In der letzten Zeit kann man sich nicht in der Öffentlichkeit bewegen, ohne
dass einem scharenweise ästhetische Beleidigungen entgegenspazieren. Nein,
es ist nicht das Revival des Bathik. Auch ist es nicht das immer gleiche
Konterfei vom world`s greatest t-shirt salesman, dessen Todestag nun
schon 40 Jahre zurückliegt. Diese Modebewegungen kann man aufgrund
ihrer Bedeutungslosigkeit prima selektiv ausblenden. Aber bei einer Erscheinung
stößt die Fähigkeit der selektiven Wahrnehmung dann doch an
ihre Grenzen. Es geht um die Renaissance eines Lappens. Ein allzu bekanntes
Geschirrtuchmuster fand seinen Weg wieder zurück an den menschlichen
Hals.
Seine originäre Funktion ist so schlicht wie unideologisch, will uns ein
Internet-Lexikon suggerieren. Dem zufolge wird das Tuch [...] von Arabern
zum Schutz vor der Sonne getragen. Da es in Deutschland nicht allzuviel Sonne
gibt, aber anscheinend eine steife Brise, wurde es hier Ende der 60er eher
direkt unterhalb des Kopfes getragen. Nach innen wärmte es auch geistig,
konnte man sich doch ohne weitere Kommunikation resp. Inhalte, nur durch die
Uniformierung, der Zugehörigkeit einer Gemeinschaft versichern.
Interpretiert man die Aussagen der damaligen Protagonisten Fischer & Co.,
diente es als Chiffre für einen diffusen Widerstand, oder bei nicht
wenigen auch ideologisch eine Stufe höher: Als direkte Solidarisierung mit
dem palästinensischen Widerstand.
Seine damalige weite Verbreitung in Deutschland verdankt sich sicherlich nicht
nur der Funktion als Immunisierung gegen Ideologiekritik, ohne dabei zugleich
einen größeren geistigen Aufwand bemühen zu müssen. Ebenso
war es unglaublich um ein Schlagwort der DDR-Werbeindustrie aufzugreifen
multifunktional: In der politischen Praxis diente es der Vermummung.
Auch konnte es nach jener Praxis durch Befeuchtung zur Linderung von
Tränengaseffekten oder knüppelharten Hämatomen dienen. Da aber
jedem damals eingeimpft wurde, dass auch das Private politisch sein müsse,
wurde der Palifeudel nach dem wilden Aktionismus nicht entsorgt oder zumindest
auf den Dreckwäschehaufen gelegt. Er diente (nicht selten auch in genau
dieser Reihenfolge) als Einkaufsbeutel, Babytragetuch und zugleich
Ökowindel oder als Sitzunterlage auf einer feuchten Sommerwiese, wenn der
Träger des Jonglierens müde war. Da das Sarong-Deckchen auf dem Tisch
im heimischen Refugium zwar der Projektion ins Fremde dienlich war, aber der
Stereotyp vom spirituellen Inder nicht gerade viel Militanz hergab, bürgte
man auch diese Funktion dem PLO-Tuch auf.
Schon eine ganze Weile feiert der Terrorwickel fernerhin seinen Siegeszug in
der rechten Szene, die ja bekanntermaßen beim Maschieren keine
Widerstandsbewegung eines Volkes links rechts liegen
läßt, auch wenn es sich ihrer Logik nach um eine von
Untermenschen handelt. Schaut man sich die theoretischen Diskussionen in
diesem Spektrum an, scheint das einer der immer wiederkehrenden Streitpunkte zu
sein (oft verknüpft mit der Frage, ob man denn Döner essen
dürfe).
Die Arafat-Windel wird aber nicht mehr nur getragen von inzwischen uralten
MLern, der immer seltener werdenden Ethnie Stadtindianer,
ästhetisch-irgendwie-linken Halbwüchsigen oder eben von Nazis,
ganz bewußt in der Tradition el-Husseinis. Mittlerweile wird es vermehrt
von sich selbst als modebewußt bezeichnenden Jugendlichen und Mitt- bis
End-Zwanzigern umgewickelt, denen man, ausgehend vom Rest ihrer Erscheinung,
mit Adorno einen an Gesundheit erkrankten Menschenverstand unterstellen
könnte die also gesellschaftliche Normvorstellungen, welche sie mit
und vor sich herumtragen, mit das is` nunmal so begründen
würden. Warum tragen sie dann das scheinbar in Kontrast zu ihrem
restlichen Stil stehende Tuch? Wollte man nur ein möglichst
gleichförmiges Muster tragen, hätte man sich auch bei Burlington
bedienen können. Die Antwort gibt der Ausdruck radical chic als
Bezeichnung für ein Auffallen durch einen logischen Bruch in der
Ausdrucksform, der durch als radikal verstandene Zeichen erwirkt werden soll.
Aber wie kam das Palituch so weit?
