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das Erste, 0.9k

Die Gemeinschaft der Gläubigen



Teewald, 8.9k Es gibt eine Disziplin, in der ist unsere Nation unschlagbar; es gibt ein Talent, von dem ist uns so reichlich gegeben wie niemandem sonst in der Welt; es gibt ein Glück im Olymp der Idee vom Wahren und Schönen und Guten, welches sogar noch das olympische Gold all der grandiosen deutschen Schlittenfahrer, Skispringer oder Eisläufer überstrahlt: Die Deutschen sind unübertrefflich im Empört-Sein. Auch sind sie sehr gut im Enttäuscht-Sein. Und im Stellen dieser einen, besonders deutschen Frage, da sind sie auch so sehr bei sich, daß die Frage sogar noch zu einer bildhaften Schlagzeile taugt – „Was können wir euch Politikern noch glauben?“ Ja, was nur?
„Wir“: Das ist übrigens die Gemeinschaft der Gläubigen, die sich seit dem bekannten „Eklat“, dem „Skandal“, dem „Verfassungsbruch“ oder schlicht dem „Desaster im Bundesrat“ auf der Suche nach der „Wahrheit“ hinter all den „Kulissen der Macht“ befindet, getrieben von der Sehnsucht nach ein bisschen „Würde“ in diesem „Schmierentheater“, hoffend auf ein wenig „Scham“ angesichts der „politischen Schamlosigkeit“. Diese Gemeinschaft der Rechtschaffenheit steht also auf der einen Seite des großen Grabens, der sich unlängst aufgetan hat in unserer neuen und damit eigentlich recht bekannten Mitte, deren Verlust eigentlich auch mal wieder zu beklagen wäre.
Und „euch Politiker“: Da handelt es sich auf der anderen Seite um Roland Koch, Klaus Wowereit, Gerhard Schröder und Edmund Stoiber. Unterwegs sind sie offenbar als die vier apokalyptischen Reiter, deren Tun einzig und allein auf das Ende der Welt, wenn nicht sogar auf die allgemeine Politikverdrossenheit zielt. Vielleicht sollte man noch erwähnen, daß die Zeitungen außer den üblichen „Leid-Artiklern“ auch noch Joachim Kardinal Meisner (Bild), Dr. Michel Friedman (Express) und Jürgen W. Möllemann (Die Welt) aufgeboten haben, um der Frage nachzugehen, ob denn „unsere Politiker noch Vorbilder“ seien.
Als ob sie dies je gewesen wären. Als ob es wirklich die „Grundmauern unseres Staates“ – was sonst – erschüttern könnte, daß die einen, die den vermeintlichen Sieg im Streit um das im übrigen kaum noch erinnerliche Zuwanderungsgesetz davongetragen haben, daß die in Wahrheit ganz üble „Strippenzieher“ sein sollen. Als ob es wirklich unser „Ansehen in der Welt“ – was sonst – beschädigen könnte, daß die anderen ob des vermuteten „Rechtsbruchs“ (Roland Koch) ihr Empört-Sein nur ganz übel geheuchelt haben sollen. Ganz so, wie das der Ministerpräsident Peter Müller naiv-offen, vielleicht aber auch heuchlerisch strippenziehend, auf jeden Fall aber doch staunenswert zu Protokoll gegeben hat.
Wobei es so richtig kompliziert ja erst dann werden würde, wenn einer von jenen, die jetzt so lautstark ihre Empörung über die „inszenierte Empörung“ inszenieren, wenn da einer aufstünde und zugeben würde, daß auch die Empörung über die Empörung nur ein relativ berechenbarer Teil jenes Phänomens ist, das die einen als Trickserei und die anderen als Politik bezeichnen. McKenzie würde sagen: Wir wissen nicht genau, was Politik ist – wir wissen aber, daß sie sich täglich ereignet. Vor allem aber wissen wir dies: Nur selten darf man, zum Glück, in das Innere jener gewaltigen Maschinerie schauen, die uns die zum politischen Leben erforderlichen Machtverhältnisse und auch deren Schattenrisse produziert; und die dabei nicht irgendwelchen teuflisch abgründigen, sondern nur hintergründigen – also auf öffentlich zulässige Weise: verlogenen, gespielten, geheuchelten – Mechanismen folgt.
Und wem nun auch immer die Schrauben dieser Maschine locker erscheinen, wie jetzt im Bundesrat angesichts einer durchaus strittigen juristischen Frage, die uns natürlich noch beschäftigen wird, der wird seinen politischen Vorteil darin suchen. Schön ist das nicht eben anzusehen. Aber es funktioniert. Und das, wozu wir Kabale und Verfassungs-Krise sagen, dazu bemerkt das Protokoll im Bundesrat zu Recht nur dies: „Tumult und Zwischenrufe“. Es ist natürlich ein Schock, wenn man begreift, auf welch schmierige Weise all die Rädchen der Maschine ineinander greifen; es ist fürchterlich, wenn man sieht, wie dumm so ein Polit-Motor im Grunde konstruiert ist – es nützt nur nichts, daraufhin nach dem Krisenstab zu rufen. Manchmal wäre es mit einem geschickten Hausmeister samt Werkzeugkasten schon getan.
Und ganz nebenbei hat man ja auch anderswo an jenem Wochenende eine gute Performance geboten bekommen: in Hollywood. Dort waren die Tränen der „besten Darstellerin“ Halle Berry zu sehen, die sich an ihrem Oscar festklammern musste, um angesichts der sie überwältigenden Überraschung nicht zu Boden zu gehen. Eine Zeitung schreibt dazu: „Ihre Tränen rühren die ganze Welt.“ Aber natürlich weiß die ganze Welt trotzdem sehr genau, was davon zu halten ist. Man kennt schließlich die Spielregeln – die sich unterscheiden von den Gesetzen. Am Ende jedenfalls kommt es dem Publikum vor allem darauf an: ob die Show gut oder schlecht ist, oder ob die Gesetze gut oder schlecht sind.
Teewald

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last modified: 28.3.2007