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Die Redaktion des CEE IEH begrüßt die Tatsache, dass am 3. Oktober 2007 ca. 2000 Menschen in Leipzig gegen die Etablierung von Nazistrukturen – explizit gegen die Eröffnung des Thor Steinar Ladens in der Richard-Wagner-Straße – demonstrierten. Leider vermissten wir im Vorfeld ebenso wie am Tag der Demonstration eine Auseinandersetzung um die Inhalte des Protests, was möglicherweise auch der Kürze der Vorbereitungszeit geschuldet ist. Um inhaltliche Diskussionen wenigstens im Nachhinein anzustoßen, dokumentieren wir im Folgenden das Flugblatt der AG no tears for krauts. Es findet sich direkt im Anschluss im Text „... Die Lösung sind Wir!?“ auch eine Reaktion darauf.
Der Redebeitrag des Antifaschistischen Frauenblocks Leipzig (AFBL) vom selben Tag erreichte uns leider erst nach Redaktionsschluss und ist daher nur in der Online-Ausgabe zu finden.
dokumentation, 1.1k

Ladenschluss versus Ausverkauf

Gerade im Osten spricht nicht viel dagegen, gegen Nazis und Naziläden vorzugehen. Wer das jedoch ausgerechnet am 3. Oktober tun will, wem angesichts des „Tags der deutschen Einheit“ also lediglich einfällt, dass es in Leipzig einen Naziladen gibt, hat seinen Frieden mit Deutschland gemacht. Über die Regression von „Nie wieder Deutschland“ zu „Nie wieder Naziläden“.

Die Linke erinnert an einen wandelnden Taschenkalender: Es gibt kein Datum, das sie vergisst, kein historisches Ereignis, das sie nicht mit einer Demonstration, einem Aufruf oder einem flammenden Appell würdigt. Aus Anlass des Todestages von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg finden sich seit Jahrzehnten Zehntausende in Berlin zusammen. Die Jubiläen des „Deutschen Herbstes“ werden mit Sonderheften und Erinnerungsberichten begleitet. Und am 3. Oktober, dem „Tag der deutschen Einheit“, findet, wie die Jungle World in der letzten Woche ironisch feststellte, Jahr für Jahr die „traditionellen Deutschlandhasser-Demonstrationen“ statt. Gegen diese Demonstrationen am 3. Oktober kann vieles eingewandt werden: Die Organisatoren beschreiben in ihren Aufrufen zumeist die Pogromrepublik der frühen Neunziger, eine Zeit, in der Volksfeste vor brennenden Asylbewerberheimen stattfanden und Politiker aller Parteien Verständnis für das „an sich“ berechtigte Anliegen des brandschatzenden Mobs aus Neonazis, Schnauzbartträgern und anderen ganz normalen Deutschen aufbrachten, und verschweigen den antifaschistischen Turn, den die deutsche Politik spätestens seit dem „Aufstand der Anständigen“ vollzogen hat. Sie bekämpfen insofern ein Land, das nicht mehr existent ist.
Darüber hinaus tragen die linken Aufmärsche zum 3. Oktober gelegentlich auch den Charakter eines alternativen Nationalfeiertags: Als eine Berliner Initiative vor vier Jahren zu einer Demonstration unter dem Motto „Deutschland verraten!“ aufrief, kommentierte Wolfgang Pohrt diesen Slogan mit den Worten: „Himmel, waren das Zeiten, als so was noch möglich war. Kein Verrat ohne Treue, und beides nicht ohne König, Familie, Volk und Vaterland.“
Trotz solch berechtigter Einwände und trotz Demonstrationsaufrufen, die das Deutschlandbild der „antideutschen Kinderfibel“ (Uli Krug) der frühen Neunziger repetieren, verbirgt sich hinter der inzwischen skurril
Grundstück ist kein Hundeklo, 20.5k

