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Gegenteil von Rassismus,
waagerecht


Verschriftlichung des Referats „Antirassismus und die Befreiung des Individuums“, gehalten am 18.08.07 im AJZ Bunte Platte

Wie der Name des Referats schon vermuten lässt, soll im Folgenden nicht die Beschäftigung mit klassisch rassistischen Vorurteilen, Klischees oder Handlungen im Mittelpunkt stehen. Ich gehe schlicht und einfach davon aus, dass von den hier Anwesenden niemand Menschen aufgrund ihrer Herkunft diskriminieren oder gar angreifen würde. Die Erkenntnis, dass Menschen in ihrem Charakter nicht primär durch Genetik, geografische Herkunft, biologische Vorfahren oder dergleichen geprägt sind, sondern ihre Persönlichkeit in der Auseinandersetzung mit ihrer Umgebung entwickeln, kann man nicht nur mit wissenschaftlichen Studien untermauern. Auch die triviale Erfahrung, dass man Freundschaften ebenso gut im Ausland oder per Internet global entwickelt und im Gegenzug die meisten Arschlöcher, die man in der Heimat trifft, Weißbrote sind, kann dies anschaulich bestätigen. Hinzu kommt, dass zu eben jenem Thema schon viele kluge Dinge geschrieben wurden, auf die ich hiermit nur verweisen will(1). In dieser Abhandlung soll näher beleuchtet werden, was mit der bloßen Ablehnung und Verneinung des Rassismus – welche ich voraussetze – nicht gesagt ist. Nämlich erstens, warum es ihn trotzdem noch gibt, bzw. warum er entsteht und zweitens, wie man ihm angemessen begegnet.

1. Eine einfache Welt ist einfacher

Wie schon gesagt, Rassismus gibt es noch. Anhand klassischer Vorurteile lassen sich meines Erachtens dabei grob zwei verschiedene Formen beschreiben (die folgende Darstellung ist sehr vereinfacht und unterschlägt zum Teil wichtige Gedanken; daher hiermit der nochmalige Verweis auf frühere Artikel). Da wäre zum Einen die Herabwürdigung. Betroffene werden
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dabei in der Regel als Halb- oder Untermenschen, als aufgrund ihrer biologischen Beschaffenheit naturverfallen, triebgesteuert, weniger vernunftbegabt o.ä. beschrieben. Opfer solcher Ideologie sind oft Menschen mit dunkler Hautfarbe, doch historisch kann man bspw. auch beim Antislawismus der Nazis eben jene Zuschreibungen finden. Während dieses rassistische Klischee also eine Nähe zum Tierreich, eine Minderwertigkeit o.ä. unterstellt, wird beim Antisemitismus eher eine Übermacht ausgemacht. In den paranoiden Vorstellungen einer jüdischen Weltverschwörung beispielsweise, oder in der Aussage, Juden könnten besonders gut mit Geld umgehen und damit die Wirtschaft kontrollieren, schwingt ja immer auch eine Darstellung des Gegenüber als in mancher Hinsicht überlegen mit. Obwohl beides rassistische Ideologien sind, haben Rassismus und Antisemitismus also doch verschiedene Inhalte. Im Folgenden ist diese Unterscheidung deswegen von Bedeutung, weil gezeigt werden soll, dass, so paradox es klingen mag, manche vermeintlich „antirassistische“ Initiativen bspw. antisemitische Klischees bedienen. Doch dazu später.
Bei der Frage danach, warum Menschen rassistisch denken, fällt zunächst auf, dass mit dem Herabwürdigen des Gegenüber immer auch eine Aufwertung der eigenen Person stattfindet. Indem man sich nach unten abgrenzt, andere als schwach, minderwertig und triebgesteuert beschreibt, ist ja vor allem eines gesagt: Man selbst ist vollwertig, vernunftbegabt, stark. Es kommt nicht von ungefähr, dass vor allem Menschen anfällig für rassistisches Gedankengut sind, welche im Chaos der heutigen Gesellschaft zugrunde gehen. Wenn sich im undurchsichtigen Treiben auf dem Weltmarkt jede Streichung von Arbeitsplätzen, jede Preiserhöhung o.ä. dem eigenen Verständnis entzieht und damit die gesamte Lebensgrundlage auf unsicheren Beinen steht, so ist das Bedürfnis nach Sicherheit groß. Und da die aufklärende Beschäftigung mit den komplizierten Prinzipien des Marktes oder mit der bürgerlichen Gesellschaft im Allgemeinen geistig anstrengend, langwierig, unkomfortabel und vor allem unpopulär ist, beruhigt die falsche Vorstellung, Menschen wären primär durch ihre Abstammung geprägt, ungemein. Zur falschen Herstellung des eigenen Egos taugt das ja auch ganz gut: wäre Faulheit und Dummheit bzw. Fleiß und Intelligenz eine Sache von Prägung und Entscheidung ließe sich daran etwas ändern. Die von Rassisten halluzinierten natürlichen Gegebenheiten scheinen jedoch unveränderbar. Es drängt sich hier zudem der Eindruck auf, dass eine Gesellschaft, deren Gesetze schwer bis nicht verstehbar sind; eine den Menschen als unkontrollierbare Macht gegenüberstehende Gesellschaft also, auch Gedankenformen provoziert, welche in den sozialen Umständen dann ebenso unveränderbare, quasi natürliche Gegebenheiten sehen wollen. Auch wenn offensichtlich ist, dass nicht alle Menschen, die im Wirrwarr des heutigen Kapitalismus aufwachsen, der Einfachheit halber Rassisten werden, so würde ich doch behaupten, dass eben jenes Wirrwarr tendenziell nicht begriffen, und, solange man es nicht beseitigt, auch Rassismus ebenso wie Antisemitismus verursachen wird. Aller Überredungs- und Argumentationskunst zum Trotz.

