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Für unsere Justiz-Rubrik erhielten wir diesmal einen Gastbeitrag aus unserer Partnerstadt Hamburg.

Schillerndes aus Hamburg.

Voraussichtlich am 4. September wird vor dem BGH in Leipzig die mündliche Revisionsverhandlung gegen den Hamburger Amtrichter Ronald B. Schill stattfinden.

Da der Jurist mittlerweile in die Hamburger Politik mit einer eigenen Partei, der „Partei Rechtsstaatliche Offensive“, eingestiegen ist und gute Chancen hat, mit über 8% in die Hamburger Bürgerschaft bei den anstehenden Landtagswahlen am 23.9. einzuziehen, wird der 4.September wohl von großem überregionalen Medieninteresse begleitet sein. Im folgenden nun einige kurze Informationen, was es mit Schill, der Revisionsverhandlung und den begleitenden politischen Verhältnissen in Hamburg auf sich hat.

Die Karriere des sog. „Richter Gnadenlos“

Seit 1996 hat sich der an einem Amtsgericht als Richter tätige Schill einen Namen als law-and-order-Jurist durch Urteile „erarbeitet“, deren hervorstechendes Merkmal darin bestand, den möglichen Strafrahmen maximal auszuschöpfen. Besonders mit zwei Urteilen geriet er damals in die Schlagzeilen der Lokalpresse: eine psychisch erkrankte Frau, die Autos zerkratzt hatte, verurteilte er wegen Sachbeschädigung zu 2 1/2 Jahren Gefängnis ohne Bewährung; ein Inder, dem die Fälschung eines Passes zur Erlangung des Aufenthaltsrechts vorgeworfen wurde, wurde von ihm zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt – ohne Bewährung natürlich. Nun sind solche Urteile für sich genommen an deutschen Gerichten ja nicht unbedingt Ausnahmen – Schill tat sich damals aber schon vor allem dadurch hervor, daß er seine Urteile mit einer sehr aggressiven Rhetorik öffentlich verteidigte und damit vor allem verbale Ausfälle gegen die seiner Meinung nach zu lasche Justiz in Hamburg verband. Es ist natürlich überflüssig zu erwähnen, daß Polizisten bei ihm in Verfahren grundsätzlich freigesprochen werden. Auch sonst kann Schill auch mal Nachsicht zeigen: Einen wegen Gewälttätigkeit einschlägig vorbestraften Mann verurteilte er nach erneuten Übergriffen gegen seine Ehefrau zu einer Bewährungsstrafe. Seit 1997 jedenfalls hatte sich Schill in den Lokalmedien Hamburgs den Status eines juristischen Einzelkämpfers mit deftigen Ansichten erarbeitet, der z.B. in Interviews erklärte, gäbe es für die Todesstrafe eine parlamentarische Mehrheit, wäre er für die Todesstrafe.

Vom Richter zum Rechtsbeuger

Im Mai 1999 mußte sich ein Aktivist der Roten Flora vor Schill verantworten, weil er sich in eine Personenkontrolle eingemischt hatte und drei Polizisten nach einem Wortwechsel zum Abbruch dieser Kontrolle veranlaßt hatte. Das Ganze wurde als Nötigung verhandelt. Schill nutzte den Prozeß als großen Showdown: der Angeklagte wurde – obwohl nicht vorbestraft – zu 15 Monate Gefängnis ohne Bewährung verurteilt, Schill nutzte die Urteilsbgründung für eine Abrechnung mit angeblich rechtsfreien Räumen in der Stadt und der angeblichen Kumpanei von Hamburger Senat und autonomer Szene (!). Außerdem wurden zwei Prozeßbesucher zu drei Tagen Ordnungshaft verurteilt: der eine, weil er bei der Urteilsverkündung nicht gerade gestanden hatte, der andere wurde im anschließenden Tumult ziemlich wahllos rausgegriffen.
Obwohl bereits wenige Stunden nach der Ordnungshaftanordnung durch Schill anwaltliche Beschwerden dagegen vorlagen, hat Schill diese einfach 2 1/2 Tage nicht beachtet und sie erst an das zuständige Beschwerdegericht weitergeleitet, als die 3 Tage Ordnungshaft fast vorbei waren – das Beschwerdegericht hatte übrigens wegen Formfehler dann die schon mehr oder weniger abgesessene Haft aufgehoben. Dieser Vorgang hat Schill dann eine Anzeige wegen Rechtsbeugung eingebracht, die tatsächlich von der Staatsanwaltschaft verfolgt wurde und im Herbst 2000 zu einem Prozeß vor einem Hamburger Landgericht führte. Schill ist in diesem Verfahren zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt wurde, wäre also bei Rechtskräftigkeit des Urteils vorbestraft, könnte aber weiter Richter bleiben. Um dieses Urteil wird es in der Revisionsverhandlung am BGH nun am 4. September gehen.

Populismus als Politikersatz

Im Zusammenhang mit der Diskussion um den Floraprozeß und der Anzeige wegen der Ordnungshaftsache gegen Schill, war er über Wochen in den Hamburger Lokalmedien Dauerthema. Und gerade in der Springerpresse überschlugen sich in den LeserInnenbriefspalten die zustimmenden Äußerungen zugunsten Schills. Der wiederum – mit dem Gespür dafür, daß seine rechten Sprüche ankommen – ließ immer deutlicher durchblicken, daß er durchaus politische Ambitionen habe. Das führte schließlich im letzten Jahr zur Gründung seiner Partei. Zur Zeit ist es nicht völlig abwegig, daß die Partei Schills nicht nur problemlos den Sprung in die Hamburger Bürgerschaft vollziehen wird, sondern es durchaus im Bereich des Möglichen liegt, daß Schill seinen Anspruch auf den Posten des Innensenators in einer rechtskonservativen Koalition mit CDU und FDP durchsetzen könnte. Dies wäre ein Vorgang, der weit über Hamburg hinaus von Bedeutung wäre, da dies ein Hinweis wäre, daß die politische Entwicklung tendenziell in Richtung einer erfolgversprechenden autokratisch-neoliberalen Politikstrategie weisen könnte, wie sie aktuell in Italien und auch in Österreich bereits realisiert wird. Insofern geht es weniger um die Person Schills, als um das einfach gestrickte, aber offenbar politikfähige Konzept von law-and-order einer rassistisch-nationalistischen Ausgrenzungsstrategie der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft. Das Phänomen „Schill“ müßte also vor allem als ein Produkt gesellschaftlicher Entwicklungen diskutiert werden, die zum Beispiel in der Auseinandersetzung um Flüchtlingspolitik, der Frage nach der Privatisierung von öffentlichen Räumen oder der staatlich organisierten Desintegration von nicht „verwertbaren“ gesellschaftlichen Gruppen (Kochs gerade aufgelegte „Mißbrauchsdebatte“; Thema „zumutbare Arbeiten“) u.ä. sichtbar werden.


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last modified: 28.3.2007