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Fragezeichen

Von Kritik mit kleinem, und solcher mit großem „k“

Bericht von der Frankfurter Konferenz „Future(s) of Critical Theory“

„I also like Adorno“ – ganz offensichtlich muss man das heute in Frankfurt dazu sagen, wenn man über kritische Theorie spricht, die hier ganz bewusst und selbstverständlich mit kleinem „k“ geschrieben wird. Zumindest ein Doktorand am ortsansässigen Institut für Sozialforschung, immerhin die ehemalige Wirkungsstätte von Horkheimer, Adorno und Konsorten, tut das mit einem fast entschuldigenden Gestus. Was aus kritischer Theorie, zumindest im akademischen Rahmen, heute geworden ist, das lies sich bei der Graduiertenkonferenz „Future(s) of Critical Theory“ im März in Frankfurt am Main beobachten. Dass der Titel dabei von „Critical Theory“ sprach, war nicht nur der internationalen Orientierung der Konferenz, sondern auch der Sache geschuldet. Im akademischen Betrieb der USA versteht man unter diesem Label schon lange mehr als das ursprüngliche Projekt des Horkheimerkreises. Der Begriff wird dabei häufig recht konturlos und es fallen neben eben jener „klassischen“ Kritischen Theorie mit großem „K“ und deren verschiedenen, sich selbst als deren „Weiterentwicklungen“ (miss-)verstehenden Ansätzen von Jürgen Habermas und dem heutigen Frankfurter Institutsdirektor Axel Honneth auch Theoreitraditonen darunter, die man nicht unmittelbar mit selbigem Projekt identifizieren würde. Allen voran der so genannte französische „Poststrukturalismus“ mit seinem Flagschiff-Theoretiker Michel Foucault. Ähnlich bunt gemischt war also auch das Programm der Konferenz und da wunderte es kaum mehr, dass z. B. auch ein Vortrag zu den Sprachspielen des Bestsellerphilosophen Harry „Bullshit“ Frankfurt mit ins Programm gerutscht war – auch wenn dabei tatsächlich weder erkennbar war, was daran kritisch, geschweige denn, was Theorie sein sollte. Das in zahlreiche Panels und drei „Keynote Lectures“ strukturierte Programm, hatte sich solche Vielfalt selbst verordnet. Einerseits war das durchaus zu begrüßen und die VeranstalterInnen hatten mit Ihrer internationalen Auswahl an RednerInnen auch versucht diesem Anspruch auf einer anderen Ebene gerecht zu werden. Andererseits konnte die Konferenz so auch wenig mehr bieten als einen sehr groben Überblick darüber, was an ganz verschiedenen Orten der Welt, sehr verschieden orientierten NachwuchsakademikerInnen für eine irgendwie „kritische“ Form der Auseinandersetzung mit Theorien und dem Gegenstand Gesellschaft gilt. Über das Verständnis von Kritik entspannten sich dann auch Diskussionen, die häufig nicht ohne Leidenschaft geführt wurden. Überraschenderweise scheint es gerade bei einigen gegenwärtigen DoktorandInnen in Frankfurt eine kritische Haltung gegenüber dem dort etablierten Habermasianismus zu geben. Deren Kritik am kommunikationstheoretischen Paradigma beruft sich dabei ganz explizit auf die erste Generation der Kritischen Theorie. Einen herausragenden Vortrag, der in eine solche Richtung zielte und das kritische Potential einer „spielerischen“ Vernunft bei Adorno behandelte, hielt Julia Christ. Mit ihrer Kritik der umfassenden Reduktion der Subjekt-Objekt-Beziehung auf „Intersubjektivität“ aber handelte sie sich sofort den heftigsten und richtig gehend aggressiven Widerspruch eines Konferenzbesuchers ein. Man wolle hier doch nicht über solch olle Kamellen wie diesen Adorno, sondern dem Titel gemäß, über die „Zukunft“ kritischer Theorie sprechen. Und diese liege wenn dann doch seit der unumstößlichen Erkenntnis in die sprachliche und damit intersubjektive Verfasstheit aller (sozialen) Phänomene durch Habermas und Apel in deren Ansatz. Von der inhaltlichen Problematik einmal abgesehen, lässt sich an dieser Reaktion und