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Diesen Monat bieten wir euch einen exklusiven Einblick in die Gedankenwelt des politischen Nachwuchses der Linkspartei. Was dieser bei seinem spannenden Trip in das exotische Tropenparadies des taffen Chef-Cowboys Hugo Chavez alles erlebte und was die Linke in good ol' germany daraus lernen kann, lest ihr am Besten auf den folgenden Seiten im O-Ton nach.
das Letzte, 1.2k

Exotisch


23. Februar 2008

Am Aeropuerto Internacional Simón Bolívar wartete man bereits auf uns. Kaum haben wir die Empfangshalle betreten, stürmen zwei Männer auf uns zu. Sie tragen marineblaue Anzüge, weiße Hemden und ungemusterte rote Krawatten; ihre dunkelhäutigen Gesichter verstecken sich hinter Sonnenbrillengläsern. Ob sie Waffen tragen, lässt sich nicht sofort feststellen. Als sie uns erreichen, reißt der ältere der beiden seine rechte Hand aus der Jackettasche. „Bienvenido a Venezuela“, grüßt er und streckt der Bundestagsabgeordneten Nele Hirsch seine helle Handfläche entgegen. […]

Es ist schwül und sehr windig. Ein weißer Chrysler mit getönten Scheiben parkt vor dem Ausgang in einer Reihe mit anderen Limousinen US-amerikanischer Herkunft. Um die polierten Karosserien herum stehen Fahrer und Wachmänner, einige rauchen. Der Chrysler bringt uns vom Flughafen in etwa 30 Minuten in die Hauptstadt. […]

Als der Wagen über eine imposante, mehrere Kilometer lange Brücke rollt, wendet sich der Fahrer Nele Hirsch zu. „Früher hat die Fahrt vom Flughafen nach Caracas doppelt so lange gedauert“, erklärt er. […]„Jetzt ist es besser“, sagt er und blickt in den Rückspiegel, als wolle er sich versichern, ob die junge Abgeordnete ihn verstanden habe. […]

Exotisch, 54.8k

Zu Ehren von Nele Hirsch (DIE LINKE) tritt die Jugendgruppe des Teatro Negro auf, dessen Percussion-Rhythmen und Tänze die afrikanischen Wurzeln der Bevölkerung Mirandas repräsentieren.
Quelle: DIE LINKE im Bundestag

Am frühen Abend erreichen wir das Hotel Alba, eine der ersten Adressen der Stadt. Alba ist die Abkürzung für Alternativa Bolivariana para America, also die bolivarische Alternative für Amerika. Noch vor sechs Monaten nannte sich das Vier-Sterne-Etablissement Hilton und gehörte der gleichnamigen US-amerikanischen Millionärsfamilie. Als jedoch im September 2007 die Konzession für das Hotel auslief, weigerte sich der venezolanische Staat, sie zu verlängern, und betreibt das Hotel seitdem in Eigenregie. Die Familie Hilton habe sich lange dagegen gewehrt, erklärt uns die Empfangsdame. „Aber Vertrag ist Vertrag. Und dieser Vertrag ist ausgelaufen“, sagt sie in fließendem Englisch. Gäste, die sowohl das Hilton als auch das Alba kennen, betonen übrigens, der Standard habe sich nicht verschlechtert, der Service sei weiterhin exzellent.

In der Hotellobby empfangen uns Fredo Garcia vom Ministerio de las Relationes Exteriores und Alberto Soca, Attaché des Vizeministers für Europäische Angelegenheiten. „Es ist eine Ehre für Venezuela, Sie empfangen zu dürfen“, eröffnet Fredo Garcia zu Nele Hirsch gewandt und zupft an seiner perfekt gebundenen, weinroten Krawatte. […] Nele Hirsch bedankt sich für den warmherzigen Empfang. Als sie die reibungslose Organisation rühmt, schaltet sich Alberto Soca ein. Er ist älter als sein Kollege und augenscheinlich für den Ablauf der Delegationsreise zuständig. Er empfiehlt, das Hotel aus Sicherheitsgründen in der ersten Nacht nicht zu verlassen. […]

Der Zeitunterschied zwischen Berlin und Caracas beträgt seit Dezember 2007 fünfeinhalb Stunden, vorher waren es lediglich fünf Stunden. Mit der Begründung, es sei gesünder für die Bevölkerung, wenn der Bio-Rhymthmus mit der Uhrzeit harmoniere, hatte der Präsident Hugo Chavez Frias diese Veränderung dekretiert. Vor dem Einschlafen lasse ich den Blick noch einmal aus dem 18. Stock des Hotelturms über den nächtlichen Hochhauswald schweifen. Am anderen Ende des Tals, in dem Caracas liegt, schimmern die erleuchteten Barrios wie die zertretende Glut eines Lagerfeuers.[…]

