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das Erste, 1.3k

V-Mann Standing

Teewald, 8.9k Einst soll es einen Fürsten gegeben haben, der das Schachspiel sehr mochte. Doch geriet dieser leicht und allzu oft in Rage und war obendrein ein schlechter Verlierer. In seinem grobschlächtigen Zorn soll er einmal gar einen siegreichen Gegner mit dem Schachbrett totgeschlagen haben. Dann endete das Mittelalter. Die Zeit der Zivilisation brach an, der guten Manieren und der feinen Denkungsart. Rohes Benehmen war verpönt und kam (so geht die alte Theorie der Zivilisation) entsprechend seltener vor. Jedenfalls bis heute. Denn in unserer Zeit haben wir den Bundesinnenminister: Wenn Otto Schily in seinem Ministerium noch kein Schachbrett gegen die Wand geworfen hat, dann wohl nur deshalb, weil sich dort keines befindet.
Akten und auch Bücher schleudert Schily nämlich öfter durch die Gegend. Das hat – aus seiner Perspektive – wohl den Vorzug, dass es den Mitarbeitern Angst macht und sie demütigt, weil sie dann die Pfeil‘ und Schleudern des Ministers wieder zusammenklauben müssen. Der Minister versucht gar nicht erst, sich zu beherrschen: Seine Mitarbeiter sollen froh sein, wenn sie nur im übertragenen Sinn Zielscheibe seines Zornes sind. Sie sollen mit gesenktem Kopf da stehen, derweil der Minister so laut schreit, dass es ihnen Mark und Bein erschüttert.
Seit den Tagen als der Skandal um den V-Mann bei der NPD aufkam, ist Schilys Dezibel-Zahl deutlich gesunken. Daran zeigt sich der Druck, unter dem der Minister steht und der ihm offenbar buchstäblich die Zähne zusammenpresst. Seine Mitarbeiter kriegen trotzdem ihr Fett weg: Vor laufenden Kameras hat er ihnen die Schuld an der Affäre gegeben. So ist sein Führungsstil: Bei Kleinigkeiten brüllt er das Haus zusammen. Wird es heikel, führt er die Untergebenen öffentlich vor.
Wenn die psychische Belastung zu groß wird, dann kann auch ein Ministerium nicht mehr dicht halten: Dann springen Ritzen auf, und der Dreck, den alle eigentlich unterm Deckel bewahren wollen, dringt nach draußen. Ein Zeuge, der gegen die NPD aussagen soll, ist in Wahrheit ein ehemaliger V-Mann. Einige wissen es. Aber niemand informiert den Minister. Wie kommt das? Jetzt ist zu hören, die Leute trauten sich nicht, Schily mit „Lappalien“ zu kommen, wobei natürlich der Minister in seiner jeweiligen Stimmung darüber befindet, was eine Lappalie ist und was nicht.
Die Neuzeit war nie so gut, wie sie der Theorie von der Zivilisation nach hätte sein sollen. Und die Causa Schily wäre nichts Ungewöhnliches, wenn das Verhalten des Ministers nicht in einem seltsamen Widerspruch zu dem Bild stünde, das er selbst und andere sich von ihm machen: Der Minister gilt als Herr. In der bundesdeutschen Spätpubertät, als es einem politischen Statement gleichkam, volle Rotweingläser über helle Teppiche auszugießen, hat Schily dabei nicht mitgemacht. Außerdem kleidete er sich in Dreiteiler. Vor Gericht trug er in den siebziger Jahren als einziger der „linken“ Anwälte den obligaten weißen Binder unter der Robe. So hat er sich den Ruf erworben, ein Mann von Erscheinung und Manieren zu sein. Diesen Ruf genießt er bis heute. Man fragt sich nur, warum.
Seit wann brüllt ein Herr weisungsgebundene und noch dazu loyale Mitarbeiter an? Seit wann wälzt ein Herr Verantwortung von sich auf Schwächere ab? Seit wann ist der Herr ein Rüpel, der nur jene Leute höflich behandelt, von denen er denkt, dass sie für ihn Bedeutung haben? Seit wann hat ein Herr es nötig, soziale und kulturelle Hierarchien aufzubauen, von deren hoher Warte aus er auf andere herabsehen kann? Die Anthroposophie, Schilys Anwesen in Italien, Musik, Kunst, Intelligenz: Alles findet immerzu Erwähnung, alles wird benutzt und schafft eine Aura der kulturell-moralischen Initiation, die den Minister von anderen ab- und über sie erhebt.
Schon als junger Mann hat Schily Politiker sein wollen. Als er es dann war, wollte er natürlich möglichst bald ein hohes Amt ausüben. Obgleich er echte Überzeugungen hat, scheint er vor lauter Selbstbehauptungswillen nicht in den Genuss der Vorteile zu kommen, die ein gefestigtes Weltbild in Verbindung mit einer hohen gesellschaftlichen Stellung verleihen kann: er hat weder Ruhe noch Großzügigkeit. Er ist nicht souverän.
Als Bundesinnenminister ist Schily der Garant für die Quadratur des Kreises. Er redet von „Prävention“, doch meint er damit nicht Maßnahmen der Sozialpolitik, sondern Strafbewehrung, Abschreckung, Ausforschung. Seine Sicherheitspolitik ist auf den Abbau bürgerlicher Freiheiten abgestellt. Aber bis die Wähler der SPD das gemerkt haben (oder bis es ihnen zu viel geworden ist), werden Schily und Schröder längst in Pension sein – jedenfalls nach der Berechnung des Kanzlers. Und der ist, anders als sein Innenminister, in der Öffentlichkeit nach wie vor meistens gut gelaunt.
Gerhard Schröder, der entspannte, leutselige Schröder, hat ein Kalkül. Otto Schily, der bei der Arbeit nie gelöst und schon gar nicht leutselig ist, hat letztlich keines. Abhörgesetze, Ausländergesetze, Antiterrorgesetze: Schily glaubt fest daran. Er glaubt, dass das nützliche Maßnahmen sind und meint deshalb, dem Staat nützlich zu sein. Das macht ihn – der sich selbst für liberal hält und die Liberalität als seine politische Grundstimmung seit Jugendtagen bezeichnet – als Minister so besonders autoritär. Die Rigorosität, mit der Otto Schily seine Politik betreibt, hat bei einem bekennenden Liberalen etwas Unheimliches an sich – als wolle da ein Familienvater seine gescheiterten Vorstellungen von Erziehung an der ganzen Bundesrepublik abarbeiten.
Bisher hat Schilys Dienstherr an dem Innenminister seine reine Freude gehabt, weil der den Konservativen auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik so ganz das Wasser abgräbt. Schily selbst sagt oft, er könne auch in Italien „bei meinen Oliven“ zufrieden sein. Ob er dort eines Tages wohl das Schachspielen aufnehmen wird, sei dahingestellt.
Teewald

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last modified: 28.3.2007