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Der linke Fußballfan

Ein politisches Profil am Beispiel der Initiative „Raus aus der Todesfalle“

      „Demokratie bedeutet, dass auch vermeintliche Minderheiten Gehör finden, dass auch wir einen gleichberechtigten Zugang zu den Medien erhalten und sich lokale Fürsten nicht allein hinter ihrer verquasten Demokratie-Rhetorik verstecken. (...) Wir werden also sehen, wie die Stadtoberen, Medienvertreter und andere sog. Multiplikatoren aus Wirtschaft, Gesellschaft, Wissenschaft etc. mit unserer Kritik umgehen werden. Gerade den Medien kommt hierbei eine entscheidende Rolle zu, denn sie müssen dafür Sorge tragen, dass wir nicht ungerechtfertigter Weise in die kriminelle Ecke gedrängt werden.“(1)
Das Zitat stammt von einer Initiative mit dem Namen „Raus aus der Todesfalle“, die sich laut eigener Aussage aus verschiedenen Leuten und Gruppen zusammensetzt. Die Fußball-WM gilt ihr als Anlass, ganz verschiedene Interessen zu Gehör zu bringen. Neben dem Anliegen von Mitgliedern einer Ultra-Fan-Gruppierung des FC Sachsen Leipzig, aus dem neu gebauten WM-Stadion (die „Todesfalle“) nach Leutzsch zurückzukehren, fordert der Verein „Roter Stern Leipzig“ ein eigenes Sportgelände, ein „Fanprojekt Leipzig“ macht auf die mangelhafte finanzielle Unterstützung seitens der Stadt (auch eine „Todesfalle“) aufmerksam und soziale Projekte beklagen mangelnde Aufmerksamkeit und Zuwendung durch die städtische Kulturförderung. Hinzu kommen Gruppen (Namen werden nicht genannt), denen die um sich greifende Videoüberwachung von privaten und öffentlichen Räumen Sorge bereitet und die Überwachung ganz grundsätzlich ablehnen. Das alles ist – jedes für sich genommen – nicht weiter kritikwürdig, wäre da nicht die bunte Zusammenstellung und der über allem stehende Anlass der Fußball-WM, die man als nationales Großereignis identifiziert und in direkten Zusammenhang mit den Verbrechen des Dritten Reichs stellt. Erzeugt wird damit eine Stimmung, als

