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das Erste, 0.9k

Der Widerspruch von
Kapital und Arbeit


– eine Weihnachtsgeschichte

Ab Mitte November legt sich über die Innenstadt ein gewisser Zauber, sichtbar in Adventskränzen, Lametta, flauschiger weißer Watte, Schwibbögen und Kerzen. Dazu umgarnen süßliche Lieder und der Duft von Bratäpfeln und Marzipankartoffeln die Passanten und Kunden. Es weihnachtet sehr. Im Zentrum dieses Spektakels, dem Weihnachtsmarkt, wird eine Krippe mit Stroh in einem kärglichen Stall zu sehen sein, in die der kleine Jesus gebettet ist, umgeben von der erschöpften Maria, dem besorgten Josef, Hirten, Magiern aus dem Morgenland, einem Esel und weiteren Tieren.
Auch wenn ohne die Krippe kein Weihnachten wäre, so ist sie doch mittlerweile kaum mehr als dessen Zierde, der Passanten verzückte Blicke zuwerfen wie all dem anderen Klimbim. Allerdings kann bei genauerem Hinsehen die Brüstung zwischen Krippe und dem restlichen Weihnachtsmarkt als ein besonders intensives Spannungsfeld der Dialektik zwischen Arbeit und Kapital gelesen werden. Aber – es handelt sich nicht um eine revolutionäre Dialektik. Ganz im Gegenteil: Der Widerspruch von Kapital und Arbeit ist eine Produktivkraft des Kapitals, ideologisch wie auch grundlegend. Um wieder ins Bild zu kommen: Jesus liegt in der Krippe, als konstitutives Zentrum eines Geschehens, das ihm zu widersprechen scheint. Der gefeierte Erlöser in der Mitte, um ihn herum zur Feier seiner Geburt dreht sich die Hölle, deren Opfer in ihm ein Vorbild gefunden haben, sie zu ertragen. Auch die Arbeiterklasse ist gar nicht kraft ihrer Not aufgestanden, um den Schein zu zerschlagen und die unerlöste Welt vom Kapital zu befreien, dessen Quelle sie ist. Die Heiligung des Proletariats zum automatischen Subjekt der Revolution ist tatsächlich der Grund ihres Ausbleibens. Wie Christus mit seinem Opfer die Welt nicht versöhnt hat, sondern die Heiligung seines Opfers die unversöhnte Welt zu ertragen lehrte, so hat die Arbeiterklasse nicht vom Kapital befreit, sondern als Geheiligte der Quelle des Kapitals, d.h. der Arbeit, eine höhere Weihe verliehen. Ein Christ empfindet Stolz beim Anblick der elenden Geburtsstätte Jesus`, der Arbeiter beim Anblick von Hammer und Sichel oder Boots. Der arme, sich aufopfernde Christus und die stolze Arbeiterklasse sind sich nicht nur ähnlich, ihre Schicksale sind ineinander verstrickt wie die Weihnachtsgeschichte lehrt.