Jede Bewegung, die sich das Tuch als Dresscode aneignete, stieß die
vorherige (oder zumindest ihre Reste) vor den Kopf. Beim SDS und ihrem Umfeld
galt es noch als Zeichen für einen revolutionären Geist. Die
Autonomen der 80er gaben den Gedanken an Revolution auf und zogen sich
resignativ in ihre städtischen Reservate zurück, nur das Tuch
wollten sie nicht ablegen, es diente ihnen zur Stilisierung eines
selbstgewollten Renegatentums. Von den Autonomen über die Gutter Punks,
fand es Einzug in viele Musikszenen und Jugendkulturen, die, obschon allen
Komfort des Kapitalismus genießend (was die einer Verzichtslogik
frönenden Autonomen sehr ärgern musste), sich wenigstens in ihrer
Musik und gerade im Kleidungsstil noch Authentizität, Radikalität
und Individualismus attestieren wollten/wollen. Dann okkupierten
Nazis das Symbol, was wiederum viel kognitive Dissonanz in linken Lagern
auslöste, die schnell wieder durch die allzu plumpe Argumentation
geglättet wurde: Die meinen das nicht so, die klauen nur bei uns
(man könnte meinen, als eine Art Retourkutsche für die
Londsdale-Aneignung). Gegenwärtig wird es von ModeliebhaberInnen scheinbar
völlig sinnentleert und verkommt so zur reinen Geschmacksfrage.
Bravo und Young Miss, deren Leserschaft sich eher vor der Twen-Grenze verortet,
hatten jeweils Modebeiträge mit dem Titel Pimp your Pali, in denen
Anleitungen und Kaufempfehlungen gegeben wurden, die im Handumdrehen aus einem
Lappen Sommerkleid, Rock oder Handtasche machen. Massiv (als das rappende
Palituch), Johnny Depp, Roger Cicero oder die verbliebenen Insassen der Sendung
Popstars on Stage seien hier nur exemplarisch als role models genannt.
Die Liste ließe sich ewig fortsetzen.
Bei H&M ohne jegliche Erläuterung schon im Standard-Repertoire, geben
andere Firmen noch kleine Verständnishilfen hinzu. Wöhrl, dem Autor
bisher nur durch Socken aufgefallen, bewirbt den Schal mit den Worten: Es
muß nicht immer der glatte Harvard-Stil sein Auch leises
Rebellentum mit Anstand überzeugt. Ein Trend, der sich völlig
unkompliziert stylen lässt. Der Frontlineshop, lt. Eigenbekundung
Deutschlands größter Indie-Versand, gibt sogar einen kleinen
Geschichtsabriss zum Besten In den 30ern von Amin el-Husseini
eingeführt, stand es für den Widerstand gegen die kulturelle
Moderne` des Westens. Besonders die deutsche Linke griff diese Thematik in den
70ern auf und ließ sie in ihre eigene Revolution einfließen, um
daraus ohne Umschweife die Motivation für den Kauf zu stricken: Ein
solches Symbol für das Radikale, dessen ursprüngliche Konnotation
zunehmend verblasst und sich rebellisch-nostalgisch in bunten Farben in das
Modegeschehen einfügt, kann Dich durchaus auch heute noch in sehr
interessante Gespräche verwickeln. Just to let you know. Wenn man,
vermittelt über das Palituch, Husseini als Grundlage für
interessante Gespäche anpreist, wie stellt sich der Texter dann
vor, sollen diese aussehen? Just to let you know, ich hab` heute schon
ein paar Juden getötet?
Wie ist nun aber die modeindustrielle Vereinahmung des Wickels zu werten? Als
dialektisches Bonmot im Kampf der Kulturen: Die Armada modisch
motivierter PaliträgerInnen als VorkämpferInnen des westlichen
Lifestyles gerade durch ein arabisches Identifikationsobjekt? Oder wird es so
aus dem politischen Raum verbannt, weil es den TrägerInnen nicht mehr
genug Distinktionsgewinn zur unpolitischen Masse bietet? Wenn ja, würde es
mit einem Trendwechsel für unbestimmte Zeit in der Versenkung
verschwinden? Oder überdecken die vielen Farben nur den quasi-braunen
Ursprung und dieser tritt irgendwann wieder zutage, weil die politisch
motivierten TrägerInnen nun einen ideologischen Anknüpfungspunkt zur
eigentlich unpolitischen Masse haben? Ist dem Feudel auch unabhängig vom
Anknüpfungspunkt durch die Verkitschung zu etwas
Folkloristisch-Rebellischem für immer der ideologische Kern
eingeschrieben? Die Beantwortung dieser Fragen überlasse ich anderen und
begnüge mich mit Häme über jene Leute, die sich darüber
ärgern, daß ihnen eines ihrer Haupt-Abgrenzungsutensilen flöten
gegangen ist. Nicht viel, aber immerhin.
Abe
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