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Dieser Text wurde uns folgendermaßen angeboten: „eine kleine überarbeitung hat einiges entschärft, was aber bei eurer anstehenden ablehnung keine rolle spielen wird. nicht, dass es mir sonderlich am herzen liegt, dass dieser text bei euch erscheint... doch ich dachte mir, es sei vielleicht eine gute gelegenheit, ein paar von euch zu ärgern, vielleicht sogar zum schäumen zu bringen.“
Wir haben uns über den Text weder geärgert, noch konnte Schaum entdeckt werden. Da und dort huschte allerdings ein Schmunzeln über die Gesichter der Redaktion ob des missionarischen Eifers, mit dem die krisengeschüttelte Welt gerettet werden soll, sowie wegen der Gutgläubigkeit gegenüber den anvisierten sozialen AkteurInnen.
Weniger lustig fanden wir hingegen die Zensur-Unterstellung auf der WKL-Homepage (http://left-action.de/wkl/erkl_3.html) gegenüber der Redaktion. Es ist gegenüber allen AutorInnen des CEE IEH gängige Praxis, dass Texte mit der Bitte zur Überarbeitung zurückgeschickt werden, falls sie Beleidigungen, nicht belegbare Behauptungen oder sonstige problematische Passagen enthalten. Dass die WKL darauf eingeschnappt sind und uns untersagen, ihr Flugblatt zu dokumentieren, obwohl wir nur eine Anmerkung zur Einleitung hatten, ist allein ihr Problem – und Folge ihres infantilen Gehabes. Fakt ist, dass wir in den letzten 10 Ausgaben des CEE IEH keiner Gruppe (und ihren Mitgliedern) so viel Platz im Heft eingeräumt haben wie der WKL – und das trotz erheblicher inhaltlicher Differenzen.
Tomorrow-Café, 1.5k

Warum es Not tut,
gegen Hartz IV zu protestieren

...und Bewegungsbeschimpfung anti-emanzipatorisch ist.
Ein Vortrag im Rahmen des tomorrow-Theoriecafés. Vom Mausebär

Es geht um die Brötchen

Im grabesstillen Leipziger Demonstrationszug gegen Hartz IV erhebt sich plötzlich Schreien: „Über zehn Jahre hab ich auf so ‘nem Ding gearbeitet [der Schreiende zeigt auf einen Kran] und jetzt – alles futsch, arbeitslos, ich weiß nicht mal, ob ich in meiner Wohnung bleiben kann.“ Der Mann mit Schiebermütze und Stoffbeutel hyperventiliert, läuft knallrot an und schreit dann wirklich nur noch unartikuliertes Zeug. Ein paar Leute gehen auf ihn zu und bemühen sich darum, dass er wenigstens wieder normal atmet und weitergehen kann. Das klappt auch und nach einem letzten Stoßseufzer „Scheiße ist das!“ herrscht wieder Ruhe, nur die Nazihippies von BüSo singen von Ferne ihr „Freude schöner Götterfunken“. Vielleicht überlegt sich unser Mann seine Handlungsoptionen, die ihm ab Januar 2005 bleiben: 331€ plus Wohngeld samt Verfolgungsbetreuung durch den Fallmanager und permanente Weiterbildungsschikane oder er findet vielleicht doch einen lumpigen Elendsjob im Süden des Landes, für den er dann selbstverständlich umziehen müsste. Der monotone Fabrikalltag bzw. das Schuften auf dem Bau wird durch Dienstleistungsprekarisierung bzw. den Zwang zu immerwährender Simulation von Bewerbungsanstrengungen abgelöst.

Spielgenossen, 36.5k

Reflektierte jüngere Gesellschaftskritiker – mögen sie nun zu „tomorrow“ gehören oder nicht – finanzieren ihre Reproduktion vermutlich über die Eltern, Kindergeld, Bafög, Gelegenheitsjobs, Sozi oder eine Mischung davon. Ihr Leben wird ab 2005 nicht weniger prekär als das unseres Kranfahrers. Und die Zukunft hält nichts Gutes bereit: Unter Umständen peilt man eine Unikarriere an, bei der die frühe Beschäftigung mit Theorie sich durchaus als nützlich erweisen mag. (Das ist nicht denunziatorisch gemeint.) Diese Karriere wird aber immer problematischer. Ein kurzer Bericht aus Österreich, von einem der es wissen muss, vom Biologen und Vegetationsökologen Andreas Exner (vgl. Streifzüge, 30/04), der dort an der Uni in wechselnden Forschungsprojekten beschäftigt ist:
„Das magere Gehalt des Fonds, aus dem wir bezahlt wurden, glich seit vielen Jahren nicht mehr die Inflation aus. Durch einen Zeitungsbericht erfuhr ich von einer Interessensgemeinschaft der prekär Beschäftigten im akademischen Bereich. Schätzungsweise 60 Prozent von Lehre und Forschung werden von Menschen mit befristeter Anstellung, niedrigem Gehalt, ohne Karrierechancen und Prestige geleistet, stand da zu lesen. Auch bei uns bestand die Belegschaft aus einem kleinen Kern von Professoren, Assistenten und Dozenten und einem breiten Rand von Drittmittelangestellten und Gelegenheitsforscherinnen. Doch jeder Schritt in Richtung einer Organisierung mit anderen aus der universitären Peripherie schien mir sehr weit weg. Die Möglichkeit einer Einflussnahme war kaum gegeben, der eigene Verbleib im Uniland doch immer nur eine Frage der Zeit, für den eine solidarische Anstrengung aufzubringen sich kaum lohnte.

