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Musik als Droge |
Oder: GBL ist kein TechnoWiedermal kursiert das Gerücht, eine Drogenwelle überschwemmt die Leipziger Clubs und es wäre nur noch ein kleiner Schritt bis zur großen Katastrophe. Das Motiv ist alt, nur die Substanz, die offenbar das Partyvolk grenzwertig affiziert, ist neu: GBL bzw. GHB, besser bekannt als liquid ecstasy erobert den Markt und ruft ungeahnte Probleme hervor.Ob dies stimmt, mag bezweifelt werden, schließlich ist GBL schon länger im Umlauf. Selbst der für die Leipziger Szeneschnösel als fester Termin eingeplante Tatort hatte das Thema vor mehr als zwei Jahren mit voller ideologischer Wucht durchdekliniert. Dies ändert nichts daran, dass es für die Clubs Handlungsdruck gibt, nicht zuletzt weil in den vergangenen Monaten einige Fälle von Atemstillstand bekannt wurden. Es gibt also gute Gründe, eine Kampagne zu starten: zum einen tut Aufklärung Not, schließlich ist GBL falsch dosiert und mit anderen Drogen kombiniert kreuzgefährlich. Zum anderen kommen die Clubs in große Schwierigkeiten, wenn tatsächlich jemand liegen bleibt. Das Ergebnis dieser Bemühungen können wir mittlerweile als Flyer bewundern, Music is the only Drug ist der Aufmacher einer von der Distillery forcierten und von vielen Leipziger Clubs mitgetragenen PR-Offensive. Dabei ist schon der Slogan der Kampagne, der mit einem mehr als klassischen Motiv eines bewusstlosen oder toten Drogenkonsumenten auf dem Klo hinterlegt ist, durchaus problematisch. Freilich, die technophilen und vor allem euphorisierten Spezis mögen Musik im allgemeinen und Techno im besonderen als (vielleicht einzige) Droge verstehen und sich von ihr mit aller Konsequenz berauschen lassen. Dennoch: der Leitspruch der Kampagne ist nicht nur (ganz offensichtlich) kontrafaktisch, er verdeutlicht auch, wie schmal der Grad zwischen Aufklärung, Selbstschutz und Anti-Drogen-Ideologie ist. Es mag spitzfindig klingen, aber gerade wenn sich die Party-Locations an ihre Klientel wenden und in eine Drogendebatte eingreifen, ist Vorsicht geboten. Jenseits der körperlichen Risiken einer Überdosierung ist GBL auch (und vielleicht besonders) aus unternehmerischer Sicht problematisch: Es wirkt als Atemdepressivum und wird vor allem dann gefährlich, wenn es mit Alkohol gemischt wird, worauf der Flyer hinweist. Womit die Clubs ihr Geld verdienen und wo folglich auch ein (unternehmerisches) Problem im Umgang mit GBL liegt, bedarf keiner weiteren Klärung. Wenn Musik tatsächlich die einzige Droge wäre, hätten alle beteiligten Clubs (und alle übrigen ebenso) längst dicht gemacht. Nicht nur der Leitspruch, der vielleicht schön klingen mag aber gerade in einer ideologisch durchtränkten Debatte fehl am Platz ist, sondern der gesamte Text des Flyers oszilliert zwischen Aufklärung, Drogen-Bashing und Selbstschutz. Gut gemeint ist eben längst nicht gut gemacht. Zwischen nötiger Aufklärung, Verteufelung und Eigeninteresse verliert sich der Flyer und driftet sicher ungewollt in einen geradezu klassischen Alarmismus, wie ihn der Zeitgeist (beispielsweise spiegel-online und die allgemeine Hysterie um Spice) nicht besser hätte formulieren können. Neben dem Hinweis, dass Konsumenten bitte draußen ihrem Laster nachgehen und alle Übrigen mit wachem und geschultem Blick durch die Nacht schwärmen sollten, um gegebenenfalls das Bar-Personal und den Notarzt zu informieren, wird GBL auch als schlimmes, undosierbares Gift gekennzeichnet. (Übrigens: Vitamin C kann in zu hoher Dosierung üble Folgen haben.) Genau hier kippen Aufklärung und Information in Ideologie. Die aggressive Zuspitzung endet in einem mindestens biederen Appell an die Nachtschwärmer, der unter der Hand fast alle Klischees des zeitgenössischen Drogendiskurses mitliefert: die bösen weil undosierbaren, illegalen (oder halblegalen) Gifte, die anders als die legalen gar nicht ungefährlich sind, zur mentalen und körperlichen Zerrüttung führen und schließlich den Konsumenten zum Sklaven machen: Hast Du schon mal darüber nachgedacht, wie es ist immer mehr Sklave von irgendwas zu sein und dass Dein Umfeld [...] nur noch über Dich lachen kann? Es ist ein typisches Kennzeichen der Anti-Drogen-Agitation, die Sklaven-Rhetorik genau dort zu platzieren, wo es um kulturell nur bedingt oder versteckt integrierte Stoffe geht. Als wären wir nicht ständig Sklaven von irgendwas, wird das Problem auf eine dem Vernehmen nach harte Droge verschoben. Wie sieht denn der normale Party-Abend ohne GBL aus? Wir starten mit Prosecco-Aperol, zwei, drei