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LeserInnenbriefe


Liebes Cee Ieh,
du wirst seit geraumer Zeit immer mehr gefüllt von Verweisen auf die Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts. Weit entfernt davon, selbst völlig sicher auf diesem Gebiet zu sein, verwundert mich der Enthusiasmus, mit dem du immer wieder zu Verurteilungen bestimmter Texte und Konzepte kommst. In der Ausgabe vom November 2001 (Nummer 82) fielen mir zwei willkürlich herausgegriffene Beispiele auf, die ich dir gern zur Prüfung zurücksenden möchte. Auf Seite 50/51 findet sich folgende Kritik an Proudhon: „Schon Proudhon hatte nicht begriffen, daß wenn Eigentum gesellschaftlich Diebstahl wäre, die Eigentumsverhältnisse sich nicht ändern würden, sondern nur willkürlich gerechter zu fassen wären. Der Tatbestand des Stehlens ist nur erfüllt, wenn Eigentum gesellschaftlich anerkannt ist. Deshalb bedeutet nicht nur Eigentum Diebstahl, sondern vor allem Diebstahl Eigentum.“ Ich gestehe freimütig ein, jener Text, aus dem Proudhons Zitat „Eigentum ist Diebstahl“ stammt, ist mir völlig unbekannt, so daß ich mich wie du nur auf das Zitat selbst stützen kann. Unter diesen Voraussetzung kann ich aber nicht erkennen, wo die Parole „Eigentum ist Diebstahl“ eine gerechtere Eigentumsverteilung fordert. Offensichtlich will sie doch das Eigentum abgeschafft wird. Sehen wir mal von solchen nicht ganz unwesentlichen Spitzfindigkeiten wie der Frage, ob nicht auch Diebstahl von Besitz möglich sei, ab, kann ich trotzdem deiner Textanalyse nicht folgen. Will Proudhon das Eigentum als soziales Verhältnis abgeschafft sehen und begründet er dies mit der ausbeuterischen Aneignung, die dem Eigentum eigentümlich ist, so weist er doch zu recht auf einen der Widersprüche hin, mit denen die bürgerlichen Legitimationen des Eigentums konfrontiert werden. Warum soll es aber ein Plädoyer für Eigentum sein, diesen Selbstwiderspruch transparent zu machen?
Auch der zweite Fall (S. 52) betrifft ein Konzept, bei dem ich mich nicht auf gelesene Texte berufen kann. Es geht um Derridas „Differance, die sich einen feuchten Kehricht um Dialektik schert, dafür das ganz Andere aber erst schafft – also konstruiert, um es dann großmäulig und eindrucksvoll dekonstruieren zu wollen und selbst diesen systemischen, axiomatischen Willen noch zu leugnen vermag.“ Das verwundert mich sehr. Hat doch der Derridakritische Heideggerschüler Gadamer, diesem einst entgegengehalten, das Gegenteil von Konstruktion, sei nicht etwa die Wortschöpfung Dekonstruktion, sondern schlicht und ergreifend Destruktion. Dekonstruktion, so will es also scheinen, will uns gerade darauf hinweisen, daß auch die kritische Auseinandersetzung mit Konstruktionen nicht aus dem Jenseits geschieht, sondern innerhalb gesellschaftlicher Konstruktionen geschieht. Wobei die Differance im Gegensatz zur Difference (wie sich das französische Wort korrekt buchstabiert) vielleicht darauf hinweisen will, daß trotzdem nie alles in den Konstruktionen aufgeht und dieser Mangel an Identität beim Konstruieren (vielleicht des Anderen?) sichtbar zu werden vermag.
Nun ja, ich bin wie gesagt darauf angewiesen gewesen, was du mir an Brocken vorgeworfen hast, so daß es mir nicht darum geht, eine Lanze für Proudhon oder Derrida zu brechen. Was mir aber am Herzen liegt, ist dein Umgang mit Ideen, Konzepten und Texten. Und da beweisen die zwei Beispiele beispielhaft, daß etwas bei dir schief läuft. Kritik heißt nicht einfach Ablehnung. Schon gar nicht in der Philosophie, aber im Grunde auch nicht in der Politik - wo dein Umgang, so mein Eindruck, nicht von mehr Sorgfalt getragen wird. Kritik setzt gerade beim Lesen ein gewisses Wohlwollen voraus. Einen Text zu lesen, um ihn zu verreisen ist billig und birgt nur selten ein Argument. Einen Text zu kritisieren, setzt dagegen voraus, ihn zunächst zu verstehen. Verstehen aber ohne Verständnis, so frage ich dich, wie soll das gehen?
Natürlich ist im hektischen Betrieb eines monatlichen erscheinenden Heftes so etwas nicht immer leicht umzusetzen, erfordert es doch Zeit und eine zusätzliche Anstrengung der Gedanken. Doch solltest du aus diesen Erwägungen, das Wohlwollen auch weiter nicht zur Anwendung bringen wollen, warum dann nicht einfach die ganzen Philosophien außen vor lassen? Am Ende erhöht es nur die Klarheit des Gedankens, statt wie gegenwärtig Ressentiments zu produzieren und zu schüren. Oder geht es am Ende bei all dem um etwas ganz anderes, und es ist die autoritäre Geste einer sich abschirmenden Position, die keine Diskussion mehr dulden will und deshalb hofft, all jene, die wie ich, vieles nur vom Hören-Sagen kennen, mit kurzen Urteilen über nur mühsam zu begreifende Konzepte zur Ruhe zu bringen? Aber warum deine Psycholgie erforschen, wo doch klar ist, daß der Stil ein bloßer Gestus ist und seine Wirkung die beschriebene?
Christian