ihrer Heftigkeit ein generelles Phänomen, das die Konferenz durchweg charakterisierte, ablesen: Wo immer die „klassische“ Kritische Theorie oder Namen wie Adorno, Horkheimer und Marcuse thematisiert wurden, war dies zumindest in einzelnen Reaktionen darauf, begleitet von einer Geste der Entwertung: Warum über solch antiquiertes Gedankengut sprechen, wenn wir doch seither theoretisch fortgeschritten sind? Die Strategie, die von solchen Argumenten verfolgt wurde, zielte auf Delegitimation und man spürte dabei förmlich den Widerwillen, sich kritischen Argumenten, die sich auf die genannten „Alten“ beriefen, überhaupt als solche ernst zu nehmen. Solcher Widerwille, man könnte ihn auch Ressentiment nennen, fügt sich bestens in das Bild einer Universität der Gegenwart, das von einem Besucher der Konferenz in einem Redebeitrag entworfen wurde: der selbst im Bereich Sozialwissenschaften an der Frankfurter Uni beschäftigte beschrieb, wie im Zuge der Ausmusterung der letzten „marxistischen“ Relikte auf örtlichen Lehrstühlen, ein offizielles Tabu auf die Verwendung der Schreibweise „Kritische Theorie“ mit großem „K“ für Einträge in das Vorlesungsverzeichnis verhängt worden sei. Auch wenn die allgemeine Empörung darüber groß war, so lässt sich doch nicht übersehen, wie sich auch die Agenda der Konferenz in den Rahmen solcher Entwicklungen (die sich andernorts ja schon längstens vollzogen haben) einfügte. Der Verdacht nämlich, dass sich mit der Verabschiedung des großen „Ks“ auch die gemeinte Kritik so klein macht, dass von ihr als solcher all zu viel nicht mehr übrig bleibt, drängt sich förmlich auf. Dabei muss man gar kein „dogmatischer“ Verteidiger aller Thesen von Adorno und Horkheimer sein, was dem von diesen Denkern entwickelten Verständnis von Kritischer Theorie selbst schon zuwiderlaufen würde. Sie betonten stets den historischen und gegenwartsbezogenen Charakter von Gesellschaftskritik, der es ihr verbietet, irgendwelche überzeitlichen Wahrheiten zu postulieren. Vielmehr geht es um eine Methode von Kritik, die hier formuliert wurde, und die es gerade gälte, auf heutige gesellschaftliche Phänomene anzuwenden. Aber genau bei der Frage nach dieser Methode, zeigt sich der fundamentale Unterschied zwischen dem, was ein „traditionelles“ und das vielfach auf der Konferenz zur Schau gestellte gegenwärtige Verständnis kritischer Theorie unterscheidet.
Zur Illustration: Ein „AK Wahrheit ist was uns verbindet“ aus Berlin stellte seine Agenda auf dem Panel „Kritik im / am Neoliberalismus“ vor. Die jungen Menschen haben das Dilemma indem sie als einerseits politisch und kritisch Denkende und als andererseits dem akademischen Betrieb, dessen Anforderungen und karriebezogenen Dynamiken Unterworfene, stecken, erkannt. Dieser Widerspruch fühlt sich nicht gut an und will daher bewältigt und aufgelöst werden. Dazu aber muss ein Verständnis von Kritik entwickelt werden, welches einen „produktiven“ Ausweg zu zeigen im Stande ist. Man wird schon erkennen können, wie wenig dieses Anliegen mit dem Verständnis von Kritik als radikaler Negation des bestehenden zu vereinbaren ist. Fündig wird der Berliner „AK“ dagegen woanders, nämlich bei Foucault. Mit diesem wolle man endlich die Figur des einsamen Denkers, Kritikers und Intellektuellen überwinden und vielmehr in Form einer „kollektiven Haltung“ gemeinsam „mikro-politische“ Strategien entwickeln, die auf partikulare Problemfelder zielen, um sich so der institutionellen Disziplinierung und „Subjektivierung“ durch den akademischen Betrieb zu entziehen. Nicht nur bleibt der „AK“ aber nun, damit dem leuchtenden Beispiel des Meisters Michel folgend, in begrifflicher Hinsicht herrlich schwammig, sondern er gibt dem Bedürfnis nach, den zunächst richtig konstatierten Widerspruch nach einer Seite hin