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Anbei dokumentieren wir einen Text aus der diesjährigen Aprilnummer des „The Jerusalem Report“ zur Situation im Iran.
dokumentation, 1.1k

Talking 'bout
a revolution

Im Iran hat die klerikale Elite entschieden, dass das Opium der Massen mehr soziale Freiheit in gewissen Grenzen sein wird.

Eine schwarz gekleidete Menge hat sich am Haupteingang der Universität in Teheran versammelt. Statt der tausenden Muslime, meist knallharte Unterstützer der Islamischen Revolution, die sich sonst freitags in die Freiluft-Moschee drängen, sind es an diesem kalten Donnerstag Abend langhaarige, tätowierte Jugendliche, die die Blicke der Passanten auf sich ziehen. Gekommen sind sie für ein Death Metal Konzert – das Erste auf dem Universitätscampus seit der Islamischen Revolution 1979. Sie tragen viel Metall, Lederjacken, dickes Make Up und Ringe in Nase und Ohren. Das Einzige, das sie von ihren Death Metal Kollegen im Westen unterscheidet, sind die obligatorischen Kopftücher der weiblichen Fans. Amüsierte Autofahrer fahren langsamer und verursachen einen kleinen Stau auf der Enghelab Avenue (Revolutions Avenue). Die jungen Leute antworten den Gaffern mit Rufen.
Ungefähr 300 Fans drängen sich in das Universitätsgebäude und füllen einen Hörsaal unter dem wachsamen Portrait Ayatollah Ruholla Khomeinis, dem Gründer der Islamischen Republik. Die Hausmeister
Plakat aus Großbritannien, 26.4k
Plakat aus Großbritannien 1945
stehen mit offenen Mündern auf der marmornen Treppe, als die hypnotischen Bassschläge und kreischenden Riffs aus der Halle kommen. Selbst die Organisatoren scheinen Probleme mit der Tatsache zu haben, dass die Veranstaltung stattfindet, während sie herum schwirren und letzte Vorbereitungen treffen.
„Das ist 100%ig ein großer Schritt nach vorn“, sagt Armin, ein in Lederjacke gekleideter Organisator des Events. „Wir sind verblüfft, dass dieses Event stattfindet. Klar, es ist noch ein bisschen begrenzt und nicht so viele Leute wissen davon, aber es ist ein riesiger Fortschritt.“
Das heutige Konzert wird noch wichtiger, wenn man die jüngere Geschichte der Universität bedenkt. Nach den beispiellosen Studentenunruhen, die die Anfangszeit der relativ liberalen Khatami-Administration in den späten 90ern begleiteten, ist der Sicherheitsarm des Islamischen Regimes zusammengebrochen. Der bekannteste Fall ereignete sich im Juli 1999, als konservative Ordnungshüter in das Studentenwohnheim eindrangen, Studenten zusammenschlugen und aus dem Fenster warfen.
Dann, im November letzten Jahres, sorgte die neue Regierung von Präsident Mahmoud Ahmadinejad für Alarmstimmung in reformistischen Kreisen, als ein Ayatollah, Abbasalis Amid Zanjani, zum ersten klerikalen Dekan der Universität ernannt wurde. Bei Zanjanis Vereidigung protestierten wütende Studenten gegen die Ernennung, weil sie damit den Beginn des lang gefürchteten Abbaus ziviler Freiheiten durch das Regime kommen sahen. Als Zanjani versuchte, die Halle zu verlassen, wurde er von Studenten angegriffen und man schlug ihm den Turban vom Kopf, im Iran ein schockierendes Zeichen fehlenden Respekts.
Bei dem ausverkauften Konzert zeigt die Islamische Republik ihr liberales Gesicht. Und dennoch, in den Gängen lungern Organisatoren und Mitglieder der bassij herum (eine Moralpolizei der Universität, die aus Studenten rekrutiert wird) herum. Tanzen oder Herumstehen ist nicht erlaubt. Einmal Headbangen eines der sitzenden Zuhörer und sofort kommt es zur Explosion. Am Ende des ersten instrumentalen Lieds (kein Gesang war eine andere Bedingung für die Veranstaltung des Konzerts) sind bereits 15 Konzertbesucher rausgeschmissen worden. Auf der überfüllten Empore führt die mangelnde bassij Präsenz zu spontanen Headbanging-Ausbrüchen. Ein religiöser Milizionär, der hinauf eilt, um für Ruhe zu sorgen, wird ein paar Minuten später selbst beim Headbanging gesehen, ein so surreales Bild, dass es für einen Lachanfall im Publik sorgt.
