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Der kleine Leviathan | |||
Die RAF in der antideutschen KritikWer die Veröffentlichung der Initiative Sozialistisches Forum aufmerksam verfolgt, den wird nicht überraschen, was die Autoren des 2007 erschienenen Sammelbands Rote Armee Fiktion dazu zu sagen haben. Leider, so steht zu vermuten, wird ihn aber auch kaum jemand anderes lesen, als diejenigen, die eh schon wissen was dort geschrieben steht. Das ist zum einen das traurige Schicksal eines veritablen aber kleinen linken Verlages (bzw. der Einsamkeit des Theoretikers, die zwischen Freiburg, Berlin und Halle zuweilen als conditio sine qua non für richtige Erkenntnis ausgegeben wird.) Es ist zum anderen aber dem vorgezeichneten und klar und deutlich abgesteckten Diskursfeld ein Wort, dass man in den ISF-Veröffentlichungen nur polemisch hören wird geschuldet. Diese medial hervorragend inszenierte Erinnerungsschose zu kritisieren, ist einer der Verdienste des vorliegenden Buches.Richtig wird dem Gros des deutschen Feuilletons vorgeworfen, sich in der RAF einen Popanz zum Zwecke der eigenen sittlichen Erbauung zurecht zu schustern. Gegenüber den teils als psychisch gestört, teils als größenwahnsinnig, auf jeden Fall aber als im Gegensatz zu allen Bürgern gewalttätig deklarierten Möchtegernrevolutionären kann man sich trefflich als zivilisiert und ausnehmend rechtsstaatlich inszenieren. Noch heute ist Helmut Schmidt stolz darauf, 1977 nicht zum Faschist geworden zu sein. Den 68ern, die den langen Marsch durch die Institutionen angetreten, erfolgreich absolviert und genau wie Hape Kerkeling auf dem Jakobsweg jedes Fünkchen Humor und Gehirnschmalz verloren haben, möchte man einerseits die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik auf die Haben-Liste schreiben.(1) Da passt es ganz trefflich, sich an der zahlenmäßig geringen und, gelinde gesagt, undemokratischen Splittergruppe, die die RAF et.al. waren, abzuarbeiten. Wie heißt es im Vorwort: Das Jubiläum des Deutschen Herbstes erinnert nicht an die Verhandlung vor einem Supreme Court, sondern an eine Mischung aus TV-History, Lindenstraße und Standgericht.(2) Auf der anderen Seite ist die Tatsache, dass aus einer heterogenen Linken, wie der der 60er Jahre sowohl staatstragende Konvertiten, bombenlegende Radikale, neue Rechte und kritische Kommunisten erwuchsen vor allem für Linke ein zuallererst theoretisch zu bewältigendes Problem.(3) Der Sammelband ist also in mehrerlei Hinsicht spannend: Die Veröffentlichung der Autoren sind theoretische Reflexion, Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte (also identitätstiftend) und Positionierung im politischen Alltagsgeschäft. Was die Theorie betrifft besteigt der Sammelband ein weiteres Mal den Zug, den Autoren wie Gerhard Scheit und Joachim Bruhn zurecht überhaupt erst einmal angeschoben haben: Statt eines eindimensionalen Ökonomismus und bleierner Staatsableitung konzentrierte man sich in der Kritik der politischen Ökonomie auf das Adjektiv politisch. Bei der ISF hieß das materialistische Staatskritik. Das hat vor allem mit der Genese der vornehmlich antideutschen Linken zu tun. Erwiesen sich die ökonomischen Vermittlungsmechanismen einmal mit dem Marxschen Instrumentarium analysiert als nationalstaatlich kaum festschreibbar, musste sich die Kritik auf das Politische verlagern. So kamen mit einem rechts- und politiktheoretischen versierteren Theoriearsenal zunehmend die institutionellen Zusammenhänge, d.h. die politische (Neu)Konstitution der BRD, mithin der Deutsche als übersteigerter und potentiell faschistoider citoyen ins Blickfeld. In diesem framework bewegt sich auch die Kritik an der RAF: Sie wird als konsequente Form des Staatsfetischismus ausgewiesen, die, weil sie den Staat nie verstand, wiederholt, was den Souverän auszeichnet. (93) Die RAF hatte die Struktur eines Racket (Max Horkheimer), sie verherrlichte den Opfertod und schwang sich letztlich zum proletarischen Gegen-Souverän auf, der im Ausnahmezustand entscheidet, wen die Kugel treffen soll. Auf beiden Seiten argumentiert man dabei mit dem Staatsrechtler Carl Schmitt. Die einen nutzen ihn, um den antiemanzipatorischen Gehalt von Ensslin&Co. nachzuweisen, die anderen bedienten sich seiner Theorie des Partisan und der Denkfigur des Dezisionismus.