home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt
[102][<<][>>]

sports, 1.2k

Wo eine Wille ist,
ist auch ein Weg


Annapurna, 29.0k Aus interner Quelle war zu erfahren, dass die Helden der Antifaschistischen Jugendfront Leipzig (AJF), die Pioniere der Leipziger Antifabewegung, in gesetzterem Alter sich nicht nur auf Plenas und Demos trafen, sondern auch vor der Glotze, nämlich aller zwei Wochen, um Michael Schuhmacher beim Siegen zu befeiern. Jüngst konnte man allerenden mit Personen nicht nur über Marx und Adorno, sondern auch über Ullrich und Armstrong fachsimpeln. Über die Berge, die Teams, die Taktiken und die Notwendigkeit der hohen Flüssigkeitseinnahme.
Weder Formel 1 noch Tour de France sind auf den ersten Blick spannend. Einerseits nervig surrendes Kreiseln, andererseits stundenlanges Rad-an-Rad-fahren. Wenig nackte Haut, keine klugen Sprüche, keine Verbesserung der Welt. Erster wird, wer über Jahre hinweg hart gearbeitet hat, anstatt zu feiern, bei dem alles stimmt – von der Einstellung im Kopf bis zur Einstellung im Team – und der bereit ist, eigenen Geist und Körper zu schinden. In den entscheidenden Situationen gilt schließlich: Mann gegen Mann. Der Spruch eines Teamkollegen, der Ullrich den Berg hinauftreiben sollte: „Quäl dich, du Sau“, wird gerne zitiert, um den innersten Sinn der Tour de France, bei der die Radfahrer über achtzig Stunden und dreitausend Kilometer im Sattel sitzen, zu explizieren.
Das jene, die sich dort schinden, viel zerstört haben, ist unterschwellig jedem bewusst. Wille und Körper mussten über Jahre malträtiert, jedes Bedürfnis nach Pommes und Bier niedergekämpft und Freunde und Freundinnen zurückgestellt werden (Boris Becker: „Tennis steht ganz klar an erster Stelle. Meine Freundin folgt an zweiter Stelle.“). Am Ende winkt der Ruhm für den Sieger oder der Untergang in der Masse der Nachplazierten.
1950 gelang erstmals die Besteigung eines Achttausenders, nachdem 26 Bergsteiger bei Versuchen schon ihr Leben gelassen hatten. Es war ein Kampf der Nationen. Die Trikolore wehte zuerst auf über 8000 Meter – auf dem Gipfel des Annapurna. Das Foto ging um die Welt. Maurice Herzog auf dem Gipfel, überschwänglich die Fahne in der Hand haltend. An der Hand war kein Handschuh, den hatte er im Überschwang verloren. Wegen dem Sauerstoffmangel degenerieren die Gehirnfunktionen zu denen eines Kleinkindes und es soll wohl eine Menge Konzentration erfordern, bei Verstande zu bleiben. Der Mitbesteiger Louis Lachenal, der aus Angst um seine erfrierenden Füße vor dem Gipfel eigentlich dafür plädiert hatte umzukehren, hat sich laut seiner Niederschriften auf dem Gipfel nicht gefreut, sondern sich um den Abstieg und insbesondere um seinen Gefährten gesorgt, der unnötig Kräfte beim Fotoshooting auf dem Gipfel verschliss. Von entgegenlaufenden Kameraden gerettet kamen Herzog und Lachenal schneeblind und gestützt im Basislager an. Der Arzt musste Herzog alle Finger und alle Zehen abnehmen, Lachenal wurden die Füße um die abgefrorenen Teile gestutzt.
Die Grande Nation empfing die erfolgreichen und gehandikapten Gipfelbezwinger mit einer Freudenfeier, das von Maurice Herzog verfasste Buch Annapurna verkaufte sich weltweit fünfzehn Millionen mal und der damalige französische Präsident prägte den Spruch: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Maurice Herzog wurde alsbald zum Minister für Jugend und Sport berufen, um seiner Vorbildrolle die nötige Wirkung zu verleihen. „Quält euch, ihr Säue“ war wohl seine – so nicht ausgesprochene – Botschaft an die Jugend. Lachenal hat ebenfalls ein Buch veröffentlicht. Carnets de Vertige (etwa: Notizen des Schwindels). Darin fragt er missmutig, für was er seine Füße geopfert habe. Wahrscheinlich hat er diese Frage auch nicht in seinen letzten Stunden wenige Jahre später in einer Gletscherspalte in den Alpen, in der er nach neuerlichen Versuchen als Bergsteiger ablebte, beantworten können. Schließlich liegt gerade in der Unmöglichkeit, diese Frage vernünftig zu beantworten, ihre kritische Kraft. Das Buch fand längst nicht so viele Abnehmer wie das heroische Annapurna, welches die Verluste weder leugnet noch beklagt, sondern die Gewinne des Kampfes betont.

Quält euch, ihr Säue, empfiehlt euch euer Sportfreund Hannes


home | aktuell | archiv | newsflyer | radio | kontakt |
[102][<<][>>][top]

last modified: 28.3.2007