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review corner Film, 1.4k

Die grauenhafte Welt der Menschen

Ausschnitt Filmplakat Amelie, 9.8k
Die fabelhafte Welt der Amelie
Frankreich: 2001

...und „Die fabelhafte Welt der Amelie“

Kurzfristig sagte ich zu, diesem Blatt eine Filmrezension hinzuzufügen. Sehr kurzfristig. Deshalb entschied ich mich für einen meiner Lieblingsfilme, der zwar schon ausgelaufen aber auf jeden Fall schon jetzt ein Klassiker ist. Jean-Pierre Jeunet verblüfft mit einem Film, der wie kein anderer ist, aber das dürfte jene eh nicht überraschen, welche schon „Die Stadt der verlorenen Kinder“ und „Delicatessen“ gesehen haben. Hervorzuheben sei hier (wie bei den Vorgängern) die seltsame Beleuchtung, in deren Schein der Film wie ein Traum vor unseren Augen abläuft. Interessant ist auch, daß der Film diesmal in der Realität angesiedelt ist und nicht wie gewohnt in einer fiktiven Fantasiewelt, wodurch eine Identifikation mit den DarstellerInnen eher gegeben ist. Problematisch dabei ist allerdings, wenn eben diese Realität als kritikwürdig vorausgesetzt wird, jedoch ein Großteil der ZuschauerInnen diese gar nicht erst in Frage stellt.
Amelie ist ein Mädchen mit gestörter Kindheit und hatte noch nie guten Sex, also mehr oder weniger ein Mensch wie wir alle. Nein, Amelie ist wahrscheinlich die letzte wahre Humanistin und dem Moment verfallen. Überall hilft sie Menschen und vergißt dabei völlig ihr eigenes Leben. Doch Amelie ist kein Mensch, der große Pläne macht, sie will die schönen Momente des Lebens voll und ganz auskosten, will den Zauber, der allen Dingen anhaftet erfassen und zum Vorschein bringen. Sie lebt in einer Welt, in der bösartige Menschen bestraft und die naiven Guten belohnt werden, in der Liebe zum Prinzip geworden ist. Fast möchte man aus dem Sessel springen und hysterisch brüllen: „Da, das revolutionäre Subjekt. Ich hab’s gefunden, ohne es zu suchen.“ Deshalb ist dieser Film vielleicht auch so ein Kassenschlager geworden, denn unbewußt sehnen sich doch irgendwie alle danach, den grauen Alltag zu verlassen und nur ein bißchen so zu leben wie Amelie. Doch Amelie scheitert immer wieder an den Grenzen dieser Gesellschaft, was in diesem Film (Immerhin ist er ja wohl auch die „Liebeskomödie des Jahres“ (Bild) und keine Tragödie, wa ?) allerdings nicht so offensichtlich dargestellt wird, als es noch bei den Vorgängern der Fall war.
Und dann ist da auch noch ein schnieker junger Mann, denn was wäre eine „Komödie angewürzt mit Liebe“ (Cinemaxx) ohne ein Pärchen daß sich am Ende trotz vieler Verwirrungen findet. Mit Gewitztheit und Kreativität arrangiert Amelie trotz ihrer Schüchternheit einen Prozeß des Kennenlernens und gibt dabei nichts von sich preis außer ihrer unerschütterlichen Lebensfreude. Gespannt erwartete man die ersten Ableger in der „realen“ Welt, also außerhalb des Kinos. Während des Urlaubs in Amsterdam wurde ich fündig. Die Anzeige einer jungen Frau auf Wohnungssuche, exakt gleichend den Flyern, welche Amelie mit Zorromaske zeigen, bloß noch mit Telefonnummern zum Abreißen am unteren Ende. Es ist schon irgendwie ein beruhigendes Gefühl, wenn die Gewißheit der „Reproduktion des Immergleichen“(1) schließlich siegt.
Doch dieser Film ist auf jeden Fall ein Erlebnis. Es mutet schon seltsam an, wenn das gesamte Publikum lacht und man als einziger die Tränen zurückhalten muß (Jungs dürfen ja bekanntlich nicht weinen, schade), selbst wenn man die Szene zum dritten Mal sieht. Und wenn dann noch alle etwas zufriedener und glücklicher als vorher den Kinosaal verlassen, obgleich sie eine fabelhafte Welt verlassen, um in eine grauenhafte zurückzukehren, ist das Erlebnis perfekt.
Auf jeden Fall ist dieser Film sehr emotional und versucht schon fast krampfhaft wie kaum ein anderer vor ihm das Nichtidentische, was in den Dingen nicht aufgeht, hervorzuheben. Einem mir lieben Genossen soll an dieser Stelle das Schlußwort überlassen werden, wenn auch ein zu bezweifelndes. „Adorno hätte sicher seine helle Freude an diesem Film gehabt.“
Schlaubi

(1) Gewinnspiel: Wer bis zum 15.05.02 die beste und witzigste Quellenangabe des Zitats an den Conne Island Newsflyer schickt, gewinnt einen Kinobesuch mit dem Verfasser dieser Rezension. Kein Spaß!
MitarbeiterInnen sind von der Teilnahme ausgeschlossen!
Bitte Telefonnummer mit angeben!


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last modified: 28.3.2007