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Der Dreck unterm Fußabtreter. | |||
Eine filmische Darstellung sozialen Elends in RioBei der Premierenvorführung von "City of God" in Brasilien soll es eine Schießerei zwischen der Polizei und Besuchern des Films gegeben haben. Die Ordnungshüter dachten offenbar die Gunst der Stunde nutzen zu können, um einige Verbrecher festzunehmen, die die Verfilmung einiger spannender Momente ihres Lebenswerkes sehen wollten. Denn der Film über "Aufstieg und Fall" des Barackenviertels am Rande von Rio de Janeiro basiert auf wahren Begebenheiten und hat natürlich alles, was ein Film braucht, der von Jugendgangs, Drogen und Gewalt handelt. Statt "City of God" hätte dieser Film eigentlich "City of Pot" heißen müssen, denn was den südamerikanischen Slum auszeichnet, ist nicht permanente Gottesfürchtigkeit seiner Bewohner, sondern all das, was damals so an Drogen angesagt war. Wer im Slum das große Geschäft machen will, muss ins Drogengeschäft einsteigen, denn das Viertel gilt als der Hauptumschlagsplatz von Drogen, fernab des Interessengebietes der Polizei. Die Gefahr, jedoch einfach mal so abgeknallt zu werden, ist inmitten pubertierender Pistoleros ziemlich hoch, zumal dort keinerlei Staatsautorität anders als durch Schmiergeldgeschäfte eingreift. Nicht weiter ungewöhnlich ist es also, wenn einem ein Jüngchen, das noch nicht mal den Stimmbruch erreicht hat, die Knarre vor’s Gesicht hält. Fragen von Recht und Unrecht beantwortet dort gewöhnlich Mr. 44er.Der Film strotzt nur so von Gewalt – getötet wird, wer lediglich ungenehm dreinblickt oder im falschen Augenblick von den Falschen auch nur gegrüßt wird. Man kennt die grandiosen Mafiafilme, in denen Ehre, Treue usw. etwas zählen und man den Gegner respektiert. Derartig überflüssige "Werte" zählen im Slum nichts. Was die großen Mafiafilme eher auf subtile Weise schaffen, indem sie nur im notwendigsten Fall ausufernde Gewaltszenen einfließen lassen, wird in "City of God" offen zur Schau gestellt, denn das Töten des Gegners betrachtet man dort gemeinhin nicht als letztes, sondern als einfachstes Mittel. Nur eins blieb mir bezüglich der ganzen zur Schaustellung der Schießereien der Jugendbanden rätselhaft: Warum Mollis verdammt noch mal das gleiche Geräusch wie Handgranaten machen? Aufmerksamere Zuschauer des Films mögen es mir erklären. Zur Story: Erzählt wird die Geschichte des jungen Buscapé, der um jeden Preis Fotograf werden möchte und eine Verbrecherkarriere für sich ausschließt, nachdem schon sein großer Bruder der Schießwütigkeit von "Locke", dem Obermacker und Obersadisten im Viertel, zum Opfer fiel. Diesem begegnet Buscapé regelmäßig, wobei er aber im Vergleich zu anderen ziemliches Schwein hat und den Wutausbrüchen jenes Verbrechers jedes Mal mit viel Glück entgeht. Er macht aus der Not eine Tugend und nutzt seine Nähe zur örtlichen Verbrecherszene, um einen Fotografenjob bei einer Rio-Tageszeitung zu bekommen. Denn natürlich traut sich kein Wohlstandsschwein der Metropole in das verruchte Viertel, was ihm einen Vorteil bei der Bilderjagd verschafft. Überhaupt existieren in der "City of god" nur zwei Weisen, um irgendwie aus der Gosse zu kommen. Entweder man wird Verbrecher, dann verlässt man das Viertel eventuell in einem Sarg, oder man schlägt wie Buscapé den rechtmäßigen Weg der Lohnarbeit ein. Die Perspektiven sind also ähnlich wie bei uns: "Ich geh nur zur Schule, weil ich kein Bock auf schwere Arbeit hab." Jedoch heißt das in dem Viertel, das fast schon die Gosse ist, sicherlich etwas ganz anderes. Kein Zuckerschlecken also für die Jugendlichen im Favela. Sie kennen keinen Staat, sie sind der Staat im Staate. Sie sind marodierende bougeoise Subjekte, die wir am liebsten unter den Abtreter kehren oder die Toilette herunterspülen würden, wären wir nicht im Gegensatz zum brasilianischen Staat linkssozialisierte Menschen mit Hang zur Sozialarbeiterattitude. Aber im Ernst: Wie bringt man Gott in ein Viertel, das schon seinen Namen trägt und wo er selbst in der Gestalt kleinkalibriger Waffen schaltet und waltet, straft und verschont wie zu besten Zeiten, so wie es im Alten Testament verbürgt ist? "Auge um Auge, Zahn um Zahn" heißt es dort bekanntlich. Auch in "Krautland" wird es demnächst sehr eng werden, prophezeit uns die Gruppe "Krisis", die mit beiden Augen immer die Wirtschaftsmärkte untersucht. Droht uns also die soziale Armut der brasilianischen Elendsjugend? Auf den Satz der Bundesanstalt für Arbeit: "Weniger Sozialstaat bringt mehr Jobs", wäre wohl entsprechend zu antworten: "Weniger Sozialstaat bringt mehr um sich schießende Jugendliche!" Roman |