Barbie, 36.1k

Das weihnachtliche Krippenspiel ist ein Kernstück der Selbstbewusstwerdung der Arbeiterklasse. Premiere hatte es im Jahre 1223 im Wald von Greccio (Italien). Eine Quelle aus dem Jahre 1229 berichtet: „Männer und Frauen jener Gegend bereiteten, so gut sie konnten, freudigen Herzens Kerzen und Fackeln, um damit jene Nacht zu erleuchten, die mit funkelndem Sterne alle Tage und Jahre erhellt hat. [...] Nun wird eine Krippe zurechtgemacht, Heu herbeigebracht, Ochs und Esel herzugeführt. Zu Ehren kommt da die Einfalt, die Armut wird erhöht, die Demut gepriesen, und aus Greccio wird gleichsam ein neues Bethlehem.“ Der Regisseur und Erfinder dieses Lehrstücks war Franz von Assisi, der post mortem von der Kurie zum Heiligen Franziskus ernannt wurde. Eine Tugend des heiligen Franz war die Arbeit: „Und ich arbeite mit meinen Händen und will arbeiten, und es ist mein fester Wille, daß alle anderen Brüder eine Handarbeit verrichten, die ehrbar ist. Die es nicht können, sollen es lernen, nicht aus Sucht, den Arbeitslohn zu empfangen, sondern des Beispiels wegen und um den Müßiggang zu vermeiden.“ Das Krippenspiel taugte hervorragend, das neue proletarische Selbstwertgefühl in der Welt kundzutun, und wurde zum folgenschweren Lehrstück, das dem vormals verbreiteten Bild eines übermenschlichen, herrlichen Christus, dem das Kreuz nichts konnte und Schmerzen fremd waren, das heute übliche Bild des so heiligen wie leidenden Jesus entgegensetzte. Der berühmte, und hinsichtlich Franziskus völlig befangene, Mädiavist Raoul Manselli schrieb über die Erfindung des Weihnachtskrippespiels: „Diese [...] >>Entdeckung<< der Darstellung von Christi Geburt, die dann [...] soviel Bedeutung gewonnen hat, fügt sich ein in die Wiederentdeckung der Menschwerdung Christi, besonders im Zusammenhang mit seinem Leiden am Kreuz [...] Am Ende seines Lebens war der Heilige [Franziskus] sich bewußt und wollte es allen anderen verständlich und sichtbar machen, daß Christus schon im Augenblick seines Kommens in die Welt mit einem Beispiel der Demut, der Armut und der Randexistenz begonnen hatte.“
Dass dieses neue Christusbild gerade im Italien des 13. Jahrhunderts den Beginn seiner Verbreitung fand, ist kein Zufall. In Italien hatte seit der Jahrtausendwende der Frühkapitalismus seine ersten Blüten geschlagen. Industrie und Städte waren entstanden und mit ihnen – um eine Wortschöpfung Karl Marx` zu bemühen – der „doppelt freie Lohnarbeiter“. Frei sowohl von Ketten feudaler Herrschaft als auch von Produktionsmitteln. Der Arbeiter entrann der ländlichen Leibeigenschaft („Stadtluft macht frei“), musste aber seine Arbeitskraft in den Dienst derjenigen stellen, die Produktionsmittel besaßen. Aufgrund ihrer formellen Freiheit waren die Arbeiter nun auch so frei, sich öffentlich kund zu tun. Mit dem Krippenspiel gelang ihnen das maßgebend. Indem sie Christus, die entscheidende Figur des Christentums, vereinnahmten und als ihresgleichen darstellten, bewiesen sie nicht nur ihre neuen Einflussmöglichkeiten, sondern verkündeten öffentlich und voller Stolz ihre Rolle, die ihnen der Frühkapitalismus verschafft hatte: Wir sind arm und das ist uns heilig, wir sind die paupertas Christi. Von Christus als religiöser Figur stieß die Arbeiterklasse sich im Laufe der Geschichte ab, nicht aber von dem Christusbild, das nach ihrem Bilde und ihr zu Ehren geschaffen worden war. Arbeit und Armut blieben ihr als Heiligenschein erhalten – säkularisiert.
Seiner selbst wegen hat das Kapital die Arbeit befreit und ihr in seinem Sinne Selbstwertgefühl eingeimpft. In den Worten Max Webers: „Der Kapitalismus in der Zeit seiner Entstehung brauchte Arbeiter, die um des Gewissens willen der ökonomischen Ausnutzung zur Verfügung standen.“ Franz von Assisi forderte und förderte diese Arbeiter und gehörte unter anderen zu derjenigen christlichen Keimzelle, die später in Protestantismus und Arbeiterbewegung eigenständige Lebensformen fand. Im Laufe der Zeit haben diese Lebensformen ihren gemeinsamen Ursprung vergessen. Nur selten und wohl eher zufällig wird er wieder greifbar – etwa im Jahresbericht der SPD aus dem Jahre 1930, in dem auch vom veranstalteten Weihnachtsfeuer schwadroniert wird: „Das Sonnenwendfeuer, das das Alte, Verdorrte verbrennt, wird zum Symbol. [...] Dem arbeitenden, Werte schaffenden Menschen gehört die neue Zeit.“
