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Die Brust im Zeitalter
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Marvin Chlada verfolgt in seinem Essay die Fetischisierung und Glorifizierung der wohlgemerkt weiblichen Brust von der Antike bis in unsere Zeit. Ausgehend von der Busenattacke auf Theodor W. Adorno am 22. April 1969 präsentiert er Geschichten und Anekdötchen zum breiten Thema Brüste. Wir erfahren, wie die Großen des 20. Jahrhunderts Thesen entwickelt und Überlegungen über den Busen angestellt haben vielleicht um die niederen Triebe, welche sie in ein Stripteaselokal führten, zu verschleiern? So beleuchtet zum Beispiel Umberto Eco die platonische Situation der Stripperin und arbeitet die Differenz zwischen der Symbolnatur des konventionellen und einer dialektischen, okzidentalen Form von Striptease heraus. Schon in der Antike erkannte man(n) das revolutionäre Potential einer freigelegten Brust, als nämlich Phryne, laut Mythos, durch das Entblößen ihres Busens den Richter von seinem harten Urteil abrücken ließ. Seitdem ist die bloße Brust eine Allegorie des Friedens, wohingegen ein tiefes Dekolleté lediglich als anrüchig gilt. War die Frau gemeinhin ein schmückendes Beiwerk des Mannes, deren Reize es gelegentlich zu besingen galt, beginnt mit der Christianisierung ein Paradigmenwechsel, der über das finstere Mittelalter bis heute nachwirkt. Die Frau ist natürlich immer noch Ware und Besitz, kein Mensch. Eher noch ein verfehltes Männchen, um nicht zu sagen eine Fehlkonstruktion. Von Gott geschickt als Prüfung und Strafe, der es stand zu halten gilt, denn schon die Brüste sind Teufelswerk und tragen die Verderbtheit unwiderruflich in sich. Es ist doch besser, sie anzuspucken oder auch gleich abzuschneiden. Marvin Chlada illustriert, wie aus Angst vor dem Wilden und Natürlichen körperliche Beschaffenheiten instrumentalisiert werden, um die vermeintliche Unterlegenheit der Frauen zu begründen. Aber unser Büchlein hat noch mehr zu bieten. Um noch einmal den Bogen zum Wilden und Natürlichen zu schlagen: in der Aufklärung war es noch weitgehend skandalös, die Dinger beim Namen zu nennen, also beschrieben die Dichter Gebirge, Täler und tiefe Schluchten. In seiner politischen Ökonomie der Oberweite stellt Chlada dann klar, dass sex sells keine Erfindung der gegenwärtigen Werbeindustrie ist, sondern ehernes Gesetz. Angekommen sind wir also im Zeitalter der Busenwunder, so herrlich wie das Wirtschaftswunder', ebenso üppig und scheinbar so unbegreiflich. Im 21. Jahrhundert ist dann alles möglich, die Brust als Waffe, um irgendwelchen Klemmis Tränen in die Augen und Schamesröte ins Gesicht zu zaubern. Aber auch als Waffe gegen die Eignerin selbst, wenn auf der Suche nach Schönheit, Anerkennung oder was auch immer die Persönlichkeit von ihren Möpsen in den Hintergrund gedrängt wird und die einzige Würdigung darin besteht, mit dem größten Vorbau der Welt im Guinessbuch der Rekorde zu stehen. So. Abschließend kann ich doch sagen, dass mich die Lektüre dieses kurzen Abrisses amüsiert hat. Aber auch zu weiterer Lektüre angeregt. Wer einen hochwissenschaftlichen Beitrag erwartet, wird wohl enttäuscht sein, und manchmal ist die Unvollständigkeit dieses Textes auch sehr augenscheinlich. Aber dafür ist es auch ein Essay, der, und jetzt komme ich wirklich zum Schluss, sehr empfehlenswert ist. Dagget |