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das Erste, 0.9k

Olympische Geister


Badminton, 14.9k In der old- und in der new-economy, im Staatskapitalismus der DDR, im Privatkapitalismus der BRD und auch in jeder x-beliebigen faschistischen Bewegung gilt das olympische Motto: Dabeisein ist alles. Olympioniken ist der höhere Sinn immer schon gesichert:
„Das Leben der proletarischen Jugend (muß) von der Freude am Sport durchdrungen werden. Es muß dies geschehen, weil sie das billigste Vergnügen, das dem Prinzip der Gleichheit am besten entsprechende, das wirksamste gegen den Alkohol und das produktivste an beherrschten und kontrollierten Energien ist.“ Das sagt der Gründer der neuzeitlichen Olympischen Spiele, der Baron Coubertin.
PDS-Altkader, deren bevölkerungspolitische Ambitionen von nazistischen mitunter schwer zu unterscheiden sind (machen wir’s nicht so unkonkret: gemeint ist bspw. Täve Schurs Gerede von der „Volksgesundheit“ und seine Forderung nach täglichem Sportunterricht, um der allgemeinen „Verfettung“ vorzubeugen) nicken mit dem Kopf. Sie sind überzeugt, dass mit den Wessis die Verweichlichung über „uns“ gekommen ist. Ostdeutsche Windhunde, zäh wie Zonenwachstuch, wären ihnen am liebsten. Und so wird die Olympiabewerbung Leipzigs zum vornehmsten Anliegen der Sozialisten. Dr. Volker Külow, Vorsitzender des PDS-Stadtverbandes erklärt am 13. Mai 2002 erbittert, die Tageszeitung „Die Welt“ versuche die Olympiabewerbung Leipzigs zu torpedieren, das Blatt etabliere eine „antiostdeutsche Schusslinie“. Ach, wenn’s doch so wäre.
Der Rote Stern Leipzig hat andere Sorgen. In „Prasses Erben“ klagt er darüber, dass der „Volks- und Breitensport (sic!) seit Jahren konsequent zu Tode gekürzt“ werde. Kein Wort von Krise, statt dessen: „Der politischen Führung der Stadt ist keine Idee zu überzogen, um ihre persönlichen Interessen auf Kosten dieser Stadt und ihrer Einwohner durchzuboxen.“ Ich denke, die jungen Leute können locker bleiben. Falls Olympia kommt, fällt auch für ihren linksgegenkulturellen Volxsport was ab.
Apropos „Breitensport“: Der falstaffmäßig aussehende Finanzheini Kaminski fühlt nicht etwa plötzlich Bewegungstrieb. Nein, es ist wohl eher – und auf dieses Stichwort habt ihr gewartet – verdruckstes Krisenbewusstsein, besser: Kriseninstinkt, der die Leipziger Sesselfurzer nach vorn gehen lässt. Leipzigs Ausgangsposition im Gerangel darum, eine der wenigen marktwirtschaftlich funktionierenden Inseln in den Zusammenbruchsregionen Ostdeutschlands zu werden, sind ja gar nicht schlecht. Totalitäre Kraftmeierei, freilich mit dem Charme abgetakelter Pracht, hat das zonale Leipzig eins A vorgemacht – wir erinnern uns an das Turn- und Sportfest (immerhin gab’s hinterher den Berliner Abfall zu kaufen). Doch mal ohne Scheiß: Was ist denn heutzutage zu holen? Ein bisschen Infrastruktur hier, etwas Imagegewinn da – und ein milliardenschweres Defizit nach dem Abzug der Olympiagurken. Bisher hatte das schließlich noch jeder Veranstalter olympischer Spiele am Hals. Doch die grenzdebilen Medienkasper freuts, sie dürfen wieder von Chancen, Impulsen und Visionen schwatzen – irgend jemand wird eine Filmdoku machen, ein anderer ein Buch schreiben, ein dritter vielleicht ABM-Förderkohle für irgendeine Olympia-Aufarbeitungsstelle zocken. Moralisch komplett verkommene schwarzgewandete Kulturtanten aus dem „Lindenfels“ lassen vielleicht Behinderte olympische Eindrücke tanzen oder führen den Olympiafilm der untoten Nazisse Leni Riefenstahl wieder auf. Das war’s dann aber auch.
Bei diesem stillosen Schauspiel in der Heldenstadt ist eine ganz eigene, ekle ostzonale Mischung aus Betulichkeit und bürgerbewegter Aufgeregtheit obligatorisch. In der DDR haben sie das Kampagnenwesen gelernt, jetzt setzen sie es ein für Olympia-Visionen und ähnlichen Schnickschnack. Doch notorisch Engagierten ist ja bekanntlich egal, wofür sie ihre Freizeit opfern, Hauptsache, sie können irgendwas anschieben: Nachdem sie mit Kerzchen und Geklimper den Irak-Krieg im Keim erstickt haben, liegt nun das neue Thema „Olympia“ bereit. Wieder lassen sich: Menschen gewinnen, Meinungen einbringen, lässt sich Öffentlichkeit organisieren, Sensibilität wecken. Und auch hier werden sie wieder totalen Einsatz und unbedingte Opferbereitschaft