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Betrachtungen der Liebe

Liebe, 5.2k
    Man ist zusammen mit einer Frau, die man liebt, man spricht mit ihr. Dann, Wochen oder Monate später, wenn man von ihr getrennt ist, kommt einem wieder, wovon damals die Rede war. Und nun liegt das Motiv banal, grell, untief da, und man erkennt: nur sie, die sich aus Liebe tief darüber neigte, hat es vor uns beschattet und geschützt, das wie ein Relief in allen Falten und in allen Winkeln der Gedanke lebte. Sind wir allein, wie jetzt, so liegt er flach, trost-, schattenlos im Lichte unserer Erkenntnis.
    (Walter Benjamin, Relief, in: Einbahnstraße)

Wohl hat die bürgerliche Gesellschaft uns in ihren Armen einiges verkümmern lassen. Der aktuelle Abschnitt auf dem Weg des Lebens erscheint einem immer am steinigsten; doch man darf die Reflexion aufs Gestern nicht vergessen. Was sich uns unabdingbar, gefällig oder ungefällig offenbart, ist durchs Allgemeine vermittelt und davon betroffen – so die Liebe.
Liebe lässt sich von keinem anderen Standpunkt betrachten als von dem der bürgerlichen Gesellschaft und ihren Kategorien. So hat auch sie ihre spezifische Ausprägung, Rolle oder gar Funktion. Im folgenden sollen einige Bemerkungen zur Liebe geäußert werden, welche – wie sollte es auch anders möglich sein – zusammen kein System bilden.

Im Team oder Intimität

Was uns gesellschaftlich entgegentritt, hat uns in der Hand. Zu folgen ist der Logik des Kapitals, der Entäußerung unserer Lebenskraft durch den Produktionsprozess; der Abstraktion jeglicher Qualität unserer Tätigkeiten und der Reduktion unserer Triebe unter das Bürgerliche Gesetzbuch. Alles soll der Vernunft unterworfen sein, damit sich der monströse Verwertungsapparat am Laufen erhalten kann. Als die Ausnahme des Zusammenhangs von Staat, Arbeit, Ware, Wert, Kapital, also den Grundkonstanten der warenproduzierenden Gesellschaft, wünscht sich die Liebe ihre Bedeutung zu erhalten. „Überall besteht die bürgerliche Gesellschaft auf der Anstrengung des Willens; nur die Liebe soll unwillkürlich sein, reine Unmittelbarkeit des Gefühls.(1)
Es ist der Widerspruch in der kapitalistischen Gesellschaft, der die Vorstellung der Liebe von ihrem reellen Dasein trennt. So produziert der Kapitalismus notwendig die Konkurrenz der Individuen auf dem Markt und sorgt gleichfalls für die Auflösung von persönlichen Verbindungen in Form der Aufspaltung von privater und öffentlicher Sphäre. Prämisse ist es, nicht die „Unmittelbarkeit des Gefühls“ zu achten, sondern fein zu trennen zwischen Arbeit und Gefühlen, vollkommener Ratio und der Hingabe zum anderen. Jede Sinnlichkeit soll vom Arbeitsprozess ausgeschlossen sein und muss trotzdem als dessen Grundlage erhalten bleiben.
Wenn die Liebe getrennt vom Verwertungsapparat existieren soll, so wird sie gerade deswegen als stürmisch, schrankenüberwindend, leidenschaftlich eingefordert. Es entsteht demnach ein Doppelcharakter der Liebe, einerseits getrennt von jeglicher Rationalität erfordernden Tätigkeiten bestehend, und andererseits grenzüberwindend – ein Glück versprechend, welches nicht besteht: die wahrlich menschliche Verbindung zum geliebten Wesen. Die Differenz, welche sich in diesem Zusammenhang ergeben muss, ist keine geringe. So soll die Liebe uns ein besseres Leben versprechen; den Schutzhafen, vor dem was uns scheinbar übermächtig gegenübersteht – der Produktion. Sie lässt auf Errettung in den Armen des anderen hoffen. Wo wir uns einsam fühlen, einen schwarzen Fleck in unserem Leben entdecken, da soll etwas hin, dass diesen wegtünchen kann; etwas, dass nicht an unseren grauen Produktionsalltag und die zwanghafte Struktur erinnert, die uns in ihren Fittichen hält und welche wir stetig und unbewusst reproduzieren. Ihr Areal hat sie in der Privatsphäre und in der Abgrenzung zum öffentlichen Leben. Sie soll die Zärtlichkeit und Hingabe, die schon gelöscht wurde, als der monotone Klang der Werksmaschinen zum ersten mal ertönte, ersetzen, da diese unserer Gesellschaft notwendig abgeht. Die Gesellschaft bedeutet in der Ehe das „Team“, das sich organisiert und arrangiert; die beschworene Interessengemeinschaft – die Ehe. Die Ehe entsprang der traditionellen Vorstellung der Paarbeziehung. Die moderne Ehe findet auch heute ihren Ausgangspunkt in der Zuneigung zu einem Menschen. Da jedoch der christliche Wertekonsens, welcher früher bestimmendes Moment war, längst aufgebrochen ist und als Argumentationsstütze kaum mehr nutzbar sein kann, muss man es als wichtig erachten, ihre modernere Erscheinung zu beobachten: Die Ehe ist heute bürgerliches Vertragsverhältnis – das Anmelden von Besitz. Was ihr in heutiger Zeit eignet, ist das Praktische. Wer heiratet, genießt Steuervergünstigungen und so weiter. Die Intimität und Nähe wird zum Anhang des Nutzens. So kann man sagen, dass die Liebe im Falle der Ehe zwar nicht der Produktion zugehörig ist, aber auch nicht voll von ihr getrennt werden kann. Als nicht gänzlich der Produktion abhandene hat sie reproduktiven Charakter. „Ich brauche nur dich“, „Ich will mich einfach nur fallen lassen“ – und so weiter – sind nicht nur ausschließlich die Formeln derjenigen Menschen, die nach getätigter Arbeit nach Hause kommen, um die Wärme zu erfahren, die sie in einer Welt, in der der Einzelne nur so viel zählt, wie seine Arbeitskraft wert ist, nicht bekommen. Sondern diese Formeln werden auch als Wert an sich genommen. Gegen diese naive Vorstellung der Reinheit der Liebe – des Gerettet-Seins – lässt sich bei verliebten Menschen schwerlich argumentieren. Doch sollte man wissen, dass diese „Rettung“ nur auf Zeit ist und in der Liebe etwas schlummert, dass über das Bestehende hinausweist. Doch das Schlummernde ist nur zu erwecken, wenn es nicht mehr in der Spalte des Privaten existiert, sondern das Private zum Politischen, zum Gesellschaftlichen wird. In der gescheiterten Liebe folgt nicht automatisch die Bewusstwerdung beziehungsweise die Kritik eines Zustandes der Abgespaltenheit des Sinnlichen, sondern eher der Zwang zu machen, was doch alle müssen und die damit verbundene Auffrischung der gegenwärtigen Muster unmenschlichen Umgangs.

