutschen Geist der Toleranz lässt schlimmes vermuten. Als wenn das
nicht genug wäre, betont er an selber Stelle, sogar ohne den Geist, dass
zu deutscher Außen- und Entwicklungspolitik immer auch die
Vermittlung von freiheitlichen Werten gehören müsse. Diese
Vermittlung könnte sogar Sanktionen, wie die Streichung von
Entwicklungsgeldern, gegen Staaten beinhalten, in denen Frauen unterdrückt
oder Homosexuelle verfolgt und hingerichtet werden. Zweifelsohne lassen sich
Bekenntnisse zu freiheitlichen Werten ebenso bei anderen Parteien finden,
gehören diese schließlich zu den notwendigen demokratischen Formeln,
und es ist strittig, ob der Entzug von Entwicklungsgeldern als
Pauschallösung zur Durchsetzung von Menschenrechten taugt. Doch bildet
innerhalb eines politischen Klimas, in dem die deutsche Diplomatie nur bei
äußerst krassen Vorfällen, wie besonders abscheulichen
Hinrichtungen, stets unter Wahrung der Maßgaben der Verträglichkeit,
zaghaft ihre Empörung zum Ausdruck bringt, ein explizites Anprangern der
repressiven Alltagspraxis in zu vielen Ländern, und die Erwägung von
Maßnahmen der Unverträglichkeit gegen diese, eine bemerkenswerte
Ausnahme.
Einige Monate später scheint Herr Westerwelle bei seinem peinlichen
Pressekonferenzauftritt Angst vor der eigenen Courage bekommen zu haben: mit
dem ersehnten Amt in greifbarer Nähe wandelt es sich sicherer auf
verträglichen Pfaden. Auf die Frage des besagten BBC-Journalisten, wie
sich die deutsche Außenpolitik unter seiner Führung verändern
werde, begnügt er sich mit einem Verweis auf das Parteiprogramm. Dort wird
allerdings die Frage danach, wie der Westen mit autokratischen Regimen umgehen
soll, ohne seine eigenen Prinzipien zu verraten, gänzlich anders,
dafür umso vertrauter, mit der Notwendigkeit zur Kooperation
beantwortet: Ausgrenzung und Abschottung sind der falsche Weg. Zwar
findet sich die Forderung einer außenpolitischen Orientierung an
den aufgeklärten, rechtsstaatlichen Demokratien, welche wiederum
nur einen Satz später, ganz im Sinne der skizzierten Politikberatung aus
Foren und Blogs, pragmatisch dem Primat der friedlichen Konfliktlösung
untergeordnet wird, die zwingend den Dialog auch mit Ländern, die
nicht unsere Werte teilen beinhalte.
Mit dem Recht des Irans gegen das Recht
In Hinblick auf den Iran bedeutet das ebenso widersprüchlich, zwar auf der
einen Seite dessen atomare Bewaffnung verhindern zu wollen, dieses Ziel jedoch
auf der anderen Seite als weiterhin auf diplomatischem Wege erreichbar zu
erachten, und die Bestrebungen des us-amerikanischen Präsidenten, in
direkte Verhandlungen mit der islamischen Republik zu treten, zu
begrüßen. Gewiss kann eine militärische Intervention, von
welcher in dem Programm ausdrücklich Abstand genommen wird, die
gesamte Region in eine Katastrophe führen. Aber anstatt sich das
Ausmaß der Katastrophe zu vergegenwärtigen, die der iranische
Atombombenbesitz bedeuten wird, verteidigen die Liberalen allen Ernstes
das verbriefte Recht des Irans auf die zivile Nutzung der
Atomenergie. Soll dieses verbriefte Recht das Gleiche sein, welches sie
in vollendeten Phrasen zu ihrer Richtschnur küren: Statt auf das
Recht des Stärkeren setzen wir auf die Stärke des Rechts als
Leitlinie des Handelns in der Welt des 21. Jahrhunderts? Stellt doch eine
Stärkung des Rechts eines Staates auf zivile Nutzung von Nukleartechnik,
der seit mehreren Jahren erfolgreich die internationalen Bemühungen sein
Atomprogramm zu kontrollieren der Lächerlichkeit preis gibt, schlicht
nichts anderes als eine Gefälligkeit gerade gegenüber dem Recht des
Stärkeren dar, die an Naivität kaum zu überbieten ist. Wenn der
Iran über Atomwaffen verfügt, wovon ihn auf diplomatischem Wege nicht
einmal der neue Friedensnobelpreisträger abhalten wird, findet selbst die
FDP kein Recht mehr, welches man gegen ihn stärken und ihn davon abhalten
könnte, zuallererst den notorischen Vernichtungswünschen gegen Israel
Taten folgen zu lassen.
Trotz allem sei angemerkt, dass im Gegensatz zu dem Wahlprogramm der CDU in dem
der FDP immerhin ansatzweise die Gefahr des iranischen Atomprogrammes benannt
wird. Erliegt sie nur vorbildlich dem zuvor ausgeführten Dilemma, in dem
sich alle befinden, die glauben, von Freiheit sprechen zu können, wenn sie
mit jenen in Dialog treten, die diese zutiefst verachten. So üblich wie
auf Pressekonferenzen der FDP das Deutsche sein soll, so
selbstverständlich wird wohl weiterhin die Sprache derer gesprochen, die
in der Zeit, in der die Dialogbereiten fleißig Sprachkurse belegen,
zielstrebig Tatsachen schaffen. Unter diesen Voraussetzungen bleibt von dem
Bekenntnis zu freiheitlichen Werten tatsächlich nichts weiter übrig
als der traditionsreiche altbekannte deutsche Geist der Toleranz, in welchem
Guido Westerwelle und alle besorgten Rücksichtsvollen am Ende doch
zusammenfinden.
Patrice Smith