Nach fünfzig Minuten Konzert aber wird dem Gitarristen etwas ins Ohr geflüstert. Sichtlich erbost verkündet er, dass das Konzert auf Befehl des Geheimdienstes abgebrochen wird. Ein paar Konzertbesucher werten auf dem Heinweg den Abbruch als ein böses Ohmen. „Vergiss es, mit dieser Regierung an der Macht werden wir nie wieder Konzerte sehen“, sagt der 22jährige Mehrva, der Kunst an der islamischen Azad Universität studiert hat und bei einer PR Firma arbeitet. „Das ist das Ende der westlichen Musik im Iran.“
Mehrvas Trübsinn ist nicht unberechtigt. Schließlich hat die Regierung Ahmadinejads im letzten Dezember bereits westliche Musik im iranischen Fernsehen und Radio verboten, und damit die Angst geschürt, das Land käme zurück in die Zeit kurz nach der Revolution Khomeinis, der einmal gesagt haben soll: Es gibt „keinen Spaß im Iran.“ Damals, als Banden der konservativen Moralwächter in den Städten Irans unterwegs waren, Straßensperren errichteten und unverheiratete Paare verhafteten. Solche Eingriffe in die Privatsphäre gingen 1997 mit der Machtübernahme durch Khatami zurück, einzig um mit Ahmadinejads Wahl wiederzukehren. Der Tschador (ein bodenlanger Überwurf), so berichtet man, wurde als obligatorische Bekleidung für Studentinnen der ländlichen Ableger der Azad Universität wieder eingeführt und auch die Zahl an bassij Straßensperren nahm zu. Die sollten moralische „Täter“ auf den Straßen von Teheran nach Shemshak und zur Kaspischen Küste abfangen, wo ein elegantes Skigebiet und Seebäder liegen, überfüllt von Irans säkularer, ausschweifig lebenden „Generation Jetzt“. Aber der erwartete soziale Einschnitt war weniger brutal als erwartet und normalen Iranern – besonders den jugendlichen – werden so langsam soziale Freiheiten gewährt, die in der Islamischen Republik einst undenkbar waren.
Es gibt jedoch ein Quidproquo: Die Iraner dürfen sich mehr amüsieren, wenn sie im Gegensatz politische Mitbestimmung aufgeben. Der gesellschaftliche Deal, den das Islamische Regime anbietet, zielt auf die Jugendlichen, die weder mit Sha-oppositionellen Klerikalen noch mit traditionalistischen Veteranen des Iran-Irak-Kriegs, wie Ahmadinejad, die jetzt in Machtpositionen aufsteigen, viel gemeinsam haben. Die Iranische Führung hat begriffen, dass der Babyboom der Kriegszeit in eine gesellschaftliche Sackgasse geführt hat. Jetzt scheint es, als wären sie bereit, ein bisschen gesellschaftlichen Wandel zu tolerieren und zu verhindern, dass die aufgestaute Energie auf die Mainstreampolitik übergreift.
Die Kampagne zur Präsidentschaftswahl letzten Jahres war die erste seit Beginn der Islamischen Republik, in der religiöse Rhetorik vermieden wurde. Spitzenkandidat Hashemi Rafsanjani, ein Ayatollah und zweimaliger Präsident, produzierte einen Videoclip, in dem man ihn seinen klerikalen Turban ablegen sah. Auch auf Wahlplakaten war er barhäuptig zu sehen, weshalb man spekulierte, er würde im Falle seiner Wahl die Rolle des Klerus weiter marginalisieren. Sicher, in den Straßen Teherans offerierte man den Geschmack der Freiheit. „Party-Zelte“ wurden zu Wahlkampfzentren und Treffpunkt für junge Iraner und Iranerinnen. Diskokugeln hingen an den Decken und aus den großen Lautsprechern tönte westliche Popmusik. Siavash, ein iranischer Rapper, wurde mit einem Lied für Rafsanjani beauftragt (Das Lied wurde jedoch nie gespielt, weil Siavash nicht weiter von seiner Street-Credibility abrücken wollte und in seinen Texten sagte, es sein nun einmal eine Wahl zwischen Schlecht und Schlechter und da solle man eben Rafsanjani wählen).
Auch die Kampagne Ahmadinejads ging mit dem Statement hausieren, es würde keinen Eingriff in soziale Freiheiten geben. Auf der Fereshte Avenue, Teherans elegantester Straße, gesäumt von Straßenkaffees, in denen junge Frauen die iranische Kleiderordnung bis an ihre Grenzen ausreizen, verteilten Anhänger Ahmadinejads Eis und Obst an Passanten, um die traditionell reiche Bevölkerung des Viertels in Gespräche zu verwickeln.
In dem Underground Studio, wo Siavash seine Reime aufnimmt, werfen die Zwillingsportraits des obersten Führers Khomeini und seinem Nachfolger Ayatollah Ali Khomeini finstere Blicke auf die herumhängenden Studiotechniker, die Rauchen und Tee schlürfen. Es war jener „kein Spaß“-Khomeini, der 1982, nur drei Jahre nach Errichtung der Islamischen Republik, erlaubte, dass die Leute ihr Privatleben führen können wie sie möchten, ohne Beeinträchtigung. Trotzdem brachen in den vielen Jahren danach bassijs in Häuser ein, wenn sie dort eine Party vermuteten, und verhafteten Bewohner.