Rosenkrieg

Wenn wir uns fragen: „Was erwarten wir von der Liebe?“, so ist die Antwort meist: „Wärme, Nähe, ein Gefühl von Glück und glücklich sein“. Ein Glück erhoffen wir uns, welches in unserer modernen Gesellschaft nicht existiert.
Das Versprechen des Glücks, das die Liebe dem bürgerlichen Subjekt entgegen bringt, schlägt in der völligen Fixierung auf ihn, den verlorenen und immer noch geliebten Menschen, zurück, da er uns etwas zu geben schien, das sich unserem banalen Leben – dem nur für sich sein – entzog, und das er uns nun wieder nimmt, nämlich Identität und die Ergänzung des Ichs. Liebe bedeutet sich zu kümmern, zugänglich und vertraut zu sein. Und so ist das vergangene Vertrauen und die Gemeinsamkeit, das Beieinander vorüber – Leere nun, die einen begleitet. Gerade die plötzliche Mangelerscheinung, das Fehlen des „Glücks“, des Augenblicklichen, der gemeinsamen Zeit, wird unerträglich.
Das Gefühl von Verletzung, Trauer, Sehnsucht, Eifersucht und Ungeliebtheit äußert sich zu diesem Zeitpunkt häufig mit der Projektion des eigenen Schmerzes auf das noch immer geliebte Wesen. Die Projektion geht auch mit Vorwürfen, bösen Worten, dem Angriff gegen den Anderen einher, wobei die Reflexion des eigenen Denkens in den Hintergrund rückt. Die „Waffe“, die im Wort gegen einen gerichtete wurde, wird nun gegen den gerichtet, der sie aussprach. Das Ego meldet sich und trägt das Übrige bei, um sich des Schmerzes zu entledigen – Schuld und Sühne sollen getan werden, entschuldigt und zurückgenommen werden soll das, was einem so schmerzlich entgegnete; oder man werde selber aktiv: Das Gefühl der eigenen Ohnmacht richtet sich in verwandelter Form auf den geliebten Verursacher, den scheinbar Schuldigen oder gleichsam auf sich selbst – das ist paradox und weist auf mehr hin. In einem solchen Verhältnis beginnt die Liebe in Rache und Masochismus umzuschlagen, dem Verursachen von Schmerz an der geliebten Person und an sich selbst. Es wird Druck auf den Menschen ausgeübt, unbewusst hoffend, dass dieser dem Druck nicht standhält, er schwach wird und sich seinem „Schicksal“ beugt, er beispielsweise aus Angst vor Kompromittierung einlenkt. Die Basis eines solchen Handelns ist Gewalt, das Ausspielen von Macht, einer Macht, die objektiv aus den Verhältnissen resultiert und ins Privateste einwirkt. Sie hindert den Menschen an seiner Entwicklung und zeigt selbst noch die Hoffnungslosigkeit des sich nur durch widerliche Machterhebung über Personen und mit Taktierereien Behelfenden. Ein Handeln, das auch für die agierende Person selbst Gewalt ist, da sie doch weiß, dass das, was sie will, in der Unfreiheit des anderen nicht bestehen kann, sondern nur durch dessen Freiheit erwächst.
Schier unausweichlich ist der Schmerz der Geliebten und jener an sich selbst. Man möchte niemanden verletzten, da man ihn immer noch liebt, dennoch wird es getan, da einem keine Liebe widerfährt.
Es ist die Versicherung auf die Liebe, die der geliebte Mensch ihm scheinbar versprach und welche jetzt von dannen ist. Eine Versicherung, die wohl auch in der gemeinsamen Zeit sich gründet, aber darin keinen Fundus auf Ewigkeit besitzt. Das Gefühl des Unglücks scheint einen zu zerbrechen, nie – denkt man – werde man so glücklich wie mit dieser Person, niemals fühlte man sich so wohl, nichts wollte man mehr. Die Bewusstwerdung der eigenen Hoffnungslosigkeit entsteht, wenn man sich die schönen Tage von einst vor Augen ruft und erkennt, dass diese nicht sind, man außerhalb von ihnen steht. Das eigentliche Glück, was man hatte, erkennt man in der unglücklichen Zeit, die man verbringt, dem Nachvollzug des Vergangenen, wobei der Nachvollzug nicht gelingt, da es keinen Speicher für Gefühl gibt. Der Liebende geht in seinem Glück vollständig auf. Die Reflexion aufs Glück kann aber erst geschehen, wenn man es als äußerlichen Gegenstand betrachtet. Adorno erkannte diesen Zusammenhang, als er schrieb: „Mit dem Glück ist es nicht anders als mit der Wahrheit: Man hat es nicht, sondern ist darin. Ja, Glück ist nichts anderes als das Umfangensein, Nachbild der Geborgenheit in der Mutter. Darum aber kann kein Glücklicher je wissen, daß er es ist. Um das zu sehen, müßte er aus ihm heraustreten: er wäre ein Geborener. Wer sagt, er sei glücklich, lügt, indem er es beschwört, und sündigt so an dem Glück. Treue hält ihm bloß, der spricht: ich war glücklich. Das einzige Verhältnis des Bewußtsein zum Glück ist der Dank: das macht dessen unvergleichliche Würde aus.“(2)
Man erfährt erst vom Glück, das man verlor, wenn man seine Beziehung, sein „Glück“, Revue passieren lässt, man anfängt Situationen zu vergleichen, in denen man sich befand und befindet, wohl auch die Situationen, in denen sich andere Menschen befinden. Damit ist es aber auch möglich, dass das Ende der Beziehung eine nicht zu unterschätzende Projektionskraft frei setzt, da die Beziehung eine Linderung und Befriedigung versprach und in der eigenen Vorstellung immer noch verspricht und die einem selbst nicht mehr zugänglich ist. Die Projektion ereilt jenen, dem die Linderung und Zuneigung nun durch die immer noch Geliebte zuteil wird. Das geht so weit, dass Ehemänner nach der Scheidung den neuen Freund ihrer Ex-Frau töten und sie wahnhaft auf Schritt und Tritt verfolgen.