2. Die Angst vor Gleichheit

Rassistisches Gezeter wird ja auch bekanntlich immer dann lauter, wenn die Realität einmal mehr dessen Unhaltbarkeit beweist. Wenn der Arbeitsmarkt klar und unmissverständlich ausdrückt, dass man als normaler Zonendeutscher ausländischen Fachkräften in jeder Hinsicht unterlegen ist, dann muss diese Tatsache umso lauter verneint und überschrieen werden. Doch sind diese Klischees der Ausländerhasser wirklich nur durch Fremdenfeindlichkeit erklärbar? Die Parole „Ausländer raus! Arbeit zuerst für Deutsche!“ lässt beispielsweise anderes vermuten. Zwar ist diese Parole, ebenso wie die staatliche Praxis, Menschen aus anderen Ländern den Zugang zu nationalen Arbeitsmärkten zu verwehren, prinzipiell fremdenfeindlich – schließlich wird Reichtum in diesem Fall nach Kategorien der Herkunft verteilt – doch rührt die Angst vor den Fremden woanders her. Denn was der gemeine Nazi in diesem Fall an „dem Ausländer“ fürchtet, ist nicht dessen kulturelle Verschiedenheit, sondern seine potentielle Gleichheit als Arbeitskraft – als Mensch mit der Fähigkeit, den Job des lange Ansässigen ebenso gut oder besser zu erledigen. Die Forderung nach einem Ausschluss verschiedener Menschen vom hiesigen Lebensstandard wird also auch vorwiegend laut, weil die Tendenz der Gesellschaft eine andere ist. Idealtypisch zählt eben auf dem Weltmarkt die Fähigkeit, zur Geldvermehrung beizutragen, mehr als Herkunft, Hautfarbe, Kultur und Religion zusammen. Die Kehrseite dieser Gleichheit ist allerdings der reale Ausschluss vom Reichtum für Menschen, die sich nicht auf dem Weltmarkt verdingen können. Eine Kritik am Ausschluss durch Marktprinzipien ebenso wie die Kritik rassistischer Ausgrenzung sollte demnach sein, dass der von Menschen produzierte Reichtum allen Menschen zu Gute kommen sollte, dass also die höchstmögliche Befriedigung menschlicher Bedürfnisse eine universelle, d.h. für alle Menschen geltende Selbstverständlichkeit sein sollte. Eine Forderung freilich, welche von bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften nicht erfüllt werden kann.

