home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[103][<<][>>]

das Erste, 0.9k

Weiter, weiter, weiter


    „Was ich mache? Immer das Selbe.“
    Martin Heidegger an Hannah Arendt

Rollerblades (queer), 27.8k Elfter September 2001. In den nächsten Tagen sehen sich Sicherheitsleute wieder und wieder die Aufnahmen der Überwachungskameras an. Und wieder und wieder passiert Mohammed Atta die Sicherheitsschleuse...
Jeder Tag seither ist dem Anti-Imperialismus ein Freudenfest. Er wiehert vor Begeisterung: in Fußballstadien, an Kneipentischen und in den Querfrontforen des Internets, statt sich das Motto seines Helden Atta zu eigen zu machen: „Das Herz stirbt durch Spaß“.
Noch Wochen später regen sich Journalisten darüber auf, dass ihresgleichen den Satz „Nichts wird mehr sein wie es war.“ bis zum Überdruss strapaziert. Die Aufregung ist berechtigt, denn: Alles macht weiter.

Die Sozialdemokraten setzen ihren bewährten Kurs der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik fort. Ideologiekritiker der besonderen Art die sie sind, nehmen sie sich die Mausebär-Mischung aus Flehen und Meckern (s. „Das Erste“ in CEE IEH #101) zu Herzen und beseitigen nun aber wirklich auch noch das allerletzte störende Relikt ihrer Geschichte: Die SPD streicht den Begriff „demokratischer Sozialismus“ aus ihrem Parteiprogramm. Selbst Gerhard Schröder sagt mal was Kluges: Seiner Meinung nach lege dieser Begriff nahe, dass es eine vernünftige „andere wirtschaftliche Organisationsform“ als die Marktwirtschaft geben könne. Wer klar hat, dass jegliches „Wirtschaften“ immer schon unmenschliches Herumknausern bedeutet, rastloses Schuften, exzessive Verausgabung menschlicher Lebenskraft zur Anhäufung leerer Quantitäten, muss Schröder recht geben. Die SPD ist offenbar gewillt, den Tatsachen ins Auge zu sehen, denn als „Basis“ ihres Wirkens erkennt sie ab sofort eine „kapitalistisch verfaßte(n) Wirtschaftsordnung“ an (FAZ, 14.08.). Berauscht vom eigenen Mut zur Wahrheit legt Generalsekretär Scholz nach: „Arbeit bleibt im Mittelpunkt für die Selbstdefinition der Menschen“.

Der Neoliberalismus macht weiter. In den USA gehen die Lichter aus. Glücklicherweise gibt’s ein paar Wirtschaftsexperten, die die bittere Wahrheit ausplaudern, dass die exzessive Deregulierung und der unerträglich gewordene Kostendruck auf den Energieunternehmen, die privat sein müssen, aber nicht mehr privat sein können, an den Stromausfällen Schuld tragen. Die früher teilweise in öffentlicher Hand befindlichen Stromversorger wurden durch die Entregulierung des US-Strommarktes zu Konkurrenten und kooperieren deshalb kaum noch (Wirtschaftswoche). Ohne die erwähnten „Branchenkenner“ hätten die „ideologiekritischen“ Plappermäuler und Krisenleugner längst wieder Oberwasser. Vermutlich hätten sie nur ein paar Tage gebraucht, um der allzu realitätsverhafteten Linken „nachzuweisen“, dass es die Stromausfälle nie gegeben hat, bzw. dass sie die normalste Sache der Welt sind. Oder beides zugleich, wie’s beliebt.
Jedenfalls werden in New York in einem spanischen Restaurant die Vorräte aus den Kühltruhen, bevor sie verderben, an die Gäste verteilt (Financial Times). Ganz offiziell weist eine eiscremeherstellende Tochtergesellschaft von Nestlé ihre im Stau steckenden Fahrer an, das Eis kostenlos abzugeben (FAZ). Normalerweise ist es im Kapitalismus üblich, unverkäufliche Waren (z. B. Obst) bis zu ihrer Vernichtung zu bewachen, um die Signalfunktion des Marktes nicht zu beeinträchtigen. Sind diese Schenkaktionen vielleicht ein erstes Aufblitzen sinnlicher Vernunft, die über die Warenform hinausweist? Sind solche Aktivitäten vielleicht geeignet, auch dem US-amerikanischen Normalbürger den Aberwitz der Wertform (dass ein Eis eben solange kein Eis für ihn ist, wie er nicht dafür zahlt) nahezubringen?
Sehr bald allerdings könnte nicht einmal mehr etwas zum Verschenken da sein: Durch die extreme Trockenheit ist Weizen so knapp wie seit 30 Jahren nicht mehr. Die jüngsten europäischen Ernteausfälle sind in dieser Zahl noch nicht berücksichtigt.

Palästinensische Extremisten bomben weiter. 21 Tote (unter ihnen sieben Kinder) sind das Ergebnis der jüngsten Widerstandsaktion gegen „imperialistische(n) Befriedungsversuche(n)“ (Werner Pirker in der jW). Von dieser Gestalt ist der Friedenswille der Hamas. Ihre Berliner Propagandazentrale, die anti-imperialistische Tageszeitung „junge Welt“ mit dem Chef-Antizionisten Werner Pirker vorneweg kann jubeln – dem „israelische(n) Apartheid-Projekt“ (Pirker), er meint die Einzäunung der Autonomiegebiete, ist ein erneuter Schlag versetzt worden. Ganz dogmatisch sei hier betont: Wer für dieses Blatt schreibt, unterstützt – er mag sich hinterher sträuben wie er will – linken Antisemitismus. Es ist richtig, zu vermitteln, also Leuten, die sich auf die Seite des „palästinensischen Volkes“ stellen, argumentativ klarzumachen, dass ein besseres Leben für die Palästinenser nur ohne Terror möglich ist. Ideologischen Hetzern wie Pirker stopft wohl nur ein kompletter kommerzieller Misserfolg oder ein Prozess das Maul. Das könnten auch Robert Kurz und Franz Schandl so langsam einsehen.

Inline-Skater laufen weiter. Schneller, länger, heftiger schwitzend. Hausfrauen, verfettete Teenies und vor allem sehnig-zähe Frührentner mit Mens-Health-Abo drehen im Park Stunde um Stunde ihre Runden. Diese rhythmisch atmenden, grauhaarigen Kasper in peinlich engen Glitzerhosen, Leute, die im normalen Leben altersbedingte Probleme mit einfachem Rennen haben und bisher ihre Zeit damit totschlugen, sich über die nun wirklich schicken Baggys der Skater lustig zu machen, finden nichts dabei, sich die modernen Rollschuhe unterzuschnallen und jeden Fahrradfahrer drohend zu mustern, der ihrem unwürdigen Treiben fassungslos zusieht. Jugendwahnsinnige sind sie, angestrengt Ausgeflippte; in ein paar Monaten werden sie, die bisher beim Anblick bunthaariger Menschen von „Arbeitslager“ brabbelten, anfangen, sich die Haare zu färben. So wie heute Hausfrau und Verkäuferin alles „geil“ finden, werden Personalchefs schon in Kürze darauf achten, dass der Bewerber auf keinen Fall mit seiner Naturhaarfarbe vorstellig wird.

Das Leben unterm Wert wird immer ekelhafter. Jede neue grün-sozialdemokratische Grausamkeit ist nach ihrem Bekanntwerden sofort heftiger Kritik ausgesetzt, weil sie nicht grausam genug ist. Wir haben einstweilen zu tun, wir streiten uns über den Subjektbegriff. Auch wir machen weiter.

Mausebär

home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[103][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007