aufzulösen. Und man ahnt schon in welche, bliebe als alternative Form der Auflösung ja allenfalls der Ausstieg aus dem akademischen Betrieb. Die Aufgabe einer negativen Kritik aber, welche den Widerspruch nicht nur konstatiert, sondern an seiner Unauflösbarkeit unter den gegebenen Bedingungen festhält, führt dazu, was ein wacher Kommentar aus dem Publikum besagtem „AK“ dann auch vorwarf: Die vorgeschlagenen „mirko-politischen“ Strategien, die illusionäre Verschmelzung von Kritik mit der wissenschaftlichen Praxis in einer „Haltung“, das kollektive Agieren etc. ähneln verdächtig den Versatzstücken eines (auch wenn der Begriff unglücklich gewählt gewesen sein mag) „neo-liberalen Anforderungsprofils,“ also den Anforderungen, die der gegenwärtige Wissenschaftsbetrieb an seine Funktionsglieder stellt: thematische und methodische Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, Teamfähigkeit etc. Darüber hinaus scheint ein solches partikulares Verständnis von Kritik auch immun gegen die historische Erfahrung der seit den 70er Jahren in Subkulturen zerfallenen Linken zu sein, die sich jeweils die Rettung der Welt durch die Verabsolutierung einzelner Aspekte wie z. B. den Verzicht auf den Konsum tierischer Produkte erhofften. Man muss überhaupt gar keine kategoriale Ablehnung von „Teilbereichspolitik“ oder anderen interessengeleiteten realpolitischen Interventionen an den Tag legen, um dagegen an einem Kritikbegriff festzuhalten, der sich eben keine solchen Illusionen über seine unproblematische und unmittelbare Verlängerbarkeit in verändernde Praxis macht – sondern dagegen an einer negativen Kritik der warenproduzierenden Gesellschaft wie ihrer regressiven Aufhebungsversuche als Ganzer festhält. Und man muss ebenso wenig die Figur des „einsamen Kritikers“ hypostasieren, um einzusehen, dass eine solche Kritik zumindest historisch zumeist von einzelnen Individuen, die sich als solche durchaus in Zirkeln Verständiger bewegten und austauschten, ausgegangen ist. Es scheint also immer auch der Unwille gegen die Einsicht in die eigene Ohnmacht zu sein, der zu solchen affirmativen Blüten „produktiver Kritik“ treibt. Wie bereits angesprochen: ein konsequenter Ausweg aus dem Dilemma findet sich nicht. Wer sich – und das ist genauso wenig verwerflich wie jede andere „Berufswahl“ – für eine „akademische Karriere“ entscheidet und zugleich ein kritisch denkender Mensch bleiben möchte, wird sich über das eigene paradoxe Dasein fortlaufend Rechenschaft ablegen müssen und sich über die Grenzen, die beide Seelen in der Brust notwendig trennen, bewusst bleiben müssen. Wenn sich, im besten Falle, beide einmal überschneiden und zusammenbringen lassen, so liegt das weniger an einer kollektiv zur Schau gestellten „Haltung,“ als daran, mit Glück eines der immer seltener werdenden Schlupflöcher im zunehmend hermetischen Betrieb gefunden zu haben. Besagte „Haltung“ tut, zumindest solange sie abstrakt und ohne nennenswerten Einfluss auf den wissenschaftlichen Werkzeugkasten bleibt, freilich auch niemandem weh und gehört heute eher noch zum guten Ton, als das sie zu eventuellen Problemen in der Karriereplanung führen würde. Sie ist vielmehr einer der Kanäle, in die sich kritisches Potenzial ableiten lässt – während der verwertbare Teil der davon immer auch „produktiv“ beeinflussten wissenschaftlichen Arbeit abgeschöpft wird.
Insofern hat die Frankfurter Konferenz tatsächlich alle „Facetten der kritischen Theorie“ der Gegenwart repräsentiert. Eben auch diejenigen, auf welche der moderne sozialwissenschaftliche Betrieb nicht mehr zu verzichten vermag – sei es aus Gründen von Prestigegewinn oder tatsächlicher Umsetzbarkeit von „Kritik“ in verwertbares Wissen.

Sebastien Surleau


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last modified: 20.5.2009