3. Antirassismus als Kulturrelativismus

Prinzipiell wäre damit schon alles gesagt, was rassistischen und xenophoben, also fremdenfeindlichen Behauptungen entgegen zu halten wäre (vom sportlichen Teil der Auseinandersetzung mal abgesehen). Dass ein universeller Anspruch selbstverständlich auch von Menschen aus anderen Kulturkreisen eingefordert werden kann und sollte, versteht sich hierbei von selbst. Auch plumpe Xenophobie, welche davor warnt, dass Deutschland durch andere Kulturen „überfremdet“ werden könnte und hier ein angestammter Platz für eben „deutsche Kultur“ sei, verbietet sich, daran anschließend, wie von selbst. Denn Erscheinungen, die gemeinhin unter dem Begriff „Kultur“ gefasst werden – Musik, Kleidung, Essgewohnheiten, Sprache etc. – sind nicht nur wandel- bzw. erlernbar sondern vor allem individuell verschieden und nicht kollektiv gleich. Anders ausgedrückt: ein Eingeborener aus der Uckermarck kann sich ebenso für jamaikanische Folklore, indisches Essen und Spanischunterricht begeistern wie ein israelischer Jugendlicher für Tokio Hotel, Fast Food und Latein. Auch hier sollten individuelle Vorlieben das Maß aller Dinge bzw. das universelle Anrecht auf Verschiedenheit ohne Angst, ein für alle Individuen zu verwirklichender Mindeststandard sein.
Völlig falsch und gefährlich, allerdings auch weitaus populärer, ist in Europa eine andere Reaktion auf Xenophobie. Die prinzipiell individualitätsfeindliche Rede von Kulturen, besser noch von „angestammten Kulturen“, wird oft auch von Verteidigern einer multikulturellen Gesellschaft übernommen. Sie gehen kollektivierenden Vorstellungen auf den Leim und setzen der Anfeindung von Kulturkreisen nicht das Recht des Individuums auf Andersartigkeit sondern das der Kulturen auf Authentizität und ursprüngliche Identität entgegen. Und das ist ein Unterschied ums Ganze. Schließlich kann man nicht automatisch jede Kultur nur aufgrund ihrer Andersartigkeit von Kritik ausnehmen und ihr eine Berechtigung zusprechen. In den letzten Monaten wurde dies besonders an den Diskussionen um Migranten mit muslimischem Hintergrund anhand von Schlagwörtern wie „Ehrenmorde“, „Kopftuchdebatte“, „Karikaturenstreit“ usw. deutlich. Vermeintliche Antirassisten argumentierten oft, man könne solche Phänomene nicht aus „eurozentristischer“ Sicht kritisieren, es fehle einem der Einblick, da man ja einem anderen kulturellen Hintergrund entstamme und mit bspw. der Denunzierung des Kopftuchs als Symbol der Unterdrückung von Frauen in rassistischer Manier eine ganze Kultur verteufeln würde. Leute, die solche Vorstellungen vertreten, sagen damit gewollt oder ungewollt: „Wir hier als Europäer haben zwar Menschenrechte, dürfen unsere Meinung frei sagen, als Frau sexy rumlaufen und über Gott lästern, ABER wir können das nicht von anderen Kulturen erwarten.“ Ebenso wie ihre vermeintlichen Widersacher von rechts sehen solche „Antirassisten“ Menschen primär unter dem Blickpunkt ihrer Kultur und – wenn überhaupt – erst danach als Individuen. Unter dem Deckmantel eines solchen „Antirassismus“ kann keine Forderung nach individueller Freiheit gestellt werden, da offensichtlich Rechte wie Meinungsäußerung, Religionsfreiheit oder die Selbstbestimmung der Frau nicht als universelle Rechte begriffen, sondern je nach Zugehörigkeit zur Kultur als relativ angesehen werden. So wird die Kritik am islamischen Recht der Scharia als eurozentristisch abgelehnt, werden junge Muslimas auf Initiative der Eltern vom Schwimmunterricht ausgeschlossen, werden Ehrenmörder, die ihre Schwester zur Rettung der Familienehre umbringen, milder bestraft usw. usf. Solche Praktiken und Vorstellungen sind im Endeffekt nichts als purer Rassismus, da zum Einen in der Verteidigung von Kulturen um ihrer Selbst willen und in der Sorge um ihre Authentizität auch immer die Forderung mitschwingt, sich gemäß der eigenen Kultur zu verhalten. Und zum Anderen bestimmten Individuen Rechte aufgrund ihrer kulturellen Abstammung abgesprochen werden, welche man für sich selbst aber beansprucht.
Es ist dabei mehr als offensichtlich, dass solche Vorstellungen vorwiegend von Menschen vertreten werden, die ich hier der Einfachheit halber mal als „Wohlstandsarschlöcher“ bezeichnen will. Sie sind mit Nutella, Pornoheften, Ethikunterricht und rechtsstaatlichen Sicherheiten aufgewachsen und wissen überhaupt nicht um die Opfer, welche dafür erbracht wurden. In gesellschaftlichen Zuständen, für die im Europa der letzen 300 Jahre unzählige Freiheitskämpfer ihr Leben ließen, sehen sie keine zivilisatorischen Mindeststandards mehr, hinter die es kein zurück geben sollte. Schlimmer noch: wie beim Durchblättern eines Reiseprospekts finden sie gefallen an „fremden Kulturen“, in denen immer noch Menschen unter grausameren Bedingungen leben müssen. Sie verklären diese in romantischer Manier als ach so authentisch und erwarten damit allen Ernstes auch noch, dass bspw. muslimische Migranten in westlicher Umgebung ihren „Traditionen“ treu bleiben und für die Einheimischen ein multikulturelles Kasperletheater veranstalten. Auf Kosten von Frauen, Homosexuellen, Atheisten und allen anderen, die mit ihrem kulturellen Hintergrund eigentlich nichts zu tun haben wollen.