In einer Pause zwischen den schnellen Reimen, die Siavash in ein hochmodernes Mikro blafft, gesteht er sein Erstaunen darüber, dass ein klerikaler Kandidat darüber nachdachte, einen Rapper für seine Promotion zu engagieren, auch wenn der Song am Ende nicht benutzt wurde. Tatsächlich werden Rap und Hip-Hop immer populärer und öfter in der Öffentlichkeit gehört, abseits von illegalen Parties in privaten Wohnungen und trotz der oft kruden Texte. Eine junge Iranerin ist überrascht, als der Taxifahrer seinen vier Gästen einen Song von einer populären Rapgruppe vorspielte. „Du hättest das Gesicht der Frau im Tschador neben mir sehen sollen, als die Band über ‚Koks ziehen` und ‚Schlampen ficken` rappte“, sagt sie.
Westlich orientierte Rockgruppen, wie 127 oder Rapper wie Zed-Bazi und Soroush, laufen in den westlichen Medien unter „Underground“ und wenig wahrscheinlich, dass man sie bald im Radio „Stimme der Islamischen Republik“ hören wird. Aber sie sind immerhin präsent genug, dass Ershad, der Minister für Islamische Kultur, öffentliche low-profile Konzerte toleriert und sogar Touren ins Ausland. Die Band 127 hat kürzlich in den USA gespielt.
Ein anderes Indiz für den Anstieg sozialer Freiheiten, diesmal bei der privilegierten Elite in der Stadt, sind die unislamischen Vorgänge in den Skigebieten der Berge über Teheran. Jedes Jahr fährt die gut betuchte Jugend der Hauptstadt mit ihren teuren Jeeps, beladen mit dem neusten Ski- und Snowboardequipment aus Europa, zu den Pisten. Die Skigebiete wurden in den 70ern vom Shah errichtet und vom klerikalen Establishment als Versammlungszentren für taghootis (Götzenanbeter) gemieden. Dieses Jahr scheint es, als hätten sich die Skigebiete von der Islamischen Republik abgespalten. Der Gemeinschaftsbereich eines luxuriösen Bungalowkomplexes hat sich, so berichtete man, in eine halb-offene Bar verwandelt, die horrende Preise für streng illegale Cocktails verlangt.
Am bekanntesten ist Shemshak für seine wilden Aprés-Ski Parties und den Spaß auf der Piste. Im Januar ließ sich ein junges iranisches Paar, das zum Skifahren gekommen war, von einem ausländischen Kameramann beim öffentlichen und leidenschaftlichen Küssen filmen. Vom Regime offensichtlich zu Tode gelangweilt, taten sie dies im vollen Bewusstsein, dass die Ausstrahlung ihres Kusses ihre Verhaftung, Anklage und mögliche Exekution bedeuten könnte.
Zurück in Teheran sind die Grenzen der Freiheit gleichzeitig offensichtlich und ambivalent. An einem Donnerstag im Februar wird der vom Verkehr verstopfte Jordan Boulevard von einem Aufmarsch junger Militanter mit automatischen Waffen, Camouflage Uniformen und Bandanas mit schiitischen Slogans blockiert. Am Straßenrand ist ein Jeep geparkt, von der Art wie ihn die Partytiere aus dem Norden Teherans bevorzugen und ein paar Militante nehmen das Fahrzeug auseinander, vermutlich auf der Suche nach Drogen. Als ein Mädchen bemerkt, dass dies nicht die üblichen gläubigen working class bassijis sind, sagt sie, sichtlich erregt, dass die zu einer speziellen Militäreinheit gehören, mit Tötungserlaubnis. Dass die sonst selten gesehene Truppe auf der Straße ist, so meint sie, deute darauf hin, dass sich Dinge zum Schlechten verändern.
Trotzdem waren letztes Weihnachten die privaten Geschäfte von Muslimen mit saisonüblichen Dekorationen geschmückt, trotz der neuen streng schiitischen Regierung Ahmadinejads. Die Partygänger sprachen von einer noch nie dagewesenen Zahl an Parties in dieser sonst traditionell ruhigen Zeit. „Es gibt eine 3. Generation die soooo weit weg ist von der Elterngeneration.“, sagt Azadeh, eine 26 Jahre alte Journalistin eine reformorientierten Zeitung. „Sie können sich den Generationskonflikt zwischen uns und denen gar nicht vorstellen. Und das ist es, was mich am meisten für dieses Land hoffen lässt.“

Ein Spezial-Korrespondent aus Teheran
Übersetzung: Robert Zwarg

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last modified: 28.3.2007