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Josef Moe Hierlmeier:
Internationalismus.
Eine Einführung in die Ideengeschichte des Internationalismus von Vietnam bis Genua
Schmetterling Verlag: 2002, 10 Euro, 180 Seiten

Eine Buch-Reihe, die sich diesen Namen gibt, hat entweder hohe, schwer zu erfüllende Ansprüche (theorie) oder will internet- und zeitgeistgerecht ein paar zusammenhangslose Informationen und Phänomene verramschen (.org). Die Schmalheit des ersten Bandes, „Internationalismus. Eine Einführung in die Ideengeschichte des Internationalismus von Vietnam bis Genua“ von Josef Moe Hierlmeier, lässt schlimmes befürchten. Beim Lesen weicht die Skepsis allerdings der Bewunderung, wie das Thema behandelt wird: Theoretisch anspruchsvoll und gleichzeitig nachvollziehbar auch für Uneingeweihte.

Einstieg und Schlusswort des Buches sind zwar etwas positivistisch. Da wird konstatiert, dass mit der Globalisierungsbewegung, unter der die u.a. die Zapatistas, Attac und der BUKO subsumiert werden, „herrschaftskritische Positionen“ zurückkehren würden. Die Ereignisse von Seattle und das Buch Empire werden als Beleg dafür angeführt, dass die Linke plural, herrschaftskritisch, negatorisch sein und das ambivalente Verhältnis von Theorie und Praxis aushalten müsste. Was ja nicht mal falsch ist, nur die genannten Beispiele als Beleg für diese Thesen anzuführen, wo doch Attac eher für die Rückkehr staatsfetischistischer Positionen steht und Empire für linke Theorielosigkeit, zeugt von dem Willen, Fortschrittsoptimismus zu verkünden. Im Buch selbst wird sich dann allerdings sehr kritisch mit Attac und anderen eigenartigen „internationalistischen“ Bewegungen auseinandergesetzt.
Aus dem Klappentext des Buches erfahren wir, was theorie.org will: „sowohl dem Interesse an theoretischen Grundlagen linker Politik als auch dem Bedürfnis nach inhaltlicher Reflexion politischer Praxis vergangener Jahrzehnte Rechnung“ tragen, kritische Aufarbeitung zentraler Themen linker Debatten, Zusammenfassung ihrer Resultate, Vermittlung von Überblickswissen, Orientierungshilfe, „Erneuerung emanzipatorischer Praxis“, „Basisbibliothek für alle kritischen Köpfe, die sich z.B. in Schule, Uni oder politischen Gruppen mit linker Theorie auseinandersetzen, dabei aber feststellen müssen, dass linke Traditionen abgebrochen sind und einstmal weit verbreitetes Wissen verloren gegangen oder nur noch schwer zugänglich ist“.
Hierlmeier, der selbst langjährige Erfahrung in der Internationalismus-Bewegung vorweisen kann und inzwischem im Bundeskongress Internationalismus (BUKO) aktiv ist, wird diesem Anspruch gerecht. Seine beiden Prämissen sind, dass mensch diesem Unterfangen mit einer wissenschaftlichen Arbeit nicht gerecht werden kann (er bezeichnet seinen Text eher als Essay) und dass der hiesige Internationalismus schon immer wenig mit den Verhältnissen in den Ländern des Trikonts zu tun hatte, sondern mit der bundesdeutschen Gesellschaft, der Reflektion der Linken über diese und den tonangebenden TheoretikerInnen. Das hat den etwas eigentümlichen Effekt, dass es in seinem Buch kaum um Internationalismus geht – oder das, was wir uns landläufig darunter vorstellen würden. Hierlmeier liefert vielmehr einen historischen Abriß der Linken und der Verhältnisse, in denen sie ihre Theorien entwickelt haben. Nur am Rande und in Ableitung davon geht er dann darauf ein, welche Auswirkungen dies auf die jeweilige Internationalismus-Arbeit hatte.
Der Autor fängt mit Marx an und kritisiert an ihm seinen Fortschrittsoptimismus, der dem eines Trivialromans ähneln würde: die mit sich identische Gesellschaft (Urgesellschaft) wird gestört, sich selbst fremd und nicht-identisch (Sklavenhaltergesellschaft, Feudalismus, Kapitalismus), um letztendlich wieder ins Reine gebracht zu werden (Kommunismus). In der weiteren weltgeschichtlichen Betrachtung würden Marx und Engels den Hegelschen Staatsfetischismus übernehmen: Für Hegel waren Völker ohne Staat geschichtslos, für die beiden ersten Marxisten galten die „geschichtslosen Völker“ als Werkzeuge der Reaktion, deren Kolonialisierung im Sinne der Zivilisierung einen Fortschritt darstellen würde. Diese marxistische Lobpreisung des Kolonialismus wird in der aktuellen Bahamas angesichts des Afghanistankrieges wieder ausgegraben. Allerdings ging es Marx und Engels eben nicht nur um die Befreiung der Frau vom Schleier und anderen Menschenrechtsklischees der Aufklärung, sondern die „Völkerabfälle“ sollten vertilgt werden, weil sie den Kapitalismus, der als Voraussetzung für den Kommunismus galt und nicht als Hindernis, nicht genügend verinnerlicht hatten: die „energischen Yankees“ besetzten das Land der „faulen Mexikaner“, ein Vorgang, den nur gut finden kann, wer die Durchsetzung des Arbeitsethos für einen Fortschritt hält.
