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LeserInnenbriefe


Zu dem Artikel "Grenzen einer Debatte" im CEE IEH #88


Über die Notwendigkeit eines Bruches in oder mit der Linken

Karte Israel, 27.5k Die notwendige Erkenntnis aus den Entwicklungen im sogenannten „Nahost-Konflikt“, mit anderen Worten die dringend gebotene bedingungslose Solidarität mit dem Staat Israel und seiner Bewohner – bekanntlich die derzeit einzig mögliche Konsequenz der Verfolgung und weitgehenden Vernichtung der Jüdinnen und Juden weltweit und insbesondere in Deutschland in der Geschichte, aber auch in der Gegenwart –, die von (uns) Antideutschen eingefordert wird, legt die Differenzen und vorallem das theoretische wie ideologiekritische Defizit der Bewegungslinken offen.
Zu dieser bedingungslosen Solidarität mit den prospektiven wie tagtäglichen Opfern der palästinensischen „Befreier“ gibt es für eine Linke, die den Gedanken der gesellschaftlichen Emanzipation von Kapital, Ware, Nation, Volk etc. nicht aufgegeben hat, keine Alternative. Eine Position, die sich irgendwie dazwischen verorten will, kann es nicht geben, denn „kritisches Denken, das auch vor dem Fortschritt nicht innehält, verlangt heute Parteinahme für die Residuen von Freiheit, für Tendenzen zur realen Humanität, selbst wenn sie angesichts des großen historischen Zuges ohnmächtig erscheinen“. (Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung: Zur Neuausgabe)
Oder wie es die Genossen von Bahamas ausdrücken: „Die Solidarität mit Israel ... ist also nicht nur wegen der Verteidigung von mit dem kollektiven Mord bedrohten eine Notwendigkeit. Darüberhinaus ist die Solidarität mit Israel die Entscheidung für die Erhaltung der Möglichkeit der Revolution, die, sollte das Prinzip Volkskrieg den Sieg erringen und das Ende seines unfreiwillig heftigsten Gegners, Israel, herbeiführen, ebenfalls am Ende wäre. Dieses Ende wäre ... die menschheitsgeschichtliche Besiegelung des Prinzips Auschwitz“. (Bahamas 34, S. 28)
Um das geplante Ende Israels und des „jüdischen Prinzips“ weltweit zu verhindern schlägt Helmut allen Ernstes einen palästinensischen Staat vor, von dem außer der kollektiven Selbstzerstörung und der Auslöschung aller Juden nichts, aber auch garnichts zu erwarten ist. Der zukünftige Staat Palästina, unter den heutigen Bedingungen die institutionelle Rückzugsgarantie für Judenmörder, soll also die Existenz Israels garantieren, wo bereits sein Vorläufer, die palästinensische Autonomiebehörde, Komplize und Finanzier der Judenmörder ist?! Diese Einschätzung ist umso bemerkenswerter, als daß vergessen wird, daß jedes Verhandlungsangebot und jeder militärische Rückzug mit noch mehr Terror beantwortet wurde, es den „Befreiungskämpfern“ nicht um irgend etwas geht, sondern lediglich gegen Jüdinnen und Juden. Die Begrüßung der notwendigen Reaktionen Israels als „Kriegsgeschrei der antideutschen Linken“ zu bezeichnen, läßt wohl die bekannte Unterscheidung von Ursache und Wirkung außen vor, ja verwechselt sie geradezu bewußt. Das die israelische Gesellschaft daran zerbricht ist wohl nur als Scheinargument zu verstehen, denn selbst wenn die israelische Linke oder ähnlich gelagerte Friedensaktivisten aus verständlichen Gründen zu Fehleinschätzungen kommen, bleibt für den Kritiker der Verhältnisse nur eine Option: ein wehrhafter Staat Israel, der sich im Notfall präventiv gegen den antisemitischen Volkssturm der Palästinenser zur Wehr setzen kann.
Den israelfreundlichen und antideutschen Linken Identitäshuberei anzulasten ist dabei ein Witz sondersgleichen, denn selbst wenn die israelische Gesellschaft geprägt von inneren Differenzen ist, was ja nur für ihren demokratischen Charakter im westlichen Sinne spricht, so ist die Parteinahme für diesen Staat für eine antifaschistisch argumentierende Linke schlicht und einfach eine Pflicht. Diese ergibt sich aus der shoa und den immer noch fortwährenden Bedingungen eben dieser. Solange es diese Bedingungen gibt – nennen wir es einfach Kapitalismus mit der Konsequenz von notwendig falschem Bewußtsein –, solange hat eine Linke unbedingt solidarisch zu sein, nicht zuletzt aus den oben angeführten Überlegungen von Horkheimer/Adorno und der Bahamas. Das ist nämlich der Standpunkt der Antideutschen, der keinesfalls unklar ist, wie Helmut meint: Der Standpunkt ist die Verteidigung der letzten Züge von Individualität im bürgerlichen Subjekt, das Insistieren auf Individualismus, Genuß und Freiheit vom Naturzwang als Vorschein dessen, was Kommunismus einmal bedeuten könnte gegenüber den regressiven völkischen Vergemeinschaftungsformen und die Solidarität mit den Verfolgten eben dieser! Das ist der Mindeststandard einer emanzipatorischen Linken.
Ein Großteil dieser hat sich jedoch den Volkstümlern aller Art angeschlossen und wird konsequenterweise von diesen angezogen, sei es nun die positive Parteinahme für Palästinenser oder für die globalisierungskritischen Wächter der Gemeinschaft gegen die Zumutungen des „Mammons“. In welcher Gesellschaft man sich da befindet fällt schon garnicht mehr auf, es spielt auch keine Rolle, daß man die eine oder andere Position nicht mehr von denen der Nazis unterscheiden kann. Die Hauptsache ist Bewegung, Masse und natürlich Positionen vermitteln, also Politik machen und beim Staat landen. In diesem Sinne ist ein Bruch fast schon die Pflicht, will man den Gedanken an den Kommunismus aufrecht erhalten, der die Bewegung sein sollte, die den Kapitalismus auf seinem höchsten Niveau beseitigt.
Mit einer Linken jedoch, die über die regressive Affirmation des Authentischen, also der traditionellen Gemeinschaften, nicht hinauskommt, ja sogar zum Teil vom nationalsozialistischen Original in Sachen Gemeinschaftskunde nicht mehr zu unterscheiden ist, eine Linke, die den Kapitalismus nicht als apersonale Herrschaft begreift und weiterhin von unterdrückten Völkern faselt und im gleichen Atemzug Zionismus mit Rassismus gleichsetzt, mit dieser wird dies nicht zu leisten sein. Mit diesen Leuten verbietet sich jeder Umgang, denn sie stehen schon längst nicht mehr auf der gleichen Seite der Barrikade, sondern sie spielen wie immer in der Geschichte die Avantgarde einer bevorstehenden gesellschaftlichen Regression!
Mario Möller (Rudolstadt)




