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das Erste, 0.9k

Konsumieren kritisieren


    „Ich will den Kapitalismus lieben, weil so viel für ihn spricht,
    Ich will den Kapitalismus lieben, aber ich schaff es einfach nicht.“
    (Funny van Dannen)
Beach-Partie in Tel Aviv, 16.3k Meinhard Miegel, Querdenker von Biedenkopf-, ja sogar von Brie-Ausmaßen, rasender Irrer des Neoliberalismus und Direktor des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft in Bonn sieht Deutschland am Abgrund. Seine These: Die Zonis hätten sich an allzu häufiges Abmatten gewöhnt, wofür sie gern Einschnitte beim Konsum hingenommen hätten. Am allerschlimmsten: Diese Haltung mache sich jetzt in Gesamtdeutschland breit.
„Menschen gewöhnen sich vielleicht nicht an alles, aber doch an vieles. Geht es bergab, beruhigen sie sich zunächst mit dem Gedanken, nur Überflüssiges zurückzuschneiden. Dann verzichten sie auf vermeintlich Entbehrliches. Warum das Auto nicht noch ein Jahr länger fahren oder den Mantel einen weiteren Winter tragen? Auch die Renovierung der Wohnung ist nicht so drängend – und wenn doch, kann sie selbst durchgeführt werden. So kommt eines zum anderen.“ (Handelsblatt, 14./15.03.03)
„Bahamas“ und carhartt-Linke nicken mit dem Kopf. Stimmt, stimmt ruft der Marcel Malachowski von der „Bahamas“, allerdings kein Sherry, sondern nur Fanta in der Hand haltend und empfiehlt „fortschrittlichen Menschen“ das Tragen von Lonsdale-Sweatshirts und die „hemmungslose Verschönerung der Welt, etwa mit Markenkleidung“, die man sich bspw. im „Levi’s Flagship Store“ auf dem Kurfürstendamm beschaffen könnte (Bahamas 38, 59 ff.). Wer sich den Krempel nicht kaufen kann, hat sich vermutlich herauskatapultiert aus der Reihe der „fortschrittlichen Menschen“ (aber gerne doch!), derjenigen, die konsumieren, was das Zeug hält, auf dass die Welt bunter und bunter werde. (Ganz davon abgesehen: Wenn man sich einmal im Bahamas-Millieu umgesehen hat, kommt man schnell zu dem Schluss, dass man von diesen Leuten die Welt nicht „verschönert“ sehen möchte. Sie sollen weiter ihre Zeitung machen, aber das mit der Verschönerung bitte anderen überlassen.) Sie tun so, als ob Marktwirtschaft nicht reaktionärer Scheiss, „hemmungslose“ Geschmacksdiktatur wäre! Denn was ist es anderes als Diktatur, wenn ich ein Produkt (in Warenform zu mir gelangt) nutzen will, weil es mir guttut und es eines Tages nicht mehr darf, weil seine Produktion wegen Käufermangels eingestellt wurde?!
Den zivilisatorischen Errungenschaften des Kapitalismus’ droht aber nicht nur Gefahr von konsumfaulen Linken: Die Hauptgeschäftsführerin der Handwerkskammer zu Leipzig, Sigrid Zimmermann sah vor einiger Zeit bei ganz normalen Leuten eine Flucht in die Schattenwirtschaft und – schlimmer – selbst die Geldvermittlung wird tangiert: „Der Naturalhandel kommt sogar wieder auf. Reparierst du mein Auto, mach ich dir die Waschmaschine ganz – das darf nicht weiter Schule machen.“ (LVZ) Nein, das darf es nicht. Wo kämen wir da hin, wenn plötzlich Bedürfnisse, statt geldvermittelter Transaktionen sich in den Vordergrund der Betrachtung warenförmiger Subjekte schieben?! Eine Riesensauerei! Will sich da jemand von Markt und Geld abkoppeln?
Und wieder grummelt es zustimmend aus Berlin. Die Wächter der lupenreinen Kapitalismuskritik wittern ihr Stichwort: „antisemitische Tauschringe“. Und wieder sitzen sie der abstrakten Negation auf: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Ihnen wird Shoppengehen zur gesellschaftskritischen Angelegenheit. Und jetzt applaudiert auch noch der blöde Diederichsen.
Doch zurück zu Miegel. „Mehren sich die Schlaglöcher auf den Straßen, wird ein Schild ‘Vorsicht’ aufgestellt. Das ist billiger als die Reparatur. Verwildern die öffentlichen Parkanlagen, heißt es ironisch ‘Zurück zur Natur’. Schließlich werden die Segnungen des einfachen Lebens entdeckt. War Bescheidenheit nicht stets eine Tugend?“