Liebe wissenschaftlich

Liebe lässt sich nicht aus bloßer Vernunft bestimmen, oder, wie es in der bürgerlichen Wissenschaft versucht wird, ein biologisches Mäntelchen überstreifen – das Liebe von Gerüchen, der Tagesform, des Hormonhaushaltes oder etwa der körperlichen Fitness abhängig macht. Es ist dem Menschen (und das zeigen diese Ermittelungen) einfach nicht möglich, die Angst vor dem, was nicht unmittelbar verständlich ist, zu verlieren. Liebe ist dort widerspenstig, wo sie sich automatisch mit Gesellschaft konfrontiert, weil der Liebende sich gehen lässt und versucht, in die Tiefe zu schauen, statt manisch beherrschen zu wollen.

Gerade die plötzliche Überwältigung des Subjekts; der Verlust der Ratio, wird von der bürgerlichen Wissenschaft konterminiert. Die Psychoanalyse versucht die Diagnose sich zeigender Krankheitsbilder und diese Krankheitsbilder als Ausdruck von Kultur, also von Zwang, zu charakterisieren – insofern führt sie einen kritischen Gedanken ein. Was die bürgerlichen Wissenschaften nicht vermögen, ist die Diagnose des Krankheitsbildes, welches am Anfang der Psychoanalyse steht. Schlüssiger erscheint ihnen das Attribuieren von Beziehungen, was in dieser Gesellschaft nichts anderes heißen kann, als dass logische Kriterien fürs Geliebt- oder Nicht-geliebt-werden zu finden sind – Attribute, die zusammenführen oder auseinanderhalten. Aber was geschieht nun, wenn die Attribute zweier Menschen „gepasst“ hatten und die Trennung sich dennoch vollzog? Für diese Frage scheint es keine Antwort zu geben, da die Trennung nicht mehr charakterisiert und der Schmerz damit auch nicht rationalisiert werden kann. Die Psychoanalyse kann fragen, was der Schmerz mit dem Menschen macht, in welchen Ausprägungen er sich zeigt. Die Wissenschaften dagegen sagen, tue dies, tue jenes und es geht dir besser. Sie fordern eine Aktivität, die zur Leistungsbereitschaft nötigt.
Somit stimmen die bürgerlichen Vulgärwissenschaften in die Suggestion, immer höher, weiter und schneller sein zu müssen, munter ein. Indem sie behaupten, dass doch jeder, der morgens joggen gehen würde, durch seine entstehenden Hormonausschüsse größte Möglichkeiten hätte, neue Leute kennen zu lernen und sexuell anziehender zu sein, reproduzieren sie das bürgerliche Schönheitsideal. Es erscheint relativ lächerlich, doch steckt der ungebändigte Wille dahinter, zu biologisieren und zu rationalisieren – „bürgerliche Vernunft“ walten zu lassen, was das Zeug hält.
Was nicht in sie eingeht, muss kategorisiert werden, damit es gefügig ist. Mit der Reduzierung des Menschen auf seine Hormone bzw. seinen Geruchsinstinkt und dessen unbestreitbare Triebkraft für das menschliche Handeln werden Naturgesetze erschaffen, nach denen sich noch die letzte menschliche Regung voraussagen lassen soll – ein Versuch, menschliche Konstanten zu finden. Der Mensch soll der Erde gleichen, die sich auf immer und ewig in dreihundertfünfundsechzig Tagen um die Sonne dreht, die nicht aus ihrer Bahn ausbricht, keine Sprunghaftigkeit kennt. Die Schaffung solcher „Naturgesetzte“ dient der Naturbeherrschung und spricht dem Menschen ab, nie anders gewesen zu sein und anders sein zu können, als in dem Zustand, in dem er sich gerade befindet.
So soll es auch eine Wissenschaft der Liebe geben. Nicht umsonst stellte Ernst Bloch ironisch fest: „Das wohl vieles sich vom Menschen und Tiere unterscheide, nur das Lieben nicht“.
Was Liebe nun sei, lässt sich im ganzen nicht erfassen. Schon gar nicht da, wo man versucht, sie durch medizinische Begriffe zu erklären. Ansatzpunkt einer Analyse wäre derjenige, der die Momente untersucht, in denen gesellschaftliche Rationalität keine direkte Rolle mehr spielt, und doch danach fragt, inwieweit sie in diesen Momenten unbewusst auf uns zurückwirkt.

Liebe widerspenstig

Liebe ist nicht nur die Liebe des „Fallenlassens“ oder des Bedürfnisses, „gebraucht“ zu werden, sie ist nicht nur Selbstaufgabe im anderen und Ruhepol. Sondern sie hat auch ihre hervorragende Eigenschaft darin, widerspenstig sein zu können, nicht der Funktionsweise einer Maschine, in der ein Rechnungsvorgang abläuft, zu entsprechen.
Die Prinzipientreue und Vernunft, welche unabdingbare Relevanz für einen Produktionsprozess besitzt, der ohne sie niemals auskommen könnte, beginnen zu schwimmen und doch lassen sie sich nicht einfach entfernen. Nie kann das bürgerliche Subjekt netter oder böser sein als in diesen Augenblicken. So kann sie, die Liebe, potentieller „Gegenpol“ zur vollkommen verwalteten Welt, und den erkalteten Beziehungen von Menschen im Produktionsprozess werden, aber auch zerstörerisch wüten. „Sollte Liebe in der Gesellschaft eine bessere vorstellen, so vermag sie es nicht als friedliche Enklave, sondern nur im bewußten Widerstand.“(3)
Widerstand bedeutet zum einen: Keine Gewalt, d.h. die Individualität und Freiheit des anderen Menschen anzuerkennen. Weiterhin: Schwach sein zu können, nicht zwanghaft besitzen zu wollen, was sich gewaltsam nicht besitzen lässt, einen Menschen. Zudem: Sich das subjektive Moment, das in der Gesellschaft nicht aufgeht, nicht verkümmern zu lassen. Der Widerstand, der in der Leidenschaft und damit auch im Schmerz sein Medium hat, verweist noch nicht per se auf eine bessere Gesellschaft. Jedoch kann sich in der Reflexion auf das eigene Leiden an der unglücklichen Liebe ein Moment des Widerstands regen, der über das Bestehende hinausweist. Das wäre dann der Fall, wenn man das Versprechen des Glücks, was einem in der Liebe gemacht wurde, zur Gesellschaft, mit der man auf Gedeih und Verderb verbunden ist, ins Verhältnis setzt und bemerkt, das es von jener nicht eingelöst werden konnte. Dann bedeutete Widerstand immanente Gesellschaftskritik, d.h. immer am Gegenstand der Kritik zu bleiben und mit ihm Kritik gegen ihn zu machen – dem Gegenstand der Kritik die eigene Melodie vorzuspielen. So kann auch das Besondere, was die Erfahrung in der Liebe auch ausmacht, erst dann vollständig wirken, wenn ihr Begriff, der jeher allgemein, also komplett in der Gesellschaft vermittelt ist, unwirksam wird, da er gezeigt hat, dass er in den Verhältnissen die eigene Erfahrung nicht erfasst und das erfahrene Versprechen nicht einlöst – er sich somit seiner eigenen Unzulänglichkeit und Überflüssigkeit überführt. Denn der Begriff „Liebe“ ist nicht das Gefühlte oder das was über es hinausgeht, er wird der Sache nicht gerecht. Doch das Erfahrene mit der Gesellschaft zu konfrontieren und diesen Widerspruch zu kommunizieren, ist unter den heutigen Verhältnissen, in der „die ganze Welt zum Identischen“ und alle Erfahrung „kommensurabel“ werden soll,(4) ein hölzernes Eisen. Daher kann sich auch in unserer Gesellschaft keine ‘freie Liebe’, oder wie immer es benannt sei, konzipieren lassen. Heute kann die Liebe lediglich die Idee eines besseren Zustands erahnen lassen. Es müsste der Versuch gewagt werden, das Begrifflose mit Begriffen offen zu legen, ohne es mit ihnen und damit der heutigen Gesellschaft identisch zu machen: „Utopie der Erkenntnis wäre, das Begrifflose mit Begriffen aufzutun, ohne es ihnen gleichzumachen.“(5)