An die CEE IEH-Redaktion.
Das Essen im Conne Island-Café am heutigen Sonntag war ganz lecker, unklugerweise nahm ich aber hinterher das CEE IEH zur Hand, dessen Lektüre völlig ungenießbar war.
Mit Recht steht der Titel DAS LETZTE über einer Auslassung, die sich mit der Selbsteinschätzung des ZORO auf dessen letztem Festival-Flyer befasst. Das heißt, „befassen“ kann man es nicht nennen – Ralf bedient sich dieses Textes, um sich in gewohnter Manie(r) lichtjahreweit über die vermeintlichen Kretins, die ihn verfasst haben, zu erheben.
Mach ich es mal wie Ralf und zitiere:

„Wo Mami und Papi also noch den bürgerlichen Standard der Polizei in den meisten Fällen der zivilcouragierten Selbstjustiz vorziehen, halten es die Feinde der ‘Schaumstoffhauptträger’ eher mit letzterer. Wobei man nicht mal sicher sein kann, ob sie sich dabei nicht gar vom Großvater, der kein Verbrecher war und deshalb seine schönste Zeit bei der SA verbrachte, inspirieren liessen – auf Bullen hatte er nämlich auch keinen Bock, dafür aber um so mehr auf Selbstbestimmung und -verwirklichung. Weil man im ALTERNATIVEN LEBENSBORN-HEIM“ (Hervorhebung dieses Skandals stammt von mir) „der besseren Menschen immer auch die Zucht derselben im Visier hat, ... kann sich das Vorhaben, ‘sich ... öffentlich zu positionieren sich schon immer ziemlich in Grenzen’ halten.“

Ist es zuviel von diesem Spitzen-Feuilletonisten verlangt, sich seinen Text vor der Vervielfältigung noch mal durchzulesen und ausgiebig den Rotstift zu benutzen?
Aber zu spät, es wär ja auch unehrlich von Ralf, seinen Hauptgedanken, dass alles, was nicht Ralf ist, Nazi sein muss, zugunsten irgendwelcher zivilisatorischer Standards zu unterdrücken.
Die von Ralf verbal angespuckten ZORO-Menschen könnten bei der Lektüre des Artikels ihrerseits auf eine Idee kommen, nämlich die, es ausnahmsweise mit Mami und Papi zu halten und Vater Staat zu bemühen, genauer die Staatsanwaltschaft, und auf einen Paragrafen zu verweisen, der sich mit Volksverhetzung befasst.
Ich könnte ihnen das echt nicht verdenken.
Zensi

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last modified: 28.3.2007