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Wir dokumentieren im Folgenden den Redebeitrag des Bündnis gegen Rechts zur Demonstration „Es gibt nichts zu feiern. Nie wieder Deutschland“ am 3.10.02 in Leipzig.
dokumentation, 1.1k

Nie wieder Deutschland.
Redebeitrag des Bündnis
gegen Rechts Leipzig zum 3.10.


Der 3. Oktober 2002 ist ein besonderer Tag deutscher Freude. Die Bundesrepublik Deutschland feiert ihr 12-jähriges wiedervereinigtes Bestehen und mit ihm die Wiederkehr eines deutschen Weltmachtstatus 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Die zurückliegenden 12 Jahre stehen für die Auferstehung der deutschen Nation nach fast 50 Jahren der von den Alliierten verordneten und nicht zuletzt selbstverordneten Mäßigung sowie für die Konsolidierung der deutschen Wirtschaftsweltmacht und die gleichzeitige Entwicklung zur politischen Weltmacht Deutschland. Somit stehen sie alles in allem für die Überwindung der europäischen Nachkriegsordnung und die Aufgabe deutscher Selbstbeschränkung als Folge des deutschen Sonderweges, welcher im Vernichtungsfeldzug in den Jahren 1933-1945 gipfelte und vorläufig endete.

Dabei war der Weg dahin kein leichter. Vorbehalte der alliierten Westmächte, besonders Frankreichs und Großbritanniens, ließen den Weg zur Einheit außenpolitisch nicht gerade als Siegesfeldzug dastehen. Pragmatismus siegte hier wohl eher über die Einsicht zur Notwendigkeit eines deutschen Einheitsstaates. Und auch die Folgezeit war nicht unbedingt von dem explosionsartigem Streben zu neuer weltpolitischen Stärke geprägt. Viel eher stand der schleichende Prozess der vorsichtigen Konsolidierung des wiedervereinigten Deutschlands in der westlichen Staatengemeinschaft. Zu groß schien auch jetzt noch das moralisch-politische Vermächtnis des deutschen Vernichtungszuges, die Gegenwart von Auschwitz. Wenn auch seit 1991 die Zerschlagung Jugoslawiens von deutscher Seite aus betrieben wurde, beim Zweiten Golfkrieg desselben Jahres fand sich Deutschland, von der finanziellen Unterstützung einmal abgesehen, nur auf den Zuschauerrängen wieder.

Den Wandel brachte erst das Ende der konservativen Kohl-Ära und der Beginn des rot-grünen Reformprojekts. Die deutsche Nachkriegsgeschichte zu beenden, das war das erklärte innenpolitische Ziel der rot-grünen Elite. Der Topos der „Zivilgesellschaft“ bzw. der „Berliner Republik“ war derjenige, welcher in aufgeklärter Weise, den von NS-Kontinuitäten reichen Weg der „Bonner Republik“, des alten Deutschlands also, ein für alle mal zu überwinden gedachte. In der parlamentarisch-öffentlichen Auseinandersetzung um die Vergangenheit Joseph Fischers wurde paradigmatisch das moderne Gesicht des neuen Deutschlands gezeichnet: Überwindung der personell-institutionellen Kontinuitäten zum Dritten Reich, Bekenntnis zur Deutschen Geschichte statt deren Verdrängung, Modernisierung Deutschlands hin zum westlich geprägten Verfassungsstaat. Joseph Fischer formulierte in jenen Monaten das Paradigma deutscher Innenpolitik, welches von nun an aus deutschen Selbstvergewisserungen nicht mehr wegzudenken war: Zitat: „Nie wieder Auschwitz! Das ist in meinen Augen die einzig denkbare Grundlage für die neue Berliner Republik.“

Die Folge dessen war die häufig grundlegende Übereinstimmung großer Teile der Linken mit der Praxis der neuen zivilgesellschaftlichen ModerniesiererInnen. Die Änderung des deutschen Staatsbürgerschaftsrecht sowie die antifaschistische Offensive des Jahres 2000 waren nur zwei Eckpfeiler jener neuen deutschen Politik, welche von Teilen der Linken auch dann noch als reine Lippenbekenntnisse abgetan wurden, als das außenpolitische Pendant der „Nie wieder Auschwitz“-Metapher schon den neuen deutschen Weg vorzeichnete.

Im Jahre 1999 wurde die gesamte Last deutscher Geschichte auf den Balkan entsorgt und dort von den Armeen des modernen zivilgesellschaftlichen Deutschlands der Berliner Republik endgültig zu Grabe getragen. Was einer konservativen Regierung noch unmöglich war, wurde für rot-grün in einer Umkehrung der Täter-Opfer-Relation bewerkstelligt und ideologisch untermauert. Der Balkan wurde zur Wurzel des allgegenwärtigen Übels, welches jederzeit seinen Weg gen Auschwitz einschlagen konnte. Das zur Voraussetzung wurde mit den Worten „Nie wieder Auschwitz“ auf den Lippen der Weg zum ersten deutschen Angriffskrieg beschritten. Und indem die deutsche Regierung und die deutsche Gesellschaft die eigene Geschichte auf den Balkan projizierte, konnte sie sich somit scheinbar von dieser lösen. Auf diese Weise ist die deutsche Geschichte, welche in Auschwitz selbst und demnach auch im Begriff von „Auschwitz“ kulminiert heute auch in ihrer ständig wiederkehrenden Beschwörung lediglich zur Metapher geworden, welche das ewig Böse und seine konkrete historische Gestalt zu markieren hat und nun an jedem beliebigen Ort der Erde verortet werden kann.