(...)

Danach gab es wieder ein Forschungsprojekt. Die Zeiten wurden schlechter, sie trieben uns der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in die Arme. Nur mit Tricks konnte mich mein Mitarbeiter – zugleich wissenschaftlicher Leiter, informeller Projektmanager und Sekretär – vor der Schrumpfung meines früheren, schon eher dürftigen Gehalts retten. Im Verein, wo ich meinen Zivildienst abgeleistet hatte, machte ich weiter Nachtdienste; bis zu sechs Mal im Monat.
Die Akademie zahlte ihre Projekte nicht nur schleißig, sie war auch alles andere als interessiert an ihnen. Insgesamt auf drei Jahre angelegt musste jedes Projektjahr einzeln bewilligt werden, wohl um den Geldhahn bei Bedarf rasch zudrehen zu können. Die Projektangestellten erhielten nach jeder Vertragsverlängerung monatelang kein Gehalt, es musste durch Vorschüsse von anderen Projekten der Abteilung gedeckt werden. Zur Weihnachtszeit gab es kein Geld mehr für Druckerpatronen und Papier. Ein Assistent streckte die nötigen Mittel vor. Ich dachte an ukrainische Universitäten, in denen die wenigen Verbliebenen, entweder verrückt oder aus begütertem Hause, im Winter froren.“
Apropos Ukraine: Vor einigen Jahren hörte man zum ersten Mal von Bergleuten, die dort monatelang kein Gehalt bekamen. Ein erbitterter Kampf hatte den Erfolg, dass wenigstens zwei ausstehende Monatslöhne nachgezahlt wurden. Die Empörung – auch in Deutschland – war groß und die Sympathie für die streikenden Bergleute einhellig: Sie müssen doch essen, sich kleiden und wohnen können, wenn sie arbeiten! Nach nur wenigen Jahren des forcierten Neoliberalismus ist die Verletzung dieser kapitalistischen Banalität schlicht und einfach keine Meldung mehr wert, es interessiert niemanden mehr, wenn im Wissenschaftssystem eines hochentwickelten Landes der ersten Welt zwar Arbeitskraft verausgabt wird, diese sich aber über Monate hinweg nur aus Ersparnissen reproduzieren kann.
Die Aussichten für unseren Kranfahrer und die für die Nachwuchsintellektuellen sind dieselben. Es macht schlicht keinen Unterschied mehr, ob man in sozial nicht abgesicherten 10-Stunden-Jobs vor sich hinstirbt oder sich dem akademischen Lumpenproletariat, das den eigenen Arbeitsplatz auch mal selbst bezahlt, zurechnen muss.
Beide erhalten eine neue Reproduktionsuntergrenze: Das Niveau von 331 € plus Wohngeld – WENN sie sich arbeitswillig zeigen und ihre gesamte Lebensenergie einer staatlichen Behörde überantworten.
Beide werden einsehen müssen, dass der Slogan „Jede Arbeit ist besser, als keine!“ vom feuchten Traum hardcoreliberaler Einpeitscher zur grausigen Realität geworden ist.