Liebe flexibel

Lieben heißt, ein Subjekt, einen Menschen mit Bedürfnissen, ein Lebewesen aus Fleisch und Blut zu lieben. Das ist der Unterschied ums Ganze, denn es bedarf der Sanftmut und dem sich-Verantwortlichzeigen für den geliebten Menschen und nicht der Attitüde des „Einzelkämpfers“, welcher sich bestmöglich allein herumschlägt. So ist auch die AKA(6) mit ihrer Argumentation – dem Plädoyer gegen die monogame Paarbeziehung und deren Unabdingbarkeit und für eine Gesellschaft von freiassoziierten Lebewesen – in die Falle gelaufen. Die AKA fordert die Befreiung von der Zwanghaftigkeit einer patriarchalisch herausgebildeten Form der monogamen Beziehungen – was sie aber entgegenhält, ist nicht etwa eine Kritik, die auf Abschaffung oder Aufhebung dieser Verhältnisse abzielt oder etwa fragt, wie diese vorhanden sind, sondern eine zutiefst unzeitgemäße Analyse von Beziehungen, die gar keine wirkliche Kritik mehr ist. Die AKA beschreibt die Liebesverhältnisse als dem christlichen Leben entsprungen, gewalttätig usw. usf. Doch gibt es den christlichen Wertekonsens überhaupt noch? Gibt es noch patriarchalische Verhältnisse in einer Gesellschaft, die jeden dazu zwingt, sich zu verwerten, sich unter einem Prinzip zu einen, egal ob Mann oder Frau? Gibt es in einer Welt, in der die bürgerliche Familie schon seit langem in der Aufhebung befindlich ist, noch eine patriarchalische Vaterfigur? Die AKA fordert die Flexibilität des Individuums; eine Flexibilität die beinhaltet, ‘sich für nichts hinzugeben, für das morgen schon ein Neues da sein kann’. Aus dieser „anything goes“-Plattitüde lässt sich nunmehr nichts weiter herauslesen, als dass doch bitte jeder zu jeder Zeit einsetzbar und erreichbar ist, es keine besonderen Menschen mehr geben soll, an denen wir hängen, sondern nur noch Nichtangebundene oder Disponible – genau die Eigenschaften, die für den modernen Produktionsprozess unumgänglich sind. Joe(7) bezeichnet dies als den „Selbstständigkeitszwang“ und das „Ideal der Flexibilität“, was sich im Kapitalismus mehr und mehr durchsetzt, ja sich fast gänzlich verwirklicht hat. Das Öffentliche wirkt unaufhaltsam ins Private hinein. Wo einst die Intimität herrschte, dringt nun Licht in den Raum. Das subjektive Unglück vermehrt das Gefühl über die objektiv unglücklichen Zustände, in denen sich die Menschen in der Gesellschaft befinden – Untröstlichkeit und Stagnation. Als verlorene Subjekte, von jeder freien Bindung enthoben, erliegen die Genossen von der AKA der Identifikation mit dem Angreifer, statt einer glückversprechenden Bindung, die im Falschen keine Richtige sein kann und an der sich doch der Begriff von Glück schult. Der Begriff des Glücks oder das Glück überhaupt ist in wahrer Geltung noch nicht vorhanden gewesen – erst in einer vom Zwang der Verwertung befreiten, bewusst vergesellschafteter Welt würde es sich verwirklichen. Die Subjekte selbst wären in ihr reflektierte, ihr Leben bewusst einrichtende, dem Zwang entgangene und somit auch den Zwängen der Liebe enthobene.
Es gibt in der Liebe ein utopisches Moment. Es nimmt vorweg, was es nicht kann, nämlich universell zu befriedigen. Sich es zum Anker zu machen, wäre falsch, aber es nicht anstreben zu wollen, das Ende jeglicher Gesellschaftskritik. Solange die Liebe heute das Glück nur verspricht, weil es in seinem Aufblitzen zugleich auch immer scheitert, bleibt sie utopisch und kann als solche zur Waffe werden, da sie zeigt, dass sie nicht ist, und doch zu verwirklichen wäre.