Stillleben mit Hundekot und Deutschlandfahne, 28.7k
erscheinenden Losung „Nie wieder Deutschland“ gelegentlich auch noch etwas anderes: eine – wenn auch verschrobene – Reminiszenz an Marx' Aufforderung von 1843/44: „Krieg den deutschen Zuständen!“ Sie steht damit in gewisser Weise auch in der Tradition der von Detlef zum Winkel 1990 ausgegebenen Parole, wenn nötig bis „fünf nach Zwölf“ gegen die Wiedervereinigung zu agitieren.
Die Organisatoren der heutigen Demonstration scheinen von solchen Parolen nicht viel zu halten. Sie können sich weder für die recht vernünftige Forderung begeistern, am 3. Oktober einfach zuhause zu bleiben, sich mit DVDs auszustatten – das Fernsehprogramm sollte an diesem Tag unbedingt gemieden werden! – und insofern davon abzulassen, dem Vaterland an seinem Ehrentag auch noch eine Demonstration, das heißt: die obligatorischen wunden Füße und Blessuren zu widmen. Noch fällt ihnen aus Anlass des 3. Oktober ein, dass das selbstbewusste Deutschland aus den deutschen Verbrechen und ihrer „Bewältigung“ inzwischen perfiderweise Identität schöpft, Auschwitz zur Legitimationsgrundlage der deutschen Politik gemacht hat, die wenigen Überlebenden der Vernichtungspolitik mit Almosen abspeist, trotz teilweise gegenteiliger Rhetorik mit Regimes und Organisationen zusammenarbeitet, die sich offen dazu bekennen, das fortführen zu wollen, was Deutschland 1933ff. begonnen hat, 65 Prozent der Landsleute Israel für die größte Gefahr für den Weltfrieden halten etc.
Bei den Stichworten „3. Oktober“ und „Deutsche Einheit“ kommt ihnen nur in den Kopf, dass es in Leipzig jetzt auch einen Naziladen gibt. Zwar spricht gerade in der ostdeutschen Provinz nicht viel dagegen, dem White Trash, der sich regelmäßig bei NPD-Veranstaltungen, an ostdeutschen Buswartehäuschen, Tankstellen und Sportplätzen versammelt, entgegenzutreten; ihm ist alles Schlechte zu wünschen. In einigen Gegenden des Ostens sind die Nazis – ebenso wie ihre PDS- oder NPD-wählenden Eltern, ihre „unpolitischen“ Geschwister, Arbeitskollegen und Kegelfreunde – auch weiterhin eine akute Gefahr für Migranten, Punks, Obdachlose oder alternative Jugendliche. Anders als noch vor zehn Jahren gibt es außerhalb dieser Gegenden allerdings inzwischen kaum noch jemanden, der für die Menschenjagden der Einheimischen oder akzeptierende Sozialarbeit mit Neonazis Verständnis aufbringt. Deutschland ist nicht mehr die Pogromrepublik der frühen Neunziger; die Warnungen vor einem „Vierten Reich“ haben sich als unbegründet erwiesen. Was früher nur in Antifa-Heftchen stand, kann heute dementsprechend in Regierungserklärungen gelesen werden. Die Bundesregierung rief im Nachgang des „Aufstands der Anständigen“ millionenschwere Programme zur Bekämpfung des Rechtsextremismus ins Leben. Und in der Schule sorgen Antifa-Aufnäher, Exploited-T-Shirts oder bunte Haare längst nicht mehr für Aufregung. Der Sozialkundelehrer, einer der besten Seismographen für gesellschaftliche Stimmungen, dürfte sich vielmehr über den engagierten und aufgeweckten Punk oder Antifa freuen, der durch die Texte von But Alive oder die Artikel des Antifaschistischen Infoblatts (AIB) für dieselben Probleme sensibilisiert ist wie der Lehrer durch die Lindenstraße.
Wenn den Organisatoren der heutigen Demonstration vor dem Hintergrund des deutschen Geltungdranges wegen Auschwitz, der Entschädigungsverweigerung für frühere Zwangsarbeiter oder der deutschen Verständnisinnigkeit gegenüber den antisemitischen Mörderbanden im Nahen Osten zum „Tag der deutschen Einheit“ nur ein kleiner Thor-Steinar-Shop in Leipzig einfällt, dann scheinen sie an Deutschland nur die paar Nazis zu stören, die auf gesamtgesellschaftlicher Ebene längst marginalisiert sind. Wenn sie vor dem Hintergrund des staatlichen Antifaschismus am 3. Oktober auch noch gegen diesen Laden bzw. gegen Neonazis, zu deren Bekämpfung inzwischen selbst