+++ BARRA HEAD (Dänemark) + DJ DONIS +++
What makes a band an extraordinary band? Nun,an erster Stelle wohl, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.
Zwei Kriterien also, die ob Diarios Herkunft auf den ersten Blick nicht
unbedingt als erfüllt gelten dürften. Selten hat Leipzig eine Band
erlebt, die derart weltgewandt daherkommt, fast so als würde sie gar nicht
wissen, wo Leipzig auf der Karte denn eigentlich liegt. Im Gegenteil, hört
man ihre aktuelle Veröffentlichung tempo, könnte man
ebenso gut auf Boston oder Chicago als Herkunftsort schließen Orte
also, denen man eher geneigt wäre zuzugestehen, Nährboden für
innovative Musik zu bieten. Das war in Leipzig nicht oft der Fall, ja
eigentlich findet man mit Messer Banzani und Think About Mutation nur zwei
Leipziger Bands der vergangenen Jahre, die derart Klasse entwickelten und sich
so überregionale Bekanntheit erworben. Der überwiegende Rest
Leipziger Bands jedoch muss sich wohl oder übel den Plagiatsvorwurf
gefallen lassen. Das muss ihre Qualitäten nicht schmälern, verweist
zugleich aber auf ihre Befangenheit im Koordinatensystem aufstrebende,
aber dennoch hoffnungslos provinzielle Kleinstadt Leipzig.
Damit soll nicht einer Erfolgsgeschichte nach dem Motto, endlich hat
Leipzig wieder eine hervorragende Band, das Wort geredet werden, im Gegenteil.
Auch der Einwurf der überregionalen Rezeption als Zeichen von Klasse soll
nicht zum Leitbild erhoben werden, sagt das doch noch nichts über
wirkliche Größe aus. Diario nämlich überraschen, da sie
anscheinend den entscheidenden Punkt überschritten haben, der sie von
anderen, nicht nur regionalen Bands ihres weitgefassten Genres
Postrock unterscheidbar macht ein eigener unverwechselbarer
und bis dahin selten gehörter Stil. Und das ist für Leipzig schon
beachtlich.
Worin aber liegt die Klasse Diarios begründet? In erster Linie
verblüfft die unaufgeregte Beständigkeit, mit der sie sich seit
mittlerweile sechs Jahren und in unkonventioneller Weise auf den Pfaden von
Musik nach Rock bewegen. Konzentration auf den Gegenstand und nicht das
Ausleben eines Trends ist das Motto, verbunden mit dem Vermögen, die
Auflösung festgefahrener Sparten überhaupt zu denken und dann recht
ungeniert in die Tat umzusetzen. Unkonventionell unter anderem auch deshalb,
weil man bis heute auf Gesang verzichtet und stattdessen lieber eine Trompete
in das Set aufnimmt und auch sonst eher sperrig daherkommt, oder wie sonst ist
die (dennoch) gelungene, aus Aneinanderreihung von Songschnipseln resultierende
Vertracktheit zu deuten? Es hat bei Diario lange gedauert, bis in Ansätzen
überhaupt eine klassische Songstruktur Verwendung fand, doch ist auch
diese Phase schon wieder vorbei zugunsten einer weiteren Auflösung
von Althergebrachtem mittels Sampling, dem Song im Song sozusagen. Dass dabei
die verzerrten Gitarren aus den Anfangstagen auf der Strecke bleiben ist
bedauerlich, letztendlich aber nur folgerichtig. Der Klasse von Diario scheint
dank diesem Konzept auf lange Zeit Erfolg beschieden zu sein. Und was die
Rezeption Diarios als Leipziger Aushängeschild angeht, die bei Erfolg
nicht lange auf sich warten lassen dürfte - das ist eine andere
Geschichte. Da sie bekanntlich genau in jenen Bahnen regionaler Inanspruchnahme
verläuft, gibt die Beständigkeit der Band und ihr Wissen um Zeit und
Ort Anlass genug zu der Vermutung, dass sie auch damit unaufgeregt umzugehen
wissen werden.
Boris
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