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das Erste, 0.9k

Das geheime Fenster


absolute Schranke, 28.1k Ganz sicher kein ausschließlich deutsches Phänomen, schien mir doch immer so, als gäbe es sie nur hier: Menschen, meist fortgeschrittenen Alters, üblicherweise über ein abgewetztes Kissen gelehnt, aber immer stundenlang aus unteren Stockwerken von Mietshäusern oder Neubauten herausgaffend und mit einer Leidenschaft und Ausdauer, die beinahe bewundernswert wäre, auf alles schimpfend, was sich nur rührt. Sei es das zu laute Spielen der Nachbarskinder, Frauen am Steuer oder ein vorbei geführter Hund, der die sauber abgegrenzte Wiese betritt. Sie alle kommen an den zeternden Wächtern von Ordnung und Sauberkeit nur schwerlich vorbei. Zu meiner Schulzeit nannten wir derlei unangenehme Exemplare „Meckeropi“. Heute beweist nicht nur ihr Elend, wie sehr die Welt der Lösung der sozialen Frage bedürfte. Allein, was hat dies mit dem Ersten des CEE IEH – sonst in den so kompetenten Händen von Mausebär – zu tun? Kurz gesagt – nur zusehen ist beiden zu wenig.
Wer ein richtiger (auch Wert-) Kritiker sein möchte, muss sich im Objekt seiner Kritik festbeißen. Und auch, wenn es einmal einen Monat eigentlich nichts zu sagen gäbe, heißt es doch: nur nicht ablenken lassen. Nehmen wir eines der Lieblingsthemen des Mausebärs: sein verhasstes bgr. Eine gar grausige Anhäufung von „Oligopolisten(*) (und Oligopolistinnen, Anm.d.Autors) sei es, die hinterlistig und vor allem angeblich „peinlich genau die Konjunktur analysiert[en]“ um möglichst mitzumischen, wenn „wo was geht“ – mal gegen Arbeit, dann wieder gegen Krieg und vor kurzem auch noch gegen „soziale Bewegungen“. Schrecklich, diese Leute.
Allein, ich habe in den letzten Monaten nun wirklich nicht oft beim Treffen des bgr gefehlt und doch scheint mir entgangen zu sein, wie die dunkle Strategie-AG des bgr in einem geheimen Keller, ähnlich der Zensurabteilung der CI-Konzertgruppe im Keller des Conne Island, orakelt, was denn bald wo gehen könnte.
Nicht dass ihr mich falsch versteht – das bgr spricht sich immer noch gegen Arbeit, gegen die kürzlichen Kriege und zusätzlich für einen klaren Bruch mit dem antiamerikanischen, deutschen Friedensmob aus, welcher auch als „soziale Bewegung“ euphemistisch zurechtgefälscht nicht weniger bedrohlich wird. Trotz allem konnte ich eines für euch ans Tageslicht befördern – in den nächsten Monaten soll es vornehmlich um Europa und Ideologiekritik gehen. Und wenn es Antisemitismus und Antiamerikanismus – Grundpfeiler neuer europäischer Identität – betrifft, geht in Deutschland immer was. Und das nicht trotz, sondern auch gerade weil mittlerweile auf Antifa Demos in Leipzig (wie am 1.5.2004 gegen den Worch Umzug) die Flagge der Europäischen Union ungestört wehen kann.
Und auch wenn an dieser exponierten Stelle im CEE IEH in der Vergangenheit bereits nahezu mit okkulter Kraft aus ein paar Zitatfetzen erfolgreich und vor allem treffsicher extrahiert werden konnte, wie „Sprache und Denken“ von Leuten wie mir „beschaffen“ seien, sei doch noch darauf hingewiesen, dass es gerade in Europa Zeiten gibt, in denen es ungleich wichtiger ist, gegen die deutsche Friedensbewegung zu opponieren, als sich allerorten gegen Krieg auszusprechen. Trotzdem hoffe ich allerdings wirklich, dass Mausebär sich in Tel Aviv von der sicher nicht unerheblichen Anstrengung erholen konnte, die es gekostet haben mag, aus der Einschätzung des bgr „Der Glaube, mit einer eigenen Position gegen den beginnenden Krieg linke Gruppen von der Beteiligung an der Friedensbewegung abhalten zu können, entpuppte sich als naiv.“ („nostra culpa, nostra maxima culpa“ im CEE IEH #104) den instrumentellen Umgang und letztendlich die Beliebigkeit der Position selbst herauszulesen.