Revolutionsromantik oder Bewegungsbashing – die falsche Alternative

Oft wurde von den Gegnern der Anti-Hartz-Demonstrationen vorgebracht, die Demonstranten hätten überhaupt nicht ihre eigenen Interessen, sondern lediglich den Standort im Blick, würden alles tun, um nur irgendeine Arbeit zu bekommen.
Ein Einwand, den man ernst nehmen muss – auch für uns ist das Kriterium für wenigstens die Möglichkeit von Gesellschaftskritik, dass man SELBST ein Unbehagen an den herrschenden Zuständen hat und nicht permanent Stellvertreterkriege für jemanden führt, der das u.U. gar nicht will.
Hier müssen wir denn doch mit der Realität kontern: Der Slogan „Niedriglohn und Zwangsarbeit – dafür haben wir keine Zeit“ wurde am Anfang vom kleinen Grüppchen der Libertären und Klassenkämpfer gerufen, einige Wochen später war er an der Spitze des Demozuges zu hören; Gewerkschaftsvertreter forderten die 30-Stunden-Woche und ein Existenzgeld von 1500€ für alle, unabhängig ob Arbeitswillige oder -unwillige, Deutsche oder „Ausländer“; es Ein ungleiches Paar, 19.1k wurde sich immer und immer wieder gegen die Teilnahme von Nazis an der Demonstration ausgesprochen (freilich auf eine linksliberale Weise); ein unüberhörbarer libertärer Block fordert „Alles für Alle und zwar umsonst“.
Ja, alles das sind nur Beispiele. Ebensolche Beispiele, wie sie von jenen vorgebracht werden, die Transparente abschreiben und hinterher im stillen Kämmerlein – nein: nicht Marx lesen, sondern – messerscharf analysieren, dass „Schröder in die Produktion“ nun wirklich keine emanzipatorische Parole ist und dass verdächtig oft Banken und Bonzen kritisiert werden.
Es spielt bei der Einschätzung der Demos eben eine große Rolle, WIE man sich auf eine Bewegung bezieht. Bedingungslos zustimmend, wenn sie die richtigen Inhalte hat bzw. bedingungslos ablehnend, wenn sich falsches zeigt ODER aber – ganz altmaterialistisch – ob man eine Bewegung als Ausfluss materieller Verhältnisse in der Gesellschaft nimmt, die es zu analysieren und als Ausgangsbedingung für Kämpfe ernst zu nehmen gilt. Wir hatten und haben es mit einer Ein-Punkt-Bewegung zu tun, in der unterschiedlichste Leute – eben auch Nazis – versuchen, ihr Süppchen zu kochen. Wenn man natürlich auf absolute Sicherheit erpicht ist, nie etwas falsch machen will, kann man solche Ein-Punkt-Bewegungen am Rand liegen lassen, muss sich von Adorno allerdings sagen lassen: „Die Funktion des Begriffs von Sicherheit ... schlug um. Was einmal Dogma und Bevormundung durch Selbstgewißheit überholen wollte, wurde zur Sozialversicherung einer Erkenntnis, der nichts soll passieren können. Dem Einwandfreien passiert tatsächlich nichts.“ (Negative Dialektik)
Bei der Einschätzung der Montagsdemos durch die bewegungsbeschimpfende Linke hatte die gute alte Logik wieder mal nix zu lachen. Es wurde skandalisiert, dass Nazis an den Montagsdemos teilnehmen UND es wurde von den selben Leuten begründet, warum die Nazis auf dieser Volksgemeinschaftsdemo gut aufgehoben sind, weil es ja – wie ein Referent des Bündnisses gegen Realität (BgR) verkündete – sowieso nur Nazis und Nazi-Nazis gäbe (Deutsche = Nazis, deutsche Neonazis = Nazi-Nazis). Man regt sich also auf und man begründet, warum man sich nicht aufregen darf! Fakt ist, dass es auf den Demos klare Ansagen gegen die Nazis gab. Fakt ist auch, dass immer wieder welche aufgetaucht sind. Nur – und hier sind wir wieder bei der Frage wie man sich auf eine Bewegung bezieht –: Wenn eine Bewegung in jedem Fall das Richtige macht, braucht man nicht mehr an ihr teilzunehmen. Natürlich ist das keine emanzipatorische Angelegenheit, natürlich ist das nicht „...Kommunismus (als) die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt“ (Marx/Engels, Deutsche Ideologie). Aber es geht bei den Anti-Hartz-Aktionen – im Gegensatz zu den Weltordnungskriegen (Robert Kurz) – nun wirklich um die Erhaltung der Bedingung der Möglichkeit des Kommunismus’ – nämlich das physische Überleben.
Eins haben die Demonstranten auf alle Fälle begriffen, ohne Friedrich Engels gelesen zu haben: „die ... einfache Tatsache, daß die Menschen vor allen Dingen zuerst essen, trinken, wohnen und sich kleiden müssen, ehe sie Politik, Wissenschaft, Kunst, Religion usw. treiben können“ (Friedrich Engels, Das Begräbnis von Karl Marx, MEW 19).
Nebenbei: Der Einwand, die Leute hätten nicht ihre eigenen Interessen im Blick, sondern würden sich Gedanken um ungelegte Eier machen, ist allerdings bei der Beurteilung der realen Friedensbewegung gegen den Irakkrieg im wesentlichen berechtigt gewesen. (Auch wenn natürlich die Identifikation einer Anti-Kriegs-Position mit dieser finsteren Friedensbewegung falsch war und ist.) Die sog. Friedensbewegung war nun wirklich ideologisch aufgeladen, ihre Repräsentanten haben einen Zusammenhang des Irakkrieges mit ihrem höchst eigenen Leben in einem westlichen Zentrum weder herstellen können noch wollen. Jene hat – von ein paar ehrlich betroffenen Pazifisten und wertkritischen Querschlägern abgesehen – den Irakkrieg lediglich als Aufhänger und Vorwand genommen, um ihren antiamerikanischen Ressentiments freien Lauf zu lassen und gehört dafür schonungslos kritisiert. Ihre Angehörigen wollten alle große Weltpolitik machen – sie haben Material für jede Schweinerei der USA gesammelt, das Schicksal der Iraker unter der Diktatur Saddam Husseins hat sie nicht interessiert. Die Eiseskälte, die sie Israel entgegengebracht haben, ist allein schon ein ausreichender Grund für Kritik. Sie sind zusammengekommen, um sich gegenseitig immer wildere Verschwörungstheorien zu bestätigen – es gab keine Diskussionen, sondern Hetze.
Die Anti-Hartz-IV-Demonstranten treibt schlicht die Verzweiflung, weder Entlarvungswille, noch Welterklärungsanspruch. Man trifft sich in einem Ziel und hat sehr unterschiedliche Vorstellungen, wie das erreicht werden soll – es wird erbittert diskutiert, ob die DDR nun Sozialismus war, ob Lafontaine ein Spinner ist, oder ernst genommen werden muss, ob ein Existenzgeld die Probleme lösen würde, welche Arbeitszeitverkürzungen möglich sind. Die Form des Austausches ist solidarisch und nicht unkritisch, alle sind sich bewusst, dass sie einen Abwehrkampf führen und nicht Weltpolitik machen.