4. Antirassismus global

Es ist nicht sonderlich überraschend, dass derartige Vorstellungen nicht nur auf menschlicher oder auf innenpolitischer Ebene verdorbene Früchte tragen. Seine globale Entsprechung findet der oben geschilderte „Antirassismus“ in antiimperialistischen Bestrebungen. Wer die Andersartigkeit und Authentizität von Kulturen im eigenen Land bewahren will, der möchte natürlich auch in deren ausgemachten „Ursprüngen“ auf Teufel kaputt keine Entwicklungen. Als exemplarisch für ein ganzes Weltbild können hier meines Erachtens Positionen zu den Konflikten im Nahen und Mittleren Osten herangezogen werden. Anhand von Statements zu den Spannungen zwischen Israel und seinen Nachbarn als auch zur amerikanischen Politik im Bezug auf Irak und Iran kann leicht auf ein allgemeines Weltbild klassischer Antiimperialisten geschlussfolgert werden.
So konnte man im Vorfeld des Irakkriegs 2003 aus allen Ecken Stimmen hören, welche das Vorhaben der USA, die Diktatur Saddam Husseins zu beenden und eine Demokratisierung voran zu bringen, kritisierten, weil man die „westliche Kultur“ nicht einfach so woanders installieren könne. Die irakische Bevölkerung wäre auch so glücklich, man solle sich nicht überall einmischen, die Verhältnisse dort seien eben so „gewachsen“ usw. usf.(2) Um nicht missverstanden zu werden: nicht jede Kritik an den USA ist von solcher Irrationalität geprägt und verbietet sich automatisch– mein Vorwurf beispielsweise wäre, dass sie ihr Programm der Demokratisierung nicht energisch genug verfolgen – doch kann man ihre außenpolitischen Maßnahmen nicht aus der Perspektive angeblich „gewachsener Kulturen“, welche man schützen müsse, kritisieren. Denn was vielleicht auf den ersten Blick wie die Sorge um Menschen aus anderen Kulturkreisen aussieht, ist im Endeffekt nichts als die Verewigung ihres Elends. Wer die Verurteilung einer Diktatur als zu eurozentristisch oder als US-imperialistisch kritisiert, sagt damit ja, dass Gewaltherrschaft, die Unterdrückung von Frauen, Armut und Elend sozusagen der rechtmäßige Ausdruck des „irakischen Wesens“ wären. Immerhin sei das ja dort so „gewachsen“. Gleiches gilt für die Unterstützung des momentanen irakischen oder des von bspw. Hisbollah und Hamas im Grenzgebiete zu Israel praktizierten „Widerstands“, der kein Widerstand ist, sondern rücksichtsloser islamistischer Terror, der die Ermordung unschuldiger Menschen nicht nur in Kauf nimmt, sondern anstrebt. Dazu hier einmal zwei Zitate aus der antiimperialistischen Querfront gegen die USA und Israel:

