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Privat Versicherte,
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Kein Thema beherrscht nach einem Jahr Schwarz-Rot so sehr die innenpolitischen Debatten, wie die so genannte »Gesundheitsreform« der Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Einige halten diese Reform für ein ultra-, ordo- oder neoliberales Schandwerk, mit welchem sich der Staat aus der Verantwortung ziehen möchte. Der liebe, nette Vater Staat, dessen wirkliche Aufgabe doch recht eigentlich der Wohlstand seiner heißbehüteten Schäflein wäre, würde diese jetzt angeblich sich selbst überlassen (würde er dies doch mal wirklich tun). Auf der anderen Seite wäre das, was da jetzt in Berlin so nach und nach beschlossen wird, letztlich nur eine neue Form von Staatsraison, mit dem der heilige, freie Wettbewerb beeinträchtigt würde, der, könne er frei walten, für alle ein friedliches, wohlstandsgesegnetes Leben bereit halten würde. Aber nun mal langsam, was passiert da wirklich und wer sagt was? Kern der Reform ist ein Gesundheitsfonds: dieser soll nach aktueller Beschlusslage ab 1.1. 2009 sämtliche Beitragsgelder aller Krankenversicherten einsammeln, der Beitragssatz wird dann einheitlich geregelt sein. Dieser Fond verteilt die Einnahmen abhängig von Alter und Krankheitsrisiko an die einzelnen Krankenkassen, die dann noch mal von den bei ihnen Versicherten einen Extrabeitrag verlangen dürfen, die vor allem von der CDU/ CSU eingeklagte Kopfpauschale. Verlierer werden ganz eindeutig die Geringverdienenden sein: Wer weniger als 800 verdient, muss sogar mit mehr als einem Prozent des Lohnes rechnen, mit dem er belangt wird, wer mehr verdient, hingegen mit nur maximal einem Prozent (FAS, 8.10. 06, S.1). Gerade mit dieser Kopfpauschale und ihrer Erhöhung auf sogar mehr als ein Prozent des Lohnes werden vor allem Leute rangezogen, die wenig Geld verdienen. Für Geringverdienende, Arbeitslose oder alleinerziehende Eltern wird es damit zunehmend schwieriger, an medizinische Versorgung zu kommen. Diese wird teurer und immer mehr auf die Einzelnen abgewälzt. Von einer Einbeziehung aller Einkommen in eine gemeinsame, solidarische Gesundheitsversorgung kann gerade nach dieser Reform keine Rede sein (vgl. Die Linkszeitung, 4.10. 2006). Selten lief man gegen eine Reform der Bundesregierung dermaßen Sturm wie im Falle von Ulla Schmidts Gesundheitsreform. Angesichts der geschilderten Unzumutbarkeiten für jene, die nichts oder nur wenig verdienen, wäre das ja auch durchaus verständlich oder sogar unterstützenswert. Es lohnt sich aber, genau hinzuschauen, wer sich da mit welchen Argumenten äußert, um nicht hereinzufallen auf eine Logik, die nach dem Motto funktioniert: ja, wenn sogar schon die Krankenkassen Sturm laufen, dann muss etwas dran sein an dem, was da gesagt wird. So wirft Ärztepräsident Hoppe der Regierungskoalition vor, sie wolle die private Krankenversicherung zerschlagen, wendet sich also mit seinem Protest gerade an die Besserverdienenden, die bei der Reform eher gut als schlecht abschneiden: Diese Gesundheitsreform löst keine Probleme, sondern ist das Problem. In ähnliche Richtung schlägt Reinhard Schulte, Verbandspräsident der Privaten Krankenversicherung: Die Regierung wolle das Geschäftsmodell der Privaten zerschlagen und es mit der gesetzlichen Krankenversicherung gleichschalten (FAZ; 22. 09. 06). Gleichschalten... Das war doch... Na gut, lassen wir das. Die Reformen wiesen grundsätzlich in die falsche Richtung. Was bedeutet das? Mehr Staat, mehr Bürokratie, weniger Markt und Anreize, meint Norbert Klusen vom Vorstand der Techniker-Krankenkasse TKK. Der Name des Gesetzespakets, Wettbewerbsstärkungsgesetz sei daher ein irritierender Titel, denn in Wirklichkeit ginge es gerade ums Gegenteil, also um die Einschränkung des Wettbewerbs. Der Mensch, der Krankenversicherte, so Klusen, stehe bei der Reform überhaupt nicht im Mittelpunkt (FAZ, 6.10. 