Massenansatz?

Einen Einwand, den wir, die Wertkritischen Kommunisten, angesichts unserer Präsenz auf den Montagsdemos oft gehört haben: Der Massenansatz von Leuten, die auf starke soziale Bewegungen setzen, hat sich blamiert und ist nie gefeit vor Antisemitismus. Ein starker Einwand, der etwas Richtiges übertreibt, so dass es komplett falsch wird.
Was mit dem Schlagwort „Massenansatz“ bezeichnet wird, ist in der Tat eine gefährliche, potenziell antisemitische und übrigens auch verdammt lächerliche Art, Politik zu machen.
Wir denken an Berufsaktivisten vor Werktoren oder die ewigen Nerds der Spartakisten auf Versammlungen. Nicht zu vergessen, die fatale kommunistische Agitation der Arbeiter kurz vor der NS-Zeit, als von der KPD massenhaft Plakate geklebt wurden, die neben dem Sowjetstern das Hakenkreuz zeigten. Damals wurde nicht an das berechtigte Bedürfnis, die eigene Reproduktion zu sichern angeknüpft, sondern man hat die regressiven, antisemitischen Sehnsüchte des Krisenpöbels bedient.
In jeder Hinsicht typisch für den Massenansatz ist eine im Vor-Nazi-Deutschland gehaltene Rede der Berliner KPD-Chefin Ruth Fischer vor faschistischen Studenten. In der ermuntert sie sie zum Klassenkampf: „Sie rufen auf gegen das Judenkapital, meine Herren? Wer gegen das Judenkapital aufruft, meine Herren, ist schon Klassenkämpfer, auch wenn er es nicht weiß. Sie sind gegen das Judenkapital und wollen die Börsenjobber niederkämpfen. Recht so. Tretet die Judenkapitalisten nieder, hängt sie an die Laterne, zertrampelt sie. Aber meine Herren, wie stehen sie zu den Großkapitalisten, den Stinnes, Klöckner...?“ Und dann kommt sie darauf, dass man bei den Judenkapitalisten eben nicht stehenbleiben könne.
Massenansatz heißt, dass man jede spontane Äußerung von Volksmassen als im Kern emanzipatorisch abfeiert und glaubt, diese Massen dann nur noch über die eigentliche Stoßrichtung oder die wirklich konsequente Führung des Kampfes belehren zu müssen. Unmut sei eben grundsätzlich erstmal gut und müsse ausgenutzt werden, Massen hätten intuitiv schon die richtige Ahnung, es gälte nun, die Ahnung Wissen werden zu lassen.
Das allerdings hatten wir bei den Montagsdemos weder getan, noch auch nur im Sinn gehabt. Wer das aber jeder eingreifenden Agitation –entgegen der Faktenlage – unterstellt, wie bspw. das BgR-Mitglied Susanne Fischer in der Jungle World, zeigt, dass er die eigenen Projektionen für die Wahrheit nimmt.
Unter der Überschrift „Keine revolutionären Subjekte in Sicht“ schreibt Frau Fischer: „‘Hineinzuwirken‘ gibt es da nichts. Und schon gar nicht zu radikalisieren, denn radikalisiert will man diese Menge auf keinen Fall erleben. Die nahe liegenden Fragen lauten vielmehr, ob die Masse gefährlich wird und man den Botschaften der Demos etwas entgegensetzen kann.
Aber manche Linke beharren auf einem angeblich emanzipatorischen Potenzial und gemeinsames Handeln ist für sie eine Option. Dabei müssen sie in ihrer Argumentation an der Oberfläche bleiben oder pathetisch werden.“ (http://www.jungle-world.com/seiten/2004/37/3919.php)