„Fraglos ist die radikal-islamische Hamas ein legitimer Ausdruck palästinensischen Selbstbehauptungswillens. Und natürlich handelt es sich bei den irakischen Widerständlern um Freiheitskämpfer [...] Die arabische Welt führt gegenwärtig einen moralisch gerechten und völkerrechtlich sanktionierten Verteidigungskampf gegen die Aggressoren der „McWorld“, gleich ob in Afghanistan, im Irak oder zukünftig im Iran. Nur zu offensichtlich wollen sich die Amerikaner in einem neuen Kreuzzug die Wirtschaftsressourcen des Nahen Ostens unter den Nagel reißen und dem arabischen Raum mit Hilfe von Marionetten-Regimen ihre neoprimitive Dollar-Zivilisation aufzwingen.“(3)

„Der irakische Widerstand ist effektiv, er richtet sich gegen die Besatzungsmacht und deren Versuch einheimische Kollaborateure einzusetzen. Die USA konnten den Irak bisher weder politisch noch ökonomisch stabilisieren. Vom Widerstand gesprengte Erdölleitungen verhindern die Ausplünderung des Landes durch die Besatzer. Der irakische Widerstand setzt sich aus vielen verschiedenen politischen Gruppierungen und Interessen zusammen, es kann jedoch nicht unsere Aufgabe sein, mit eurozentristischer Denkweise zu entscheiden wer im Irak Widerstand leisten darf und wer nicht. In einer Frage ist sich die irakische Bevölkerung einig, die Besatzer müssen schnellstens raus. [...] Im Irak weiß jedes Schulkind, wer für zwölf Jahre Boykottelend (über eine Million Tote) verantwortlich war und wer den völkerrechtswidrigen Angriff der USA nachträglich legitimierte, indem die Gelder aus dem ,Öl für Lebensmittelprogramm’ den US-Streitkräften zur Verfügung gestellt wurde.“(4)