Dem Lob der Arbeit beiseite steht zumeist die Ablehnung des Luxus, der als Kapitalismus identifiziert wird. Das ist die List der kapitalistischen Vernunft: das Lob der schaffenden Arbeit wider das angeblich raffgierige Kapital, das wahrhaftig zu seiner Voraussetzung die schaffende Arbeit einer möglichst bescheidenen, arbeitsamen Arbeiterklasse hat. So wird in der antikapitalistischen Hymne der Arbeiterklasse, der Internationale, dem Kapital aus der Seele gesungen: „Müßiggänger schiebt beiseite“. Es handelt sich hierbei nicht um eine Verschwörung, sondern wie gesagt um die List der kapitalistischen Vernunft, um Ideologie. Wegen ihr konnten die revolutionären Länder auch so lange im Kampf mit dem Westblock mithalten.
Doch wie ist es heute? Ist die Krippeszene, um die sich der Weihnachtsmarkt aufbaut, überhaupt noch ein Zentrum der Realität. Gibt es sie noch, die ausgebeutete Arbeiterklasse, deren Bestimmungen Arbeit und Armut sind? Oder symbolisiert die Krippenszene vielleicht nur noch einen historischen Ursprung?
Eine jede Weihnachtspredigt wird wohl mit einem ähnlichen Satz beginnen: „In der konsumorientierten Adventszeit ist es schwer, den ursprünglichen Sinn des Weihnachtsfestes nicht aus dem Auge zu verlieren.“ Die letzten Jahrzehnte waren Armuts- und Arbeitsideologie zum Glück in Europa und Nordamerika nicht all zu sehr vonnöten; untere Schichten mussten sich nicht mehr am Vorbild Jesus' in die Gesellschaft integrieren. In Ost und West herrschten recht kulante Arbeitsverhältnisse und die sogenannte Arbeiterklasse konnte an der ungeheuren Warensammlung, welche durchs Kapital und mittels Arbeit geschaffen wird, nicht schlecht partizipieren. Im 20. Jahrhundert, ausgenommen der beiden Weltkriege, schwelgte der Arbeiter ein wenig im Luxus und ist vom Kapital als Konsument umgarnt worden. So trat der Weihnachtsmann mit Geschenken bepackt seinen Siegeszug an. Er emanzipierte sich vom Nikolaus, dem wiederum ein Bischof aus dem vierten Jahrhundert seinen Namen gab, und kam mit weißem Bart, roten Mantel und gefülltem Sack 1931 durch eine breit angelegte Werbekampagne von Coca-Cola schwer in Mode. Bis heute hat dieses Bild seine Wirkung nicht verfehlt – der Weihnachtsmann ist zur Ikone der Konsumgesellschaft geworden. Man zieht an der Krippe vorbei durch den anheimelnden Trubel. Welches Kind denkt heute beim Wort Weihnachten schon als erstes an Jesus` Geburt. Und welcher Arbeiter ist schon noch in der Arbeiterbewegung aktiv. Man konnte es sich über Jahrzehnte hinweg leisten, sich mit dem Reichtum zu identifizieren und nicht mit der Arbeit, die ihn schafft.
Doch schon scheint es so, als würde der Weihnachtsmann selber anachronistisch werden. Die zahlreicher gewordenen Eltern sozial schlecht gestellter Familien werden ihre Kinder am Weihnachtsspektakel der Innenstädte vorbeizuführen versuchen und nicht an den Schaufenstern, Ständen und den vielversprechenden Weihnachtsmännern entlang mitten durch den Geruch von Bratäpfeln und Marzipankartoffeln. Sie werden auch nicht zum Zentrum beziehungsweise Ursprung vorstoßen wollen. Denn dort liegt ein armer Jesus, geschaffen von einer Arbeitklasse, die kraft ihrer Arbeit geadelt war und wie die Gesellschaft aus der Not eine Tugend gemacht hatte. Die sogenannte neue Unterschicht steht als leidende aber außerhalb und nicht im Zentrum der Gesellschaft – sie ist nicht heilig, das Kapital ist ihrer Arbeitskraft überdrüssig. Ihr sind Jesus wie Weihnachtsmann fremd.

Hannes Gießler

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last modified: 28.3.2007