Erneut hilft die Logik weiter: Um so wie die Autorin denken zu können, muss man annehmen, dass jede Massendemonstration nur dazu veranstaltet werde, die Emanzipation voranzubringen oder gar das revolutionäre Subjekt zu sammeln. (Sonst kann man nicht enttäuscht darüber sein, dass es nicht geschieht. Nur wem das revolutionäre Subjekt als doch irgendwie erstrebenswert im Kopf herumgeistert, nur der/die kann empört vorführen, dass es dort, wo andere es angeblich annehmen, gar nicht ist.) Ein typischer linker Szeneirrtum: Die Aktivistin der radikalen Linken kann sich nicht vorstellen, dass Demonstrationen mal nicht für den Kommunismus, den allgemeinen Umsturz, gegen Europa, gegen Deutschland, gegen Kapitalismus usw. veranstaltet werden – sondern schlicht gegen das menschenfeindliche Hartz IV-Gesetz. Sie interpretiert in das Anliegen der Veranstalter den Willen zur Emanzipation hinein, den diese nicht haben, und zeigt dann gnadenlos auf, dass das, was diese tun, gar nicht emanzipatorisch ist. Die linke Szene zeigt sich hier als Auffangbecken für psychisch gestrandete Leute, die jeden Kontakt zur Realität verloren haben.
Wir jedenfalls gaben uns keinerlei Illusionen hin: weder denen der Klassenkämpfer, noch denen, die hier die faschistischen Massen auf der Straße sahen. Wir wussten von vornherein, dass es nicht angenehm sein wird, was wir dort zu sehen bekommen werden: Arbeitswahnsinn, Staatsgläubigkeit, keynesianische Flausen und Sektenagitation. Warum bitteschön sollte – nur weil die Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau zusammengestrichen wird – sich spontan irgendeine Arbeitskritik, noch gar eine kommunistische einstellen?
Wir hatten zu den Demonstranten also ein höchst instrumentelles Verhältnis: Anknüpfen wollten wir an ihrem Unmut über die dekretier-te Verarmung, wollten erklären, was wir an ihrem Protest falsch und was wir richtig finden und hatten die kleine Hoffnung, dass die Demonstrationen dazu führen, dass wenigstens die äußersten Sauereien wieder zurückgenommen werden. Nach dem Mund geredet haben wir den Arbeitsbegeisterten zu keiner Zeit. Wer das sagt, lügt.
Weil wir gerade beim Thema Massenansatz sind, möchte ich jetzt den Spieß umdrehen und begründen, dass Massenansatz-Gelüste ganz woanders lauern. Zuvor allerdings ein kleiner

Die Drei Freunde, 35.8k


Exkurs über den „Mob“

Als Verb „to mob“ kann man es mit den Worten „über jemanden lärmend herfallen, anpöbeln, angreifen, attackieren“, als Substantiv „the mob“ mit „Gesindel, Pöbel(haufen)“ umschreiben. Seinen Ursprung hat der Begriff im Lateinischen. Mit „mobile vulgus“ wird die aufgewiegelte Volksmenge, die wankelmütige Masse bezeichnet, eine Masse, die auf Grund ihrer puren Quantität keine Beherrschung kennt. In ihm schwingen auch mit: immer wiederkehrende Schikanen, Vorgriffe auf den Pogrom; es gibt aber auch Anklänge an organisiertes Verbrechen wie von Mafia bzw. Camorra bekannt. Hauptbedeutung aber ist: eine aufgebrachte Volksmenge im Zustand der Entfesselung (Stichwort: Reflexionsausfall), gemeint sind die Rasenden, diejenigen, die Lynchjustiz begehen. Das von Hannah Arendt beschriebene Bündnis von Mob und Elite meint: Einpeitscher und Stichwortgeber brauchen einander. Adorno (The Psychological Technique of Martin Luther Thomas’ Radio Addresses) bringt „mob violence“ in Zusammenhang mit >>spontaneous action“ und „to act by non-legal means“. Ein Beispiel für die Aufhetzung eines Mobs bildet die Ansage von Joseph Goebbels an die deutschen Volksmassen: Sollte es gegen die Juden zu „spontanen Racheaktionen“ kommen (gemeint ist der Terror, der später mit „Pogromnacht“ bezeichnet wurde), werde die Polizei nicht eingreifen.