Einsamkeit und Melancholie

Der Verlassene, für den die Hölle der Einsamkeit wie ein Brandmal jeden Morgen aufs neue zeigt, das er verlassen ist, kann ohne die geliebte Person nicht glücklich sein. Er sucht, schier verzweifelt, die Anwesenheit seiner Liebe, wenn er vielleicht freundschaftliche Liebe, die ihm nicht genügt, als genügend akzeptieren muss. Ertragen wird er diesen Zustand, insofern er noch liebt, nur unter Leiden. Vor allem wird er leiden, wenn sich die Geliebte neu verliebt und nicht nur dann. Trauer und Melancholie sind häufig eintretende Erscheinungen. Die Trauer unterscheidet sich insofern von der Melancholie, als dass die Trauer, welche wir zum Beispiel nach dem Tod einer uns nahen Person verspüren, dazu führt, dass es eine Verarbeitung der Trauer gibt; wir genau wissen, was wir verloren haben und sich nach der Trauerarbeit das Ich wieder „freisetzt“. Der Melancholiker ist sich der Ursache seines Verlustes nicht bewusst: „er weiß wen, aber nicht was er an ihm (dem Liebesobjekt, K.) verloren hat“.(8) Der Liebesverlust erscheint dem Melancholiker vollkommen sinnlos, gab es doch einen Zustand, der anders war als sein jetziger, und der von ihm nicht wieder herzustellen ist. In der Verkörperung des Ich-Ideals, dass der geliebte Mensch für ihn darstellte, wurde bei der Trennung auch ein Stück von ihm (seinem Ich) genommen, da er sich mit dem Liebesobjekt identifizierte; er von ihm ergänzt wurde. Das Wichtigste aber ist, dass sich im Gegensatz zur Trauer ein Minderwertigkeitsgefühl entwickelt, welches darauf zurückzuführen ist, dass die Ich-Ergänzung durch das andere Ich verschwunden ist. Die Abgründe, in denen sich der Melancholiker befindet, sorgen schlimmsten Falles für den dauerhaften Verlust der Fähigkeit zu lieben.

Einsamkeit als Forderung

Der Gedanke an die Freuden, die man selbst nur mit dieser einen Person hatte, und die jene jetzt mit einer anderen hat, verursacht das Gefühl der absoluten Einsamkeit, da die Geliebte andere Gesellschaft hat, als einen selbst. Walter Benjamin trifft das in den „Moskauer Tagebüchern“ auf den Kopf: „Ich sah, daß es für uns keine Einsamkeit gibt, wenn gleichzeitig der Mensch, welchen wir lieben, wenn auch an einem anderen Ort, wo wir ihn nicht erreichen können, einsam ist. So scheint im Grunde das Gefühl von Einsamkeit ein reflexives Phänomen zu sein, das uns nur trifft wenn es von uns bekannten Menschen, am meisten von den Menschen, die wir lieben, wenn sie sich ohne uns gesellig vergnügen, auf uns zurückstrahlt. Und sogar der an sich, im Leben überhaupt, Vereinsamte, fühlt sich nur einsam im Gedanken an die, wenn auch unbekannte, Frau oder an einen Menschen, die nicht einsam sind und deren Gemeinschaft auch er es nicht wäre.“(9) Die Vorstellungskraft spielt in diesem Zusammenhang eine gewichtige Rolle, denn das, was sich nicht mehr vorstellen ließe, die Trennung, wird real. Es erscheint plötzlich alles möglich – nur nicht für den, der einsam ist. Keines Falles sollte man Walter Benjamin hier falsch verstehen. Es war nicht seine Absicht zu sagen, man solle niemanden, der nicht bei einem ist und doch da sein sollte, die Geselligkeit mit anderen „verbieten“, nur um nicht selbst ein Gefühl der Einsamkeit zu verspüren. Vielmehr beschreibt er eine Tendenz im Denken, die dazu drängt, den Verzicht aller für alle stark zu machen, und die zu kritisieren ist, da sie fordert, asketisch zu leben, und das nur, weil sich der andere Partner in solcher Position befindet, egal ob das Asketische gewollt oder ungewollt ist. Doch die Verbundenheit und Enge zum Subjekt muss in einer Gesellschaft, welche stetig auf die Objektivierung von Verhältnissen beharrt, immer mehr erlöschen beziehungsweise kann sich von „Falschheit“ nicht freimachen, da sie in „Besitzverhältnissen“ auch „Beengung“ bedeutet.

Einsamkeit als Selbstbehauptung

Als Konkurrenzsubjekte auf dem Markt lernen es die Menschen schnell – fühlen sie sich „beleidigt“ oder „ betrogen“, „belogen“ oder „verletzt“ –, dass ein Gegenschlag erforderlich ist, um sich nicht unter der eigenen Schwäche begraben zu lassen: „Die einmal das gute Allgemeine in der beschränkenden Zugehörigkeit zueinander erfuhren, werden nun von der Gesellschaft gezwungen, sich für Schurken zu halten und zu lernen, dass sie dem Allgemeinen der unbeschränkten Gemeinheit draußen gleichen.“(10) So treibt das bürgerliche Subjekt in der Übermanntheit des Schmerzes noch zum letzten, was ihm blieb, der Abrechnung – ökonomisch und emotional. Was sich hier zeigt, ist der Übergang von irrationaler Liebe zu rationaler Selbstbehauptung desjenigen, dem Leid widerfahren ist. Interessen spielen plötzlich eine Rolle und das Abwegen von Investitionen, die für die Beziehung aufgebracht wurden, frei nach dem Motto: „Ich habe doch alles für dich getan, jetzt mach’ auch was für mich – liebe mich“. Das bürgerliche Subjekt möchte die Gegenleistung für die Leistung, die es erbrachte und die doch eigentlich keine ist: Das „Sich-öffnen“, „Sich-schwach-zeigen“, „Verletzlich-sein“, „das Offenlegen von Geheimnissen“, Lohn für „Blut, Tränen und Schweiß“ soll gezahlt werden. Aber was macht es überhaupt möglich, eine derartige Forderung zu stellen? Es ist die Bestimmung des eigenen Wertes, denn nur wer denkt, wert zu sein, kann auch etwas von sich geben. Und es ist dem Denken geschuldet, dass derjenige, der etwas gab, auch etwas zurück bekommen muss. Übersteigert wird der eigene Selbstwert noch in der Bindung zu einem Menschen. Indem wir ein inniges Verhältnis zu ihm hegen, das er zu keinem andern hat, haben wir das Gefühl mehr wert zu sein als Person XY. Ist die Bindung gelöst, so verschwindet dieses Gefühl, man ist wieder einer von vielen; war scheinbar nur eine „Variable“ – der Selbstwert ist sprichwörtlich im Keller. Wir stellen uns die Frage: „Warum sind wir es nicht mehr wert geliebt zu werden?“ Das kann sogar soweit führen, dass man sich selber hasst, da man scheinbar bemerkt, für den anderen, der einem viel wert ist, nichts mehr wert zu sein. Und wer nichts wert ist – so denkt man –, der ist auch nichts. Andererseits ist es durchaus möglich, dass man versucht, den Wert, welchen eine Person für uns hat, herab zu setzen und sein eigenes Selbstwertgefühl zu steigern. Man sagt sich: „Der ist sowieso nicht mein Fall“ oder „Da hab ich wirklich was besseres verdient“. Die sich vollziehende Abwertung oder Bedauerung einer Person ist hierbei mit dem Angriff gegen sich selbst verbunden, da der Liebesverlust oder die verschmähte Liebe einen Konflikt fürs Ich darstellt und die nicht zu beantwortende Frage: „Was habe ich nur falsch gemacht?“, somit vermieden werden kann.