Bier und später Wodka-Red Bull, weil sonst die Müdigkeit zuschlägt. Am Morgen (oder besser Nachmittag) danach braucht es zunächst einen starken Kaffee (auf den übrigens schon mal die Todesstrafe stand), mindestens eine aber besser zwei Aspirin (dessen Vorgänger übrigens Heroin hieß) gegen die Kopfschmerzen und am frühen Nachmittag hilft ein Sekt auf Eis als gehobene Version des klassischen Konter-Biers. Da es Winter ist und das Obst von Lidl aus der Retorte kommt, helfen gegen Abend Vitamin-Tabletten schließlich geht es am Montag weiter wie gewohnt: Nine to Five. (Das ist freilich nur ein Auszug, von weit verbreiteten Psychopharmaka, Schlaftabletten, dem morgentlichen Kaffee, der fast alle versklavt hat und der konstanten Denk- und Sprechunfähigkeit vor der ersten Kippe, ganz zu schweigen.) Kurzum: die Sklaven-Rhetorik schlägt nicht nur fehl, sie schmiegt sich auch an massenmedial gedroschene Vorurteile und Stereotype (von psychischer Abhängigkeit und den bösen weil harten Drogen) an und übersieht, dass Drogen aller Art permanent unter uns sind. Daran ist freilich per se nichts schlimm. Dies ist mindestens schade, da die Idee, Informations- und Aufklärungsmaterial unter`s Partyvolk zu streuen, nicht nur hilfreich und nötig ist, sondern zugleich den Clubs zumindest ein Stück weit den Rücken frei hält. Leider hält der Flyer das Niveau nicht und schleudert dem Drogenkonsumenten ein herablassendes Schon mal darüber nachgedacht... entgegen. Dies bedeutet gleichsam nicht, GBL sei harmlos und man könne es nur empfehlen.(1) Jedoch ist der Flyer von einer Panik ergriffen worden, die das Ziel einer sachlichen Aufklärung verfehlt und einer alarmistischen Sklave-der-Droge-Rhetorik, wie sie der zeitgenössische Drogendiskurs zur Genüge bereitstellt, auf den Leim gegangen ist. Schließlich wird, als ironische Abgrenzung zum desorientierten und mittlerweile nur noch lächerlichen Druffi, die Schimäre von Natürlichkeit und Reinheit kolportiert, die Sabine Bätzig, ihres Zeichens Bundesdrogenbeauftragte, nicht hätte präziser formulieren können. Dieses Es steckt schon in dir, und du brauchst die bösen Drogen nicht, um eins zu werden mit der Musik!` klingt nach einem hippiesken Vitalismus, der sich, ganz zeitgemäß, von allen Unreinheiten lossagt, um zur natürlichen Wurzel des ekstatischen Erlebens zurück zu finden. Die Fastfood-Esoteriker und Anthroposophen hätten es nicht treffender formulieren können. Nur dass in deren Fall nicht Techno sondern Joga, Meditation und Gebet u.a. zur ganzheitlichen Erfahrung, zur Erleuchtung führen auf natürlichem Wege versteht sich. Sicher: man sollte den Clubs, die diese Kampagne tragen, weder Böswilligkeit noch gezielte Propaganda unterstellen. Doch der Output der fraglos lobenswerten Initiative ist wenig progressiv und verfehlt ein zentrales Motiv akzeptierender Drogenarbeit: es kommt immer auf die Konsumform an.(2) Fraglich ist, wann wir endlich aufhören, eine absurde und mindestens unseriöse Natürlichkeits- und Nüchternheitsrhetorik wiederzukäuen, die in ihrer ganzen Pracht das bis zur Unkenntlichkeit eingeübte Drogen-Bashing fundiert. In diesem Sinne: No Drugs no Future! Dr. Benwey Anmerkungen (1) GBL als chemischer Wirkstoff Butyro-1,4-lacton wird im Körper in GHB, einen immer schon vorhandenen Neurotransmitter, umgesetzt und löst ähnliche Rauschzustände aus wie Alkohol. GBL wird vollständig metabolisiert, das heisst über den Stoffwechsel ausgeschieden. Da es (auch) als Ausgangstoff für Pharmazeutika verwendet wird, sind die Wirkungen relativ gut erforscht. Hohe Überdosierung und vor allem Mischkonsum mit Alkohol und Opiaten können zu Atemstillstand, Dauerkonsum, was auch immer dies genau besagt, sowohl physiologische Nebenwirkungen haben, als auch (nach dem Absetzen) zu (sehr unterschiedlichen) Entzugserscheinungen führen. Genaueres unter: www.suchtzentrum.de/drugscouts/dsv3/stoff/ghb.html GBL ist zwar nicht im Beteubungsmittelgesetz aufgeführt, der Vertrieb als Rauschmittel wird jedoch über das Arzneimittelgesetz abgedeckt und damit verboten. Zur Kontrolle des industriellen Handels (unter anderem als Farb- und Graffitientferner) gibt es eine Selbstverpflichtung der Unternehmen, die jegliche Kundendaten speichern und gegebenenfalls Missbrauchsvermutungen melden. (2) Dieses Argument stellt freilich auch die – sachlich nicht haltbare – Unterscheidung von weichen und harten Drogen in Frage. Weiterführend dazu ein Text von Henning Schmidt-Semisch: http://www.bisdro.uni-bremen.de/quensel/Internet%20Reader/kiffen.pdf |