der Münchner Merkur aufruft, demonstrieren, dann scheint sich auch hinter ihrem Antifaschismus vor allem die Sehnsucht nach einem besseren, das heißt: nazifreien Deutschland zu verbergen. Sie stehen insofern in einer Front mit der antifaschistischen Allparteienregierung der anständigen Deutschen: dem ehemaligen Leipziger Oberbürgermeister, der sich vor einigen Jahren an einer Straßenblockade beteiligte, mit der eine Nazi-Demonstration aufgehalten werden sollte, den Leipziger Jusos, die in der letzten Woche einen Infostand gegen den Naziladen aufbauten, oder der unsäglichen Claudia Roth, die vom Hakenkreuz anscheinend so fasziniert ist, dass sie es sich inzwischen permanent – wenn auch nur in seiner durchgestrichenen Variante – an ihre Bluse heftet. Während sich einige Antifa-Gruppen im Wissen um den inzwischen staatstragenden Charakter des Antifaschismus zumindest mit Hilfe ihrer Demo-Aufrufe noch – wenn auch zumeist vergeblich – vor Vereinnahmung zu schützen versuchen, verfolgen die Organisatoren der heutigen Demonstration offenkundig das gegenteilige Ziel: Der Dreizeiler, den sie allen Ernstes als Aufruf bezeichnen, scheint lediglich dem Zweck zu dienen, niemanden zu verschrecken und aus der antifaschistischen Gemeinschaft auszugrenzen. Er endet dementsprechend mit den Worten: „Unser Ziel ist die Schließung des Ladens –sofort! Wer sich mit diesem Anliegen einig weiß, ist auf der Demonstration herzlich willkommen.“ Es bedarf keiner hellseherischen Fähigkeiten, um zu erkennen, dass mit diesen Worten diejenigen angesprochen werden sollen, die immer wieder als „Zivilgesellschaft “ bezeichnet werden: diejenigen also, die die Nazis als Avantgarde und Speerspitze der deutschen Politik abgelöst haben, die aufgrund ihres „Lernens aus der Geschichte“ mehr Verantwortung für Deutschland fordern, ganz vorn dabei waren, als Jugoslawien bombardiert wurde, die USA und Israel als Menschheitsfeinde betrachten, sich stets auf die Seite der Völker und Kulturen stellen, für jedes Selbstmordattentat in Israel Verständnis aufbringen und denen gegen Nazis nur die einschlägigen Ausmerz-Formeln einfallen. Die heutige Demonstration übernimmt damit – wenn auch im Miniformat – eine ähnliche Funktion wie der große antifaschistische Auftrieb am 8. Mai 2005 in Berlin: An einem symbolträchtigen Datum und einem ebenso symbolträchtigen Ort (der „Heldenstadt“ Leipzig) kann kollektiv die Wiedergutwerdung der Deutschen präsentiert werden.
In diesem Zusammenhang könnte man fast dem inzwischen nur noch belächelten „revolutionären Antifaschismus“ der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) hinterher trauern. Auch hier ging es zwar primär darum, die antifaschistischen Massen durchs Dorf zu trommeln. Im Unterschied zur neuen Generation von Antifa-Gruppen wusste die BO jedoch zumindest noch, dass das Leben auch ohne Naziläden nur selten sehr viel schöner ist. Hinter ihrem Antifaschismus stand dementsprechend der nicht ganz unsympathische Versuch, über antifaschistische Aktionen eine revolutionäre Jugendbewegung zu schaffen; in ihren Aufrufen und Texten war regelmäßig – wenn auch meist nur holzschnittartig – von Staat und Kapital, später sogar gelegentlich von der Volksgemeinschaft die Rede. Die Organisatoren der heutigen Demonstration und diejenigen, die sich durch ihren Aufruf und die Parole „Ladenschluss!“ vom Fernsehgerät haben weglocken lassen, wollen jedoch scheinbar weder von Staat und Kapital noch vom Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie – laut Adorno bekanntlich „potentiell bedrohlicher denn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie“ – etwas wissen. Ihr Antifaschismus ist damit nichts weiter als der Aufnahmeantrag in die Gemeinschaft der anständigen Deutschen.

ag no tears for krauts halle
(nokrauts@hotmail.com)

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last modified: 22.10.2007