Liebe und Äquivalent

Es lässt sich „vermuten“, dass die „Liebe“, die gegenüber einem Menschen empfunden wird, wie auch die Waren, welche auf dem Markt getauscht werden, ein „Äquivalent“ besitzen müssen. Es wird Ware a gegen Ware b oder eben „lieben“ gegen „geliebt werden“ getauscht, wobei die Liebe keine Ware sein kann, da ihr weder im Tausch noch im Gebrauch ein direkt praktischer Nutzen anhängig ist, sie sich auch nicht materiell ersetzen, wechseln lassen kann, ja eigentlich funktionslos seien sollte. Es handelt sich bei dieser Betrachtung nicht nur um heterosexuelle Beziehungen, sondern um all jene Beziehungen, die emotional sind und mit denen sich Zwischenmenschliches verbindet. Liebe und der geliebte Mensch, sowie Erfahrung und Gefühl, die sich mit ihm verbinden, sind nicht tauschbar. Wohl aber ist es in der „Gesellschaft der Grausamkeiten“ leider so, dass das Lieben vergleichbar gemacht wird, beziehungsweise das Gefühl der eigenen Liebe, ihre Größe, erst im Lieben meines Liebesobjekts ausdrückt wird. Liebe und Beziehungen werden zur Arbeit, sie werden zur Frage: „Wer macht mehr für die Beziehung? Werde ich so oft in den Arm genommen, wie ich in den Arm nehme? Nehme ich sie so oft in den Arm, wie sie mich? Würde er das auch für mich tun? Würde ich das auch für sie tun?“. Die Beziehungen werden minder ihrer Intensität nach bemessen, als doch mehr dem Nutzen, dem sie entsprechen: „Zeitgemäß ist der Geizige, dem nichts für sich und alles für die anderen zu teuer ist. Er denkt in Äquivalenten, und sein ganzes Privatleben steht unter dem Gesetz, weniger zu geben, als man zurückbekommt, aber doch stets genug, daß man etwas zurückbekomme. Jeder Freundlichkeit, die sie gewähren, ist die Überlegung: ‘ist das auch nötig?’, ‘muß man das tun?’ anzumerken. Ihr sicherstes Kennzeichen ist die Eile, für empfangene Aufmerksamkeiten sich zu ‘revanchieren’, um nur ja in der Verkettung der Tauschakte, bei denen man auf seine Kosten kommt, keine Lücke entstehen zu lassen.“(11) Anders gesehen, kann Liebe zum Mittler von Forderungen an Menschen werden, ja kann sie sogar als Druckmittel fungieren. Mit der Liebe werden gewisse Forderungen an Menschen gestellt: „Such dir nen Job oder ich trenne mich von dir“, „entweder deine Freunde oder ich“. Das Denken in Ansprüchen, verbunden mit Forderungen an andere, ist der Warenförmigkeit verschwistert. Es ist ihr Verhandlungstisch, auf dem sich die Beziehung ihres praktischen Nutzens beurteilen lassen muss und auf dem die Beziehung nutzvoll eingerichtet wird. Das allseits vorherrschende Leistungsprinzip, verbunden mit dem Drang nach Erfolg und Klasse, durchzieht alle Bereiche. So muss man, und das kann man unter Äquivalent verstehen, eine bestimmte Masse an „Liebesinvestment“ mitbringen, ein Gegenstück haben, das es lohnenswert, macht geliebt zu werden. Nicht umsonst gibt es diese ganzen stumpfsinnigen Magazine mit ihrem „So werden sie Sexy“, „Auf dieses Auto fahren Frauen voll ab“ und „Die besten Tipps für angehende romantic lover“-Unfug.
Von der Gesellschaft und der in ihr befindlichen Ausprägung der Liebe längst schon überwältigt ist auch derjenige, welcher sich der Übermacht seines Schicksals, seiner Schwäche hoffnungslos ausgeliefert sieht; auf ökonomische Druckmittel zurückgreift, um das zu behalten, was er just im Moment des Aufwiegens, Vergleichens, Verhandelns verliert, nämlich: die Liebe und ihre einfache Einzigartigkeit, die er sich zum Besitz gemacht hat. Er will zurückerkaufen, was man nicht kaufen, erpressen oder tauschen kann. Gerade in einer Welt, die sich immer im Wandel befindet und in der alles vergänglich ist, hat die Zeit einen beängstigenden Schatten auf uns geworfen – sie zerrinnt – wir denken nicht genug von ihr zu haben und deshalb beziehen wir uns auf etwas scheinbar überzeitliches, den Besitz. In diesem Zusammenhang entsteht ein Konflikt. Besitz lässt sich austauschen und somit die zum Besitz gewordene Person auch. Man sollte sich demnach davor hüten aus „einem Menschen“ „meinen Menschen“ zu machen. Der Mensch würde seiner eigenen Willensstärke und der Erfüllung subjektiver Bedürfnisse beraubt, da er schon wie das Glastier in der Vitrine zum Wohnungsinventar gehören würde und nicht mehr recht auf ihn zu achten wäre. Der Begriff der Betriebsblindheit, die völlige Einverleibung und Nichtbeachtung von Sachen, wäre zutreffend. Das Wohnungsinventar ist einfach da und man stört sich auch nicht an ihm, doch sollte etwas besseres kommen, dann her damit. Unterm Eindruck der heutigen Besitzverhältnisse fällt es schwer, sich einer Sache positiv zu nähern, doch muss es wichtig bleiben, die Eigenheiten von Personen anzuerkennen und zu akzeptieren, da es immer noch die Eigenheiten sind, die den Menschen zu einem für uns wichtigen Menschen machen und Indiz für dessen freien Willen sind, wenn es auch nicht der unserige ist. Oder was soll es bedeuten, dass Liebe die Fähigkeit ist, „Ähnliches an Unähnlichem“(12) wahrzunehmen?