Nach vier Jahren rot-grüner Regierungspolitik ist Deutschland wieder politische Weltmacht. Nach zwei Angriffskriegen gegen Jugoslawien 1999 und Afghanistan 2001 wird nun, entgegen aller Beteuerungen, jedoch mit einer gewissen Zurückhaltung, der dritte gegen den Irak vorbereitet. In zehn fremden Staaten ist Deutschland derzeit stationiert, mehr Auslandseinsätze führen derzeit weltweit lediglich die Vereinigten Staaten. Die bundesdeutschen Ausgaben hierfür sind in den vergangenen vier Jahren auf 1,7 Milliarden Euro verzehnfacht worden. Und im vor der Wahl verabschiedeten Regierungsprogramm der SPD rangiert auf Platz 1 der Punkt „Deutschlands Rolle in der Welt“. Dies sind nur die prägnantesten Fakten deutscher Militärpräsenz vier Jahre nach Beginn von rot-grün.

Deutschlands Rückkehr zur Weltmacht ist jedoch mitnichten als rein militärisches Programm zu bezeichnen. Auch wenn es für Deutschland entscheidend war, sich das Militärische als politische Option zu sichern, steht im Vordergrund vielmehr das zivile Krisenmanagement als erfolgversprechendes Konkurrenzmodell zur militärisch derzeit nicht zu überholenden Hegemonialmacht Amerika. Hierfür ausschlaggebend ist die europäische Führungsrolle Deutschlands, welche in den letzten vier Jahren entscheidend vorangebracht wurde. Die noch unter der konservativen Kohl-Regierung paritätische Machtverteilung der EU-Hegemonen Frankreich und Deutschland löst sich zunehmend zugunsten Deutschlands auf. Mit einer Politik des permanenten Eklats versucht sich Deutschland eine Führungsrolle in Europa zu sichern. Aus diesem Grund beklagte die FAZ jüngst in einem Leitartikel: Zitat: „Das in der Kohl-Ära erworbene Vertrauen in den Nachbarn Deutschland [...] ist nachhaltig erschüttert worden.“

Nun mag das Vertrauen zwar erschüttert sein, die Führungsrolle innerhalb Europas hat Deutschland dennoch sicher, Vertrauen hin oder her. Und so mag der Zeitpunkt zwar außenpolitisch ein verfrühter gewesen sein, das deutsche „Nein“ zum Krieg hat jedoch die neue deutsche Position auf den Punkt gebracht: Deutschland ist in der Lage, gerade ein Jahr nach dem schwersten Angriff auf das amerikanische Selbstbewusstsein seit Jahrzehnten, als erster Staat des transatlantischen Bündnissystems in der Irak-Frage der amerikanischen Position vehement Paroli zu bieten.

Dabei ist es völlig unerheblich, dass sich Deutschland an einem Krieg gegen den Irak mit Sicherheit beteiligen wird. Deutschland wird Überflugrechte gewähren, Deutschland wird sich finanziell beteiligen, Deutschland übernimmt die wichtige Flankierung des Irak-Angriffs in Afghanistan ab Januar 2003 und Deutschland hat seine Panzer in Kuwait bereits an der irakischen Grenze in Stellung gebracht.

Wenn auch davon auszugehen ist, dass die Schärfe der Artikulation aus wahlkampftaktischen Erwägungen erfolgte, so ist in der Endkonsequenz doch entscheidend, dass sich Deutschland mit einer solchen Position in der arabischen Welt als Mittlermacht präsentieren kann, als Macht, die den Zielen der Vereinigten Staaten entgegenstehen würde, wenn sie es denn könnte. Die traditionell guten Beziehungen Deutschlands in den Nahen Osten bedürfen aus deutscher Sicht alles andere als einer militärischen Intervention. Ziviles Krisenmanagement ist die Formel der deutschen Position im Nahen Osten, da sie den militärischen Bemühungen der Vereinigten Staaten einen Kontrapunkt setzt. Entscheidend ist nicht die Frage nach Krieg oder Frieden, noch viel weniger als die Frage nach Menschenrechten oder dem Danach ein Kriterium für das deutsche Nein zum Krieg darstellt.

Entscheidend ist, wie sich der wirtschaftliche Einfluss Deutsch-Europas im Nahen Osten gegen die Vereinigten Staaten halten lässt. Wenn die zivile Option keine mehr sein wird, da Amerika zum Angriff bläst, wird auch Deutschland dabei sein, um nicht den Fehler von 1991 zu wiederholen, beim Wiederaufbau der Region keine Aufträge zu ergattern und die wirtschaftlich-politische Neuordnung der Region anderen überlassen zu müssen. Ob mit Krieg oder ohne, die deutschen propagandistischen Versuche zur Verhinderung ebenjenes Krieges, wird die deutsche Position im Nahen Osten stärken anstatt sie zu schwächen. Das aktuelle „Nein zum Krieg“ ist ein „Ja zum Krieg“ genau dann, wenn es deutschen Interessen zum Vorteil gereicht. Dieser Art „Nein zum Krieg“ kann keine Sympathie einer radikalen Linken anheim fallen.

Aus diesem Grund heißt unser Feind zuerst einmal Deutschland und nicht der amerikanische Imperialismus.

In diesem Sinne: Deutschland verrecke!

Bündnis gegen Rechts Leipzig



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last modified: 28.3.2007