Hooliganismus – Massenansatz im linken Szene-Sumpf

Als auf der Anti-Europa-Demo des BgR der Mann auf dem Lautsprecherwagen enthusiastisch verkündete, dass sich diese Demonstration nicht nur gegen Europa, sondern auch gegen den deutschen Mob richte, fand daran niemand etwas Bemerkenswertes – weder die angereisten Demonstranten, noch der beobachtende wertkritische Kommunist. Wer wäre nicht gegen den deutschen Mob, gegen die spontan und begeistert agierenden ostdeutschen Antisemiten und Rassisten? Als ein paar Minuten später derselbe Mann immer noch unendlich begeistert ins Mikro brüllt, dass WIR hier schließlich der Mob sind und gleich die Innenstadt rocken, kratzte sich der wertkritische Kommunist am Kopf und ließ die Leute mit ihrer Begeisterung und ihrer gefährlichen Dummheit allein.
Um es ganz klar zu sagen: Der aufkommende Hooliganismus der radikalen Linken im Verein mit dem inhaltlichen Heruntertransformieren des Antifaschismus auf die Beschimpfung von Ostdeutschen – DAS ist Massenansatz, DAS ist das allerfinsterste Sich-Gemein-Machen mit der Krisenbarbarei.
Wer „Kühe, Schweine, Ostdeutschland“ ruft, hat schlicht und einfach kein Recht mehr, über „Stoiber, Merkel, Schröder werden immer blöder“ zu zetern.
Hier wird nichts anderes getan, als Anschluss gesucht, Anschluss an die Werte des Neoliberalismus, die man sonst als Linker so schmerzlich missen muss: Cool sein, modern sein und von schlecht Angezogenen gehasst. Was will man mehr als Poser?! Jederzeit – und das ist ein gewaltiger Unterschied zu den von Hartz IV geknechteten Langzeitarbeitslosen – kann man aussteigen aus diesem Trip, der ja doch nur noch politparolenhaft verbrämte 3. Halbzeit ist: Sich ins Bürgerliche zurückziehen, privatisieren, schlicht und einfach ruhiger werden. Diese Möglichkeit wird nicht dadurch unwahrscheinlicher, dass man – zusammmen mit den Demonstranten – mit einiger Sicherheit prekarisiert zwangsarbeiten wird und auch nicht dadurch, dass man –von größeren Erbschaften oder Lottogewinnen abgesehen – sich bald wird entscheiden müssen, ob man sich Bücher kauft, um die Kritik voranzubringen, oder sich teurer kleidet und verblödet.
Jede Anti-Hartz-Demo ist emanzipatorischer als diese Action-Linke, die sich auch in den nächsten Monaten nicht die Frage stellen wird, warum Naziaufmärsche genauso aussehen, wie Antifa-Demos, ganz genau so, die immer nur darauf kommen, dass die bösen Nazis unsere Symbolik und Organisationsformen klauen und nie darüber nachgrübeln, warum genau die eigene Präsentation für die Übernahme durch Nazis attraktiv ist. Um Robert Kurz zu zitieren: „Die einst bitter feindlichen Polaritäten fallen im Krisensturz zusammen, und zwar auf allen Ebenen“ (Negative Ontologie, Krisis 26). Im Falle der pseudo-radikalen Systembekämpfer treffen sie sich im Punkt frei flottierender Hooligan-Gewalt, des umherstreifenden Bandenwesens – des Mobs.