(4) Weil es der RAF ebenso an ideologiekritischem Gespür mangelte, verfielen sie darauf, mit den Charaktermasken auch die notwendigerweise dranhängen Menschen zu eliminieren. Wer der abstrakten Herrschaft mit dem bewaffneten Kampf zu Leibe rückt produziert eben nur eins: konkrete Leichen. (15ff.) Damit laborierte die RAF aber an dem gleichen Problem, das der ISF-Autor Manfred Dahlmann mit dem Konzept der Gegen-Identifikation zu beheben versuchte: Wie kann man das schizophrene Verhältnis von rechtlich-politischer Person Marx sprach nicht ohne Grund von den Charaktermasken der Personen und mit Vernunft ausgestatteten Individuum aufbrechen, das sich eben dummerweise an ein und demselben konkreten Menschen manifestiert? Die RAF verstand es nicht und schaffte das eine mit dem anderen ab. Die ISF glaubt es zu verstehen und setzt auf Polemik, Denunziation und die Kritik ad hominem.(5) Letztere kommt deswegen auch nicht umhin, der RAF zumindest ihrer Intention nach etwas abzugewinnen. In ihrer Polemik gegen die Akademisierung des Marxismus stand die RAF der ISF kaum nach. Auch wussten Baader&Co., dass es weder historische Gesetzmäßigkeiten noch notwendige Wartezeiten für die freie Assoziation geben kann. (9) Nicht revolutionsfroh sei die RAF in ihrer Anfangszeit gewesen was den später umso verbisseneren Praxisfetischismus erklären mag , sondern ähnlich pessimistisch wie man es im Breisgau zu sein pflegt. (Ebd.) Das könnte man fast schon differenziert nennen und diese Ambivalenz mag den einen oder anderen überraschen. Schließlich ist man es sonst von der ISF gewöhnt, dass die Dinge von ihrem Extrem her betrachtet werden. Es ist ein schwieriges Unterfangen, einerseits eindeutig Stellung zu beziehen gegen eine linke Tradition, mit der man aus gutem Grund nichts zu tun haben will, und anderseits nicht im Boot der liberalisierten Deutschen aus Politik und Feuilleton zu landen. Letzteres natürlich nur unter der Bedingung, dass man die Liberalisierung der bundesrepublikanischen Gesellschaft als Firnis, als Ideologie, als dünne Membran unter der der postfaschistische Charakter lauert wahrnimmt. Die Feindbestimmung teilt sich auf: Es geht gegen die neue Mitte, die Zivilgesellschaft, die sich selbst für wahrhaft revolutionär hält und tatsächlich geistesrevolutionär ist und gegen ein Stück linken Wahn, von dem allerdings fraglich ist, ob er über das Zielpublikum der Jungen Welt hinausreicht. Obgleich man sich also dem Wettkampf um die Deutungshoheit linker Geschichte entziehen will, möchte man selbige doch weder der Rechten, noch Wolfgang Kraushaar und Jan Phillip Reemtsma überlassen. Keineswegs scheinen Autoren wie Joachim Bruhn dabei ältere Positionen großartig revidieren zu müssen. Bereits in seinem wiederveröffentlichten Aufsatz von 1987 Winterpalais, Führerbunker, Meinungsbörse findet sich entschiedene Kritik vermischt mit Teilzugeständnissen, die vor ihrem theoretischen Gehalt, vor allem erst einmal historisch bedeutsam sind. Zeugen sie doch von etwas, das man dem Zeitgeist zurecht als verloren ankreidet: historischer Urteilskraft. Was die RAF ihren Verlautbarungen nach beanspruchte, durch ihre Taten den Staat dazu zu zwingen, faschistische Farbe zu bekennen, darin lag sie laut Joachim Bruhn durchaus richtig. (121) Allerdings, so Bruhn weiter, ging diese Entlarvung niemanden etwas an, ergo, sie blieb ohne theoretische und praktische Folgen. Es ist das Paradox des deutschen Herbstes, daß nichts die Linke mehr um den Verstand brachte als die simple Tatsache, in punkto Staat wieder einmal Recht gehabt zu haben. (123) Bemerkenswert ist an diesem frühen Aufsatz allerdings die Tatsache, wie deutlich die Frustration über eine vertane Chance zutage tritt. Ganz davon abgesehen, dass die Frage, was denn aus der Erkenntnis, dass der Staat eben kein Plüschtier ist, sondern Zähne hat, folgen sollte. Denn am revolutionären Klientel der 70er Jahre sollte durchaus gezweifelt werden. Der Zorn auf die Eindeutschung der Linken scheint jedenfalls, mehr als heute unter der Polemik aufscheint, vor allem eines