Diese Denkschule wurde später von Horkheimer und Adorno fortgesetzt, die die USA im Krieg gegen Vietnam unterstützten. Mit der rassistischen und antikommunistischen Argumentation, dass bei einem Sieg der Vietnamesen der „Weg der Chinesen zum Rhein beschleunigt“ werden würde, und der Behauptung, dass die USA nur im Sinne der Menschenrechte handeln würde, somit – neben der BRD – eine der wenigen Nationen sei, die „das, was wir Kultur nennen, noch schützen können“, währenddessen der Osten für „die schlimmste Art der Barbarei“ stände, wurde gegen die Anti-Kriegsbewegung polemisiert. Die richtige Kritik am Anti-Amerikanismus der 68er wurde somit leichtfertig entwertet und angreifbar gemacht. Die Parallelen zur Bahamas-Position von heute sind unübersehbar.
Ein anderer Vertreter der Frankfurter Schule, Herbert Marcuse, stand hingegen an der Wiege der neuen Internationalismusbewegung (die alte war die ArbeiterInnenbewegung – „Proletariar aller Länder vereinigt Euch“ – auf die ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen will, denn schließlich sollt Ihr das Buch noch selber lesen). Er sah, dass das Proletariat nicht revolutionär, sondern integriert ist; gleichzeitig wollte er sich nicht dem adornitischen Pessismus hingeben und hielt an der Tatsache fest, dass Geschichte vom Menschen gemacht wird. Für subversiv hielt er die noch nicht ins System Integrierten, die Menschen im Trikont und die AussteigerInnen in den Metropolen. Die USA bezeichnete er als faschistisch – und schon hätten wir alle Zutaten für den kruden Mix, den das Weltbild der Antiimps ausmacht(e).
Infolge dessen himmelte die internationalistische Linke Revolutionäre aus dem Trikont (oder der Sowjetunion) an, die, wie Che, Mao oder Trotzki, kruden, technokratischen, arbeitsfetischistischen, totalitären, eugenischen und zum Teil nationalistischen Utopievorstellungen anhingen. Sie projizierte damit ihre eigenen Wünsche auf ein revolutionäres Subjekt, was weit genug weg war, um sich kritisch damit auseinandersetzen zu müssen – und lenkte erfolgreich vom eigenen Versagen und der Aussichtslosigkeit gesellschaftlicher Veränderung ab. Trotzki träumte z.B. von einem „Übermenschen“ auf dem „Niveau des Aristoteles, Goethe und Marx“, der seine Gefühle beherrscht, keine Angst vor dem Tod hat, harmonisch ist, nach den Kriterien der „Klarheit, Zweckmäßigkeit und Ökonomie“ funktioniert und sich einer künstlichen genetischen Auslese sowie „psychophysischen Trainings“ unterwirft. Bei Ernst Haeckel, dem geistigen Wegbereiter der Nazis, klang dies genauso – mit dem kleinen Unterschied, dass Goethe der einzige gemeinsame Nenner bei der Suche nach dem Übermenschen darstellt: Haeckel nannte ansonsten Darwin, Spinoza, Bismarck und sich selbst.
Hierlmeier führt die starke Hinwendung der 68er zum Themenfeld Internationalismus auch auf die Ergebnisse der damals geführten „Politik versus Kritik“-Debatte zurück. Während die meisten VertreterInnen der Frankfurter Schule darauf beharrten, dass Politik nicht möglich sei und Dissedenz maximal noch in der klassischen Musik möglich sei, schweiften die StudentInnen aktionistisch in die Ferne, weil sie die These von der erstarrten bundesdeutschen Gesellschaft nicht plausibel widerlegen konnten. Der Anti-Amerikanismus der Linken war dabei nicht nur eine Folge des USA-Faschismus-Vergleiches von Marcuse, sondern auch der Kulturindustrie-Thesen von Adorno, die eben nicht nur zufällig an der amerikanischen Kultur entwickelt wurden, sondern sich auch spezifisch gegen die amerikanische Kultur richteten. So lobte Adorno das Jazz-Verbot im Dritten Reich, weil diese afro-amerikanische Musik eine unwahre Kunstform sei.
Für die weitere Entwicklung der Internationalismusbewegung konstatiert der Autor einen stetigen theoretischen Abwärtstrend: dem marxistischen Fortschrittsoptimismus, dem mensch noch einige gute Seiten abgewinnen konnte, folgten in den 70er und 80er Jahren Antimodernismus und die christliche Aufladung der Trikont-Soliszene. Plötzlich ging es um die Verteidigung angeblich nicht-kapitalistischer Refugien und den Schutz von Indigenas oder der Umwelt, fair gehandelte Produkte waren wichtige Waffen um Kampf um Befreiung und die Befreiungstheologie versuchte zwar, marxistische Theorien mit dem christlichen Messianismus zu verschmelzen – allerdings war das Ergebnis religiöser und reaktionärer Kitsch.

Eine derartig unterhaltsame, kompakte, leicht verständliche und doch nicht oberflächliche Abhandlung über die Geschichte der bundesdeutschen Linken in Theorie und Praxis mit Verweis auf die Herkunft der jeweiligen Denktraditionen (d.h. mit einem Kurzabriss der Philosophiegeschichte der letzten zwei Jahrtausende) und auf die Auswirkungen in der Internationalismusbewegung dürfte ihres gleichen suchen.
Karlo

In der Reihe theorie.org ist bislang ausserdem schon erschienen: Andrea Trumann: Feministische Theorie. Folgende Bände sind geplant: Michael Heinrich: Kritik der polit. Ökonomie, Diethard Behrens: Westlicher Marxismus, Autorenkollektiv: Anarchismus. Weitere Informationen sind unter www.linke-theorie.org verfügbar. Die Bücher der Reihe können auch im Infoladen Leipzig (nadir.org/infoladen_leipzig) ausgeliehen werden.


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last modified: 28.3.2007