Hallo CEE IEH,

man soll ja nicht nur schreiben, wenn man was zu meckern hat. Ich möchte auf diesem Weg den Artikel von Helmut loben. Dessen nachdenklicher und vorsichtiger Ton ist nämlich genau das, was der gegenwärtigen Nahost-Debatte guttun könnte. Gerade vom hiesigen Territorium aus sind Selbstgerechtigkeit, Fanatismus, Gefühlsduselei und vor allem Stellvertreterkriege (man diskutiert über Palästina und Israel, meint aber vor allem sich selbst, die linke und ex-linke Szene) besonders grauenhaft, und man kann nur hoffen, dass sowohl in Israel als auch im palästinensischen Autonomiegebiet niemand sowas liest. Die Israelis und die Araber brauchen solche im Grunde sehr eigennützigen Verbündeten nicht. Ich glaube, Helmut hat recht, wenn er vermutet, dass die Simplifizierungen der neuen deutschen Einheitspresse auch bei eigentlich kritischen Menschen ihre Wirkung getan haben. Schließlich arbeiten dort ausgebuffte Profis. Ich glaube auch, dass die arabischen Staaten in diesem Konflikt sehr unterbelichtet sind – schließlich sind es ja potente EU-Handelspartner und auch Handelspartner der USA, und es ist insofern nützlich, wenn die palästinensischen Autonomiegebiete mit ihrer fanatisierten Bevölkerung (keiner, der in einen der arabischen „Bruderstaaten“ flieht, erhält die jeweilige Staatsbürgerschaft) zum Hauptgegner Israels erhoben werden.
Auch mich wundert schon die ganze Zeit der überhitzten Debatte, wieso Menschen, die sich vehement gegen die Überwachungsgesellschaft wenden, so wenig zu den Lebensbedingungen im Nahen Osten zu sagen haben – sowohl in Israel als auch in den Autonomiegebieten ist das Leben inzwischen sehr militarisiert und von Überwachung geprägt.
Mir fällt, das muss ich zugeben, nichts Schlaues zur Lösung der unerträglichen Situation im Nahen Osten ein – nur glaube ich eben, dass dies auch anderen Leuten so geht, nur dass es nicht alle zugeben und lieber in die Kriegstrompete tröten, sei es auf der Seite Israels oder auf der „Palästinas“. Es gibt dort nur leider schon eine halbe Ewigkeit Krieg, und es hat sich gar nichts zum Besseren gewendet.
Die Faschisten jedoch, die haben zuallererst mal in Europa praktiziert, die wird man nicht los, indem man ihnen jetzt ein arabisches Outfit überhilft. Das kommt mir vor, wie Joschkas „Auschwitz verhindern“, als im Kosovo Krieg geführt wurde. Es ist schlicht und ergreifend mal wieder ein bewusster oder unbewusster Versuch, die deutsche Vergangenheit zu entsorgen.
Der im Artikel kritisierte Spruch von den jüdischen Menschen als den einzigen „Verdammten dieser Erde“ ist für mich in all seiner poetischen Einfachheit leider nicht zutreffend. Spätestens seit dem September letzten Jahres ist auf einmal gar nichts mehr von der Problematik zu hören, die ich, ebenfalls simplifizierend, mal unter dem Begriff „Afrika“ zusammenfassen möchte. Unterernährung, Analphabetismus, AIDS, Kindersoldaten usw. usf. Was ist mit diesen Millionen und Abermillionen? Das sehen die SchöpferInnen dieses Satzes wohl als Nebenwiderspruch?!
Ich hoffe, dass Helmuts Artikel dazu beiträgt, dass die Nahost-Debatte ein bisschen realistischer wird und Argumente statt Beschuldigungen einen breiteren Raum einnehmen.
Viele Grüße, Zensi

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last modified: 28.3.2007