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ob Deutschland sich erneut anschickte, die Welt in seine Gewalt zu bringen. So heißt es im oben bereits zitierten Flyer: Die Weltmeisterschaft in Deutschland soll der Welt eine trügerische Ruhe im deutschen Lande vorgaukeln. Alle kritischen Stimmen werden einfach weggelächelt oder im Zweifelsfall weggeprügelt. Auch den Nazis spiele das Großereignis WM in die Hände, weshalb man als Initiative jetzt das Schweigen brechen müsse.
Aber nicht nur diese realitätsferne und paranoide Sicht kennzeichnet die Ausführungen der Initiative, sondern auch ein bestimmtes Verständnis von Politik, das – wie selbstverständlich – Fußball, Kulturszene und klassisch linke Gruppierungen zusammenschweißen soll. Die Argumentation der Initiative „Raus aus der Todesfalle“ ist symptomatisch für ein solches Politikverständnis und verdient deshalb unsere Aufmerksamkeit. Doch schön der Reihe nach.
Linke haben ein gestörtes Verhältnis zu demokratischen Institutionen.(2) Das war schon immer so und wird sich auch so schnell nicht ändern. Fußballfans hingegen haben für gewöhnlich überhaupt kein ihnen bewusstes Verhältnis zu rechtsstaatlichen Institutionen. Was für sie zählt, ist der Verein und sein sportlicher Erfolg. Aber auch sie fordern gelegentlich mehr als das sportliche Opfer ihrer Spieler für Fan- und Vereinswohl. So wendet man sich als Fangruppierung zuallererst an die Repräsentanten des eigenen Vereins, um unliebsame Stadionzäune, Sitzplätze oder Fehlinvestitionen zu monieren. Man hat Mitspracherecht – wenn auch nur begrenzt – und der Verein schaut, ob er seinen treuesten Kunden die Stange halten kann, ohne den eigenen sportlichen und geschäftlichen Interessen zu schaden. Handelt es sich um solche Interessen, die der Verein selber nicht bewilligen kann, sind mitunter andere Wege nötig. Stadt oder Kommune tragen Mitverantwortung für bauliche Projekte, Sozial- und Jugendarbeit, zumeist über finanzielle Förderung. Anträge im Namen des Vereins sind also möglich und von Seiten der Ämter ernst zu nehmen. Derartiges ist Inhalt demokratischer Partizipation und durch verantwortliche Verwaltungsbehörden nicht einfach von der Hand zu weisen. Betreibt man Politik oder vertritt Interessen, die der rechtsstaatlichen Ordnung nicht zuwider laufen – darunter fallen auch die Interessen eines Fußballvereins – , dann beginnt hier der zähe Kampf um Recht und Geld mit den Mitteln streitbarer Demokratie. Da bleiben Lobbyarbeit, langwierige Verhandlungen sowie die Bereitschaft zum Kompromiss, auch mit ungeliebten Institutionen, nicht erspart. Das ist zweifellos ein ziemlich aufreibendes Geschäft, dessen Ergebnis nicht selten vom vormals Geforderten abweicht. Manche mögen darüber schon mal Gewissen und Motivation verloren haben, andere gar den Glauben an Demokratie überhaupt.
Anders ist das bei Linken. Sie stürzt solche Komplexität in arge Selbstzerissenheit. Dies zeigt sich auch bei einer besonderen Form dieser Spezies – dem linken Fußballfan. Bei ihm handelt es sich um ein ambivalentes Wesen, in dem sich der Konflikt zwischen demokratischer Partizipation und linker Spiegelfechterei austrägt. Lassen wir also probehalber dieses auserkorene Wesen selber zu Wort kommen, damit sich die Sache in ihrer widersprüchlichen Natur zu erkennen gibt.
Der linke Fußballfan ist in erster Linie Linker nicht Fußballfan, denn er muss immerzu betonen, dass es Wichtigeres als Fußball gibt – womit er regelmäßig seinen unpolitischen Widergängern auf den Nerven herumtrampelt: Wir lassen uns aber nicht allein auf den Fußball reduzieren, denn Fußball ist nur ein kleiner Spiegel der Gesellschaft gibt er unmissverständlich zu verstehen. So will er zwar Fußball, aber er will ihn politisch korrekt. Deshalb fährt er zur Antira-Fußball-WM nach Italien oder nach Hamburg zu „Pauli“. Dort trifft er sich mit Gleichgesinnten, um sich zu vergewissern, dass Fankultur mehr sein könnte als das, was er in der eigenen Fankurve so alles antreffen muss. Schön ist es, wenn Fußball mal ohne Verein, Nation oder sinnentleerten Proletkult stattfindet, oder – viel besser noch – der Verein selbst für all das steht, wofür man sich als Linker so ausspricht.(3) Der linke Fußballfan hat also anders als gewöhnliche Fußballfans ein Bedürfnis nach Differenz, das er verwirklicht, indem er unverdrießlich ganz verschiedene Personenkreise ansprechen möchte. Er ist darin mehr Linker als Fußballfan. Und doch muss er Fußballfan bleiben, um seiner widersprüchlichen Natur gerecht zu werden und zu beweisen, dass Fußballfans nicht bloße Hohlroller sind, sondern sich intelligent für ihre Ziele einsetzen. Aber er will mehr beweisen als er beweisen kann, er will die Intelligenz auf seine intelligenztaube Seite ziehen, er will sich selbst zum politischen Sprachrohr seiner unpolitischen Seite machen. Er ist ein Wesen im ständigen Widerstreit.