Klammern

Der „Privatbesitz“, der uns bis ins Intimste hinein Garantien versprechen soll, wird zum unantastbarem Menschenrecht stilisiert. Das Denken von Leistung und Gegenleistung, Besitz und Anspruch, ist in uns eingedrungen und durchzieht, bemerkt oder unbemerkt, unsere Köpfe. Es ist ein Zeichen dafür, wie tief die Ökonomie als Basis unseres Lebens selbiges beherrscht und fast ausschließlich bestimmt; sie uns als Feind gegenübersteht und wir sie nur gegen uns nutzbar machen.
So wird die Ökonomie in der unglücklichen Liebe zum Wehrmaterial. Es ist, wie Roger Behrens es beschreibt: „Die subjektive Schwäche provoziert die objektiven Zwangsverhältnisse als Waffe: Geld und Krieg. Trennung wird zu einem Krieg, der auf dem Schlachtfeld der Ökonomie ausgetragen wird“.(13) Das Zusammensein, die Erfahrung mit dem anderen, die Freude, ‘sich zu haben’, alles, was vergangen ist, wird zum aggressiven Reiz und auf ekelhafte Weise kompensiert: „Es ist, als hätte die Sphäre der Intimität, das unwachsame Vertrauen des gemeinsamen Lebens sich in einen bösen Giftstoff verwandelt, wenn die Beziehungen zerbrochen sind, in denen sie beruhte. ... Dinge, die einmal Zeichen liebender Sorge, Bilder von Versöhnung gewesen sind, machen sich plötzlich als Werte selbstständig und zeigen ihre böse, kalte und verderbliche Seite. Professoren brechen nach der Trennung in die Wohnung ihrer Frau ein, um Gegenstände aus dem Schreibtisch zu entwenden, und wohldotierte Damen denunzieren ihre Männer wegen Steuerhinterziehung. Gewährt die Ehe eine der letzten Möglichkeiten, humane Zellen im inhumanen Allgemeinen zu bilden, so rächt das Allgemeine sich in ihrem Zerfall, indem es des scheinbar Ausgenommenen sich bemächtigt, den entfremdeten Ordnungen von Recht und Eigentum es unterstellt und die verhöhnt, die davor sich sicher wähnten. Gerade das Behütete wird zum grausamen Requisit des Preisgegebenseins.“(14)

Liebe im Unrecht

Wenn, wie oben erwähnt, von Äquivalenten die Rede ist, erhält es in diesem Zusammenhang eine weitere Bedeutung, es ist nicht nur ökonomisch, sondern auch emotional zu verstehen. Oft ist es der Fall, dass nach Beendigung einer Beziehung die schönen Augenblicke miteinander als unrelevant und plötzlich gar nicht mehr so schön wahrgenommen werden. Das früherer Glück wird geschmälert um die Größe der vergangenen Liebe sich nicht schmerzhaft in Erinnerung zu rufen, nicht noch mal ihre Bedeutung fühlen zu müssen. So ist die Aussage gegenüber dem Verletzten, er werde mit einem anderen Partner genau so viel oder ein „Mehr“ an Liebe und Freude empfinden, Herabsetzung und Entwürdigung der gemeinsamen Zeit; ja Betrug an sich – sei es als Selbstschutz oder Boshaftigkeit, des „Verletzen-Wollens“, um nicht schwach zu sein. Man macht die Momente, die man verbrachte, austauschbar und ersetzbar: z.B im Versuch, mit anderen Partnern die gleiche Beziehung mit gleichen Erlebnissen, Gefühlsausbrüchen, Zuwendungen nachzuspielen, um gleiche Freuden zu empfinden, welche sich in der alten Beziehung empfinden ließen – man sucht im Neuen das Alte und im Gedanken an das Alte das Neue. Gelten sollte der Wille zur Reflexion der vergangenen Zeit, aber „Vergänglichkeit der Liebe heißt heute nicht mehr das Verschwinden eines Gefühls, die Erinnerung daran, wie es war, das Bild, sondern: Vergänglichkeit heißt Verdrängen, heißt modisch Wiederkehr der ewig gleichen Muster, um das Muster zu vergessen“.(15) Es gewinnt derjenige, der weiter geht und sich nicht am Vergangenen festhält: ‘Augen zu und durch, es wird schon noch was besseres kommen’. Die Verdrängungsleistung, welche in diesem Zusammenhang angestellt wird, ist unglaublich. Erinnern würde bedeuten, inne zu halten und zu denken, was man dachte; sich keinen Schrein einzurichten, sondern Geschichte wach zu halten und auch aus ihr zu lernen, so wie aus den Erfahrungen mit Menschen zu lernen, auch wenn: „Die Erinnerung den geliebten Menschen stets verkleinert sieht(16), und man ihn hinter sich ließ. Was sich im möglichen Einrichten einer neuen Beziehung mit Gefühlen für einen immer noch geliebten Menschen (aus alter Beziehung) herauskristallisiert, ist die Nicht-Akzeptanz des Verlustes. Kann man aber den Verlust nicht akzeptieren, das Schöne des Vergangenen nicht aufbewahren, so kann auch die neue Liebe keine Hoffnung besitzen. Die Liebe ist in solcher Beziehung nur Surrogat, Abklatsch eines Gefühls für jemanden, der mir verloren ging, und besitzt keine Berechtigung. Was dem, der Schmerz erfahren hat, wohl eigentlich anliegt, ist die Forderung nach der Liebe, denn er oder sie haben ja alles getan, um geliebt zu werden und nun auch das Recht auf die Liebe des Anderen. Wir finden solches Denken jeden Tag vor. Es möchte sich z.B. ein Ehepartner vom anderen scheiden lassen – willigt jener nicht ein, so kann die Ehe nicht geschieden werden. Das Bürgerliche Gesetzbuch verhindert die Trennung auf dem Papier, wobei die Zuneigung zum Partner vielleicht längst erloschen ist. Jener wendet sich mit seiner Forderung an eine bürgerliche Instanz, wobei sie ihm als Mittel zum Zweck, des „geliebt werden“, dienen soll. Die Justitia soll es sein, die ihm die Liebe sichert; dem subjektiven Leiden wird etwas Objektives entgegen- beziehungsweise beigestellt.
Der sich nicht trennen wollte und mit Justizgewalt an sich halten will, was von ihm gehen möchte, macht sich zum Despoten vermittels des Rechts. Die Gewalt, die er einsetzt, ist die Gewalt gegen den Menschen, den er liebt. Die idealistische Erkenntnis Fichtes, dass die Ehe als Sittliches, Vernünftiges, Rechtes schon immer zeitlos die Liebe in sich trägt, lässt sich nicht halten. Sie versucht die Momente des Liebens einzufangen und zu konservieren. Fichtes Aussage: „Ehe ist Liebe und Liebe ist Ehe“(17), vernichtet den Vorrang des Gefühls in der Liebe durch die bürgerliche Vernunft.
Wenn die Liebe aber ihre Existenzberechtigung bewahren möchte, so kann sie kein Recht gelten lassen, schon gar nicht das Recht auf den Besitzanspruch der Liebe. Unterm Recht lässt sich etwas gleichmachen, vergleichen, Festlegungen werden getroffen – die Subjektivität der Liebe würde in ihm beschädigt. Aus dem Recht folgt in diesem besonderen Zusammenhang die Unfreiheit des sich entwickeln wollenden Menschen und es ist in allen anderen Zusammenhängen ein Mittel zur Einschränkung. Wird eine derartige Situation von einem der Partner produziert, kann die Liebe keine Hoffnung mehr behalten.