Antisemitismus und Personalisierung

„Massenansatz ist nie gefeit vor Antisemitismus“. Wohl wahr – wer in Krisenzeiten und noch dazu in Deutschland einer wütenden Masse nach dem Mund redet, kann nichts anderes tun, als antisemitische Stereotype zu reproduzieren. Dennoch ist eine Warnung angebracht:
Personalisierende Kapitalismuskritik ist nicht gleich Antisemitismus. Beim Antisemitismus handelt es sich um ein Weltbild, dessen Kern das Phantasma der „jüdischen Weltverschwörung“ zum Zweck der Erringung der Jugendtreff, 31.6k Weltherrschaft ist. Das gesamte Weltbild zentriert sich auf „den Juden“, die Juden stecken hinter allem, hinter Kriegsbefürwortung und –ablehnung, Arbeitszwang und Arbeitslosigkeit, Inflation und Deflation, Kooperation oder Konkurrenz des Auslandes. Sie gelten als Helfershelfer oder direkte Repräsentanten von Zersetzern aller natürlichen Ordnungen. Damit sich das verschwörerische Weltbild halten kann, muss bewusst jegliche reflektierende Rationalität ausgeschaltet werden. Adolf Hitler über die „Protokolle der Weisen von Zion“: „Wie sehr das ganze Dasein dieses Volkes [der Juden] auf einer fortlaufenden Lüge beruht, wird in unvergleichlicher Art in den von den Juden so unendlich gehassten ‚Protokollen der Weisen von Zion’ aufgezeigt. Sie sollen auf einer „Fälschung„ beruhen, [...] der beste Beweis dafür, dass sie also echt sind.“ (zit. bei www.hagalil.com/antisemitismus/antisemitismus/nationalsozialismus/tex) Hätten die Juden gesagt, die Protokolle seien echt, hätten sie selbst ihre Verschwörung zugegeben, sagen sie, sie seien eine Fälschung, ist das für den Antisemiten ein noch besserer – nämlich: der beste Beweis.
Wer auf korrupten Managern oder geldgierigen Anteilseignern herumhackt, die auf die Bedürfnisse von Beschäftigten keine Rücksicht nähmen, nährt zwar die Illusion, Management ließe sich außerhalb von Korruption bewerkstelligen und der Aktienkauf könne zu etwas anderem nütze sein, als zur Geldvermehrung, ist aber nicht zwangsläufig Antisemit, sondern u.U. blöd bürgerlich-demokratischer Zivilgesellschaftler, der eben die korrupten durch korrekte Manager ersetzt und die Spekulationsgewinne besteuert sehen will. Beides ist zwar dämlich, aber nicht antisemitisch. Es ist auch nicht deutsch, denn wer jedem – und sei er noch so illusorischen – Vorschlag zur Kapitalismuszähmung aus welchem Land auch immer das Etikett „deutsches, verstaatetes Denken“ anhängt, muss sich zwangsläufig auf den entfesselten Markt, das neoliberale Credo, vergattern lassen.
Personalisierung, das Reduzieren gesellschaftlicher Strukturen auf das bewusste Wirken von Personen, also die falsche Verortung des Abstrakten (in Personen, statt in einem subjektlosen Zusammenhang) kann Einfallstor für Antisemitismus sein, ist aber eben nicht der Antisemitismus selbst.
Die Unterscheidung Personalisierung/Antisemitismus ist also nicht überflüssig, sondern bezeichnet die Frage ums ganze: Wäre Personalisierung = Antisemitismus, dann wäre mit denen, die personalisieren, nicht mehr zu diskutieren, wohingegen ein Einfallstor durchaus noch im letzten Moment geschlossen werden kann, vorausgesetzt (das lernen wir von James Bond), dass man weder sich, noch die Sache aufgibt.

Wo ist der Platz des Kritikers?