Was vielleicht einige verwundert wird, ist, dass diese Statements sich zwar inhaltlich beinahe gleichen, jedoch letzteres vom linken, antiimperialistischen Gegeninformationsbüro stammt und das erste von NPD-Vordenker Jürgen W. Gansel. In dieser Frage einig, stellen sie die Terrorakte im Irak und im Grenzgebiet als verzweifelten Kampf der Unterdrückten dar und nicht als islamistischen, antisemitischen Terror. Ein Blick in die Charta der Hamas oder in die Bekennerschreiben der irakischen Terroristen lässt keinen Zweifel an deren offen ausgesprochenem Antisemitismus, der in diesem Fall nicht nur eine ohnehin schon menschenfeindliche „Meinung“ ist, sondern eine ernst gemeinte Morddrohung von Menschen, welche über tödliche Waffen verfügen. Das Ziel der Attentäter ist die Errichtung eines Gottesstaates wie ihn die Taliban in Afghanistan bis zum Einmarsch amerikanischer Truppen organisierten. Und wieder ausgehend von einer universellen Forderung nach menschlicher Freiheit überall auf der Welt, ist es selbstverständlich notwendig, diesen antisemitischen Terror aufs schärfste zu kritisieren und zu bekämpfen. Dem Satz des Gegeninformationsbüros, dass es „nicht unsere Aufgabe sein [kann], mit eurozentristischer Denkweise zu entscheiden wer im Irak Widerstand leisten darf und wer nicht“ ist daher ein klares „Doch!“ entgegen zu schmettern. Antisemitismus und religiöser Wahn ist immer und überall auf der Welt zu kritisieren und zu bekämpfen. Oder um es als Frage zu formulieren: Was wäre die Aufgabe antifaschistischer Gruppen, wenn Nazis über Kurzstreckenraketen, Maschinengewehre und Bombengürtel verfügen würden?
Im Gegenzug zu den „antirassistischen“ und antiimperialistischen Menschenfeinden hier in Europa, welche sich anscheinend für alle Menschen der arabischen Welt ein „ursprüngliches Leben“ unter der Knute islamistischer Regimes herbeisehnen, vertreten kommunistische Kräfte aus dem Irak Positionen, welche wohl bei hiesigen Antiimps als antideutsche Propaganda verschrien wären. Exemplarisch einmal aus dem Mund von Rashid Ghewielib, Vertreter der Irakischen Kommunistischen Partei in Deutschland:

„Man muss das ganz klar sagen: Die Forderung nach einem sofortigen Abzug ist verantwortungslos gegenüber den Menschen in diesem Land. Die Terroristen sähen sich von heute auf morgen keiner wirksam organisierten militärischen Kraft mehr gegenüber. Die Folge wäre ein Blutbad ohnegleichen, das die jetzigen schrecklichen Zustände weit übertreffen würde.“(5)