zu sein: Enttäuschung. Dass dies in gewissem Sinne heilsam war und die Theorie in eine andere Richtung getrieben hat, ist unbestritten. Die Kritik an der geschichtsblinden Gleichsetzung der RAF-Häftlinge mit den Opfern des Holocaust, nachzulesen im Aufsatz von Uli Krug, oder der Denunziation des im revolutionären Milieu virulenten Antisemitismus und dem Verhältnis zum Antiimperialismus in dem für ISF-Verhältnisse angenehm akademischen Text Jan Gerbers, ist ohne jene Enttäuschung vielleicht nicht denkbar. Bleibt also die Frage, für wen dieses Buch letztlich geschrieben ist und für wen sich seine Lektüre lohnt. Die Intention, allerlei bereits veröffentlichte Aufsätze in einem Band zusammenzufassen muss schließlich weitergehen, als bloß einen Titel auf der Veröffentlichungsliste hinzuzufügen. Die ISF-treuen Linken werden es lesen, der Mainstream ignorieren und die bekehrten Liberalen werden es belächeln. Denn was am Thema RAF vor allem manifest wird, ist die eigentümlich Doppelbewegung zwischen radikaler, durch die Kritik der politischen Ökonomie inspirierter Kritik, und der Position eines bürgerlich-demokratischen Subjekts. Wenn Gerhard Scheit in seinem Aufsatz Die Furie des Zerstörens versucht, den Begriff des Terrorismus einer Kritik zu unterziehen, vollzieht er genau diesen, für die antideutsche Linke spätestens im noch recht jungen 21.Jahrhundert konstitutiven Drahtseilakt. Mit Marx und Hegel legt er einerseits den gewaltvollen Kern jedes positiven Rechts frei; erst die dezisionistische Setzung, der ungebundene und brutale Akt eines Souveräns etabliert das, was sich später zum Recht verfestigt. (128f.) In einem zweiten Schritt wird die Rationalität, die sich im besten Falle mit dem politischen und rechtlichen Vermittlungsformen setzt, gegen die entgrenzte Gewalt der nationalsozialistischen Vernichtung der Juden oder ein islamistisches Selbstmordattentat in Stellung gebracht. Gewalt, die sich im Rahmen eines bürgerlich verfassten Staates bewegt so zumindest der Idealtypus , bewegt sich im Gegensatz zu dem gerade genannten innerhalb einer Zweck-Mittel-Rationalität. Die Frage, wo sich in diesem Spektrum die als revolutionär titulierte Gewalt der RAF befindet, stellt Scheit nur am Rande und beantwortet sie kurz. Zwar macht es sie keinen Deut besser, aber auch für sie galten, so Scheit, die Grenzen, die der politische Rahmen für Anwendung nichtstaatlicher Gewalt setzt. (140) Gerade weil die RAF sich noch so weit im bürgerlichen Horizont bewegt, also noch viel mehr Teil des Kosmos ist, dem die ISF und Angrenzendes im wahrsten Sinne des Wortes entsprungen sind, gerade deswegen hat die Kritik ein Doppeltes zu leisten: Mit der bürgerlichen Gesellschaft die bewaffnete Kritik an ihr anzugreifen, ohne beiden ideologisch auf den Leim zu gehen. Ob ein solches Schwanken von der Leserschaft goutiert wird ist fraglich. Aber wen interessiert schon das Publikum. Walter Schrotfels Anmerkungen (1) So ein voluminöser Sammelband über die Frankfurter Schule: Clemens Albrecht et. al. (Hrsg.): Die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik Eine Wirkungsgeschichte der Frankfurter Schule. Frankfurt a.M. / New York 1999. (2) Joachim Bruhn / Jan Gerber (Hrsg.): RAF Fiktion. Freiburg i.Brsg. 2007. S. 7. [Seitenangaben künftig im Text] (3) Äußerst illustrativ für die unterschiedlichen Positionen hinsichtlich 1968 ist in diesem Zusammenhang ein Streitgespräch zwischen Götz Aly und Katharina Rutschky. (Tageszeitung, 29.12.2007) Hier haben wir die romantisch auf 1968 zurückblickende Rutschky, die eine konsequente Linie von der Studentenbewegung zur Wiedervereinigung zieht und dort der totalitarismustheoretisch geschulte Götz Aly, dem die Studenten und Professoren der 60er ein Krisenphänomen und potentiellen Terroristen der 70er Jahre sind. (4) In einem weit ausholenden Aufsatz der über die RAF über Frantz Fanon bis hin zu Walter Benjamin reicht - hat das jüngst Wolfgang Kraushaar nachgezeichnet. (Vgl. Wolfgang Kraushaar (Hrsg.): Die RAF und der linke Terrorismus. Band 2. Hamburg 2006. S. 140-156.) (5) Vgl. Manfred Dahlmann: Was ist antideutsch?, in: Bahamas 42 + 43. |
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