06). Natürlich nicht, es fehlt ja auch der Wettbewerb und der freie Markt. Nicht weil Gering- und Nichtsverdiener heftiger an die Kandare genommen werden, erregen sich Klusen, Schulte, Hoppe und Konsorten, sondern weil dies immer noch nicht heftig genug getan wird. Nicht, weil die arbeitslose, alleinerziehende Mutter in Zukunft noch mehr Probleme haben wird, Medikamente zu bezahlen, steht der Mensch nicht im Mittelpunkt, sondern weil man den Marktgesichtspunkten nicht ausreichend gerecht werden würde. Ein Carsten Germins fasst in der Sonntags-FAZ (FAS, 27.8. 06) die zentralen Kritikpunkte zusammen: Ulla Schmidts Entwurf einer Reform zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung verhindere in Wirklichkeit den Wettbewerb. Die Eckpunkte der großen Koalition würden soweit wie nur möglich in Richtung Sozialdemokratie gezogen. Hans-Jürgen Ahrens, Vorstandschef des AOK-Bundesverbands sei fassungslos. Was bringt solche Typen aus der Fassung? Schmidts Reform sei der Weg in die Staatsmedizin. Das einzige Wettbewerbsmoment, welches die Union in das Reformpaket reingebracht hatte, sei von der Ministerin für Gesundheit, die permanent alle eifrigen und menschenlieben Reformer geschickt über den Tisch ziehe, rausgekickt worden: die Kopfprämie, die die Kassen erheben sollten, die mit dem ihnen zugeteilten Geld nicht auskommen. Je unwirtschaftlicher eine Kasse arbeite, desto höher hätte sie die Prämie setzen müssen, umso mehr wären Versicherte zu anderen Kassen abgewandert. Keine Ministerin sei soweit vom Unionskonzept entfernt, wie Schmidt, proklamiert der FAS-Autor. Die Ex-Kommunistin und Ex-Linksradikale Ulla Schmidt würde an unserem Gesundheitssystem ihre planwirtschaftlichen Begierden ausagieren. Sie kämpfe aus Überzeugung. Wir haben niemanden, der ihr etwas entgegensetzen kann, so ein führender Wirtschaftspolitiker der CDU. Ach Gott, mir kommen gleich die Tränen. Da hilft dann nur noch das gute, alte, deutsche Handwerk, bzw. dessen Präsident Otto Kentzler: Frau Merkel, Sie müssen Frau Schmidt stoppen.... Zerstören Sie nicht das funktionierende System der privaten Krankenversicherung (FAZ, 14.9. 06). Da jammern sie also alle um ihre Pfründe, während es sonst für sie nichts schlimmeres gibt als nervige Gewerkschafter, die am Ewiggestrigen festhalten und permanent sinnvolle und notwendige Reformen verhindern wollen. Eine Argumentation ganz besonderer Güte liefert uns die FAS vom 24. 09. 06: ein namentlich nicht genannter Autor unterstellt der meist doch wohl gerade ökonomisch nicht allzu ungebildeten FAZ-am-Sonntag-LeserInnenschaft erst einmal Blödheit: die Reform wäre viel zu kompliziert, um sie zu verstehen. Da ein zentraler Gesundheitsfonds, der das Geld der Krankenversicherten einsammelt und an Barmer, AOK und Co weiterverteilt, das Verständnis der LeserInnen angeblich übersteigen soll, versucht es der Autor mit einer Analogie: man stelle sich einmal vor, es handle sich um Autos und es gäbe einen zentralen Autofonds, der von allen Bürgern, die eins wollen, einen gleichen Betrag einsammele und diesen dann zu jeweils gleichen Teilen an die Autofabrikanten weitergäbe, die zudem in einem Zentralverband der Automobilhersteller zwangsvereinigt wären. Die Unternehmen hätten keine Wettbewerbsanreize, weder was die Herstellungszeit, noch was die Qualität der Autos betrifft: es gäbe ab sofort Trabi-Qualität zum Preis der S-Klasse. Und so stünde es eben auch der medizinischen Versorgung unmittelbar bevor so der direkte (Fehl)schluss. Einige würden aber argumentieren, so der Autor, Gesundheit sei doch ein besonderes Gut, weil zum Leben zwingend notwendig, die dürfe man nicht einfach so den Spielregeln des Marktes aussetzen. Doch unser selbstverständlich über jeden Ideologieverdacht erhabener Schreiberling hat die Antwort bereits parat: Brot sei auch ein lebensnotwendiges Gut, dennoch sei die Versorgung der Bürger mit selbigem dem freien Spiel