5. Antisemitismus als gemeinsamer Nenner

Es ist ja nicht nur so, dass man mit dem Gerede von Eurozentrismus, US-Imperialismus und dem rechtmäßigen Widerstand Unterdrückter die antisemitischen Mörderbanden geradezu hofiert werden und ihnen argumentativ Rückendeckung gegeben wird. Neben dieser offenen Solidarität mit islamischen Terroristen trägt das Weltbild der Antiimps und „Antirassisten“ auch selbst antisemitische Züge(6). In deren Denkweise werden die Akteure des Weltgeschehens üblicherweise recht einfach in Unterdrücker und Ausbeuter, also Imperialisten auf der einen und Unterdrückte auf der anderen Seite eingeteilt. Erstere werden dabei vorwiegend mit den USA und ihren Verbündeten – allen voran Israel – in Verbindung gebracht und ihr Handeln wird als expansiv, bellizistisch, also kriegstreiberisch und von Profit- und Machtstreben motiviert dargestellt. Diese Zuschreibungen werden oft durch die klassischen Verurteilungen einer angeblich künstlichen, einfältigen und ebenso nur an Geld interessierter westlichen Kultur, dem „Coca-Cola-Imperialismus“, der „Dollar-Zivilisation“ oder der „McWorld“, ergänzt. In der anderen Ecke des globalen Ringkampfes, bei den Unterdrückten, verortet man hingegen den effektiven Widerstand, eine ursprüngliche Kultur – offenbar von Dollar, McDonalds und Coca-Cola unabhängig – und die militante Speerspitze des internationalen Kampfes gegen den Kapitalismus, welcher ja mit dem Imperialismus identifiziert wird. Diese Einstellung, welche sich vor allem seit dem Vietnamkrieg in der westlichen Linken etabliert hat, schlägt sich in der Regel auf die Seite jeder noch so fiesen „nationalen Befreiungsbewegung“, wenn sie sich nur gegen die USA, gegen Israel oder deren Verbündete richtet. Wenn – was selten geschieht – doch mal der meist offen reaktionäre Charakter vieler „Volksbefreiungen“ (antisemitisch, homophob, frauenfeindlich etc.) angesprochen wird, dann meist mit der Rechtfertigung, dass diese Menschen eben verzweifelt seien, wegen der Unterdrückung keine andere Wahl hätten usw. Dargestellt am Beispiel der oft verteidigten Hamas im Kampf gegen Israel würde dies nicht nur die Palästinenser völlig autoritär bevormunden, da man ihnen ja unterstellt, sie könnten keine bewussten Entscheidungen für ihre Taten treffen, wären zu ihrem Vorgehen gezwungen, wären nur wegen der fremden Einflüsse so und nicht aus Überzeugung. Weiterhin hieße es, dass Israel die Verantwortung für Selbstmordattentate und anderen antisemitischen Terror trüge – der jüdische Staat also selbst Schuld am Antisemitismus wäre.
Dieser Antiimperialismus bedient demnach zahlreiche antisemitische Klischees. Die Gegenüberstellung: geldorientiert, expansiv, künstlich, weltbeherrschend, raffend vs. ursprünglich, ehrlich, verzweifelt kämpfend, schaffend, entspricht bspw. in Gänze dem Bild welches die Nazis von sich gegenüber der angeblichen jüdischen Weltverschwörung hatten. Es soll hier nicht gesagt sein, dass alle Antiimperialisten explizit antisemitisch wären (viele sind es allerdings), doch ihr Weltbild nimmt ähnliche Gut-Böse Unterteilungen vor, bedient gleiche Klischees und hat als Welterklärungsideologie eine ähnliche Funktion. Und diese Ähnlichkeit bis Gleichheit erklärt wohl auch die inhaltlichen Überschneidungen zwischen Neonazis und linken Antiimps, welche ja nicht nur bspw. vom Generalsekretär der NPD Peter Marx zum Ausdruck gebracht werden, wenn er der Linkspartei, bzw, deren Chef Lafontaine ehrlicherweise in außenpolitischen Fragen „lupenreine und völlig authentische NPD-Positionen“ bescheinigt(7). Auch das gemeinsame Tragen von Palitüchern oder der gemeinsame Hass auf die USA und Israel und analog dazu die Begeisterung für ursprüngliche Kulturen sind Indizien dafür. Die Kategorien Links vs. Rechts kann man also keineswegs mehr als Anzeichen für Fortschrittlichkeit vs. Reaktion betrachten, wenn das überhaupt mal so war.
Im Zuge dieser Annäherung kann auch immer mehr eine Gleichheit der Aktionen betrachtet werden. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die deutschen Antiimperialisten beim Betrachten des ach so ehrlichen und opferbereiten Widerstands der Völker selbst ein wenig neidisch werden oder zumindest fühlen, sie müssten auch mal so richtig krass gewalttätig und konsequent sein. So wurde am 27.06.07(8) eine Vortragsveranstaltung zum Thema „Solidarität mit Israel“ in Magdeburg von teilweise vermummten Vertretern der linken „Gruppe Internationale Solidarität“, der „Autonomen Antifa Magdeburg“ und der „Frauengruppe Magdeburg“ gewalttätig angegriffen. Der Versuch, eine rein inhaltliche Auseinandersetzung mit Pflastersteinen und Pfefferspray zu stürmen, unterscheidet sich in keiner Weise von einem Neonaziangriff und wurde fälschlicherweise auch zuerst für einen gehalten. Auch in Wien wurde bereits die Veranstaltung „Der Iran und die Bombe“ am 9. März 2005 von Vermummten Anttimps aus dem linken Spektrum verhindert(9). Hinzu kommen unzählige gewalttätige Übergriffe auf israelsolidarische Antifas am Rand von Demonstrationen, die bis hin zu Messerattacken mit schweren Verletzungen reichen(10). Dass die scharfe Verurteilung solcher Vorgehen keineswegs bedeutet, dass man mit antideutschen Positionen zwingend konform gehen muss, sollte klar sein. Es geht hier schlicht um Mindeststandards in der politischen Auseinandersetzung.