Der linke Fußballfan ist ein verkappter Demokrat, dem demokratisches Handeln durch sein Linkssein verstellt ist. Oder anders gesagt: Er ist ein linker Aktionist, der die Demokratie anruft, aber ihre Möglichkeiten ablehnt. Er wähnt sich daher lieber als Nestbeschmutzer/In, der unbequeme Kritik äußert. Er wähnt sich als Opfer der Demokratie, als Minderheit, die einen gleichberechtigten Zugang zu den Medien verlangt und fordert, dass die Stadtoberen, Medienvertreter und andere sog. Multiplikatoren aus Wirtschaft, Gesellschaft, Wissenschaft endlich verstehen müssten wie Demokratie wirklich funktioniert. – Demokratie ist, gibt der linke Fußballfan daher selbstsicher zu Protokoll, Missstände gemeinsam im offenen Dialog überwinden. Indes – er verschmäht den Dialog und ruft: Turbo-Demokraten hört auf, nur zu reden. Er setzt stattdessen auf die linke Karte, wobei die Medien helfen sollen, den eigenen Erfolg zu bespiegeln: Gerade den Medien kommt hierbei eine entscheidende Rolle zu, denn sie müssen dafür Sorge tragen, dass wir nicht ungerechtfertigter Weise in die kriminelle Ecke gedrängt werden. Dabei geht es nicht – denn das ließe sich medientechnisch schlecht inszenieren – um Lobbyarbeit, um politischen Druck. Es geht vielmehr darum – man ahnt es fast – in klassisch linker Manier, den Weg zum Ziel zu erklären: Daher könnte eines unserer Ziele sein, in einem breiten, gesellschaftlichen Bündnis parallel zur Weltmeisterschaft eine bundesweite Demonstration zu organisieren. Der linke Fußballfan stellt sich ins politische Abseits. Er will den offenen Dialog, aber er formuliert seine Kritik als mediale Postwurfsendung ohne Rückfrankierung – eine Demonstration soll es sein, auf der man ruft: Hoch die intralokale Solidarität! und bestimmt auch: Turbo-Demokraten hört auf, nur zu reden! Und so steht er – den Medien sei’s gedankt – wie einst Narziss im griechischen Mythos vor den Ergebnissen seiner selbstinszenierten Spiegelfechterei und sieht: sich – ein Wesen im ständigen Widerstreit mit sich selbst.
Der linke Fußballfan will alle integrieren („ja, auch LOK“). Zu seinem Bedürfnis nach Differenz gesellt sich das nach Integration. Er empfiehlt nicht nur sich, sondern auch anderen den Blick über den Tellerrand und fordert: MacherInnen von coolen sozialen Projekten, macht mit! Da er damit ganz verschiedene Personenkreise ansprechen möchte, versucht er den Spagat, den er selbst für etwas schwierig aber im großen und ganzen doch für machbar hält. Das Offensichtliche sei ja sowieso schon in aller Munde: die Fußballweltmeisterschaft, die – wie sollte es anders sein – allen coolen sozialen Projekten ein Dorn im Auge sein müsse, denn früher oder später würden Repressions- und Überwachungsmechanismen zunächst nur untergejubelt werden, aber letztlich die ganze Gesellschaft, gleich einem unabwendbaren Naturereignis, penetrieren. (Und da der linke Fußballfan weiß, wo bei seinesgleichen die Alarmglocken läuten, droht er mit Naturgewalt und sexueller Metaphorik.) Sollte das jedoch noch nicht genug zu denken geben, bietet sich ein weiteres Integrationsargument, um dem so aus der Mode gekommenen Wort der Solidarität mal wieder zu einem Comeback zu verhelfen: die – na klar – finanzielle Situation. Die Zeit der Absplitterung und Zersplitterung ist vorbei! schmettert unser linker Fußballfan aus voller Kehle, denn wir und ihr stehen finanziell alle mit dem Rücken zur Wand. Deshalb ist jetzt der richtige Augenblick zu rufen: Hoch die intralokale Solidarität! Und so wirft er den von ihm ausgemachten Schmierenkomödianten der Leipziger Stadtverwaltung – gestärkt durch den Glauben, für alle coolen sozialen Projekte zu sprechen – entgegen: Wir lassen uns nicht gegenseitig ausspielen. Es ist eure Aufgabe, unsere Steuern so zu verteilen, dass wir auch im sozialen Bereich ausreichende (besser gute) Strukturen haben, um die Probleme der Abbruchregion Ost in den Griff zu bekommen. Was er zuvor erbittet, erbrüllt er nun und kommt endlich zur Sache. – Er fordert Moos für sich und alle anderen, die er zuvor integrierte. Das versteht jeder, da lässt sich mit einstimmen: Nachdenken, agieren, nicht kriminalisieren lassen. Wer will sich das schon verbieten lassen? Alle müssen mitmachen. Klar. Unser linker Fußballfan versichert: wir stehen auf der richtigen und gleichen Seite. Er blickt also über den Tellerrand. Und was sieht er? – Welch Wunder! – Man steht zusammen auf der richtigen und gleichen Seite. Potzblitz! – Unser linker Fußballfan hat es geschafft, er hat sich seine eigene linke Seite integriert, er springt dorthin, wo er schon immer stand – mitten hinein in eine wunderbare Demo mit Linken und linken Fußballfans. Er ist wahrlich seinesgleichen, ein Wesen mit sich im Widerstreit.

Roman

Anmerkungen:

(1) Dieses sowie alle folgenden kursiv gesetzten Zitate sind dem Aufruf der Initiative „Raus aus der Todesfalle“ für eine Demonstration vom 5. Februar 2006 entnommen.
(2) Gemeint sind hier weniger sogenannte Parteilinke, die ihren Hang zu staatlicher Macht zumindest insofern nicht verleugnen, als dass sie ihn in die Formalien parteipolitischer Initiative kleiden.
(3) Für Linke ist es natürlich einfacher, sich wogegen auszusprechen: z.B. gegen Rassismus, Sexismus, Kapitalismus, Überwachung, verquaste Demokratie-Rhetorik usw. (Multiopression).

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last modified: 28.3.2007