des Marktes ausgesetzt. Bereits Adam Smith habe einwandfrei bewiesen, dass der Bäcker nicht aus Nächstenliebe bäckt, sondern um sich samt seiner Angehörigen zu versorgen. Der neoliberale Starökonom Friedrich-August von Hayek spricht dann auch dementsprechend vom Markt als einem Entdeckungsverfahren, bei welchem Millionen unabhängiger Akteure ständig dem Fortschritt auf der Spur seien und dessen gewaltige Wirkung keine noch so schlaue Bürokratie imitieren (!) könne. Dass diese Millionen Akteure dabei oft elendig leben, wird geflissentlich unterschlagen. Aber was soll`s, wenn`s dem freien Spiel der Kräfte dient, müssen wir dies Opfer schon tragen. Die Gesundheitsreform setze also, so die Kritik, nicht auf dezentrale Entdeckungsverfahren, sondern vielmehr auf zentrale Anordnungen. Die energischen Proteste der Krankenkassen seien, so der Autor weiter, daher mehr als das übliche Lamento von Interessengruppen. Sie hätten vielmehr erkannt, dass sie wegrationalisiert werden sollen. Viele Politiker störe das vielleicht nicht, denn im Sozialismus seien ja auch alle gleich und kostenlos versorgt worden, wenn auch gleich schlecht, was die gestiegene Lebenserwartung seit 1990 im Osten Deutschlands beweise, bemüht sich der Autor schnell hinzuzufügen, bevor irgendwem irgendwas unklar wird. Dass Sozialismus was anderes bedeuten könnte, als das, was der Markt ohnehin macht, zu imitieren, bleibt solchem Denken selbstverständlich fremd. Auch von Ökonomen gab es im Vorfeld umfassende Kritik an der Gesundheitsreform: so entwickelte Wolfram F. Richter ein sogenanntes Zweistufenmodell zur Reform des Gesundheitswesens: die Versicherten sollten ihre Beiträge zur Gesetzlichen Krankenversicherung wie bisher lohnbezogen entrichten, und zwar in einen Fonds, der sich Sonderhaushalt GKV nennen sollte. Die Einnahmen dieses Sonderhaushalts sollten den Versicherten zu gleichen Teilen gutgeschrieben/ noch besser aber: ausgezahlt werden. Dies hätte den Versicherten gegenüber den Krankenkassen eine spürbare Nachfragemacht gegeben. Dieses Modell bewege sich aber von Anbeginn auf abschüssiger Bahn, kommentiert die FAS, etwa weil es auf die Fortschreibung lohnabhängiger Beitragsfinanzierung setze, damit bereits zum Zeitpunkt seiner Ausarbeitung ein Kompromiss mit der tendenziell angeblich völlig reformunfreundlichen Politik möglich gewesen wäre. Die Ökonomen sollten doch tun, was ihre Aufgabe sei, nämlich für die Leitsterne Selbstverantwortung und Wettbewerb ... werben (FAS, 8.10. 06). Weitaus besser sei da das Konzept des offen neoliberalen Kronberger Kreises, dem Beirat der Stiftung Marktwirtschaft. Alle Versicherungsprämien sollen lohnunabhängig und je nach individuellem Krankheitssatz gezahlt werden. Egal wie viel sie haben, alle sollen das gleiche einzahlen und wer nichts hat, hat halt Pech. Soviel zum Thema Zentralismus. Zu guter letzt gibt es dann noch die Radikalen, die beim Thema Gesundheit ganz grundsätzlich an die Wurzel gegen wollen, etwa die Krankenkasse für ökologisch wertvolle Besserverdiener, Securvita, die moniert: wichtiger sei es doch, die Ursachen des Krankseins zu bekämpfen und lieber mehr zu investieren, um diesen entgegenzutreten. So könne man wirklich Geld einsparen. Und, was fällt uns denn da so ein, wenn`s um diese Ursachen geht? Also, der Reihenfolge nach: 1. das Rauchen, 2. der Alkohol, 3. der Bewegungsmangel, noch was, ach so: 4. die Umweltverschmutzung (Securvital - Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen, 05/ 06). Da wäre doch der zentrale Autofonds der FAZ weitaus wirkungsvoller. Da es mit diesem aber wohl aufgrund der Reformunfähigkeit der Bundesregierung so schnell wahrscheinlich nichts wird, können die geneigten LeserInnen ja schon mal angestrengt darüber nachdenken, ob man dem Nikotin- und Alkoholmissbrauch sowie dem Bewegungsmangel am Besten mit staatlichem Zentralismus oder lieber doch mit Marktanreizen zu Leibe rücken sollte. Martin D. |