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das Erste, 0.9k

Hobbythek für Verrückte.
Heute: Wir basteln mit Geld.


So hatte sich das Jean Pütz nicht vorgestellt. Alle Welt fängt an, mit Geld zu basteln.


Gold-Dinar, 12.5k Die muslimische Welt wird von der Commerzbank mit einem speziellen Fond („AlSukoor – European Equity Fund“) beglückt, der von einem „Sharia Board“ kontrolliert wird. Das religiöse Gewissen ist beruhigt und trotzdem lässt sich Kohle machen. Dabei ist die Rechtslage eindeutig: „Diejenigen, die Zinsen verschlingen, sollen nicht anders dastehen als wie einer, der vom Satan erfaßt und zum Wahnsinn getrieben wird. (...) Doch Allah hat den Handel erlaubt und das Zinsnehmen verboten.“ (Der Heilige Koran, Sura al-Baqara, 275)
„Und was immer ihr auf Zinsen verleiht, damit es sich mit dem Gut der Menschen vermehre; es vermehrt sich nicht vor Allah...“ (ebd., Sura Ar-Rüm, 39). Es hieß, Teile der islamischen Welt hätten den Fond begeistert begrüßt, während v.a. religiöse Gelehrte deutlich gemacht hätten, dass es kein richtiges Leben im falschen gäbe. Doch der Wille zur Geldmacherei ist schon mal ein guter Anfang, denn mit ihm werden bestimmt Aufklärung, westliche Werte und andere fetzige Vorboten des Kommunismus’ bei den Kaschmauken einziehen. Zumindest habe ich das so von den Antideutschen gelernt.
Die islamischen Krisenreaktionskräfte bleiben nicht untätig. Malaysia, Marokko, Libyen und Bahrain werden ab Mitte des Jahres den wiedereingeführten Gold-Dinar für den internationalen Handel nutzen und damit offen eine Vorschrift des IWF verletzen. Malaysias Premier empfiehlt darüber hinaus allen islamischen Ländern die Wiedereinführung des Gold-Dinars. Weshalb die Rückkehr zum „barbarischen Metall“ (Keynes)?
Ad 1: Man erhofft sich, einen Befreiungsschlag gegen die Währungsspekulation führen zu können. In der Rezension eines Buches über den Gold-Dinar gibt Shaykh Abdalqadir As-Sufi Al-Murabit Auskunft: „Politische Unabhängigkeit und soziale Reform werden beherrscht von den kategorischen Imperativen der Börsen und der Währungsmanipulation.“ Zwar kann auch mit Gold spekuliert werden, jedoch wesentlich schlechter als mit der Währung eines Absturzlandes. Wenn also nur noch am Goldpreis gedreht werden kann und im Handel zirkulierendes Geld quasi sicher vor Spekulanten ist, dann, so das Kalkül der islamischen Krisenverwalter, ist Geld nur noch Vermittler des vernünftigen Tauschs zwischen Gliedern einer islamischen Gemeinschaft. Den Koranvorschriften wäre damit Genüge getan. Volker Nienhaus (Uni Bochum) meint: „Die klassische islamische Wirtschaftsordnung ist die soziale Marktwirtschaft ohne Zins.“ (FAZ, 20.12.02), also ein dreibeiniger schwarzer Schimmel mit Flügeln.
Ad 2: Flucht nach vorn. Die Wirtschaftskrise greift sich Länder mit schwacher Währung zuerst. Wessen Währung permanent unter Druck ist, der lockt keine Investoren ins Land, umgekehrt spiegelt eine goldgedeckte Währung (sei es auch nur eine Goldreserve-Währung) potenziellen Investoren Solidität vor.
Ad 3: Der Gold-Dinar richtet sich gegen den Dollar als Handelswährung. Ausgerechnet vom „großen Teufel“ in den Strudel des anstehenden Crashs der Finanzmärkte gezogen zu werden, ist für die erwähnten Ländern keine erstrebenswerte Perspektive. So tritt neben die Nicht-Gold-Währungen Euro und US-Dollar eine dritte Fluchtwährung, der goldgedeckte Dinar.
Das Verlautbarungsorgan der „Bürgerrechtsbewegung Solidarität“ (BüSo) namens „Neue Solidarität“ ist von dem Vorstoß begeistert. Sonst sind diese Leute eher durch Demonstrationen vor der Frankfurter Börse, miese Spekulantenhatz und permanente Versuche für den Aufbau einer Querfront aufgefallen. Nun endlich haben die Krisenbastler von rechts mal anderes zu tun, als Konzepte für „produktive“ Kreditschöpfung auszuhecken und „unbequeme Fragen“ über den 11.09. zu stellen. (Ihre Fragen sind im übrigen die der Elsässers und v. Bülows. Doch: Mitleid mit Elsässer, der hat nun wirklich ein schweres Schicksal – vom zielsicheren Polemiker alt-antideutscher Schule zum fakten-hubernden Anti-Imp. Wer würde mit dem schon tauschen wollen?) Auf ihrer Webseite empfehlen sie Schröder exakt dieses Modell, um „die Wirtschaft aus der Krise (zu) führen“. Wer aber Wert und Geld am Wertgesetz vorbei retten will, muss scheitern. Demnächst mehr in ihrer Tageszeitung.