24. Februar 2008

Caracas. Heute empfängt der Präsident der Bolivarischen Republik Venezuela, Hugo Chavez Frias, die deutsche Bundestagsabgeordnete Nele Hirsch in seiner wöchentlichen TV-Show „Aló Présidente“. Weil die Sendung nahe der kolumbianischen Grenze aufgezeichnet wird, müssen wir mit Auto, Flugzeug und Helikopter durch das halbe Land reisen. […] Um 8 Uhr 43 betritt Nele Hirsch den Airbus 19 der Luftflotte. Sie durchquert die Präsidentenkabine, dessen weißes Ledermobiliar mit dem venezolanischen Wappen bestickt ist. Jesse Chacor, der Kanzleramtschef, geleitet sie zu ihrem Platz[…]Jesse Chacor ist kaum 40 Jahre alt, er trägt Turnschuhe und eine rote Baseball-Kappe der staatlichen Erdöl-Gesellschaft PdVSA. Müde sei er, gesteht er Nele Hirsch. Scherzhaft flucht er auf die TV-Show, die der Präsident jeden Sonntag sieben Stunden lang live für durchschnittlich vier Millionen Zuschauer moderiert. […] Zusammen mit den Ministern quetscht sich Nele Hirsch in einen der alten französischen Hubschrauber vom Typ SuperPuma. Die Rotoren des Helikopters dröhnen, die Soldaten der Präsidentengarde schwitzen unter ihren Uniformen und Helmen. Als der Hubschrauber abhebt, schlägt ein 1,95 Meter großer Schwarzer die Einstiegsluke zu. Auf seiner Uniform prangt ein Kobra-Abreichen, das ihn als Mitglied der Hubschrauber-Besatzung ausweist. […]

Die TV-Show läuft bereits seit einer Stunde, doch für die geladenen Gäste, darunter mehr als die Hälfte des Kabinetts, existiert Hugo Chavez nur auf den Bildschirmen, die zu beiden Seiten des Holzpodestes aufgebaut sind. Mit einem halben Dutzend Gefolgsleuten reitet Hugo Chavez, begleitet von einigen Stallburschen, durch die Prärie des Bundesstaates Apure. Hugo Chavez Aufmerksamkeit gilt hauptsächlich den jungen Männern, die ihn zu Fuß begleiten. „Wie alt bist Du?“, fragt er einen von ihnen. „Wie viele Jahre bist Du zur Schule gegangen?“ Er tadelt ihn, weil ihn die Antwort nicht befriedigt. Was sein Vater mache, wie lange er zur Schule gegangen sei, will er wissen. Aufrecht im Sattel eines gescheckten Schimmels sitzend, lauscht Hugo Chavez den Antworten. Hugo Chavez war als junger Offizier zeitweilig in Apure stationiert, die Region und ihre Menschen sind ihm vertraut. Gut gelaunt erzählt er seinen Begleitern, wie er früher im Fluss geangelt hat. Minutenlang lobt der den Wind, der die sengende Hitze ein wenig mildert. Als sich die Gruppe rot behemdeter Cowboys der Ranch nähert, treibt er seinen Gaul zum Galopp an. Hugo Chavez vorneweg, 20 Metern dahinter seine Begleiter – so reiten sie auf den Hof der Ranch El Yagual ein…

Die TV-Show „Aló Présidente!“ ist eine Mischung aus Bürgersprechstunde unter freiem Himmel, öffentlicher Kabinettssitzung, Landschaftskunde und Kabarett. Hugo Chavez sitzt hinter einem schlichten Schreibtisch, auf dem sich Stifte, Notizzettel, diverse Tageszeitungen, eine Landkarte und ein Glas Wasser befinden. Er spricht langsam und betont. Seine Sätze sind einfach, seine Gesten bedächtig. Das Publikum besteht aus den Ministern seiner Regierung, Gewerkschafts- und Wirtschaftsvertretern, Wissenschaftlern, lokalen Abgeordneten. Mittels eines Saal-Mikrofon kommen sie zu Wort, antworten auf Fragen des Präsidenten und schlagen Lösungen vor. […]In einer kurzen Unterbrechung läuft ein Video-Clip, man sieht den Präsidenten auf einer Wahlveranstaltung seiner Partei zeigt. Hugo Chavez winkt einem Mitarbeiter. „Kettenschaltung!“, ruft er ihm zu. Das Publikum raunt. Qua Gesetz kann der Präsidenten jede Woche für einige Stunden alle Fernseh- und Radiosender zwingen, sein Programm zu senden.[…]. Live wendet sich der Präsident an die Nation. „Viele Leute beschweren sich über die Kettenschaltung“, sagt er in die Kamera. „Dann sollen sie sich halt selbst zum Präsidenten wählen lassen“. Er lacht. Nun ist Nele Hirsch an der Reihe. Hugo Chavez spricht die „deputada alemana“, die deutsche Abgeordnete, freundlich an. Eine Mitarbeiterin reicht ihr das Saal-Mikrofon. „Es ist für uns eine große Ehre, mit dir gemeinsam über den Sozialismus des 21. Jahrhunderts zu diskutieren“, sagt sie. Sie ist die Einzige, die den Präsidenten duzt. Lucia Schnell, Koordinatorin der Delegationsreise, übersetzt ins Spanische. Venezuela sei eine Quelle der Inspiration für die Linke in Deutschland. […]