Verwilderung, einfaches Leben, Bauerntölpelkommunen, „Wagenburgseligkeit“ und mittendrin tummeln sich die „neofaschistischen Öko-Rauschebärte ... die sich immer auf den Krisis-Konferenzen einfinden“ (Bahamas), die zivilisatorische Potenz des verfeinerten Genusses eines Lonsdale-Sweatshirts ist an diesem antiemanzipatorischen Pack offenbar völlig vorbeigegangen.
Miegel: „Bahn- und Autobahntrassen vermüllen, die Arbeitszeit franst an ihren Rändern aus, die Zahl der Schulschwänzer wächst, der Urlaub wird nach Gutdünken gestreckt.“
Er will ungehindert durch die Landschaft brettern, um sich danach im von ABMlern sauber gehaltenen Park zu erholen und darüber nachzusinnen, inwieweit Praktiken des alt-irakischen Bildungswesens aus Saddam Husseins Zeiten auch für Deutschland zu übernehmen wären. Saddam hat sein Land schließlich brutalstmöglich alphabetisiert – Schulschwänzen wurde mit mehrjähriger Gefängnishaft für Schüler und Eltern bestraft. Miegel lebt in einer anderen Welt – keine Arbeitshetze, keine Ämterschikane, nur kreatives Querdenken den ganzen Tag; in dieser Welt hat man auf alle Fälle ein Anrecht darauf, dass das Zonendreckspack mal aus’m Knick kommt.
Aufgabe des Kritikers wäre wieder einmal, die Falschheit der Alternative zu denunzieren, hier also vorzuführen, dass affektierte Askese und demonstrativer Konsum zwei Seiten der selben Medaille sind, dass beide Seiten der Alternative den unsouveränen Umgang warenförmiger Subjekte mit Dingen anzeigen. Mehr noch: Auf der „vollends aufgeklärte(n) Erde“ scheint es gar keine vernünftigen Alternativen zu geben: „Das Wesen der Aufklärung ist die Alternative, deren Unausweichlichkeit die der Herrschaft ist.“ (Horkheimer/Adorno) Wie wär’s, statt dessen das System des Alternativen-Ausheckens zur Disposition zu stellen?
Kriterium der Emanzipation ist, ob Konsumiertes real auf die Befriedigung eines sinnlichen Bedürfnisses abzielt. So wie es antiemanzipatorisch ist, Markenkleidung um der Marke willen zu tragen, so ist es antiemanzipatorisch, wenn wir eine Art everyday-life-Optimierer werden. Mitten in der Heizperiode rät die LVZ, die Raumtemperatur auf 20deg. C abzusenken. Begründung: Dies „gilt als ausreichend“. Wer es wärmer haben will, wird mit dem ultimativen Argument zum Schweigen gebracht: Die Absenkung der Raumtemperatur von 23deg. C auf 20deg. C vermindere die Heizkosten um 18 %. Wer würde da noch diskutieren wollen? Die meisten von euch werden jetzt noch über diesen Unfug lachen, doch schon bald wird es vermutlich allgemein einsichtig sein, dass es unzeitgemäß ist, in mit 23deg. C völlig überheizten Zimmern zu sitzen.
Einstweilen scheint die Sonne. Sie wärmt unsere Seele und will uns glauben machen, die Welt sei schön. Fast könnte man vergessen, wie leicht es ist, Opfer von „Streueffekten“ der Kritik rasender Theoretiker zu werden.
Die Krise trampelt vorwärts. Doch ehe sie und die zugehörigen Großanalytiker unsere Herzen vollends verhärten, ziehen wir uns lieber mal mit ‘nem Fläschchen Rieslingsekt in den Wald zurück und hören den Vögeln zu. Überredet eure Lieblingsfreundin/euren Lieblingsfreund, mitzukommen und den hochwichtigen Artikel, der zu lesen, zu schreiben, zu layouten ist, liegenzulassen. Die Mackerchens unter uns können sich auch mit Kumpels zu Biertrinken und Fußballspielen treffen, klar doch. In jedem Fall lohnt es sich, in der strahlenden Sonne mal ein paar Minuten zu lachen über die Meinungsmacher der jeweiligen ZKs, ihr strunzblödes Sendungsbewusstsein und ihre stalinistisch-intriganten Manieren. Das alles sei eher zum Heulen, meint ihr? Finde ich nicht. Ihr müsst sie euch nur genau vorstellen, die wertkritischen Richelieus, die antideutschen Savonarolas – wie unendlich lächerlich ihre Theoretiker-Hahnenkämpfe sich ausnähmen bei den beach-parties in Tel Aviv.

Mausebär

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last modified: 28.3.2007