Etwas fehlt

Zu fragen ist nun, was zu bleiben hat, was aufzuheben ist. Sicherlich ist die Schwierigkeit, sich zu öffnen, etwas von sich preisgeben zu können, nie größer als in Zeiten in welchen die Verdinglichung(18) von Beziehungen ihr ungehemmtes Unwesen treibt; Zeiten, in denen sich die Romantik mehr in den Hollywoodproduktionen, als auf den Kinosesseln abspielt, und man sie doch nicht gut heißen kann, da sie der Ausdruck falscher Verhältnisse ist, sie über alles Ungute einen lediglich harmonisierenden Schleier legt. Man schläft miteinander, aber kennt den Geschlechtspartner eigentlich gar nicht mehr. Der Nutzen und die Kalkulation von Menschen stehen im Fordergrund und nicht das Anschmiegen an die kleinen Macken; die Duldung desjenigen, der anders ist als man selbst. Die Lust des Nehmens bedeutet schon die Unlust des Gebens, der eine könnte auch der andere sein.
Die Liebe hingegen ist immer mit den Momenten der Trauer, des Gefühls der Einsamkeit verbunden. Beides ist nicht voneinander zu trennen, und so gilt für den an der Erfahrung der Liebe Verzweifelten das gleiche wie für den Gesellschaftskritiker. Er muss die katastrophale Lage der Gesellschaft als seine eigene verstehen, aus ihr Schlüsse ziehen, sein Leid als gesellschaftliches Leiden dingfest machen, beobachten, woher es rührt.
Liebe macht sich als gesellschaftliches Phänomen nicht von Kritik frei, darf aber auch aufgrund ihres utopischen Potentials nicht radikal exekutiert werden. So ist der Benjaminsche „Torso“ nicht abgegolten: „Nur wer die eigene Vergangenheit als Ausgeburt des Zwanges und der Not zu betrachten wüsste, der wäre fähig, sie in jeder Gegenwart aufs höchste für sich wert zu machen. Denn was einer lebte, ist bestenfalls der schönen Figur vergleichbar, der auf Transporten alle Glieder abgeschlagen wurden und die nun nichts als den kostbaren Block abgibt, aus dem er das Bild seiner Zukunft zu hauen hat.“(19)

Kaubi

Fußnoten:
(1) Adorno, Theodor W.; Constanze, in: Minima Moralia
(2) Adorno, Theodor W.; Zweite Lese, in: Minima Moralia
(3) Adorno, Theodor W.; Constanze, in: Minima Moralia
(4) Adorno, Theodor W.; Negative Dialektik; GS Bd. 6, Suhrkamp; Frankfurt am Main 2003; S. 149
(5) Adorno, Theodor W.; Negative Dialektik; S. 21
(6) AKA, „The Hive Mind“, in Incipito #8
(7) Ich möchte im Folgenden nicht weiter auf den Artikel der AKA eingehen. Meiner Meinung nach lässt sich eine zutreffende Kritik nachlesen: Joe, Die Freiheit der Inhumanität, Incipito Nr. 9.
(8) Freud, Sigmund; Trauer und Melancholie; Studienausgabe Bd. 3; Fischer; Frankfurt am Main 2000; S. 196
(9) Benjamin, Walter; in: Moskauer Tagebuch, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1980, S. 64
(10) Adorno, Theodor W.; Tisch und Bett, in: Minima Moralia
(11) Adorno, Theodor W.; Le nouvel avare, in: Minima Moralia
(12) Adorno, Theodor W.; Monogramme, in: Minima Moralia
(13) Behrens, Roger; Eine kleine Bemerkung zur Liebe, Streifzüge Nr. 24
(14) Adorno, Theodor W.; Tisch und Bett, in: Minima Moralia
(15) Behrens, Roger; Eine kleine Bemerkung zur Liebe, Streifzüge Nr. 24
(16) Benjamin, Walter; Vergissmeinnicht, in: Einbahnstraße
(17) Fichte, W. G.; Grundlage des Naturrechts, in: Werke Bd. 2, Darmstadt 1962, S. 308ff.
(18) Der Begriff der „ Verdinglichung“ soll hier nicht als inhaltsleere Phrase verstanden werden. Die Menschen treten sich im Warentausch nur als Produzenten gegenüber. Das Verhältnis welches sie zueinander haben, ist kein bewusstes, sondern vielmehr eines, das durch den Fetischcharakter der Ware überformt ist und das sie immer wieder reproduzieren. Unter diesem Fetischcharakter erscheint uns die Produktion von Waren als natürlich und immer von Nöten. Es bildet sich dem Menschen, zusätzlich zu seiner biologischen Natur eine zweite, aufgesetzte Natur aus, die es unmöglich macht, ein Leben ohne Warentausch, Geld etc. zu denken. Die Beziehungen der Menschen sind also verschleierte. Dazu Lukacs: „Das Wesen der Warenstruktur ist bereits oft hervorgehoben worden, es beruht darauf, dass ein Verhältnis, eine Beziehung zwischen Personen den Charakter einer Dinghaftigkeit und auf diese Weise eine ‘gespenstige Gegenständlichkeit’ erhält, die in ihrer strengen, scheinbar völlig geschlossenen und rationellen Eigengesetzlichkeit jede Spur ihres Grundwesens, der Beziehungen zwischen Menschen verdeckt.“ (Lukacs, Georg; Geschichte und Klassenbewusstsein, Verlag De Munter, Amsterdam 1967, S. 94)
(19) Benjamin, Walter; Torso; in: Einbahnstraße

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last modified: 28.3.2007