zeigen. Tatsächlich haben sie erste Erfolge – engagiert und ideenreich formiert sich die Volksgemeinschaft: Schüler malen ihre Gedanken zu Olympia, dazu angehalten von der nach Nazis widerlichsten Spezies unter der Sonne, SozialpädagogInnen. Die Krostitzer Brauerei wird als Großsponsor gewonnen. Tiefensee findet: „Unser Land braucht ein vereinigendes, ein nationales Thema. Olympische Spiele in Deutschland, in Leipzig, da sind wir uns sicher, hätten eine Schrittmacherfunktion für den Sport und für die Jugend, damit wir wieder ein Thema haben, was die Menschen gemeinschaftlich zusammenführt und ungeahnte Kräfte in der Wirtschaft, in der Kultur und auch im Sport freisetzt.“ (Wer diese ungeahnten Kräfte etwas näher kennenlernen will, konsultiere die Seite www.fluchschrift.com – Gegen das organisierte Deutschtum.) Die von ihm eröffnete Ausstellung heißt „Olympische Visionen auf dem Weg zur Realität“. Man sehnt sich nach Zeiten zurück, in denen sein Parteifreund Helmut Schmidt dekretierte: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“
Der Bürgerverein „Leipzig für Olympia e.V.“ macht sich Gedanken um den Themenkomplex „Unternehmer für Olympia“. Ein Referent stellt – wie auf der Webseite des Vereins zu lesen ist – die „Verbindung zwischen den Idealen der olympischen Bewegung und dem Anforderungsprofil für qualifiziertes Personal in der Wirtschaft her“.
Leider können die herzlich dummen Pöbelskater, die sich in der naTo per Film über ihre roots informierten, da noch nicht mitmachen. Vielleicht liegts an ihrem Alkoholkonsum, der nicht nur dem Baron Coubertin übel aufgestoßen wäre, sondern auch heute noch dickleibige Sportfunktionäre verschreckt. In erwähntem Film erzählen ein paar ergraute Surfer und Skater von ihrer Jugend: Nur die Besten seien in ihre Kreise aufgenommen worden; wer das T-Shirt von dem und dem Laden anhatte, sei von den anderen Jungs wie ein Gott behandelt worden; am Anfang durfte nicht jeder surfen, wo er wollte, die besten Plätze musste man sich hart erkämpfen; man musste schon unbedingten Leistungswillen zeigen, um von den anderen anerkannt zu werden; es hieß, immer auf dem Sprung zu sein, neue locations ausfindig zu machen; Style sei extrem wichtig gewesen, Idioten erkannte man gleich an ihren Klamotten.
Da hätten wir sie wieder, die Ideale von Olympia, die auch in jedem x-beliebigen Anforderungsprofil der new economy bzw. der Antifa stehen könnten: Leistungsbereitschaft bis zur Besessenheit, Kreativität (= Mut, ungewöhnliche Wege zu gehen), Durchsetzungsvermögen. Es tut mir leid Jungs: Hinter dem Skater steht der Wert.
Nein, nein: Anstrengung, Sport, Schwitzen müssen nicht schlecht sein. Wer Spass daran haben will, einen Ball in ein Tor zu treten, das von jemandem bewacht wird, der Spass daran hat, jenes zu verhindern, der wird sich anstrengen wollen; wer auch mit Federball und nicht nur mit pennen seine Zeit verbringen will, wird ins Schwitzen kommen wollen. Das alles ist prima und wer für den Kommunismus Fuß- und Federball abschaffen will, ist ein Schuft. Konzentration und Engagement sind nicht von vornherein doof. Doch klar sollte auch sein, dass derjenige, der plötzlich anfängt, sich seinen Bierbauch per Joggen abzutrainieren, weil er von allen auf seine Körperfülle angesprochen wird, auf der Seite der Anti-Emanzipation steht. Dort stehen schon die Mannschaftsorganisierer, Spielführer, Abseitserklärer, aber auch diejenigen, die beim Skat Spielstände aufschreiben und Blätter rekonstruieren. Ebenso klar sollte folgendes sein: „Das Wiederholungsmoment im Spiel ist das Nachbild unfreier Arbeit, so wie die außerkünstlerisch dominierende Gestalt des Spiels, der Sport, an praktische Verrichtungen gemahnt und die Funktion erfüllt, Menschen auf die Anforderungen der Praxis, vor allem durch reaktive Umfunktionierung physischer Unlust in sekundäre Lust, unablässig zu gewöhnen...“ (Adorno).
Währenddessen sind wir in Leipzig sortiert: Nation (Tiefensee), Alkohol (Krostitzer), Kampfgeist (Leistungssport), Volksgesundheit (Schur). Man könnte dieses Monster als Partei, Volksgemeinschaft oder auch Deutschland bezeichnen. Dass bei ihm bereits die Agonie eingetreten ist, ist kein Trost. Fürchten wir das Leichengift!

Mausebär

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last modified: 28.3.2007