Dann wendet sich Hugo Chavez dem zweiten Thema dieser Woche zu: dem US-Multi Exxon Mobile. […] Hugo Chavez beschimpft den US-Imperialismus und droht, alle Erdöllieferungen in die USA einzustellen. Als er sich wieder beruhigt hat, ruft der venezolanische Regierungschef seinen kubanischen Amtskollegen Raúl Castro an, den Bruder Fidel Castros. „Hugo, bist Du es wirklich? Ich sehe nur weiße, abgemagerte Kühe!“ frotzelt Raúl Castro. Und: „Schon eine Ewigkeit höre ich Deinen Worten zu, die nicht gerade wenige sind“. Wieder lacht Hugo Chavez fröhlich, seine Mimik scheint erstmalig völlig entspannt. Anschließend singen die beiden Männer Lieder einer Schallplatte, die Castro 1953 in Caracas gekauft hatte, ein Jahr bevor Hugo Chavez zur Welt kam. Nach sieben Stunde ist die Sendung zu Ende. Hugo Chavez verlässt die Bühne, ohne ein einziges Mal auf Toilette gewesen zu sein.[…]

26. Februar 2008

Beim Mittagessen, das die Volksvertreterinnen und -vertreter gemeinsam auf dem Balkon des Parlamentsgebäudes einnehmen, bestechen neben der Aussicht auf den Garten und den dahinter liegenden Kuppelbau vor allem die frisch gepressten Fruchtsäfte. Zwischen frisch gepresstem Erdbeer-, Kirsch- oder Guavesaft fällt die Wahl schwer. Anschließend tritt zu Ehren der deutschen Gäste ein Musik-Ensemble aus dem Bundesstaat Miranda im Hof des Parlamentsgebäudes auf. Harfe, Rasseln und Gesang – das sind die simplen Zutaten dieser Volksmusik. Zwei Kinder in traditionellen Gewändern tanzen dazu. Etwas später swingt auch Dorothée Menzner zu den überlieferten Rhythmen, zum Tanz aufgefordert vom Direktor der Künstlergruppe. […]

27. Februar 2008

[…] Seit ihrem Auftritt in der TV-Sendung „Aló Présidente“ ist Nele Hirsch landesweit bekannt. Auf der Plaza de Venezuela, einer gigantischen Verkehrsinsel inmitten von Hochhäusern aus Stahlbeton, sind die beiden Deutschen gefragte Interviewpartnerinnen. Auf dem Platz versammeln sich einige hundert Menschen, in der Mehrzahl Frauen und Studenten. Mannshohe Boxen, die mit Spanngurten auf der Ladefläche eines umgebauten, zerbeulten Ford festgeschnallt sind, beschallen einige hundert Menschen. „Gegen die Korruption, die Bürokratie und den Imperialismus“ lautet das Motto der Kundgebung. Die Teilnehmer klatschten, als eine Rednerin sagt: „Es gibt viele Leute, die sagen: ‚socialismo o muerte, aber sie denken nur an ihr eigenes Geld“. Ein Händler, dessen linkes Auge ein bierdeckelgroßes Pflaster bedeckt, verkauft aufblasbare Puppen, deren überproportional voluminösen Unterteil verhindert, dass sie umkippen können. Auf den Puppen mit dem Konterfei des Präsidenten steht die Aufschrift: der Unstürzbare.[…]

29. Februar 2008

Am frühen Nachmittag nehmen Dorothée Menzner und Paul Schäfer an einer Pressekonferenz zur Förderung der deutsch-venezolanischen Freundschaft teil. […] Paul Schaefer betont: „Die Solidarität mit der bolivarischen Revolution und dem Sozialismus-Versuch in Venezuela erfordert, dass sich die venezolanische und die deutsche Linken besser koordinieren“. Ziel sei es, aus dieser Zusammenarbeit Kraft und Inspiration im Kampf gegen Neoliberalismus in Deutschland zu schöpfen. In der Abenddämmerung empfängt der venezolanischen General Gonzales die Abgeordneten, um mit ihnen über den Konflikt in und mit Kolumbien zu debattieren. Der General sieht die Konfliktlinie im Wesentlichen darin, dass in Venezuela das kapitalistische System überwunden werden soll und Kolumbien vom US-Imperialismus unterstützt wird. […] Am Abend fliegen Dorothée Menzer und Paul Schäfer im Militärflugzeug zurück nach Caracas.

Zusammengestellt von Johannes Knauss

Dank an Benni für die Idee.

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last modified: 20.5.2008