Doch wir brauchen gar nicht unbedingt in der islamischen Peripherie zu suchen. Die kapitalistischen Zentren bringen selbst genügend bizarren Geldunsinn hervor. So verteilt George W. Bush ein Riesengeschenk an die Teilnehmer des Aktienmarktes, indem er für Privatinvestoren die Dividendenbesteuerung abschafft – das ist nichts anderes als Keynesianismus für die Börsen: Geld raushauen, damit Aktien attraktiver werden und immer weiter spekuliert werden kann. Die Redaktion der Zeitschrift „Titanic“ („Was tun gegen den Hunger in der Welt? Antwort: einfach mehr spachteln!“) scheint die US-Regierung übernommen zu haben: Wenn Geld schon sowas fetziges ist, warum nicht ein bisschen mehr davon benutzen?
Und schließlich gibt es da die japanische Gemeinde Shibuya, die auf den aberwitzigen Dreh gekommen ist, Öffentlichkeit zu privatisieren (FAZ, 23.12.02). Sie hat eine eigene Währung, eine Community Currency, nämlich den „Radius“ erfunden: die bekommt in die Hand, wer öffentliche Aufgaben, wie Laubfegen, aber auch Alten- und Armenbetreuung erledigt. Motto: „Eigenes Geld schafft eigene Werte“. Nein, diesmal sind nicht Berliner Anarcho-Geldpfuscher aus dem Prenzlauer Berg am Werk, all das passiert im Land des Hightech-Kapitalismus. Der Initiator meint: „So wollen wir wieder ein paar Werte in das Viertel bringen“. Die Idee wurde übrigens durch eine japanische Fernsehsendung über Silvio Gesell, den Erfinder des „Schwundgeldes“, Patron aller Geldpfuscher populär. Wie weit muss sich die Krise vorangefressen haben, wenn ein solches Projekt nicht nur gestattet wird, sondern „ministerielles Wohlwollen“ genießt? So weit: Als bei der Fusion dreier japanischer Banken sich die Vorstände nicht auf die zu verwendende Computertechnik einigen konnten, war tagelang Hunderttausenden von Menschen der Zugang zu ihrem Geld gesperrt und das Abwickeln von Überweisungen unmöglich gemacht. Statt das sich hier erneut zeigende Scheitern einer gesellschaftlichen Reproduktion über den Markt zum Anlass zu nehmen, Projekte jenseits von Markt und Staat zu entwickeln (und seien sie erst auch nur auf dem Papier), wird auch noch das offenkundig aus der Geldform Herausgefallene wieder in sie hineingepresst. Ihre Ausweitung durch Spielgeld wird zwar in den nächsten Krisenschüben unbarmherzig rückgängig gemacht, doch die Marktwirtschaft hat nun mal keine Instanz für vorausschauendes Denken. Und so steht man denn freiwillig fegend auf der Straße und schleppt, ein paar schäbige „Radius“ in der Hand, die komatöse Marktwirtschaft von einem Quacksalber zum nächsten. Statt dessen stünde an, den globalen Verwüstungszusammenhang des Wertes selbst in Frage zu stellen, um der famosen Marktwirtschaft endlich den Gnadenstoß verpassen zu können.
Das Geld ist in der Krise und alle basteln sich neues. Die Arbeit ist in der Krise und dennoch: „Noch nie war die Arbeitsgesellschaft so sehr Arbeitsgesellschaft wie heute“ (E. Lohoff). Allen Menschen guten Willens (inkl. der Antideutschen) ist klar, dass die Segnungen der Marktwirtschaft überallhin verbreitet werden müssen. Die Traumtänzer des warenproduzierenden Systems gelten als die einzigen Realisten. Lediglich die Hardcore-Ideologen des Kapitals scheinen begriffen zu haben, wohin der Hase läuft: „Das System steuert in seine akute Gefährdung hinein“, wissen Otto Graf Lambsdorff und Hans D. Barbier, FDP-Marktradikaler und FAZ-Wirtschaftsonkel (FAZ 06.01.03). Doch alle anderen brauchen zu dieser Einsicht wohl immer noch Zeit.

Mausebär

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last modified: 28.3.2007