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Kultur-Report, 1.7k

Kalte Füße


    „In Berlin-Köpenick floss die Spree, die wichtigste Trinkwasserquelle der Stadt, im Ergebnis der Dürre in entgegengesetzter Richtung. ... Die Erwärmung heute (erfolgt) in viel schnellerem Tempo, was eigentlich Grund dafür gibt, sie mit einer anthropogenen Einwirkung in Zusammenhang zu bringen. ... Mit Gewissheit kann man von zunehmenden wirtschaftlichen Verlusten und einer immer größeren Zahl von Menschenopfern sprechen, die durch bedrohliche Erscheinungen des Elements verursacht werden.“
    (Alexander Frolow, stellvertretender Chef des Föderalen Dienstes Russlands für Hydrometeorologie und Umweltmonitoring)

    „Millionen von Migranten, die aus ihren umweltzerstörten Heimatregionen flüchteten ... Katastrophale Energie- und Wassermangel werde die Welt in weit verbreitete Kriege stürzen. Schon im Jahre 2007 sollen ‚gewaltige Stürme’ die Niederlande zu großen Teilen unbewohnbar machen, in Grossbritannien könne es sibirische Zustände geben. Klimaveränderungen müssten umgehend zu einem herausragenden Thema für Politik und Militär werden, weil Spaltungen und Konflikte sonst erneut zu den beherrschenden Problemfeldern der Menschheit zu werden drohten.“
    (Berichterstattung der Welt nach der Bekanntmachung einer Studie aus dem Pentagon im Observer)

Golfstrom, 27.8k Amerikanische Studien, noch dazu solche aus dem Pentagon, stehen nicht im Verdacht, die Natur in den Mittelpunkt von Theorie und Praxis zu rücken oder gar ökologische Schreckensszenarien zu entwerfen. Selbst Leuten, die die Ökos für Spinner halten, weil deren Schreckensprognosen nie eingetreten sind, dürfte die Aussicht, die das Pentagon gibt, einen kalten Schauer über den Rücken fahren lassen. Die Studie besagt, dass die Klimaerwärmung die Europäer kalt und bald erwischen könnte, weil schon innerhalb der nächsten zwanzig Jahre der Golfstrom zum Erliegen kommen könnte. In Großbritannien und Skandinavien würden sich dann sibirische Temperaturen einstellen und die Holländische Küste würde wegen Sturmfluten unbewohnbar werden. In Kontinental-Europa gäbe es wohl einen durchschnittlichen Temperaturabfall um fünf Grad Celsius. Das würde in Leipzig knackige Winter bedeuten. Doch dazu später. Die Studie warnt des weiteren insbesondere vor den Folgen des Klimawandels: Kriege und gewaltige Flüchtlingsströme. Doch wie kommt der Klimawandel zustande?
Dass sich an Großbritanniens Küsten im Sommer Menschen tummeln, statt wie in Kanada auf gleichen Breitengraten schon mal Eisbären, ist dem Atlantischen Strom, einem Ableger des Golfstroms zu verdanken, der warmes Wasser aus der Karibik an die Küsten Europas bringt und damit nicht nur für angenehme Wassertemperaturen sorgt, sondern auch für angenehme Lufttemperaturen. Dieser Atlantische Strom läuft Gefahr „zu kollabieren“ – schon in den nächsten zwei Jahrzehnten – warnt die Studie. Um 25 Prozent hat er wohl schon in den letzten Jahrzehnten an Wassermassen verloren. Die Ursache ist der Salzgehalt des Wassers. Bei der bisherigen Zusammensetzung sinkt das Golfstromwasser aufgrund seines Temperaturverlustes und damit einhergehenden Gewichtsanstiegs im Nordmeer ab, wodurch neues Wasser des Golfstroms nachfließen kann. Jedoch verstärken sich durch die Erderwärmung, die teils Ursache der Menschen teils stinknormale Klimaveränderung ist, zwei Quellen von Süßwasser, die dem Meer zugeführt werden. Eine Quelle sind die abschmelzenden Polkappen. Die zweite Quelle sind die Niederschläge, welche nun mal bei Erwärmung der Luftmassen in Folge der Erderwärmung höher ausfallen, da wärmere Luft einen höheren Anteil an Wasser speichern kann. Durch erhöhte Niederschläge und abschmelzende Polkappen und Gletscher werden die Wassermassen des Golfstroms derart mit Süßwasser verdünnt, dass die Gewichtszunahme, die durch das Abkühlen und die damit einhergehende Zunahme der Dichte entsteht, ausgeglichen wird (Salzwasser hat größere Dichte als Süßwasser). Die Folge: Die Wassermassen des Golfstroms bzw. des Atlantischen Stroms sinken im Nordmeer nicht mehr ab, was wiederum dem Nachschub neuen Warmwassers Einhalt gebietet. Ab einem bestimmten Punkt des Wassermassenverlustes wird er höchstwahrscheinlich abrupt abbrechen, was wohl einen für den Handel profitablen Winterschlussverkauf zur Folge haben würde.
Sicherlich kann man auf andere Studien verweisen, die nun für Europa genau das Gegenteil vorhersagen, nämlich wärmeres Klima, oder auf solche Vorzüge, dass eventuell die Sahara größere Niederschläge abbekommen würde. Eventuell könnte man sich auch vor der Erkenntnis, dass die Logik des Kapitals vor keiner Zerstörung der natürlichen Grundlage der Menschheit halt macht, abdichten, indem man das antiamerikanische Ressentiment in die Wagschale wirft und der Studie aus dem Pentagon unterstellt, es ginge ihr mit dem Horrorszenarium nur darum, die Erhöhung der Rüstungsausgaben zu legitimieren. Doch wenn man bedenkt, dass nie zuvor solch weltweit starker Temperaturanstieg binnen kürzester Zeit stattgefunden hat, wie in den letzten hundert Jahren, dann sollte einem Angst werden. Die Beherrschung der Natur durch den Menschen, die nicht nur Entsagung und Selbstbeherrschung der Menschen bedeutet, sondern gleichzeitig auch deren Emanzipation zu mehr oder weniger selbständigen Akteuren bedeutet, würde, statt in die erhoffte Versöhnung mit der Natur einzumünden, in die Herrschaft der Natur über den Menschen zurückschlagen. Was nicht nett wäre – man denke nur an kalte Füße. Allzu kalte Füße ließen sich weniger durch Militär und Politik, wie es die Welt vorschlägt, sondern vielmehr durch einen selbstbewussten Eintritt der Menschen in die Geschichte verhindern, was unter anderem die Abschaffung des Kapitals bedeuten würde. Man kann natürlich auch irgendwie irgendwem vertrauen, weiterwursteln und über kommunistische Weltverbesserer feixen.
Mit der Klimaveränderungen muss man jedoch auch dann rechnen – im wahrsten Sinn des Wortes –: nicht nur bei der Preisberechnung von Konzerten im Eiskeller (höhere Heizkosten und Anschaffung eines Schneeräumfahrzeuges samt dazugehöriger ABM-Stelle) und beim Austüfteln der Mobaction-Kollektion für das Jahr 2010 (Pelzmantel mit eingenähter Hasskappe), sondern auch bei der Leipziger Bewerbung für die olympischen Spiele. Denn: Was etwa sollen Eisschollen auf der Ruderstrecke? Insofern wäre eine flexible Doppelbewerbung Leipzigs ein weiterbringender Vorschlag: Entweder olympische Sommerspiele 2012 oder olympische Winterspiele 2014.

Euer Eisbär Hannes

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last modified: 28.3.2007