Wie immer macht es der Kritiker nicht unter einer „fast unlösbare(n) Aufgabe“, nämlich der, „weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen“ (Adorno, Minima Moralia). Heute heißt das: Eine kommunistische Perspektive aufzeigen und dabei weder in Bewegungspopulismus zu machen, gar das alte Klassenkampfmonster wieder aus der Rumpelkammer der Geschichte zu holen, noch, sich der neulinken, modischen Bewegungsbeschimpfung anzuschließen, deren Protagonisten nichts anderes mehr rufen können als „Volksgemeinschaft bekämpfen!“.
Erster Schritt zur Lösung wäre, ein paar UNNÖTIGE Schwierigkeiten auszuräumen und die Frage zu stellen und zu beantworten: Was ist der Lackmustest für das Emanzipatorische an einer sozialen Bewegung? Kritiker von Wert und Abspaltung antworten: die Ablehnung der Arbeit. Ebenso auf der Hand liegt damit die Einschätzung, dass die Montagsdemonstranten per se eben keine emanzipatorische soziale Bewegung verkörpern, weil dort die fundamentale Arbeitskritik eine Minderheitsposition inne hatte.
Konsequente Arbeitskritik hätte aber anknüpfen können an der einhelligen Ablehnung (und wer anderes sagt, lügt!) von Zwangsarbeit. Vor dem Hintergrund der Fundamentalkrise des Kapitals, die alle Demonstrierenden mindestens durch die permanent steigenden Arbeitslosenzahlen mitbekommen, hätte eine solche Strategie durchaus Erfolg haben können. Wird diese Fundamentalkrise nicht ökonomistisch beschrieben oder gar mit irgendeinem Zusammenbruchsautomatismus in Verbindung gebracht, sondern gekennzeichnet als permanente Verschlechterung der Lebenssituation aller Gesellschaftsmitglieder bis hin zu deren physischem Ableben, dann kann daraus durchaus so etwas wie relevanter Widerstand erwachsen.
Bei wem sonst, wenn nicht bei Demonstranten, die eine menschenwürdige Wohnung und ein halbwegs erträgliches Auskommen wichtig finden, könnte man darauf pochen, dass ein System, das einen selbst für reproduktionsunwürdig erklärt, weg muss?! Wer die Nivellierung auf Elendsniveau nicht hinnehmen will, erachtet sein eigenes Wohlergehen für wichtiger, als den Standort – der Aufruhr gegen die rot/grüne Verelendungspolitik wird somit antifaschistische Tat. Bewegungsbashende Soziallooser allerdings rechnen anders: Hartz IV betrifft mich nicht, meinen sie und zitieren die finanziellen Verbesserungen für SozialhilfeempfängerInnen herbei. Das ist schlicht und einfach eine Mischung aus Blödheit und Ignoranz, die auch in Leipzig die Runde macht. Es stimmt schon: Wer bisher zu dumm war, beim Sozialamt die meist beachtlichen Sachleistungen zu beantragen und sich mit Geldleistungen begnügt hat, der freut sich wie ein Schneekönig über die kleine Erhöhung. Fakt ist aber auch, dass dieser Zuschuss mit der Streichung all dieser Beihilfen und der Zutat schikanöser Rundum“betreuung“ erkauft wird. Man muss schon in einem Paralleluniversum leben, um anzunehmen, dass eine rot/grüne-Reform für die von der Wertgesellschaft Ausgespuckten tatsächlich eine materielle Verbesserung unterm Strich bringen könnte. Wieder einmal löst einfache Logik die Probleme: Wenn ich bisher monatlich von mir zustehenden Leistungen ein Zehntel wieder ans Amt zurückgegeben habe und diese Praxis ab Januar 2005 unterlasse, kann ich mich natürlich über eine Erhöhung meiner Bezüge freuen.
Da wir uns keine soziale Bewegung backen können, müssen wir kritisch-solidarischen Bezug nehmen auf Leute, die die Schnauze voll haben vom kapitalistischen Normalbetrieb und ihre Reproduktion nicht einem subjektlosen Zwang unterordnen wollen. Es geht also um Vermittlung: weder Besserwisserei, noch populistischer Massenansatz, noch Bewegungsbeschimpfung, sondern gegenseitiges Ernstnehmen. Denn wer sagt schließlich, dass die theoretisch reflektierten Linken nichts lernen könnten von einem, der jahrzehntelang seiner Gewerkschaft mit umstürzlerischen Forderungen auf den Nerv geht?
Man müsste darauf drängen, dass in dieser Bewegung die Grundkategorien dieser Gesellschaft – Wert, Ware, Geld, Arbeit, Staat – in Frage gestellt werden. Das haben wir als Wertkritische Kommunisten versucht. Wir können keine greifbaren Erfolge vorweisen, doch wir werden es wieder versuchen.
(Nebenbei: Warum es schlecht sein soll, wenn der durchaus vorhandenen deutschen Staatshörigkeit möglichst viele Menschen „Fuck Standort Deutschland!“ entgegenschreien, konnte uns bisher auch noch niemand erklären.)
Es hätte einige Erfolgsaussichten gehabt, innerhalb der Bewegung eine Polarisierung herbeizuführen: die Arbeits- und Geldwahnsinnigen auf einer, die Verteidiger des schönen Lebens auf der anderen Seite.
In Leipzig aber beschäftigt man sich weiter mit Faschismustheorien, stellt sich – im Dienste des Aufbaus einer antideutschen Bewegung – den Montagsdemonstranten entgegen oder schreit in die kalte Winterluft, dass die Klasse kein Vaterland hätte. Im Übrigen geht man relativ bald studieren oder zwangsarbeiten. Da wird man dann andere spannende Theorien rezipieren können, oder aber vor lauter Schufterei überhaupt nicht mehr zum Lesen kommen. Die Klassenkämpfer werden weiter ins Blaue hinein agitieren, d.h. an der Uni die Studenten und in der Fabrik das postrevolutionäre Kleinbürgertum am Band zum revolutionären Subjekt aufblasen.
Wie wär’s damit, wenn man diese trübe Zwangsläufigkeit durchbricht und sich der Realität in die Arme wirft, „(sich)“, wie Adorno sagt, „hinlänglich mit der Sache ... (ge)sättigt“ und endlich aufhört, „einwandfrei“ sein zu wollen?!

Erschossener Gorilla, 39.7k



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last modified: 28.3.2007