6. Die Moral von der Geschichte

Eine Kritik der kapitalistischen Gesellschaft auch in ihrer Funktion als Grundlage und Ursache für menschenfeindliche Ideologien wie Rassismus und Antisemitismus, muss die Freiheit und unsanktionierte Andersartigkeit des Individuums sowie dessen höchstmögliche Bedürfnisbefriedigung als Ziel haben und nicht die Eigenheit und Authentizität von Kulturen. Es muss also um Menschen, nicht um Völker gehen. Die allein schon juristische Basis für diese Kritik zum Einen und zum Anderen eine schon heute verlässlichere Umgebung für Individualität bietet eben weder der ursprüngliche Sippenzusammenhang, noch die sozialistische Diktatur oder das islamistische Regime sondern die moderne Demokratie mit ihren rechtsstaatlichen Strukturen und kulturindustriellen Konsumgütern. Es geht hier schlicht und ergreifend um das Stück Scheiße, das weniger stinkt und nicht um das Ende der Geschichte. Die Verteidigung „westlicher Werte“ ist also nicht das höchste der Gefühle, sondern notwendig in der Konfrontation mit bspw. islamischen Terroristen oder Staaten, in denen immer noch Bürgerrechtler, Feministen oder Homosexuelle offen diskriminiert und in der Regel verfolgt, gefoltert und hingerichtet werden. Die bürgerliche Gesellschaft als eine Art kapitalistischer Vergesellschaftung sollte also nicht nur als Gegenstand der Kritik angesehen werden, sondern auch als deren Grundlage und Mindestvoraussetzung.
Der Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus ist also auch keiner, der sich am Klischee des Bomberjackennazis abarbeiten sollte. Wie sich gezeigt hat, gibt es Feinde der Individualität und Menschlichkeit in allen politischen Lagern. Somit sollte nicht ein Label wie „links“ oder „rechts“ Menschen von Kritik ausnehmen.
Auch das Label „fremd“ oder „kulturell anders“ sollte keine Relativierung der Kritik mit sich bringen. Multikulturalismus und Toleranz darf nicht bedeuten, dass man über Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit hinwegsieht, weil sie in anderen Kulturen geschieht. Sollte ein bestimmter kultureller Hintergrund vermehrt durch derartige Verhaltensweisen oder in der Hinsicht spezifische Erziehung auffallen, darf dies doch keine Entschuldigung sein, sondern muss die umso konsequentere Kritik und den Schutz der Betroffenen nach sich ziehen. Es kann also letztendlich nicht um irgendeine sonst wie alte Kultur, noch um eine Religion oder eine bestimmte Herkunft gehen, sondern um das Glück des Individuums. Oder:

Mein Skateboard ist wichtiger als kulturelle Identität!

Claire Erber

Anmerkungen

(1) Siehe CEE IEH #84 ff. oder Tomorrow #2 auf tomorrow.de.ms

(2) Zur Erinnerung: Flugblatt „Krieg als Mittel zum Frieden“ von 2003 auf tomorrow.de.ms

(3) aus „Nationalismus im Kampf der Kulturen“ auf www.sachsen.npd.de

(4) aus „Gegen EU- und US-Imperialismus. Widerstand gegen den Besatzungsterror“ auf www.gegeninformationsbuero.de

(5) Interview unter www.neues-deutschland.de/artikel.asp?AID=114016&IDC=13

(6) eine ausführliche Bearbeitung der Gemeinsamkeiten von Antisemitismus und Antiamerikanismus findet sich im CEE IEH #112 im Text „Antiamerikanismus – Spielart des Antisemitismus?“

(7) www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,490039,00.html

(8) www.israel-soli.de/texte.html#sn2

(9) www.cafecritique.priv.at/ersteStellungnahme.html

(10) www.antifa-hamburg.com/basisbanalitaeten.html / www.nadir.org/nadir/initiativ/aanb/pics/RIM.pdf



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last modified: 25.11.2007