Doch schon flüstern mir die ersten WertkritikerInnen im Vertrauen zu: Europa? Pah, „die ökonomischen und militärischen Potenzen der EU kommen doch auf absehbare Zeit nicht an die Vereinigten Staaten heran“ (Ares im Incipito #11). Und eben dieses in unzähligen Texten, die ein Volkswirtschaftstudium locker ersetzen könnten, nachzuweisen, da ist der ideelle Gesamtwertkritiker ja nun wirklich in seinem Element. Dass es bei der Kritik an „der neuen Heimat“ viel eher auch um die ideologischen Potenzen eines Europas geht, welches seine militärische und ökonomische Schwäche, genauso wie die deutsche Vergangenheit einschließlich der Shoa als moralisches Argument und Multiplikator heute bereits nutzt, bleibt weitgehend ausgeblendet.
So reicht es bei aller relativen Schwäche Europas schon noch dazu, Israel wegen der Tötung palästinensischer Cheffaschisten in aller Schärfe zu verurteilen, um gleichzeitig bei der Beurteilung des iranischen Atomwaffenprogramms, dessen Raketen längst auf Israel gerichtet sind, generöse Milde walten zu lassen.
Lieber Mausebär, nichts gegen deine Begeisterung für Engagement gegen Atomkraft, für vernünftige Ernährungsmöglichkeiten (wobei ich mich immer für das Tofu entscheiden würde) und Klimaschutz, aber da sich die Ankunft an der „absoluten ökologischen Schranke“ meinem Gefühl nach doch noch ein wenig hinziehen könnte, scheint mir die ideologische Verfasstheit Europas als dem größtem Finanzier der palästinensischen Autonomiebehörde, die an den etwa dreihundert Selbstmordanschlägen in Israel seit Beginn der zweiten Intifada erheblichen Anteil hat, als Ziel der Kritik hierzulande doch ein wenig nahe liegender. Zumal sich nicht nur old europe als verlässlicher Partner der arabischen Welt in Sachen Israelkritik erwiesen hat, sondern es auch in jeder Hinsicht nahezu einhellig den islamistischen Terror rechtfertigt und ästhetisiert. So wie nicht nur der Pfaffe Fliege, sondern ganz Europa den Dialog mit den Mördern pflegt, ist auch in der europäischen Linken Antisemitismus „geradezu schick“ (Ilka Schröder in Phase 2 #11) – in der deutschen sowieso und keineswegs nur in Hamburg.
Nur eines noch, lieber Mausebär. Wenn du mit deinen so trefflichen und vor allem überaus unverbrauchten Wortspielen mit Gruppen und Zeitschriften gegen die Realität die magische Anzahl Einhundert erreicht hast, dann schenke ich dir persönlich eine vergoldete Uhr, ganz wie zur Frühverrentung bei der Siemens-Familie, die sicher auch den einen oder anderen Meckeropi formte. Auf dem besten Wege bist du ja. Insgeheim hoffe ich aber, dass du, der du mit mir ganz sicher die Freude am und die Einsicht in die Notwendigkeit des Bashing der olympischen Bewegung teilst, diese sportliche Ausdauer dann doch nicht aufbringst.
In diesem Sinne mache ich das abgewetzte Kissen und die Fensterbank wieder frei, denn nächsten Monat schreibt an dieser Stelle wieder euer Mausebär. Genießt den Sommer.

Marcel Frost

(*) Alle kursiven Zitate von Mausebär sind aus den vorherigen „Das Erste“ des Newsflyers.

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last modified: 28.3.2007